Heimatkundlicher
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Buchausgabe

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1615

Der Hauptmann vom
Nienoverer Fähnlein
1627 Winkelstoffel -
Der Robin Hood
des Sollings
1629 Der verzweifelte Abt
1699 Johann Diegel und die Diegel'schen Erben
1705 Das Totenbuch des
Pfarrers
1707 Hüte dich,
Bodenfelde!
1754 Die Totenklage des
Christian Friedrich
Fuchs
1757 Das Scharmützel auf
blutiger Heide
1761 Von der ehrbaren
Jungfrau zur
wollüstigen Witwe
1768 Und leise kam der Tod
1816 Der Todesschuß
vor dem Traualtar
1832 Der musikalische
Pfarrer
1837 Mutter von Nationen -
eine Bodenfelderin in
Amerika
1856 Gegensätzliche
Brüder:
Großindustrieller,
Sozialrevolutionär, Tierarzt
1904 Jacob Freudenthals
Aufklärung
1918 Das namenlose Grauen
1947 Der todkranke General
1953 Der entenzüchtende Reichstagsabgeordnete

 

Ortssippenbuch Bodenfelde
 

 

 

Lebensbilder aus dem alten Weserbergland

von Klaus Kunze

Folge 1
[auch erschienen in: Sollinger Heimatblätter 1/2011]

1615: Der Hauptmann vom Nienoverer Fähnlein

 

400 Jahre sind vergangen, seit Hans Jäger als Hauptmann des Nienoverer Fähnleins diente. Seine Zeit und ihre Lebensverhältnisse sind fern hinter dem Horizont unseres Gedächtnisses verschwunden. Darum ist alles erläuterungsbedürftig, was wir über den alten Bodenfelder Haudegen an Tatsachen wissen. [1]

Als Hans vor 1570 im Solling geboren wurde, wurde das Land von Herzog Erich II. regiert. Stehende Heere waren noch nicht üblich. Die deutschen Fürsten stellten aus ihren Landeskindern eine Art Landmiliz zusammen, bewaffnet mit Piken und – für die es sich leisten konnten – vorsintlichflutlichen Donnerbüchsen. Im Kriegsfall wurden Landsknechte als Söldner angeworben.

Hans Jäger war wohl ein Sohn, vielleicht auch ein Enkel des um 1525 geborenen Försters im Nienoverschen Forst Hans Jäger. Dieser wird erstmals 1563 als Forstknecht erwähnt [2] und um 1570 als Förster in der Nienoverschen Forst. [3] 1585 in Musterungsrolle ist er 60 Jahre alt, war Ackermann und hatte 1 Rohr, das heißt eine Schußwaffe.


Gerbrandt van den Eeckhout (1621-1674), Spielende Landsknechte, Holzschnitt (Sutherlandsche Sammlung in London), entnommen: Friedrich Faber, Conversationslexicon für bildende Kunst, Leipzig 1848, Band 4, S.328.

Der Förster hatte mindestens zwei Söhne, Christoffel [4] und den späteren Landsknecht Hans. Christoffels Haus in Bodenfelde, zugleich Elternhaus des Landsknechts Hans, finden wir 1586 eingezeichnet in einer Grenzkarte. Weiträumig eingezäunt enthält es ein großes Fachwerkhaus und das Salzwerk nahe bei der Kirche.

Wahrscheinlich war Hans der jüngere Sohn. Während Christoph im Lande blieb, den Hof übernahm und sich redlich nährte, zog es den jüngeren Bruder in die weite Welt. Um 1591 trat er als Musketier in den Dienst des Königs von Spanien unter dem Obristen Byli. [5]

Um 1596 verdingte er sich dem Kurfürsten von Köln unter dem Kommandeur Johann Werder aus dem Hause Lüneburg. [6]

Um 1597 diente er dem Herzog von Jülich ein Jahr als Leibschütze unter dessen Hauptmann Cuerdt Bruellacker [7] und ein weiteres Jahr unter dessen Obersten Jorgen von Heidt unter dessen Fähnlein. [8]

1599 zog er mit dem Regiment des Obristen Haniwaldt von Rabenauw [9] unter Hauptmann Jobst Lantsbergs Fähnlein auf zwei Jahre als Feldwebel nach Ungarn in den Reichskrieg gegen die Türken.

1601 stieg er zum Leutnant auf und diente zwei Jahre lang dem Grafen Enno von Ostfriesland [10] in dessen Burg Greetsiel. [11]

1603 nahm er Dienst des Königs von Schweden und Livland unter des Obristen Hertzog  Johan Adolff von Holsteins [12] Regiment. Er war ein halbes Jahr Fähnrich unter Hauptmann Gerdt Bryell aus Rinteln. Dann wurde er von Graf Johan von Nassau zum Capitän bzw. Hauptmann über ein Fähnlein deutscher Landsknechte ernannt und behielt diese Hauptmannschaft anderthalb Jahre.

Damit endete sein aktiver Kriegsdienst. Hans Jäger kehrte zurück nach Bodenfelde. Er erwarb ein Haus, das er auch bewirtschaftete. 1613 ist er unter „freie Ackerleute“ in Bodenfelde in der Musterungsrolle genannt.

Als kriegserfahrener Landsknechtsführer war Jäger Berufssoldat. Seine Heimat, das Fürstentum Calenberg-Göttingen, war dem Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel zugefallen. Herzog Heinrich Julius schuf 1602 mit dem General-Kriegskommissariat einen Vorläufer eines Verteidigungsministeriums. Das Musterungswesen wurde reorganisiert, und unter erfahrenen Landsknechtsführern die wehrfähige Bevölkerung zu kleinen Truppeneinheiten aufgeboten. Zu diesen Führern zählte Hans Jäger seit 1605.

Kleinste Einheit war die Rotte zu 10 Mann unter einem Rottenführer. [13] Sie waren heutigen Reservisten vergleichbar und kein stehendes Heer. Die Tauglichsten wurden listenmäßig als „Ausschuß“ erfaßt. Der Ausschuß bestand also, anders als im heutigen Spachgebrauch, aus den Tauglichen und nicht den Untauglichen. Capitän des Ausschusses im Amt Nienover wurde Hans Jäger. Das Amt selbst befand sich im Schloß Nienover und umfaßte Schönhagen, Kammerborn, Wahmbeck und Bodenfelde.

Die Rotten aus dem Amt Nienover versammelten sich unter einer Fahne. So wurde das am Schaft angenagelte Feldzeichen der zu Fuß marschierenden Truppen bezeichnet. Zu einer Fahne gehörten ein Capitain oder Hauptmann, ein Leutnant, ein Fähnrich, Staffelführer, Fourier, Feldwebel, Wachtmeister, Gefreite, Schützen und etwa ein Dutzend Rotten, dazu 3 Trommelschläger, 2 Pfeifer und ein Feldscherer (Feldarzt). Die Nienoverer Fahne gehörte mit den Fahnen anderer Ämter zum Schwarzen Regiment unter seinem Kommandeur Melchior Greiner.

Unsere Musterungsliste von 1615 besagt, daß Jäger schon 10 Jahre unter der Nienoverschen Fahne Hauptmann „unterm Schwartzen Regiment für Braunschweig“ [14] war.

Unter ihm dienten am 8.3.1605 Leutnant Gerke Sander (Fischer), ein Bauer aus Bodenfelde, Fähnrich Christoph Krüger (Krager) aus Lauenförde, und ein Sergeant mit Vornamen Jürgen aus Helmstedt und 176 Mann. [15]

Bei Richtung der Fähnlein vor den Oberstleutnants taten angeworbene Hauptleute ihren Schwur mit den üblichen Bestallungsformeln, Fürstlichen Gnaden Bestes zu wissen, Schaden abzuwehren, auch fürstliche geheime Sachen nicht zu offenbaren, sondern mit ins Grab zu nehmen, wie es einem ehrlichen Capitain gebühre. Sie übernahmen die Pflicht, die Leute „abzurichten“, den Untertanen keinen Schaden zuzufügen und sich Tag und Nacht gebrauchen zu lassen, wenn Fürstliche Gnaden sie vonnöten hätten. Die Mannschaften schwuren auf die Fahne, daß ein jeder bei ihr wolle lebendig oder tot bleiben. [16]

Zur Besoldung erhielt ein Hauptmann jährlich 120 Taler nebst freier Wohnung, Licht und Feuerung. Für Greiners Regiment [17] , dem die Nienoverer Fahne zugehörte, wurden die Fahne und Uniformen angefertigt von den Schneidern Andreas Tappen und Curt Apell in Göttingen, Marten Wruinger in Weende, Hans Otterfelde in Northeim und Hans Muscher. Die Landsknechte trugen den Rock (die Casiake), Hut oder Sturmhaube sowie die Hose (Büchse) mit unterschiedlich gefärbten Schnüren. Mäntel dienten dem Schutz der Lunten vor Feuchtigkeit. [18]

Bald zeigte sich, daß die neue Wehrstruktur nicht nur für den Krieg gegen äußere Feinde zu gebrauchen war. Sie bildete auch ein Machtinstrument des Herzogs in der Übergangsepoche zur absolutistischen Staatlichkeit. Als die Stadt Braunschweig 1605 Verselbständigungstendenzen zeigte, sammelte sich das Schwarze Regiment am 13.10.1605 um Northeim, um über Seesen auf Braunschweig zu marschieren. Dort traf es am 17.10, ein und nahm an der Erstürmung des Magni- und des Ägidienwalles teil.

Hans Jäger markiert mit seiner Person einen Epochenwechsel. Statt bei Bedarf gedungener Landsknechte verfügten die Fürsten bald über stehende Heere. Die Folgen traten schnell zu Tage und wurden 1788 aus landständischer Sicht so formuliert: „Unter den unzählbaren Revolutionen, die diese Veränderung in dem Zustande der menschlichen Gesellschaft hervorbrachte, ist gewiß eine der wichtigsten diejenige, welche dadurch in dem Verhältnisse zwischen Landesherrn und Untertanen erfolgt ist. Der Untertan ward gleichsam entwaffnet und lieferte seine Waffen gleichsam in das Zeughaus des Fürsten. Was war eine natürliche Folge, als daß die Souveränität der Fürsten dadurch wuchs, bis zum Despotismus wuchs…“ [19]

Nicht nur nach innen bildeten die stehenden Heere ein Machtinstrument. 1615 war bereits der Vorabend des 30jährigen Krieges, der große Teile Deutschlands verwüstete und entvölkerte. Christian von Braunschweig sammelte 1621 ein Heer von 18000-20000 Söldnern, Lehnspflichtigen und Ausschuß-Truppen. Auch das Schwarze Regiment mit der Fahne Nienover zog in den Krieg. 1623 plünderten kaiserliche Soldaten Bodenfelde. Sie stahlen unter anderem 566 Schafe, 95 Pferde, 45 Rinder und 49 Schweine [20] . Noch schlimmer war die Plünderung im Jahre 1631, bei der die Soldateska des Feldmarschalls General Graf Tilly an sieben Stellen gleichzeitig Feuer legte, unter anderem an der Pfarre und Zehntscheune, wobei diese und fast die gesamte Gemeinde abbrannten.

Wir wissen nicht, ob Hans Jäger das noch erlebte.

 



[1] Hauptquelle ist eine Musterungsrolle von 1615 aus dem Staatsarchiv Hannover, hier: Bl. 179, 180, unter „Bodenuelda: Hans Jeger Capitain unterm Außschuß, hat vor dießem dem Konnige von Hißpanien, 5 Jahre vor einen Musquetirer undt desselben Soldener dem Churfürsten zu Cöln Neun Monatt upselbigemaeß dem Hertzoge von Güelich ein Jahr vor einen Leibschützen. Item eine Jahr unter der Adels..g gedienett. In Ungern unter dem Obristen Haniwaldt von Rabenauw deßen Regiments undt[er] Hauptmann Jobst Lantsberges Fendelein zwey Jahr vor einen Feldtweibell sich geprauchen laßen.

Dem Graven von Ostfrießlandt ufm Hauße Gretsiell zwey Jahr vor einen Leudtenanntt gedienedt. Dem Konnig in Schweden undt Liefflandt unter dem Obristen Hertzog  Johan Adolff von Holsteins Regemendt deßen unterhabenden Hauptman Gerdt Bryell von Rintelen ein halb Jahr vor einen Fenderich gedienett undt doselbst von Graf Johan von Nassauw zum Capitein uber ein Fendlein Teutscher Knechte erwehlett und selbige Hauptmannschafft andertthalb Jahr bedienett, hernacher unterm Schwartzen Regiment für Braunschweigk undt seidthero inß Zehende Jahr unter der Nieneuerschen Fahne in die Capitein oder Hauptmannschafft bedienett.

[2] August Seidensticker, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte norddeutscher Forsten, 1896, Bd.1, S.281 ff: Nach der in calculo mangelhaften Rechnung des Forstknechts Hans Jeger zu Bodenfelde von der Nienoverschen Forst de 1563—1564 betrug die Einnahme von drei Spannen zum Hausbau in Wahmbeck 3 fl. 4 gb; für ein „snidtholz" 18 gl. Die Rademacher zahlten für die Befugniss, das Jahr hindurch auf Anweisung Rademacherholz zu holen, je 2 fl. 6 gl. ; machte pro Jahr 13 fl. 2 gl. - – Forstknecht Hans Jeger erhielt als Besoldung 6 Florin, für 6 Malter Roggen zu Brotkorn 11 Fl. 6 Groschen, für 12 Malter Hafer für sein Pferd 11 Fl. 6 Gr. sowie 6 Fl. für Winterkleidung.

[3] Meyer, Ludwig, Niedersächsische Förster, Hannover 2002, Familie =3127= nach HStA Hannover Cal.Br. 23 Nr. 307. Siehe auch Forstrechnungen von Nienover, geführt von Förster Henrich Selter 1546-1548, von Förster Hans Jäger 1579-1581, HStA Hannover Cal. Br..2 Nr.2035.

[4] Christoph war um 1557 geboren, erscheint 1585 in der Musterungsrolle als 28jähriger Bewohner einer Köthe, 1613 Halbspänner und zahlte an die Kirche noch 1627 Gartenzins. Einen schriftlichen Nachweis für die hier dargestellten, naheliegenden Vater-Sohn-Verhältnisse gibt es nicht.- Nach Henning STEINGRÄBER [Sollinger Heimatblätter 2010, Heft 4, S.13, nach einem „Bericht Pastor Harland“ (†1888)] soll es auch einen Förster Anton Jäger gegeben haben [Anton Jägers Grabstein mit einem Wappen (Jagdhorn) liege in Schönhagen in der Kirche unter dem Turm, das Wappen seiner Frau: ein Viertelmond mit 2 Sternen. 1583 habe der Schwiegervater Johannes Bocholt nach dem Tod seiner Tochter für deren unmündigen Sohn Antonius das Haus neu erbaut ]. Da er keine konkrete Quelle mit Archivort der Archivalie nennt, läßt sich das nicht nachprüfen. Die Findbücher des HStA Hannover nennen im fraglichen Zeitraum immer nur den Förster Hans Jeger. - In Schönhagen kann der Ursprung der Familie jedenfalls nicht liegen, denn es war noch 1588 „ein neu Dorf, erst vor 18 Jahren gebauet“ [Karl Kayser, Die General-Kirchenvisitation von 1588, in: Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte, 8.Jahrgang 1904, S. 93 ff. (179)].

[5] Der Text ist in zwei Fassungen erhalten. Unter Bl. 50 befindet sich eine Abschrift, mit den  zusätzlichen Worten „unter deßen Obristen Byli“.

[6] Bl.50 a.a.O. zusätzlich: “Unter deßen ... von Johan Werder ufm Hauße Luniborgen“

[7] In Abschrift Bl. 50: unter deßen Hauptmann Cuerdt Bruellacker.

[8] In Abschrift Bl. 50: unter deßen Obersten Jorgen von Heidt unter deßen Vendelein undt Adellswesch (?) vier Jahre gelegen.

[9] Leopold Zedlitz, Neues preußisches Adels-Lexicon, Leipzig 1839: Das uralte Rittergeschlecht der von Rabenau stammt eigentlich aus der Oberlausitz. In alten Urkunden finden wir einen Peter v.R. zum Ritzschen, der um das Jahr 1370 lebte, und dann die Gebrüder Hans und Balzar v.R. zum Ritzschen angeführt. Letztere lebten um das Jahr 1514. Etc. (Haniwald v.R. nicht erwähnt).

[10] Enno III. regierte 1599-1625.

[11] Abschrift Bl.51: Enno von Frießlandt --- uf der Vestunge Grietziell.

[12] Johann Adolf von Holstein (Schleswig-Holstein-Gottorf) *27.2.1575, 31.3.1616.

[13] Georg Hermann Müller, Das Lehns- und Landesaufgebot unter Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel, Hannover 1905, S.63

[14] Abschrift Bl. 51a: unter dem Obersten Leutenanndt Melchiern Greunerten und dem Nienouerschen Fendelein unseres gnedigen lieben Landes Fürsten undt Herrn, Herrn Heinrich Julius hochlöblicher christmilter gedechtnuß.

[15] Müller a.a.O. S.175 f. nach HStA Hannover H.Cal. 16. B. Nr.14

[16] Müller a.a.O. S.98.

[17] Greiner selbst ließ sich in Dransfeld nieder, Müller a.a.O. S.103, Fn 7)

[18] Müller a.a.O. S.99 f.

[19] Göz von Olenhausen, in: Annalen der Braunschweig-Lüneburgischen Churlande, 2. Jg., 2. Stück, Celle und Lüneburg 1787, S.3 ff. (4 f.)

[20] Balzer Rock, Die Ortsgeschichte von Bodenfelde, Uslar 1940, S.77.