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Der Universalist
Ihre weiteste
geographische Intensität erreicht das Dominanzstreben, wenn
der Normativist seinen Normgeltungsanspruch auf die ganze
Welt ausdehnt, indem er für seine Ideen universale Geltung
fordert. Die geläufige Taktik dabei ist es, die subjektive
Welt-Anschauung universal zu verabsolutieren und so den
Normgeltungsanspruch: "Alles hört auf mein moralisches
Kommando!", auf die ganze Welt auszudehnen.
Bei Religionen
ist das der Regelfall: Jeder Ungehorsame werde sicher Ärger
bekommen werde, wenn er sich nicht nach den Geboten ihres jeweiligen
Gottes richtet. Nur sehr bescheidene Völker schreiben ihren
Göttern nicht gleich die Schöpfung des ganzen Weltalls zu. Derartige
aus dem Jenseits begründete, also transzendierte Geltungsansprüche
[1]
sind der Regelfall gesellschaftlicher
Herrschaftslegitimation, sie sind der Kitt des Gemeinschaftlichen
schlechthin und spielen bei der Aufrechterhaltung aller
sozialen Systeme die ausschlaggebende Rolle. Viel aktueller
ist es aber, eine den eigenen Interessen folgende weltliche
Moral zu universalisieren. "In der gegenwärtigen planetarischen
Konstellation gibt es gewichtige Kräfte und Mächte, die an
der Universalsierung bestimmter Werte und somit an der Universalsierung
des (ihres) Ethischen interessiert sind"
[2]
Es spielt für das Funktionieren solcher
universalistischer Morallehren keine ausschlaggebende Rolle,
ob sie durch friedliche Missionare, durch Kanonenboote oder
durch Handelsboykotte verbreitet wird. Wer moralisch-ethische Normen aufstellt,
verstärkt und verabsolutiert damit seinen konkreten Einzelbefehl.
Dieser richtet sich jetzt universal an die ganze Welt. In seiner
Norm verkörpert sich sein Machtanspruch gegenüber dem Rest
der Welt. In einer zweiten, archaischen Stufe wird dann der
bereits zur geltenden Norm erhobenen allgemeine Befehl noch
religiös transzendiert und personifiziert: So wie die alten
Germanen meinten, daß da jemand sein müsse, wenn es donnert,
und wie sie diesen Jemand Donar nannten, behaupten besonders
fundamentalistische Verfechter ihrer eigenen ethischen Ideen,
nachdem sie diese zur Norm erhoben und vergessen haben, daß
sie selbst Schöpfer dieser Norm waren: Da müsse wohl irgendwo
im metaphysischen Jenseits ein personaler Normschöpfer schweben,
der durch sein eigentliches Sein dem innersten Wesen der Norm
im besonderen Maße entspreche.
Im Christentum wird die völlige
Deckungsgleichheit eines Verhaltens mit dem Inbegriff sämtlicher
religiöser Forderungen mit dem Begriff des Guten bezeichnet
und auf die Person eines vorgestellten Gottes projiziert.
So wie die von einem Menschen aufgestellte Norm nichts weiter
ist als die Projektion der Machtansprüche dieser Person an
die Umwelt, ist auch die Vorstellung eines personalen Gottes
als Inbegriff ethischer Tugenden die Projektion der in religiöses
Gewand gekleideten Machtansprüche eines Menschen an seine
Mitwelt. Menschen, die das bemerken, pflegen an Götter nicht
zu glauben, die offenkundig mit ihren Feinden im Bunde
stehen. Ihre ebenbürtigen irdischen Feinde können sie besiegen;
deren Spuken aber wie eine wirkliche Macht anzuerkennen, hieße
es mit der Majestät eines Allgemeinen aufnehmen zu wollen.
[3]
Je stärker der Strom von Menschen,
Waren und Informationen innerhalb eines Kulturraumes ist, desto
mehr Menschen werden ihrer engeren Heimat entfremdet und entwurzelt.
Großreiche und Einflußhemisphären brachten schon immer Menschenmassen
verschiedener Herkunft und Glaubens unter ihre Kontrolle und
verwandelten sie in lenkbare Massenmenschen. Je umfassender
eine Herrschaft sich geographisch ausdehnt, desto dringlicher
ihr Bedürfnis nach einer universalen Herrschaftsideologie.
Diese dient dazu, ganz heterogenen Unterworfenen ihre Stammesgötter
madig zu machen. Im Innenleben eines Großreiches sind Tugenden
wie Eigenständigkeit, Freiheit und Selbstbestimmung nicht
gefragt. Das Bedürfnis nach einer universalistischen Moral
ist aber ein wechselseitiges: Wer als Entwurzelter fern der
Heimat unter fremden Anschauungen lebt, muß sich trösten und
eine Moral der Heimatlosen annehmen, eine überall brauchbare
Ethik der Bindungslosen, der Zerstreuten, der Entorteten. In
dieser Lage befanden sich die Menschen im ersten historischen
multiethnischen Großreich: dem Alexanders
und der folgenden Diadochen. Gehlen
hat kenntnisreich den unmittelbaren Zusammenhang zwischen
der allumfassenden Kosmopolis des Hellenismus und der Ausbildung
universalistischer Ideen nachgewiesen. Der in Athen wohnende
Phönizier Zenon,
ein schwerreicher Händler, fand die passende Ideologie für
den moralisierenden Handelsstaat: eine universalistische
Weltsicht, nach der alle Verwandtschaftsverbindungen und
Stammespflichten vor der Tugend zurückzutreten hätten.
[4]
Was diese Tugend im einzelnen forderte,
erläuterten gern die Philosophen, und so hatte jeder seinen
Vorteil. Hier entstand der Gedanke eines menschheitsumspannenden
Naturrechts. Eine analoge Entwicklung hat sich während des
20. Jahrhunderts abgespielt: Wieder gewinnen in den Quasi-Vielvölkergebilden
USA und Europa universalistische Vorstellungen an Boden, so
daß Kosmopoliten und Globetrotter sich überall heimisch
fühlen dürfen. Der geistige Anspruch einer Menschheitsmoral
hat aber auch immer eine polemische Spitze. Sie richtete sich
zunächst gegen diejenigen Staaten, die sich der Zumutung widersetzten,
sich die amerikanischen Ansichten von Moral, Demokratie und
Freiheit zu eigen zu machen. Heute richten diese sich vor
allem gegen Staaten Asiens mit gänzlich anderen Ideen vom
Verhältnis von Freiheit, Bindung und Religion.
Ebenso wie das Individuum seinen
Geltungsanspruch am wirksamsten vorträgt, indem es ihn in
die äußere Form genereller Normen hüllt, pflegen auch Staaten
- gleichsam wie Individuen - "ihre Anliegen im Vokabular
universaler Zielsetzungen und weltumspannender Sozialentwürfe
zu formulieren."
[5]
Mit dieser Formulierung verallgemeinerte
Kondylis Carl Schmitts
Beobachtung zweier Haltungen: der offenen [dezisionistischen]
Machtstaatlichkeit und einem sich [normativistisch] ethisch
-moralisch verschleiernden Weltherrschaftsanspruch.
[6]
Als "geradezu klassisches Beispiel
reinsten Dezisionismus" führt Schmitt eine Bemerkung
des US-Staatssekretär Hughes
an, was die Monroe-Doktrin - nichtamerikanische Mächte hätten
sich dort nicht einzumischen - jeweils konkret besage: Das
"definiere, interpretiere und sanktioniere" nur
die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika.
[7]
Ganz normativistisch treten die
USA dagegen heute im Namen der Menschenrechte auf, was nach
Luhmanns Beobachtung eine "internationale Interventionsethik"
begründet. Die Menschenrechte sind für ihn
nichts als "eine interessante Denkfigur",
[8]
die auf eine Veränderung des Rechtsbewußtseins
hindeute:" Sie begründen den universalen Geltungsanspruch
einer konkreten Weltmacht, unter Berufung auf das, was sie
als Menschenrecht definiert, notfalls global militärisch
einzugreifen. Damit folgt Luhmann Carl Schmitt: Dieser
hatte auf das "universalistisch-imperialistische,
raumaufhebende Weltrecht" hingewiesen, von dem
aus "unabsehbare 'humanitäre' Interventionen völkerrechtlich
zulässig sind.
[9]
"Universalistische, weltumfassende
Allgemeinbegriffe" seien "im Völkerrecht
die typischen Waffen des Interventionismus": eine
"imperialistische, unter humanitären Vorwänden in
alles sich einmischende, sozusagen pan-interventionistische
Weltideologie".
[10]
Wenn liberale Philosophen heute
universalistische Vernunftsentwürfe vorlegen und deren Geltung
für die ganze Welt beanspruchen, bereitet das objektiv die moralische
und informelle Machtübernahme in den infiltrierten Ländern vor.
Chaïm Perelman
appelliert "an ein universales Auditorium": "In
dem Maße, wie der Philosoph seine Entscheidung auf Regeln
gründet, die für die ganze Menschheit gelten sollen,"
[11]
könne er keine Regeln aufstellen, die man
nicht schlechthin verallgemeinern könne. Solange es aber Interessengegensätze
und Wesensunterschiede zwischen Völkern gibt, ist das Aufstellen
solcher Regeln immer ein Akt des "Vernunftimperialismus".
[12]
Diese Philosophen predigen nicht ganz
zufällig, aber subjektiv guten Willens den Glauben an eine
Menschheitsmoral, der die Weltbank auf dem Fuß folgt. Jede
Philosophie mit universalem Anspruch ist eine objektive
Bedrohung für jedes Volk, das geistig eigenständig bleiben
will. Im lebenswichtigen Punkt seines Glaubens, seiner Moral,
seiner Werte gleichgeschaltet und fremdbestimmt, treibt
das Volk "der Auflösung entgegen: zur Gegenwehr nicht
nur unfähig, sondern auch unwillig."
[13]
[1]
Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung,
S.23.
[2]
Siehe dazu Panajotis Kondylis, Planetarische
Politik nach dem Kalten Krieg, Berlin 1992, 105 ff.
[3]
Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum,
S.233.
[4]
Arnold Gehlen, Moral und Hypermoral, S.30.
[5]
Panajotis Kondylis, Ausschau nach einer
planetarischen Politik, FAZ 21.10.1995.
[6]
Carl Schmitt, Staatliche Souveränität und
freies Meer (1941), in: ders., Staat, Großraum, Nomos, S.401
(408).
[7]
Carl Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung
mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte (1939, 4.Aufl.1941),
in: ders., Staat, Großraum, Nomos, S.269 (281). Zitat (vgl.Maschke
ebd.S.326[12]) nach Hughes,
Observations on the Monroe Doctrine, AJIL, 1923, S.616.
[8]
Niklas Luhmann nach E.Straub, Dasein geht
durch den Magen, FAZ 2.2.1995.
[9]
Carl Schmitt, Raum und Großraum im Völkerrecht
(1940), in: der., Staat, Großraum, Nomos, S.234 (251).
[10]
Carl Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung
..., ebenda, S.285.
[11]
Chaim Perelman, Über die Gerechtigkeit,
S.158.
[12]
Den Begriff prägte Kaufmann, Grundprobleme
der Rechtsphilosophie, S.228.
[13]
Hans-Dietrich Sander, Die Auflösung aller
Dinge, S.109.
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