Von der Ueberzeugung, daß Deutschland
untergehen werde, niedergedrückt, gebe ich hier nur einige Ideen an, wie vielleicht
noch einem edeln Volk geholfen werden könne. ... Die Geschichte der künftigen Jahrhunderte wird keine Germanier
mehr nennen. - Unglückliches deutsches Vaterland!
Potsdam, im
November 1795
Christian
von Massenbach
Es
ist, "soviel mir bekannt, noch immer erlaubt, in deutscher Sprache
miteinander vom Vaterlande zu reden, wenigstens zu seufzen."
Jedenfalls war es das 1808 noch, als Fichte
es in seiner achten Rede an die deutsche Nation so formulierte. Heute
kommen wir als Volk in der egozentrischen liberalen Ethik nicht
mehr vor. Wenn wir davon ausgehen, daß sich jeder seine Ethik nach
seinen angenommenen Interessen bildet, können wir die denkbaren
Ethiken wie auf einer Skala einteilen einerseits in solche von
Menschen, die sich schutzbedürftig fühlen und daher einer Gemeinschaftsideologie
zuneigen, wobei die Gemeinschaft und ihr Staat die Aufgabe haben,
den einzelnen zu schützen. Menschen wie Hobbes
, die sich schutzbedürftig fühlen, schätzen eher die Gemeinschaft
als geborene Hechte im Karpfenteich. Ihre Moral steht am anderen
Ende der vorgestellten Skala. Menschen wie Stirner
fühlen sich so stark, daß sie sich als autonome Individuen jeder
Gefährdung gewachsen fühlen oder gar in einem Staat und in Gemeinschaftsregeln
nur Hemmnisse in ihrem Tatendrang sehen, sich gegenüber ihren
Mitmenschen Vorteile zu verschaffen. Der Liberalismus ist die
Religion des Fuchses, der die Gans zur Tafel lädt - bei freier
Menüwahl! Weil jeder alles dürfen soll, braucht er einen Unparteiischen
nicht. Staatliche Verbotstafeln sind unerwünscht.
Wer
soziale Ordnung vertritt, braucht eine Ethik mit auf menschliche
Gemeinschaften gerichteten Tugenden. Wer in der Nation die beste
Organisationsform sieht, seine Interessen geltend zu machen, benötigt
Tugenden wie die der Vaterlandsliebe und der Familienbindung.
An eine metaphysische Realität solcher gemeinschaftsbildenden
Werte muß niemand glauben. Wer Gott nur vom Thron stürzt, um sich
selbst - individuell oder kollektiv - daraufzusetzen und anzubeten,
hat nicht begriffen, was Aufklärung tatsächlich bedeutet. Daß
es solche Werte aber bei allen Völkern und in allen Kulturen gibt,
läßt den Schluß zu, daß es offenbar einen Nutzen hat, wenn die
Mitglieder einer Gruppe ein die Gemeinschaft stabilisierendes
System von Normen anwenden. Wir Menschen verfügen nach Konrad
Lorenz
über ein hochdifferenziertes System von Verhaltensweisen,
das in durchaus analoger Weise wie das System der Antikörperbildung
im Zellenstaat der Ausmerzung gemeinschaftsgefährdender Parasiten
dient.
[2]
So
verstanden schweben die Werte für eine Gemeinschaftsordnung nicht
in übersinnlichen Sphären. Sie beeinflussen höchst real das menschliche
Zusammenleben, weil viele Menschen gefühlsmäßig zu ihnen neigen.
Es herrscht, wer den Inhalt des Glaubens bestimmt, auf dessen Grundlage
die in der Staatsverfassung konkretisierte Wertordnung ruht.
Wenn wir eine Durchsetzungschance für ein System von Verhaltensweisen
suchen, einer Ethik oder einem Recht also, das konkreten Menschen
und Menschengruppen nützen soll, dürfen wir uns letztlich nicht
positivistisch mit der Geltung des jeweiligen Rechts auf Grundlage
der jeweiligen Moral zufriedengeben. Nur wenn die Mehrheit an
die gemeinschaftsbildenden normativen Tugenden glaubt, als
seien diese im metaphysischen Sinne real, kann sozial organisiertes
Leben sich ernst nehmen und auf Dauer erhalten.
[3]
Es gilt daher ein System von Tugenden
durchzusetzen, das unsere individuelle Freiheit mit
dem Bestand der Gemeinschaft verknüpft, der wir alle angehören
und die uns die individuelle Freiheit nach innen und außen garantieren
soll. Diese Normen gibt es in Deutschland traditionell. Es ist
sinnlos, Hirngespinste aus der intellektuellen Retorte zu ziehen.
Rationalistisch ausgeklügelte Werte erwärmen niemandem das
Herz. Sie können weder die nötige soziale Bindungskraft entfalten
noch Folgebereitschaft erzeugen. Wer wäre schon bereit, aus
Liebe zur Staatsverfassung sein Leben aufs Spiel zu setzen oder
materielle Opfer zu bringen? Nur die in den Gefühlen der Menschen
wirklich vorhandenen, überlieferten Werte, Tugenden und Gemeinschaftsideen
können ihnen normativ heilig sein und sozial funktionieren: die Familie,
das Volk und alle auf sie bezogenen Sekundärtugenden.
Anders
als Herder
formulierte, sind Völker keine Gedanken Gottes. Der Glaube an das
transzendente Sein einer Wesenheit namens Volk ist die zentrale Wertsetzung einer aus konkreten polemischen Bedürfnissen
geborenen kollektiven Ideologie. Sie hatte in einer gegebenen historischen
Situation der Zeit des Befreiungskrieges ihre nützliche Funktion:
In Zeiten fremder Gewaltherrschaft läßt sich aufopfernder Widerstandsgeist
nur wecken, wo das Wohl des einzelnen im Zweifel dem Wohl des Gesamten
unterordnet ist.
Wenn
man den Begriff des Volkes nicht als bloße Sammelbezeichnung für
viele einzelne Menschen betrachtet, kann man aber unter nominalistischen
Prämissen nur zu dem Schluß kommen, daß es Völker nur in unserer
Vorstellung gibt: "In mente",
hätte Ockham
gesagt: im Geiste. Real vorhanden sind allerdings die Verwandtschaftsbeziehungen,
die gemeinsame Sprache und die gemeinsame Geschichte der Angehörigen
eines Volkes. Alle diese Umstände bewahren das Phänomen "Volk"
aber nicht, wenn es als Volk nicht mehr "in mente" ist: im Bewußtsein seiner Angehörigen
also. Das "Deutschland, welches wir lieben und zu sehen begehren,
hat nie existiert und wird vielleicht nie existieren. Das Ideal
ist eben etwas, das zugleich ist und nicht ist. Es ist die im tiefsten
Herzen der Menschen leuchtende Sonne, um welche unsere Gedanken"
[4]
sich drehen. Das reale Deutschland:
das können nur konkrete Menschen sein, die Gesamtheit aller Deutschen.
Wer sich für sie verantwortlich fühlt und sie zu seiner Herzenssache
macht, rechnet zu ihnen die Gesamtheit der Lebenden, der Toten
und der Ungeborenen. Das ideale heimliche Deutschland dagegen trägt
jeder nur in sich allein.
Alle
Gruppen und Kollektive existieren nur insoweit und auch nur solange,
wie sie von den handelnden Gruppenmitgliedern als Kollektive tatsächlich
wahrgenommen werden. Wenn die Einzelmitglieder der Gruppe aufhören,
gruppenbezogen zu handeln, wenn der Wille, die Gruppe zu bilden und
die Gruppe bestehen zu lassen, erlischt, dann erlischt die Gruppe
überhaupt. Eine Familie kann sich durch Scheidung auflösen. Eine
politische Partei kann durch Verbot aufgelöst werden. Auch die Mitglieder
eines Volkes können sich zerstreuen. Nachdem die Athener die melischen
Männer getötet und die Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft
hatten, gab es für den Rest der Weltgeschichte keine Melier mehr.
Völker sind eben nicht Gedanken Gottes, sondern handelnde Kollektive
von Einzelmenschen, die im Kollektiv handeln wollen und das tatsächlich tun. Wenn der Wille zu gemeinsamem Handeln
und damit zur gemeinschaftlichen Existenz erlischt, endet das Volk
überhaupt. Völker sind nicht Gedanken Gottes, sondern kollektive
Gedanken vieler Menschen. Das zum Bewußtsein seiner selbst gekommene
Volk bezeichnet die romanische Tradition als Nation:
Nation sei ein tägliches Plebiszit. Die Nation als Willenseinheit
zusammengehörender Menschen erfordert es, die Entscheidung für
das Zusammengehören und das gemeinschaftliche Handeln täglich
neu zu treffen.
Nationen
sind daher vergängliche Gebilde und in ihrer Existenz verletzlich.
Ihre Existenz hängt davon ab, den Willen zur Gemeinschaft tagtäglich
aufrecht zu erhalten. Einer Nation diesen Willen, die Überzeugung
von ihrer eigenen Identität also, zu nehmen, befördert sie von der
präsenten Existenz "in mente" ins Reich der Schatten, in
den Orkus des bloßen Erinnerns, in die reale Nichtexistenz. Finis
Germaniae? Das kann uns passieren, liegt aber allein an unserem
Wollen. Ob eine "Nation als politische oder auch kulturelle
Einheit erhalten bleibt, hängt nicht von irgendeiner unwandelbaren
Substanz ab, die ihr innewohnen soll, sondern von den langfristigen
Erfordernissen der planetarischen Lage, genauer: von der Art
und Weise, wie die Akteure diese Erfordernisse begreifen und sich
darauf einstellen."
[5]
Es liegt ein irreführender, weil transzendenter
Zungenschlag in der Formulierung, man solle an sein Volk und dessen
Zukunft glauben. Das Volk gibt es, oder es gibt es nicht. Richtig
wäre die Formulierung, man solle den Willen, in Gemeinschaft als
Volk zu handeln, nicht aufgeben.
Ein
so verstandener Wille zu gemeinschaftlichem und gemeinschaftsbezogenem
Handeln stünde nie in Gefahr ideologischer Verabsolutierung, kollektivistischer
Totalitätsansprüche oder quasireligiöser Erweckungshoffnungen.
Als Begründung für das kollektive Phänomen, das wir je nach Aspekt
der Betrachtung als Volk, Nation oder Staat bezeichnen, genügt die
Einsicht, daß der Gemeinschaftsbezug des Handelns letztlich die Daseinsbedingungen
des einzelnen sichern muß. Am Anfang muß also die Einsicht stehen,
daß jeder einzelne die Nation und einen handlungsfähigen Staat
für sein persönliches Wohlergehen und das seiner Nachkommen unabdingbar
braucht. Auf der freien Entscheidung für die Nation mag dann eine
"säkularisierte" Weltanschauung aufbauen, die sich der
Liebe zu ihren Nächsten nicht schämt und selbstverständliche Solidarität
mit allen anderen Deutschen einschließt.
Vernunft
und Einsicht allein können aber eine Gemeinschaft nicht zusammenhalten:
Sinnstiftende Gefühlsbindungen, nationale Symbole und die gemeinsame
Erinnerung an kollektiv erlittenes Schicksal gehören zum eisernen
Bestand jeder Gemeinschaft. Nicht nur für uns Deutsche gilt daher
Kondylis'
Feststellung: "Die politisch brisante Frage lautet, ob konkrete
Kollektive bereit sind, notfalls unter Aufbietung der dazu geeigneten
Mythologeme, sich als Nation zu definieren und im Namen dieser
Nation zu handeln, also zu leben und zu sterben." Auch Rohrmoser
betont, keine Gemeinschaft könne ohne einen gemeinsamen normativen
Glauben zusammenhalten: Wenn sich die geistigen, sittlichen,
ethischen und religiösen Kräfte auflösen, könne sich kein gemeinsamer
Wille bilden und nicht mehr gemeinschaftlich gehandelt werden.
Mit dem Beginn der Moderne habe die Nation die Funktion und die
Rolle des ausschlaggebenden Mythos übernommen. Irrational erscheine
das Nationale nur, wenn man meint, die Gesellschaft voraussetzungslos
abstrakt-rationalistisch neu konstruieren zu können.
[6]
Dieser Machbarkeitsglaube ist aber
höchst unvernünftig. Er vergißt, daß die meisten Menschen ihre Identität
geschichtlich und nicht intellektualistisch bilden. Die Nation
steht in der Tradition der antiken res publica. Sie hat sich empirisch als die einzige dauerhafte Vergemeinschaftungsform
erwiesen.
Als
freiheitsliebende Individualisten und sozial verantwortungsbewußte
Staatsbürger müssen wir ein ausgewogenes Verhältnis zwischen beiden
Aspekten menschlicher Existenz immer aufs neue finden und herstellen.
Die Forderung nach Ausgewogenheit hat nichts mit liberalistischem
Harmonieglauben zu tun, sondern berücksichtigt ganz schlicht das
Freiheitsbedürfnis des einzelnen und seine natürliche Sozialbezogenheit.
Diese natürliche Sozialbezogenheit bedarf eines konkreten Bezugspunktes.
Niemand kann sich wirklich mit einem Abstraktum wie Menschheit konkret solidarisch fühlen. Die greifbaren Bezugspunkte finden wir
bereits vor, brauchen sie also in keinem utopischen Entwurf erst
zu erfinden: Wir gehören kraft unserer Geburt einer Familie an,
einer Gemeinde, einem Stamm und einem Volk. Auf diese bestehenden
sozialen Verbände muß und kann allein sich soziales Handeln ausrichten.
Grundgebot
sozialen Handelns ist die Tugend der Solidarität. Ihren phylogenetischer
Antrieb haben wir oben schon kennengelernt: das als affiliatives
Empfinden bezeichnete Gefühl der Zuneigung, der Liebe, der Mitmenschlichkeit
gegenüber unseren Nächsten. Stammesgeschichtlich ist es jünger
als der archaische Komplex der Aggression und bildete sich um den
Brutpflegetrieb heraus. Aggressiv waren schon die ersten Reptilien
untereinander; die liebevoll umsorgende Brutpflege setzte sich
in der Evolution erst viel später durch und steht darum in gewisser
Weise höher in der Stufenleiter. Solidarisch kann ich aber zunächst
nur mit einem mir persönlich bekannten Menschen sein, den ich
schätze und liebe. Solidarität ist buchstäblich Nächstenliebe
und nicht Fernstenliebe. Im Zweifelsfall erfordert Solidarität,
mich nicht nur mit jemandem, sondern auch gegen jemanden zu solidarisieren.
Wer jemandem universale Liebe zu allen Menschen abverlangt, stellt
dieses natürliche Wertempfinden auf den Kopf. Die humanitaristische
Fernstenliebe war schon Zielscheibe von Donosos
Spott: Dieselben Leute, die uns die Liebe zur Menschheit abfordern,
die Menschheit also für ein reales Ding halten, bestreiten, daß
wir unserer Familie und unserem Volke Solidarität schulden. Einen
mir ganz Unbekannten soll ich brüderlich lieben müssen, meinen
eigenen Bruder aber nicht brüderlich lieben dürfen.
[7]
-
Haben
wir erst einmal unsere Großväter befreit, indem wir den gordischen
Knoten erster, zweiter und dritter Schuld für immer durchgehauen
haben, sind wir frei für eine Ethik, die uns in unserer eigenen
Identität erhält und auf deren Grundlage wir uns die Realität unserer
Zukunft bauen können. Wie diese aussehen soll? Da sind wir ganz bescheiden:
Geben soll es uns noch in 200 Jahren, und frei wollen wir dann auch
wieder sein. Wir? Ja, wir sagen nämlich mit Fichte:
Welcher Edeldenkende will nicht und wünscht nicht, "in seinen
Kindern und wiederum in den Kindern dieser sein eigenes Leben von
neuem auf eine verbesserte Weise zu wiederholen und in dem Leben
derselben veredelt und vervollkommnet auch auf dieser Erde noch
fortzuleben, nachdem er längst gestorben ist?" Wer wollte
nicht durch das beste Vermächtnis seines Denkens in seinen Nachkommen
"offenbare Denkmale hinterlassen, daß auch er dagewesen
sei?" Die Fortdauer seiner Wirksamkeit gründet er auf die
"Hoffnung der ewigen Fortdauer des Volkes, aus dem er selber
sich entwickelt hat, und der Eigentümlichkeit desselben."
Diese ist "das Ewige, dem er die Ewigkeit seiner selbst und
seines Fortwirkens anvertraut"; die "Ordnung der Dinge",
die sich in ihm verkörpert und in der er sich selbst wieder findet.
Ihre Fortdauer muß er wollen, denn sie allein ist ihm das Mittel,
wodurch "die kurze Spanne seines Lebens hienieden zu fortdauerndem
Leben ausgedehnt wird."
[8]
Tatsächlich
überleben wir nur in unseren Nachkommen.
[9]
Die genetischen Informationen und
kulturellen Strukturen sind das einzige, was nach unserem Tode
von uns bleibt. Jeder verkörpert eine physische und eine geistige
Ordnung. Die Nation kann auf nichts anderem aufbauen als auf der
Abstammungsgemeinschaft, denn es gibt keine natürliche Verpflichtung
als die gegen unsere Vorfahren und unsere Nachkommen. Jeder ist die buchstäbliche, wirkliche Verkörperung seiner Eltern, und in seinen
Nachkommen verkörpert er sich wiederum. Dazu bedarf es keinerlei
Behauptung eines Jenseits. "Die erbliche Kontinuität beruht"
zwar auf "einer materiellen Kontinuität", besteht aber
eigentlich darin, "daß es eine bestimmte, materiegebundene Struktur ist, die von Generation zu Generation weitergegeben wird."
[10]
Hinzu kommt die kulturelle Tradition,
die Denkstrukturen und -inhalte
weitergibt.
Jeder
ist in diesem Sinne seine
zwei Eltern, vier Großeltern, acht Urgroßeltern und so weiter. Was
von jenen überhaupt blieb, steckt in ihm. Rückwärts geblickt bis zum
dreißigjährigen Krieg stammt er ab von praktisch allen Einwohnern
seiner engeren Heimat, außer denen, die ohne Nachkommen starben.
Gehen wir bis zum Mittelalter zurück, stammt jeder von uns fast
von allen Damaligen ab, wieder außer denen, die kinderlos ausstarben.
In die Zukunft gewendet ergibt sich dasselbe Bild: Sofern nicht
unsere Nachkommen es vorziehen werden, auszusterben, wird jeder
von uns Ahne eines beträchtlichen Teils der künftigen Deutschen
sein. Wenn wir uns graphisch die Vorfahren als aufwärts sich öffnenden
Stammbaum vorstellen und die Nachkommen darunter malen wie eine
abwärts sich weitende Pyramide, gewinnen wir das Bild einer Sanduhr.
Deren Engstelle bildet der einzelne. So verkörpert das deutsche Volk
in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft die Wurzel meines Seins
und die Zukunft meines Selbst. Der Abstammungsgedanke führt
unmittelbar zum Volk als Ganzem und zur Verantwortung für
das Ganze: "Das Prinzip der nationalen Identität besagt entweder
gar nichts, oder es besagt, daß eine Gemeinschaft besteht von Verdienst
und Schuld, von Ruhm und Unglück, von Talent und Befähigung zwischen
den vergangenen und den gegenwärtigen Generationen und zwischen
den gegenwärtigen und den zukünftigen; diese Gemeinschaft ist in
jedem Punkte unerklärlich, betrachte ich sie nicht als das Ergebnis
der Vererbung."
[11]
Als
Gegenstand unserer Liebe und materieller Bezugspunkt unserer Vorstellungen
eines Gemeinwesens eignet sich nur die wirkliche Abstammungsgemeinschaft.
Nur sie ist langfristig in der Lage, die bindende Kraft zu entfalten,
deren ein Gemeinwesen bedarf. Alle multiethnischen Superstaaten
haben sich noch immer irgendwann in ihre Bestandteile zerlegt.
Sozialbindung bedeutet immer vielfachen Verzicht: Verzicht auf Entscheidungswillkür,
Verzicht auf Geld zugunsten der sozialen Fürsorge und anderes mehr.
Noch niemand hat mir die Frage beantworten können, warum eigentlich
ich einen solchen Verzicht leisten soll zugunsten irgendwelcher
wildfremder Menschen, mit denen mich nichts verbindet, als daß sie
kürzlich in Frankfurt gelandet sind und sich jetzt zufällig hier
aufhalten. Das warnende Beispiel der USA zeigt überdies, daß die
ethnisch zentrifugalen Kräfte sich auf Dauer nur durch völlige Integration
niederhalten lassen, und das gelingt ab einer gewissen Menge von
Unterschiedlichkeiten nicht mehr.