|
|
|
Lebensbilder aus dem alten Weserbergland von Klaus Kunze Folge 5 1705: Das Totenbuch des Pfarrers
Das Archiv der Pfarre in Bodenfelde bewahrt einen weit und breit einzigartigen Schatz auf: Das von Pfarrer Mengershausen [1] 1705 angelegte Totenbuch. Es enthält ausführliche Lebensläufe und Würdigungen Verstorbener, wo in anderen Sterberegistern üblicherweise nur knappe Angaben stehen. Die kleinen Lebensgeschichten aus der Zeit vor 300 Jahren geben uns einen bunten Einblick in das Leben der Menschen in dem kleinen Ort an der Weser. Sie widerlegen zugleich manche falsche Vorstellung über angebliche Begrenztheit und Beschränktheit der damaligen Verhältnisse. Freilich mußte es geradezu notwendig erscheinen, sehr genaue Angaben zu jedem Verstorbenen zu machen. Über den Verbleib der Bodenfelder Kirchenbücher aus älterer Zeit ist nämlich nichts bekannt. Vielleicht waren sie bei Amtsantritt des Pfarrers Mengershausen im Mai 1705 schon verloren. Das von 1705-1797 geführte Kirchenbuch ist ein schwerer Foliant von über 800 Seiten. Das Sterberegister beginnt auf S.280 und greift sogleich mit seinem ersten Eintrag vom 10.6.1705 (siehe Abbildung) ein halbes Jahrhundert weit in die Vergangenheit: Maria Engelhard von Lemforde [2] , Dietr. Fetköters [3] Ehe= frau gestorben den 10. Jun. Begraben den 14. Ej. [4] ihres alters 52. Jahr. 2. männer gehabt, Der erste Curd Schildknecht † 1678. Der andre Fetköter, mit diesem 2. Söhne v. [5] 1. Tochter gezeuget. [6] Beginn des Totenbuches und erster Sterbeeintrag:
Schon dieser erste Eintrag hebt sich ab vom anderswo Üblichen. So heißt es fast zeitgleich unmittelbar nebenan in Lippoldsberg bei einem Begräbnis kurz und bündig: 1705 den 14. April Barthold Eichman s[eine] Frau begraben, 60 Jahr.“ Die Qualität der Kirchenbuchführung nimmt nicht Wunder, war der am 12.7.1669 in der Nicolaikirche getaufte Mengershausen doch Sohn des Militärschreibers und Notars Gabriel Mengershausen und damit Enkel des berühmten Göttinger Stadtschreibers Georg Mengershausen [7] , dem wir mit dem Diarium Gottingicum eine wichtige historische Quelle zum 30jährigen Krieg in Südniedersachsen verdanken. SoldatenschicksalGegenüber so wortkarger Überlieferung ist das Bodenfelder Sterberegister des Pfarrers Mengershausen eine historische Fundgrube ohne Beispiel. Am 5.1.1706 starb Johann Ernst Fricken ein Soldatenkind von 6. Wochen, † den 5. Jan. deßen Vater Jurgen Christoph Fricken vor 10 Wochen in Brabant gestorben. Dorothea Elisabeth Sibrecht die Mutter. Den 10. Jan. begraben. Der Soldat Fricke hatte seinen kleinen Sohn nie gesehen, als er im Oktober 1705 im Krieg in Brabant starb. Die einzelnen Kompanien der in Northeim stationierten Regimenter lagen das Jahr über verteilt in Flecken wie Hardegsen, Moringen oder Kleinst-Städten wie Uslar und auch Bodenfelde. Viele Soldaten waren verheiratet und wohnten hier mit Frau und Kindern. Diese braunschweigischen Regimenter hatten in den 1680er Jahren erfolgreich in den Türkenkriegen gekämpft. Auch am Spanischen Erbfolgekrieg (1701-1714) war das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg beteiligt, indem es für die Reichs-Armee Kontingente stellte. „Nur mühsam und verspätet kam ein kleiner Theil des nach dem Conclusum des Reichstages vom November 1702 auf 120.000 Mann veranschlagten Reichsheeres zusammen, indem fast keiner der Fürsten und Stände des Reiches seinen Verpflichtungen nachkam.“ […] Die englisch-holländische Armee in den Niederlanden sollte aus 50.000 Mann englischer und 30.000 Mann holländischer Truppen bestehen und überdies durch eine größere Anzahl Sold- und Hilfstruppen verstärkt werden, die namentlich von den Fürsten des nördlichen Deutschland beigestellt wurden. Der Niedersächsische Kreis (Mecklenburg, Braunschweig, Wolfenbüttel und Ansbach) stellte zur Reichsarmee 1 Bataillon und 5 Escadronen. Das Braunschweig-Lüneburgische Corps umfaßte 16000 Mann.“ [8] 1702 marschierten die Northeimer Regimenter aus und vereinigten sich jenseits des Vaal mit der großen englisch-holländischen Armee unter dem damaligen Grafen Marlborough. [9] Zu diesem Reichsheer zählte eine ganze Reihe von Bodenfeldern, unter ihnen viele Familienväter. Im Bodenfelder Taufbuch, zumal ab 1707, sind viele Väter von Täuflingen mit „miles absens“ (abwesender Soldat) bezeichnet. Die Weser als LebensaderBerge scheiden, Flüsse aber verbinden. Die Weser verband bis weit stromauf und stromab die Liebenden, und sie fanden sich unabhängig von politischen Grenzen und Konfessionsunterschieden. Auch wenn die beiderseitigen Pfarrer noch so sehr die Nase rümpfen mochten: Der rege Handels- und Schiffsverkehr ließ auch Menschen und Konfessionen durcheinanderströmen. Der Schuster Henrich Becker, 1660 im katholischen Herstelle geboren, heiratete 1687 nach Bodenfelde und starb hier am 3.2.1705: Henrich Bekker ein Schuster † 3. Febr. natus zu Herstelle 1660, Vater Albert Bekker, Mutter Elisabeth Nolten, A. 1687 zu Bodenfelde sich besetzet v.
gefreiet Anna Elisabeth Claus sel[igen] Hans Claus Tochter. mit ihr gezeugt 2.
noch lebende Töchter. an der Waßersucht fast 3½ Jahr gelegen. Im papistischen
Religion gestorben. alt 46 Jahr.
Ein interessantes Detail zur Schiffbautradition liefert uns ein Sterbeeintrag vom 27.9.1711. Schiffsbautradition in Bodenfelde [10] muß nicht zwangsläufig bedeuten, daß die Schiffe tatsächlich in Bodenfelde gebaut wurden. 1711 zog der Schiffbauer Jürgen Schacht sich in Hameln, wo er arbeitete, eine ansteckende Krankheit zu und wurde nach Hause gebracht, wo er starb: Meister Jürgen Schacht Schiffbauer und Einwohner allhier geboren
1643 um Jacobitag. Vater Mstr. Jürgen Schacht Einwohner und Schiffbauer allhier, Mutter Ilsabei Schildknecht. In der Schule
Lesen und Schreiben fertig gelernet. Hernach seines Vaters Handwerk gelernet,
bis er anno 1675 Catharina Elisabeth Pothast, seligen Jürgen Pothast Tochter
geheiratet und mit ihr 4 Kinder gezeuget, davon 1 Tochter tot, 2 Töchter und 1
Sohn noch leben. Welche Frau anno 1706 †, seither der Witwer.
Seine Krankheit betreffend hat er diesen Sommer zu
Hameln gearbeitet, ist daselbst mit dem hitzigen
Fieber befallen, welches hernach in ein kalt Fieber sich verwandelt, darauf er
sich hierher bringen lassen und fast stets zu Bette gelegen, † den 27. Sept. morgens 4-5, alters 68 Jahr.
Bodenfeldes Handelsbeziehungen reichten weit: Philip Luley geboren 1634 zur Blankenau. Vater Philip Luley hochadel. Falkenbergischer Verwalter zur Blankenau. Mutter Ilsabey Deipel eines Weinschenkers in Wolfenbüttel Tochter. Die Handelung hier in Bodenfelde bei Hans Spellerberg gelernet, auch bei demselben solange in der müssen geblieben, bis er im 25. Jahr seines Alters in den Stand der heiligen Ehe getreten, da er sich mit Jfr. Anna Maria Schuring Herrn Hans Christoph Schuring Leutnant unter dem König von Schweden allhier sich Anno 1659 trauen lassen, mit derselben 36 Jahr in christlicher Ehe gelebet und 7 Kinder, 2 Söhne und 5 Töchter, gezeuget, wovon 1 Sohn noch am Leben, zu Bremen Landfurier, und 4 Töchter, so mehrenteils an fernen Orten in der Ehe leben, den 10. Sept.[1711] tot gefallen und gefunden in seinem Hause, aetatis 77 Jahr. Die Mobilität war in
früheren Jahrhunderten wesentlich höher, als man heute gemeinhin vermutet. Von
St.Andreasberg stammte der am 17.3.1706 gestorbene
Hieronymus Cöler, Schuester, gestorben d[en] 17. Mart 12-1 mittags, burtig vom Hartz aus dem Andreas berg, gebohren d 1. Jul 1629. Sein Vater Mathias Cöler Obersteur [11] zum Andreasberg, die Mutter Cathrine Bok. Zue Schule ist er fleißig gehalten, daß er fertig leßen und schreiben gelernet v[nd] alzeit gewohnt.. nach d Zeit hat er Lust zum Schuster Handwerk gehabt, so er gelernet hier zu Bodenfelde bey seinem halben Bruder Jakob Köhler. Nach außgestandener Lehre hat Er sich in die Fremde begeben und anfangs zum Grunde [Bad Grund] 2 jahr gearbeitet, hernach ist Er nach Bremen kommen u[nd] 2 jahr da geblieben auch … S[sich?]. wehrt gehalten. Von dar ist Er nach Goßlar kommen u[nd] 1½ jahr. Nach einer Zeit ist wieder nach Bodenfelde kommen i[n] A[nno] 1656 sich mit der damahl[igen] Junfer Anna Maria Peters so bey sel[igem] Amtmann Boden Haußhälterin gewesen [12] , in ein christliches Eheverlobniß gelaßen auch solches vollzogen mit 10 Kind[ern], 3 Sohn[e] v[nd] 7 tochter, wovon noch leben 2 Sohne v. 3 töchter, welche alle auf gegeb… gute nachbarschaft aller ortten gutes christliches thun, von deme man k[einen] fluch gehört. Ein weiterer Ahnherr späterer Bodenfelder Generationen stammte aus den Alpen. Nach dem 30jährigen Krieg lagen weite Teile Deutschland entvölkert und wurden von einer Auswanderungswelle aus der Schweiz neu besiedelt. Schwerpunktmäßig zogen diese Schweizer ins Saarland, das Elsaß und in die zu 60-70% entvölkerte Pfalz [13] . Dorthin wandte sich auch Johann Jacob Maht zunächst. Schließlich gelangte er aber an die Weser, wo er 1708 starb: Johann Jacob Maht geboren 1651 im Thallas in der Herrschaft Pludenz in Tirol [14] , Vater Hans Maht ein Weißbäcker daselbst, Mutter Christina Wöhstner, von seinen Eltern gleich zum Maurerhandwerk angeführt, ist er darauf nach Teutschland kommen und in der Pfalz das Maurerhandwerk gelernet, und in fremde Länder geraten, zuletzt allhier ins Braunschweigische Land, da er dem hochseligen Herzog Johann Friederich unter dem Obristen Jordan als Reuter gedient und hier in Bodenfelde ins Quartier kommen. Da es sich durch Schickung gefüget, daß er mit Catrina Maria Seifen, itzo Witwe, in ein Ehegelübde eingelassen und auch auf heiligen Dreikönig 1681 vollzogen. In der Ehe gezeuget 10 Kinder, wovon 1 Sohn und 2 Töchter am Leben. In den letzten 8 Jahren sehr uneinig mit der Frau gelebt. Papistischer Religion, doch fleißig unsern Gottesdienst darauf besucht und sonst außer dem Hause mit jedermann schied- und friedlich gelebt. Mit seiner Hantierung treu und ehrlich sich bezeugt, daher er vor ungefähr 7 Wochen in die churfürstliche Arbeit auf das Amt Üßler zu einem Brückenbau gefordert. In der Arbeit und, da er denen anderen bei dem Schlußstein legen wollen, Schaden im Leibe bekommen, so am 5. Okt. von der Zeit an bettlägerig gewesen. Viele Arznei [15] gebraucht, endlich das hitzige Fieber bekommen, und ihm auch den Schluß seines Lebens befördert, indem er freitags den 12. Okt. abends 9-10 unvermittels gestorben, aetatis 57 annorum. Er zeugte in der Ehe 11 Kinder, von denen 1 Sohn und 2 Töchter noch leben Die heimliche Beerdigung
Als Mengershausen sein Amt antrat, traf er die Bodenfelder als einen „zum Theil verwilderten Haufen an, davon wenige gewohnt, dem Prediger Liebe und Ehrerbietigkeit zu erzeigen.“ [16] Der Fall des gesteinigten Siebrecht spricht für sich. Tod und Teufel nicht, aber auch nicht den Pfarrer fürchtete auch eine Mutter, die ihr Kind des Nachts auf eigene Faust begrub, um die Begräbnisgebühren beim Pfarrer zu sparen: Johann Jürgen Kelner geboren April 1713, Vater Heinrich Kelner, Mutter Maria Lisabeth Sibrechs, welche ihr Kind so den 12. Octobris gestorben und alt gewesen 1 Jahr und 8 Monate selbst aus eigener Macht den 14. Octobris nachts auf den Montag begraben, weil sie mir mein billiges Gebühr nicht wollen geben. [17] Die bösliche verlassene EhefrauDie Abürzungen im Original des Kirchenbuchs von 1706 sind ebenso gewöhnungsbedürftig wie die eingestreuten lateinischen Brocken wie natus (geboren), was in der Wiedergabe hier übersetzt wird, und die noch nicht vorhandene Rechtschreibung, so zum Beispiel im Eintrag vom 6.3.1706: Hanß Peter Seifferts Akkermans Ehefrau Sophia Schmid den 6ten Mart. abends 9-10. ihres alters 50 jahr. Sie ist gebohren Ann. 1656 im Febr. in faßmeke, im Bistum Paderborn, ihr Vater M[eister]. Jacob Schmid ein Schneider so hier nach Bodenfelde und sich heuslich niedergelaßen, die Mutter Margarete Sophia Schwartz aus Wanbeck bürtig. von diese Eltern ist sie zur h[eiligen] Taufe und […] im Xtenthum [18] [Christentum] treulich erzogen. Ann[o] 1684 hat sie sich verheiratet an Xto [Christoph] Ebert einen Soldaten, mit dem sie einen Sohn und eine Tochter gezeuget. Nachdem sie von diesem bößlich verlaßen, hat sie sich auf erteilten Consens der oberen zum andernmahl verehliget mit dem jetzo gegenwertigen Witwer Hanß Peter Seifert, welche Ehe A[nno] 1692 vollzogen, aus welcher Ehe G[ott] 4 kind beschert 3 Söhne, so noch leben v. eine tochter. 4 wochen den 8. febr. hat Sie sich auß Schwachheit geleget, v. ist den 3ten tag darauf mit einem Schlagfluß an der linken Seite befallen, wodurch sie nach v. nach abgemattet, biß sie 6. Mart. abends gestorben. Ehescheidungen, das „bösliche Verlassen“ des anderen und ähnliche Familiendramen gab es zu allen Zeiten, und noch leichter als heute konnte ein Mann seine Frau sitzenlassen und buchstäblich über alle Berge verschwinden. Von überall her kamen auf der anderen Seite Neubürger nach Bodenfelde. MenschenschicksalWie außergewöhnlich Pfarrer Mengershausen sein Sterberegister führte, zeigt sich an vielen scheinbar nebensächlichen Details. Er registrierte nicht bloß Begräbnisse wie andere Pfarrer, sondern gibt uns uns selbst bei einfachen Bauern durch kleine Nebenbemerkungen eine plastische Vorstellung ihrer Lebensumstände. So hatte sich Daniel Hennig mit 60 Jahren bereits matt und steif gearbeitet, als er am 10.12.1711 starb. In der Kopfsteuerbeschreibung 1686 steht er als Großkötner Daniel Hennigs. 1689 war er nur noch Kleinkötner, leistete (vermutlich auf dem Götzenhof) Spanndienst, hatte 15 Morgen Land und zahlte 1 Taler Kopfsteuer. Die Ehefrau Catrine zahlte 12 Groschen Kopfsteuer, Kinder: Ilsabei 11 Jahr, Ortia 9 Jahr, ein lahmes Kind 3 Jahr. Daniel Hennig geboren 1651, Vater Adam Hennig Einwohner und Ackermann allhier, Mutter Adelheid Wöbbel aus Bielefeld. Von Jugend bei seinem Vater den Ackerbau gelernt und getrieben, hernach mit Catr. Mar. Kleinsorgen aus Sohlingen bürtig in die Ehe getreten anno 1676, mit derselben gezeuget 4 Kinder und Töchter, davon 3 tot, die eine an Daniel Beckendorf geheiratet. Anno 1700 seine Ehefrau gestorben, seither dann Witwer, sich matt und steif gearbeitet, ohngefähr 4 Tage krank und schwach, den 10. Xbris [10.12.1711] morgens 5-6, alt 60 Jahr. Hennig war kein Einzelfall, sondern der Normalfall: Hans Tormöhlen geboren 1641 um Weihnachten hier zu Bodenfelde. Vater Hans tor Möhlen aus Derental bürtig, so sich aber in den Kriegsjahren [19] allhier besetzet und geheiratet Ilsabey Schildknecht, seine verstorbene Mutter. Wenig in die Schule gegangen, doch hat er lesen gelernet. Von Jugend auf ist er beim Ackerwerk gewesen. Anno 1677 hat er geheiratet Margareta Riefkogel, Hauptmann Riefkogels Tochter, damals Ricus Gudens Witwe. Ohne Kinder. Er ist zu anfangs des September mit einem Halsfluß befallen, wozu Altersschwachheit und Kummer kommen: Hatte sich fast steif gearbeitet, und fast 5 Jahre gebückt. Gestorben den 27. Oct. [17.10.1706] morgens in der Not zwischen 2 und 3 Uhr, alt 65 Jahr 10 Monate. Die sang- und klanglos beigescharrte LeicheWie sich der Bauer auf seinem Acker matt und steif arbeitete, so hatte jeder Beruf seine typischen Krankheiten. Viele Müller starben an Lungenkrankheiten. Der Papiermeister Spieß endete sein Leben am 22.6.1710 mit den Symptomen der Tuberkolose: Meister Jürgen Jacob Spies geboren 1644 üm Ostern zu Relliehausen Amts Erichsburg, Vater Meister Martinus Spies daselbst, Mutter Anna Elisabeth Magnus. In der Schule fertig lesen und schreiben gelernet, hernach etliche Jahr in der Fremde gewesen. Als dann sein Vater gestorben, ist er nach Hause gekehrt und die Haushaltung geführt, bis sein jüngster Bruder erwachsen und die väterliche Papiermühle einnehmen können, und hiesige Papiermühle angeleget Anno 1676 als derselbe fertig, hat er sich in den heiligen Ehestand begeben und zur Ehe genommen Anna Maria Medgen, seligen Hans Medgens damaligen Musikanten in Einbeck [20] eheliche Tochter und ist die Hochzeit zu Relliehausen vollzogen Anno 1678 den 8.Oct. und mit deroselben gezeuget 5 Töchter, 1 Sohn, davon 1 Tochter tot. Vor letzten Ostern fast 14 Tage hat er sich zu Bette gelegt und über Stiche in der Brust geklagt, daher er mit starkem Husten beladen, welche schwindsüchtige Schwachheit zugenommen, ungeachtet vorher gebrauchter Arznei, bis es vorigen Sonnabend den 21. Juni zu Ende gelaufen, und den Sonntag morgen um 3 Uhr eingeschlafen, aetatis 66 Jahr 11 Wochen, in der Ehe 37 Jahr. NB Als gemelten Papiermeisters Erben praetendiren wollen, daß man die Leiche von der Mühle mit Gesang und Klang abholen mögte, solches aber was Neues und die eingepfarrten Dörfer zu Uslar dahin ihre Toten bringen müßten, so hat man ihnen solches nicht concediren können. Endlich habe [ich] mich erklärt, wofern sie sich schriftlich reversirten daß sie dem Pastor für das Mitgehen und den Küster für das Singen, und der Kirche für das längere Geläute besonders was geben wollten, alsdann solle es geschehen. Solchen Revers haben sie gar nicht unterschreiben wollen, sondern am 2. Sonntag unter der Katechismuslehre stillschweigend die Leiche hereingebracht und beigescharret, daher ihnen keine Leichpredigt gehalten. Bezeichnend für die Verhältnisse bis heute ist, warum man befremdet war über die Idee, den Toten mit Gesang und Klang abzuholen: „Solches aber etwas Neues!“ Das ging nicht an. BeamtenlaufbahnNeben der bodenständigen Bevölkerung gab es in mittleren Orten wie Bodenfelde immer Angehörige von Berufsständen, die dorthin „versetzt“ wurden wie Pfarrer und staatliche Funktionsträger. Zu ihnen gehörten die Einnehmer einer früheren, 1686 eingeführten Form der Umsatzsteuer, des Lizentes. „Die neuartige Umsatzsteuer zu kassieren war eine schwierige und umständliche Aufgabe, zu deren Bewältigung es einer eigenen Lizentverwaltung bedurfte.“ Hauptträger waren „die Lizenteinnehmer und die ihnen unterstellten Lizentschreiber.“ [21] Der Pfarrersohn Christian Meier hatte seine berufliche Laufbahn als Schreiber, dann Verwalter eines adligen Gutes begonnen und wechselte später in den Staatsdienst. Erfahrungsgemäß tat es der Amtstreue nicht gut, wenn ein Steuerbeamter über Jahrzehnte im selben Ort wohnte und sich versippte und verschwägerte. Darum wurde auch Meier regelmäßig weiter befördert und versetzt, bis er in Bodenfelde am 19.4.1712 starb: Stephan Christian Meier, Licentvisitator, geboren Imsen [bei
Alfeld] Gerichts Steinberg 10.5.1652, Vater Statius Adrian Meier Pfarrer in
Imsen
[22]
und Anna Elisabeth Struben. Anfangs
Schreiber zu Westerhövel, hernach Verwalter bei denen von Burgtorf, endlich
Licentbedienter im Amt Salzderhelden, Hardegsen und zuletzt allhier. Anno 1690
in die Ehe getreten mit Catrina Elisabeth Lappen,
seligen Bürgermeister Lappen in Münder eheliche Tochter, mit ihr 7 Kinder
gezeugt, davon 4 Töchter und 1 Sohn noch am Leben, † d. 19.Apr 1712 aet. 50Jahr wenige 3 Wochen.
Die Bademütter
Bis weit ins 20. Jahrhundert kamen die Menschen zu Hause im Bette ihrer Mutter zur Welt, und jedes Dorf hatte seine Hebamme oder Bademutter. Ihr brachte man besondere Achtung entgegen, wie am 18.5.1707 beim Tode einer langjährigen Bademutter erkennbar wird. Catthrina Munzenbuer die Bademutter allhier, geboren 1633 in der Fastelabendwoche. Ihr Vater Henrich Armbrecht Einwohner allhier und die Mutter Maria Schultze auch aus Bodenfelde bürtig. Den Vater hat sie gar bald im andern Jahr ihres Alters verloren. Nachdem nun ihre Mutter wieder geheiratet, ist sie nach Art derselben schlechten Zeiten und der Eltern Vermögen zur Schule gehalten. 1654 hat sie sich im 21. Jahr mit dem Jgs. Hans Wichers in ein Eheverlöbnis eingelassen, und nachdem sie solches glücklich vollzogen, mit demselben über 20 Jahr in christlicher und friedlicher Ehe gelebt und 11 Kinder, 6 Töchter und 5 Söhne, gezeugt, wovon noch 2 Söhne und 1 Tochter leben. Nachdem sie 1677 um Lichtmeß in der Betrübnis Witwe war und geraten, hat sie sich und ihre Kinder säuerlich und ehrlich ernähret. Jederman hat sein Wohlgefallen an ihr gehabt, daher sie auch Anno 1680 in Michaelis einmütig zu einer Bademutter allhier erwählt und bestätigt ist. Anno 1687 am Johannistag hat sie zum anderen Mal geheiratet und zwar Henrich Munzenbur, damals ein Witwer mit 6 Kindern. Mit demselben hat sie keine Kinder gehabt, doch auch mit demselben friedlich gelebt. Krankheiten betreffend hat sie sich nach etlichem Wehklagen seit vorigem Winter vor 8 Tagen, dem 11. Mai, geleget und mit einer fliegenden Hitze befallen, woraus die Brustseuche entstanden. Am vorigen Dienstag hat sie das heilige Abendmahl empfangen und ist darauf am Mittwoch, dem 18. Mai, abends zwischen 7 und 8 Uhr gestorben. Sie war 26½ Jahr Bademutter gewesen und hat in dieser Zeit 636 Kinder in und außer Bodenfelde glücklich gehoben. – begraben 25.5.1707
Fertigkeiten jeder Art lernte man in alten Zeiten von den Eltern, so daß sich Berufe und Kenntnisse oft über viele Generationen fortsetzten. Auch die aus der ersten Ehe der Bademutter hervorgegangene Tochter wurde Bademutter. Bemerkenswert ist, wie sehr das Amt allseitiges Vertrauen voraussetzte, das sich darin zeigte, daß beide Bademütter ausdrücklich „gewählt“ wurden. Über die Art des Wahlvorganges erfahren wir nichts. Cathrina Dalfaut, die Bademutter, geboren 1658, Vater Hans Wichers, Einwohner allhier,, Mutter Cathrina Armbrecht. In der Schule Lesen und Christentum gelernet. Nachdem sie im 16. Jahr ihres Alters ihren Vater verloren, hat sie bei dem Herrn Oberförster [23] gedienet, bis sie im 29. Jahr anno 1687 Johan Dalfaut [24] geheiratet, von Arenborn bürtig, mit dem sie 6 Kinder gezeuget, wovon noch 2 Töchter am Leben. Nach ihrer seligen Mutter Tode ist sie anno 1707 zur Bademutter gewählt, bei welchem Amte sie christlich und vorsichtig sich aufgeführt, auch von Gott reichen Segen gehalten, als daß 132 Kinder glücklich zur Welt geholfen. Vor 14 Tagen krank worden an der Brustkrankheit, viel Stiche und Schmerzen ausgestanden, woran sie am 9. Tage † 5. Juli 1712, alters 54 Jahr. Biblisches AlterEiner verbreiteten Legende nach wurden die Menschen „früher nicht so alt wie heute“. Das stimmt nur statistisch, weil vor allem die Kindersterblichkeit außerordentlich hoch war. Trotzdem wurden Menschen nicht selten steinalt: Anna Catrina Schacht geboren 1614, ihr Vater Jochen Tielen Kleinschmied und Ackermann allhier [25] , Mutter Lucretia Munzenbur aus Lipsberg. Im 25. Jahr ihres Alters hat sie sich mit Tönnies Schacht Rademacher und Ackermann allhier in Ehestand begeben und mit ihm 8 Kinder 5 Söhne und 3 Töchter gezeuget und ist ihr Mann anno 1686 gestorben. Nachher hat sie 27 Jahr im Witwenstande gelebet. [26] Sie ist gestorben den 29. Jan. 1713 im 99. Jahr ihres Alters, von 8 Kindern Mutter, von 41 Kindeskindern Großmutter, von 11 Kindes Kindes Kindern Eltermutter.
[1]
Johann Heinrich Mengershausen *Göttingen
[laut Catalogus pastorum im Kb. Hedemünden: Johannes Henricus Mengershausen
Gottingensis] 1668, † Hedemünden 22.3.1744 76 Jahr, 1705-1713 Pfarrer in Bodenfelde,
1713-1744 Pfarrer in Hedemünden.
[2] Gemeint sein dürfte nicht das heutige Lemförde, sondern Lauenförde.
[3]
Dietrich Fetköter ist in der Kopfsteuerbeschreibung 1689 in Bodenfelde genannt
als Großkötner, tut Spanndienst, ¤ Maria NN, Kinder:
Maria 7Jahr, Heinrich Christoph 5J., Hans Henrich ½J.
[4] Eiusdem (lateinisch): desselben (Monats). [5] Mengershausen schrieb zeitbedingt vnd statt und, und er kürzte es als v. ab. Bei den folgenden Übertragungen habe ich solche Lesehürden stillschweigend bereinigt und zum heute Lesbaren verändert. [6] Es ist nicht Aufgabe dieser Darstellung, die genealogischen Kreuz- und Querverbindungen aller Personen zu publizieren, deren Sterbeeinträge hier dargestellt werden. Das bleibt einem noch fertigzustellenden Ortssippenbuch vorbehalten.
[7]
Georg Mengershausen *Münden 23.5.1584, † Göttingen 22.4.1658, vgl. im einzelnen Bernhard Fischer,
Die (von) Mengershausen in Südhannover 1250-1850, in: Norddeutsche
Familienkunde, 9.u.10.Jg., Neustadt a.d. Aisch 1960-1961, 258 ff. (263) m.w.N.
[8] Emil Mayer von Grünbühl, Spanischer Successions-Krieg, Feldzug 1706, Wien 1882, S.72 ff., 75, 79. [9] Walter Ohlmer, Garnison Northeim 1604-1987, Moringen 1987, S.90. [10] Walter Junge, Schiffbau und Schiffer in Bodenfelde. In:Sollinger Heimatblätter 1989. H.4. S.12-13, derselbe a.a.O. 4/1985, 16 ff., 18: Einer Klageschrift der Mündener Schiffbauer sei zu entnehmen, 1674-1677 seien in Bodenfelde 6 neue Schiffe gebaut.
[11]
Vermutlich: Obersteiger in einem Bergwerk.
[12]
Sie war also Haushälterin des Amtmanns im Amte
Nienover Georg Bode gewesen, begraben 29.11.1651 in Nienover, siehe Kunze, Rolf Nowaks Ortssippenbuch
Uslar, Familie =1007=.
[13] Joachim Heinz, Bleibe im Lande und nähre dich redlich, Zur Geschichte der pfälzischen Auswanderung vom Ende des 17. bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts, Kaiserslautern 1989, S.20 m.w.N., Fritz Braun, Schweizer und andere Einwanderer sowie Auswanderer im ref. Kb. Steinwenden, in: Schriften zur Wanderungsgeschichte der Pfälzer Bd.10, Kaiserslautern 1960. [14] Heute: Dalaas in Vorarlberg, früher Herrschaft Bludenz.
[15]
Apotheker in Bodenfelde war seinerzeit Johann Christian Frömling, †24.4.1753.
[16] Balzer Rock, Die Ortsgeschichte von Bodenfelde, Uslar 1940, S.80 nach HStA Hannover Hann. 83, Hann. III /92 Nr.19. [17] Das Kind war in der Vakanz unmittelbar nach Mengershausens Abzug, aber vor Eintreffen seines Nachfolgers Johann Ludowig Grahle geboren, von dessen Hand der empörte Eintrag ins Sterbebuch von Oktober 1714 stammt. [18] Zeitüblich waren dieselben Abkürzungen (wie heute noch in den USA Xmas für christmas): Man schrieb X für Christ und kürzte ab zum Beispiel Xoph für Christoph, hier Xtum für Christentum. [19] Die Kriegsjahre des 30jährigen Krieges 1618-1648.
[20]
Vgl.: Hans Metgen *Kuventhal 8.10.1659, † 13.11.1730
in Einbeck, St.Alexandri, ¤ 1683 Anna Maria Borchers †1716.
[21] Besteuert wurden Grundnahrungsmittel wie Mehl, Fleisch Bier und anderes mehr, siehe im einzelnen Ernst Böhme / Michael Scholz, Jens Wehner, Dorf und Kloster Weende von Anfängen bis ins 19. Jahrhundert, Göttingen 1992, 186.
[22]
Nach
Philipp Meyer,
Die Pastoren der Landeskirche, Göttingen 1941: Statius Adrian Meyer, 1654,
1657, 1686 ff. Pfarrer in Imsen.
[23] Oberförster war Johann Friedrich Bürger. Auf ihn folgte im Amt etwa 1687-1688 sein Sohn Valentin Bürger. [24] Johannes Dalfaut *Arenborn 1666 Sohn von Christoph Dallfuß (wie sich der Name dort schrieb), siehe im einzelnen Kunze, Ortssippenbuch Heisebeck und Arenborn, Familie =345=. Der Familienname bezeichnet ursprünglich einen ungeschickten Menschen (dalp / talp = täppisch, der Wortstamm steckt auch in „toll“patschig). [25] Jochim Tihlen in der Musterungsrolle 1613 unter „dienstpflichtige Großköter“, Jochim Tillen zahlt 1627 in Kirchenrechnung Gartenzins (Pfarrarchiv Bodenfelde), Jochim Tielen, im Mannschaftsverzeichnis 1632 Kothsasse (HStA Hannover Cal Br.2 Nr. 65). [26] Als Witwe des Häuslings Tönnies Schacht erscheint sie 1686 in der Kopfsteuerbeschreibung mit 2 Söhnen und 1 Tochter über 14 Jahren. |
|