Das Archiv der Pfarre in Bodenfelde bewahrt einen weit und
breit einzigartigen Schatz auf: Das von Pfarrer Mengershausen 1705 angelegte Totenbuch.
Es enthält ausführliche Lebensläufe und Würdigungen Verstorbener, wo in anderen
Sterberegistern üblicherweise nur knappe Angaben stehen. Die kleinen
Lebensgeschichten aus der Zeit vor 300 Jahren geben uns einen bunten Einblick
in das Leben der Menschen in dem kleinen Ort an der Weser. Sie widerlegen
zugleich manche falsche Vorstellung über angebliche Begrenztheit und Beschränktheit
der damaligen Verhältnisse.
Freilich mußte es
geradezu notwendig erscheinen, sehr genaue Angaben zu jedem Verstorbenen zu
machen. Über den Verbleib der Bodenfelder Kirchenbücher aus älterer Zeit ist
nämlich nichts bekannt. Vielleicht waren sie bei Amtsantritt des Pfarrers
Mengershausen im Mai 1705 schon verloren. Das von 1705-1797 geführte
Kirchenbuch ist ein schwerer Foliant von über 800 Seiten. Das Sterberegister
beginnt auf S.280 und greift sogleich mit seinem ersten Eintrag vom 10.6.1705
(siehe Abbildung) ein halbes Jahrhundert weit in die Vergangenheit:
Maria Engelhard von Lemforde,
Dietr. Fetköters Ehe=
frau gestorben den 10. Jun. Begraben
den 14. Ej. ihres
alters 52. Jahr. 2. männer gehabt,
Der erste Curd
Schildknecht † 1678. Der andre Fetköter, mit diesem
2. Söhne v. 1. Tochter gezeuget.

Beginn des Totenbuches und erster Sterbeeintrag:
Im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit Amen
Sterb- und Begräbnis-Register Anno 1705
Schon dieser erste
Eintrag hebt sich ab vom anderswo Üblichen. So heißt es fast zeitgleich
unmittelbar nebenan in Lippoldsberg bei einem Begräbnis kurz und bündig: 1705 den 14. April Barthold Eichman s[eine] Frau
begraben, 60 Jahr.“
Die Qualität der
Kirchenbuchführung nimmt nicht Wunder, war der am 12.7.1669 in der Nicolaikirche getaufte Mengershausen doch Sohn des Militärschreibers und Notars Gabriel Mengershausen und damit Enkel des
berühmten Göttinger Stadtschreibers Georg Mengershausen, dem wir mit dem Diarium Gottingicum eine wichtige
historische Quelle zum 30jährigen Krieg in Südniedersachsen verdanken.
Soldatenschicksal
Gegenüber so wortkarger Überlieferung ist das Bodenfelder
Sterberegister des Pfarrers Mengershausen eine historische Fundgrube ohne
Beispiel. Am 5.1.1706 starb
Johann Ernst Fricken ein Soldatenkind von 6. Wochen, † den 5. Jan.
deßen Vater Jurgen Christoph Fricken vor 10 Wochen in Brabant gestorben.
Dorothea Elisabeth Sibrecht die Mutter. Den 10. Jan. begraben.
Der Soldat Fricke hatte
seinen kleinen Sohn nie gesehen, als er im Oktober 1705 im Krieg in Brabant
starb. Die einzelnen Kompanien der in Northeim stationierten Regimenter lagen
das Jahr über verteilt in Flecken wie Hardegsen, Moringen oder Kleinst-Städten
wie Uslar und auch Bodenfelde. Viele Soldaten waren verheiratet und wohnten hier
mit Frau und Kindern. Diese braunschweigischen Regimenter hatten in den 1680er
Jahren erfolgreich in den Türkenkriegen gekämpft. Auch am Spanischen
Erbfolgekrieg (1701-1714) war das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg beteiligt,
indem es für die Reichs-Armee Kontingente stellte. „Nur mühsam und verspätet
kam ein kleiner Theil des nach dem Conclusum des Reichstages vom November 1702
auf 120.000 Mann veranschlagten Reichsheeres zusammen, indem fast keiner der
Fürsten und Stände des Reiches seinen Verpflichtungen nachkam.“ […] Die
englisch-holländische Armee in den Niederlanden sollte aus 50.000 Mann
englischer und 30.000 Mann holländischer Truppen bestehen und überdies durch
eine größere Anzahl Sold- und Hilfstruppen verstärkt werden, die namentlich von
den Fürsten des nördlichen Deutschland beigestellt wurden. Der Niedersächsische
Kreis (Mecklenburg, Braunschweig, Wolfenbüttel und Ansbach) stellte zur
Reichsarmee 1 Bataillon und 5 Escadronen. Das Braunschweig-Lüneburgische Corps
umfaßte 16000 Mann.“ 1702 marschierten die
Northeimer Regimenter aus und vereinigten sich jenseits des Vaal mit der großen
englisch-holländischen Armee unter dem damaligen Grafen Marlborough. Zu diesem Reichsheer
zählte eine ganze Reihe von Bodenfeldern, unter ihnen viele Familienväter. Im
Bodenfelder Taufbuch, zumal ab 1707, sind viele Väter von Täuflingen mit „miles
absens“ (abwesender Soldat) bezeichnet.
Die Weser als Lebensader
Berge scheiden, Flüsse aber verbinden. Die Weser verband bis
weit stromauf und stromab die Liebenden, und sie fanden sich unabhängig von
politischen Grenzen und Konfessionsunterschieden. Auch wenn die beiderseitigen
Pfarrer noch so sehr die Nase rümpfen mochten: Der rege Handels- und
Schiffsverkehr ließ auch Menschen und Konfessionen durcheinanderströmen. Der
Schuster Henrich Becker, 1660 im katholischen Herstelle geboren, heiratete 1687
nach Bodenfelde und starb hier am 3.2.1705:
Henrich Bekker ein Schuster † 3. Febr. natus zu Herstelle 1660, Vater Albert Bekker, Mutter Elisabeth Nolten, A. 1687 zu Bodenfelde sich besetzet v.
gefreiet Anna Elisabeth Claus sel[igen] Hans Claus Tochter. mit ihr gezeugt 2.
noch lebende Töchter. an der Waßersucht fast 3½ Jahr gelegen. Im papistischen
Religion gestorben. alt 46 Jahr.
Ein
interessantes Detail zur Schiffbautradition liefert uns ein Sterbeeintrag vom
27.9.1711. Schiffsbautradition in Bodenfelde muß nicht zwangsläufig
bedeuten, daß die Schiffe tatsächlich in Bodenfelde gebaut wurden. 1711 zog der
Schiffbauer Jürgen Schacht sich in Hameln, wo er arbeitete, eine ansteckende
Krankheit zu und wurde nach Hause gebracht, wo er starb:
Meister Jürgen Schacht Schiffbauer und Einwohner allhier geboren
1643 um Jacobitag. Vater Mstr. Jürgen Schacht Einwohner und Schiffbauer allhier, Mutter Ilsabei Schildknecht. In der Schule
Lesen und Schreiben fertig gelernet. Hernach seines Vaters Handwerk gelernet,
bis er anno 1675 Catharina Elisabeth Pothast, seligen Jürgen Pothast Tochter
geheiratet und mit ihr 4 Kinder gezeuget, davon 1 Tochter tot, 2 Töchter und 1
Sohn noch leben. Welche Frau anno 1706 †, seither der Witwer.
Seine Krankheit betreffend hat er diesen Sommer zu
Hameln gearbeitet, ist daselbst mit dem hitzigen
Fieber befallen, welches hernach in ein kalt Fieber sich verwandelt, darauf er
sich hierher bringen lassen und fast stets zu Bette gelegen, † den 27. Sept. morgens 4-5, alters 68 Jahr.
Bodenfeldes Handelsbeziehungen reichten weit:
Philip Luley geboren 1634 zur Blankenau. Vater Philip Luley
hochadel. Falkenbergischer Verwalter zur Blankenau. Mutter Ilsabey Deipel eines
Weinschenkers in Wolfenbüttel Tochter. Die Handelung hier in Bodenfelde bei
Hans Spellerberg gelernet, auch bei demselben solange in der müssen geblieben,
bis er im 25. Jahr seines Alters in den Stand der heiligen Ehe getreten, da er
sich mit Jfr. Anna Maria Schuring Herrn Hans Christoph Schuring Leutnant unter
dem König von Schweden allhier sich Anno 1659 trauen lassen, mit derselben 36
Jahr in christlicher Ehe gelebet und 7 Kinder, 2 Söhne und 5 Töchter, gezeuget,
wovon 1 Sohn noch am Leben, zu Bremen Landfurier, und 4 Töchter, so mehrenteils
an fernen Orten in der Ehe leben, den 10. Sept.[1711] tot gefallen und gefunden
in seinem Hause, aetatis 77 Jahr.
Die Mobilität war in
früheren Jahrhunderten wesentlich höher, als man heute gemeinhin vermutet. Von
St.Andreasberg stammte der am 17.3.1706 gestorbene
Hieronymus Cöler, Schuester, gestorben d[en] 17. Mart 12-1
mittags, burtig vom Hartz aus dem Andreas berg, gebohren d 1. Jul 1629. Sein
Vater Mathias Cöler Obersteur zum Andreasberg, die Mutter Cathrine Bok. Zue Schule ist er fleißig gehalten,
daß er fertig leßen und schreiben gelernet v[nd] alzeit gewohnt.. nach d Zeit
hat er Lust zum Schuster Handwerk gehabt, so er gelernet hier zu Bodenfelde bey
seinem halben Bruder Jakob Köhler. Nach außgestandener Lehre hat Er sich in die
Fremde begeben und anfangs zum Grunde [Bad Grund] 2 jahr gearbeitet, hernach
ist Er nach Bremen kommen u[nd] 2 jahr da geblieben auch … S[sich?]. wehrt
gehalten. Von dar ist Er nach Goßlar kommen u[nd] 1½ jahr. Nach einer Zeit ist
wieder nach Bodenfelde kommen i[n] A[nno] 1656 sich mit der damahl[igen] Junfer
Anna Maria Peters so bey sel[igem] Amtmann Boden Haußhälterin gewesen,
in ein christliches Eheverlobniß gelaßen auch solches vollzogen mit 10
Kind[ern], 3 Sohn[e] v[nd] 7 tochter, wovon noch leben 2 Sohne v. 3 töchter,
welche alle auf gegeb… gute nachbarschaft aller ortten gutes christliches thun,
von deme man k[einen] fluch gehört.
Ein weiterer Ahnherr späterer Bodenfelder
Generationen stammte aus den Alpen. Nach dem 30jährigen Krieg lagen weite Teile
Deutschland entvölkert und wurden von einer Auswanderungswelle aus der Schweiz
neu besiedelt. Schwerpunktmäßig zogen diese Schweizer ins Saarland, das Elsaß
und in die zu 60-70% entvölkerte Pfalz. Dorthin wandte sich auch
Johann Jacob Maht zunächst. Schließlich gelangte er aber an die Weser, wo er
1708 starb:
Johann Jacob Maht geboren 1651 im Thallas in der Herrschaft
Pludenz in Tirol,
Vater Hans Maht ein Weißbäcker daselbst, Mutter Christina Wöhstner, von seinen
Eltern gleich zum Maurerhandwerk angeführt, ist er darauf nach Teutschland
kommen und in der Pfalz das Maurerhandwerk gelernet, und in fremde Länder
geraten, zuletzt allhier ins Braunschweigische Land, da er dem hochseligen
Herzog Johann Friederich unter dem Obristen Jordan als Reuter gedient und hier
in Bodenfelde ins Quartier kommen. Da es sich durch Schickung gefüget, daß er
mit Catrina Maria Seifen, itzo Witwe, in ein Ehegelübde eingelassen und auch
auf heiligen Dreikönig 1681 vollzogen. In der Ehe gezeuget 10 Kinder, wovon 1
Sohn und 2 Töchter am Leben. In den letzten 8 Jahren sehr uneinig mit der Frau
gelebt. Papistischer Religion, doch fleißig unsern Gottesdienst darauf besucht
und sonst außer dem Hause mit jedermann schied- und friedlich gelebt. Mit
seiner Hantierung treu und ehrlich sich bezeugt, daher er vor ungefähr 7
Wochen in die churfürstliche Arbeit auf
das Amt Üßler zu einem Brückenbau
gefordert. In der Arbeit und, da er denen anderen bei dem Schlußstein legen
wollen, Schaden im Leibe bekommen, so am 5. Okt. von der Zeit an bettlägerig
gewesen. Viele Arznei gebraucht, endlich das hitzige Fieber bekommen, und ihm auch den Schluß seines
Lebens befördert, indem er freitags den
12. Okt. abends 9-10 unvermittels gestorben, aetatis 57 annorum. Er zeugte in der Ehe 11 Kinder, von denen 1
Sohn und 2 Töchter noch leben
Die heimliche Beerdigung
Als Mengershausen sein Amt
antrat, traf er die Bodenfelder als einen „zum Theil verwilderten Haufen an,
davon wenige gewohnt, dem Prediger Liebe und Ehrerbietigkeit zu erzeigen.“ Der
Fall des gesteinigten Siebrecht spricht für sich. Tod und Teufel nicht, aber
auch nicht den Pfarrer fürchtete auch eine Mutter, die ihr Kind des Nachts auf
eigene Faust begrub, um die Begräbnisgebühren beim Pfarrer zu sparen:
Johann Jürgen Kelner geboren April 1713, Vater Heinrich Kelner,
Mutter Maria Lisabeth Sibrechs, welche ihr Kind so
den 12. Octobris gestorben und alt gewesen 1 Jahr und 8 Monate selbst aus
eigener Macht den 14. Octobris nachts auf den Montag begraben, weil sie mir
mein billiges Gebühr nicht wollen geben.
Die bösliche verlassene Ehefrau
Die Abürzungen im Original des Kirchenbuchs von 1706 sind
ebenso gewöhnungsbedürftig wie die eingestreuten lateinischen Brocken wie natus
(geboren), was in der Wiedergabe hier übersetzt wird, und die noch nicht
vorhandene Rechtschreibung, so zum Beispiel im Eintrag vom 6.3.1706:
Hanß Peter Seifferts Akkermans Ehefrau Sophia Schmid den 6ten
Mart. abends 9-10. ihres alters 50 jahr. Sie ist gebohren Ann. 1656 im Febr. in
faßmeke, im Bistum Paderborn, ihr Vater M[eister]. Jacob Schmid ein Schneider
so hier nach Bodenfelde und sich heuslich niedergelaßen, die Mutter Margarete
Sophia Schwartz aus Wanbeck bürtig. von diese Eltern ist sie zur h[eiligen] Taufe
und […] im Xtenthum [Christentum] treulich erzogen. Ann[o] 1684 hat sie sich verheiratet an Xto
[Christoph] Ebert einen Soldaten, mit dem sie
einen Sohn und eine Tochter gezeuget. Nachdem sie von diesem bößlich verlaßen,
hat sie sich auf erteilten Consens der oberen zum andernmahl verehliget mit dem
jetzo gegenwertigen Witwer Hanß Peter Seifert, welche Ehe A[nno] 1692
vollzogen, aus welcher Ehe G[ott] 4 kind beschert 3 Söhne, so noch leben v.
eine tochter. 4 wochen den 8. febr. hat Sie sich auß Schwachheit geleget, v.
ist den 3ten tag darauf mit einem Schlagfluß an der linken Seite befallen, wodurch
sie nach v. nach abgemattet, biß sie 6. Mart. abends gestorben.
Ehescheidungen, das
„bösliche Verlassen“ des anderen und ähnliche Familiendramen gab es zu allen
Zeiten, und noch leichter als heute konnte ein Mann seine Frau sitzenlassen und
buchstäblich über alle Berge verschwinden. Von überall her kamen auf der
anderen Seite Neubürger nach Bodenfelde.
Menschenschicksal
Wie außergewöhnlich Pfarrer Mengershausen sein
Sterberegister führte, zeigt sich an vielen scheinbar nebensächlichen Details.
Er registrierte nicht bloß Begräbnisse wie andere Pfarrer, sondern gibt uns uns
selbst bei einfachen Bauern durch kleine Nebenbemerkungen eine plastische
Vorstellung ihrer Lebensumstände. So hatte sich Daniel Hennig mit 60 Jahren bereits
matt und steif gearbeitet, als er am 10.12.1711 starb. In der
Kopfsteuerbeschreibung 1686 steht er als Großkötner Daniel Hennigs. 1689 war er
nur noch Kleinkötner, leistete (vermutlich auf dem Götzenhof) Spanndienst, hatte
15 Morgen Land und zahlte 1 Taler Kopfsteuer. Die Ehefrau Catrine zahlte 12
Groschen Kopfsteuer, Kinder: Ilsabei 11 Jahr, Ortia 9 Jahr, ein lahmes Kind 3
Jahr.
Daniel Hennig geboren 1651, Vater Adam Hennig Einwohner und
Ackermann allhier, Mutter Adelheid Wöbbel aus Bielefeld. Von Jugend bei seinem
Vater den Ackerbau gelernt und getrieben, hernach mit Catr. Mar. Kleinsorgen
aus Sohlingen bürtig in die Ehe getreten anno 1676, mit derselben gezeuget 4
Kinder und Töchter, davon 3 tot, die eine an Daniel Beckendorf geheiratet. Anno
1700 seine Ehefrau gestorben, seither dann Witwer, sich matt und steif
gearbeitet, ohngefähr 4 Tage krank und schwach, den 10. Xbris [10.12.1711]
morgens 5-6, alt 60 Jahr.
Hennig war kein Einzelfall, sondern der Normalfall:
Hans Tormöhlen geboren 1641 um Weihnachten hier zu Bodenfelde.
Vater Hans tor Möhlen aus Derental bürtig, so sich aber in den Kriegsjahren allhier besetzet und geheiratet Ilsabey Schildknecht, seine verstorbene Mutter.
Wenig in die Schule gegangen, doch hat er lesen gelernet. Von Jugend auf ist er
beim Ackerwerk gewesen. Anno 1677 hat er geheiratet Margareta Riefkogel,
Hauptmann Riefkogels Tochter, damals Ricus Gudens Witwe. Ohne Kinder. Er ist zu
anfangs des September mit einem Halsfluß befallen, wozu Altersschwachheit und
Kummer kommen: Hatte sich fast steif gearbeitet, und fast 5 Jahre gebückt.
Gestorben den 27. Oct. [17.10.1706] morgens in
der Not zwischen 2 und 3 Uhr, alt 65 Jahr 10 Monate.
Die sang- und klanglos beigescharrte Leiche
Wie sich der Bauer auf seinem Acker matt und steif
arbeitete, so hatte jeder Beruf seine typischen Krankheiten. Viele Müller starben
an Lungenkrankheiten. Der Papiermeister Spieß endete sein Leben am 22.6.1710
mit den Symptomen der Tuberkolose:
Meister Jürgen Jacob Spies geboren 1644 üm Ostern zu
Relliehausen Amts Erichsburg, Vater Meister Martinus Spies daselbst, Mutter
Anna Elisabeth Magnus. In der Schule fertig lesen und schreiben gelernet, hernach etliche Jahr in der
Fremde gewesen. Als dann sein Vater gestorben, ist er nach Hause gekehrt und
die Haushaltung geführt, bis sein jüngster Bruder erwachsen und die väterliche
Papiermühle einnehmen können, und hiesige Papiermühle angeleget Anno 1676 als
derselbe fertig, hat er sich in den heiligen Ehestand begeben und zur Ehe
genommen Anna Maria Medgen, seligen Hans Medgens damaligen Musikanten in
Einbeck eheliche Tochter und ist die Hochzeit zu Relliehausen vollzogen Anno 1678 den
8.Oct. und mit deroselben gezeuget 5 Töchter, 1 Sohn, davon 1 Tochter tot. Vor
letzten Ostern fast 14 Tage hat er sich zu Bette gelegt und über Stiche in der
Brust geklagt, daher er mit starkem Husten beladen, welche schwindsüchtige
Schwachheit zugenommen, ungeachtet vorher gebrauchter Arznei, bis es vorigen
Sonnabend den 21. Juni zu Ende gelaufen, und den Sonntag morgen um 3 Uhr
eingeschlafen, aetatis 66 Jahr 11 Wochen, in der Ehe 37 Jahr.
NB Als gemelten Papiermeisters Erben praetendiren wollen, daß
man die Leiche von der Mühle mit Gesang und Klang abholen mögte, solches aber
was Neues und die eingepfarrten Dörfer zu Uslar dahin ihre Toten bringen
müßten, so hat man ihnen solches nicht concediren können. Endlich habe [ich]
mich erklärt, wofern sie sich schriftlich reversirten daß sie dem Pastor für
das Mitgehen und den Küster für das Singen, und der Kirche für das längere Geläute
besonders was geben wollten, alsdann solle es geschehen. Solchen Revers haben
sie gar nicht unterschreiben wollen, sondern am 2. Sonntag unter der
Katechismuslehre stillschweigend die Leiche hereingebracht und beigescharret,
daher ihnen keine Leichpredigt gehalten.
Bezeichnend für die
Verhältnisse bis heute ist, warum man befremdet war über die Idee, den Toten
mit Gesang und Klang abzuholen: „Solches aber etwas Neues!“ Das ging nicht an.
Beamtenlaufbahn
Neben der bodenständigen Bevölkerung gab es in mittleren
Orten wie Bodenfelde immer Angehörige von Berufsständen, die dorthin „versetzt“
wurden wie Pfarrer und staatliche Funktionsträger. Zu ihnen gehörten die
Einnehmer einer früheren, 1686 eingeführten Form der Umsatzsteuer, des Lizentes.
„Die neuartige Umsatzsteuer zu kassieren war eine schwierige und umständliche
Aufgabe, zu deren Bewältigung es einer eigenen Lizentverwaltung bedurfte.“
Hauptträger waren „die Lizenteinnehmer und die ihnen unterstellten Lizentschreiber.“ Der Pfarrersohn Christian
Meier hatte seine berufliche Laufbahn als Schreiber, dann Verwalter eines
adligen Gutes begonnen und wechselte später in den Staatsdienst. Erfahrungsgemäß
tat es der Amtstreue nicht gut, wenn ein Steuerbeamter über Jahrzehnte im
selben Ort wohnte und sich versippte und verschwägerte. Darum wurde auch Meier
regelmäßig weiter befördert und versetzt, bis er in Bodenfelde am 19.4.1712
starb:
Stephan Christian Meier, Licentvisitator, geboren Imsen [bei
Alfeld] Gerichts Steinberg 10.5.1652, Vater Statius Adrian Meier Pfarrer in
Imsen und Anna Elisabeth Struben. Anfangs
Schreiber zu Westerhövel, hernach Verwalter bei denen von Burgtorf, endlich
Licentbedienter im Amt Salzderhelden, Hardegsen und zuletzt allhier. Anno 1690
in die Ehe getreten mit Catrina Elisabeth Lappen,
seligen Bürgermeister Lappen in Münder eheliche Tochter, mit ihr 7 Kinder
gezeugt, davon 4 Töchter und 1 Sohn noch am Leben, † d. 19.Apr 1712 aet. 50Jahr wenige 3 Wochen.
Die Bademütter
Bis weit ins 20. Jahrhundert kamen die Menschen zu Hause im
Bette ihrer Mutter zur Welt, und jedes Dorf hatte seine Hebamme oder
Bademutter. Ihr brachte man besondere Achtung entgegen, wie am 18.5.1707 beim
Tode einer langjährigen Bademutter erkennbar wird.
Catthrina Munzenbuer die Bademutter allhier, geboren 1633 in der
Fastelabendwoche. Ihr Vater Henrich Armbrecht Einwohner allhier und die Mutter
Maria Schultze auch aus Bodenfelde bürtig. Den Vater hat sie gar bald im andern
Jahr ihres Alters verloren. Nachdem nun ihre Mutter wieder geheiratet, ist sie
nach Art derselben schlechten Zeiten und der Eltern Vermögen zur Schule
gehalten. 1654 hat sie sich im 21. Jahr mit dem Jgs. Hans Wichers in ein
Eheverlöbnis eingelassen, und nachdem sie solches glücklich vollzogen, mit
demselben über 20 Jahr in christlicher und friedlicher Ehe gelebt und 11
Kinder, 6 Töchter und 5 Söhne, gezeugt, wovon noch 2 Söhne und 1 Tochter leben.
Nachdem sie 1677 um Lichtmeß in der Betrübnis Witwe war und geraten, hat sie
sich und ihre Kinder säuerlich und ehrlich ernähret. Jederman hat sein
Wohlgefallen an ihr gehabt, daher sie auch Anno 1680 in Michaelis einmütig zu
einer Bademutter allhier erwählt und bestätigt ist. Anno 1687 am Johannistag
hat sie zum anderen Mal geheiratet und zwar Henrich Munzenbur, damals ein
Witwer mit 6 Kindern. Mit demselben hat sie keine Kinder gehabt, doch auch mit
demselben friedlich gelebt. Krankheiten betreffend hat sie sich nach etlichem
Wehklagen seit vorigem Winter vor 8 Tagen, dem 11. Mai, geleget und mit einer
fliegenden Hitze befallen, woraus die Brustseuche entstanden. Am vorigen
Dienstag hat sie das heilige Abendmahl empfangen und ist darauf am Mittwoch,
dem 18. Mai, abends zwischen 7 und 8 Uhr gestorben. Sie war 26½ Jahr Bademutter
gewesen und hat in dieser Zeit 636 Kinder in und außer Bodenfelde glücklich gehoben.
– begraben 25.5.1707
 |
Der Gebärenden stand in alter Zeit nur die Hebamme zur Seite, ein Arzt galt nicht als erforderlich und konnte auch von den meisten Familien nicht bezahlt werden.
Abbildung: Jost Ammann, Holzschnitt, entnommen: Jakob Rueff, De conceptu et Generatione Hominis, erschienen 1554. - An den abgebildeten Umständen der Hebammengeburt hatte sich bis zum 18. Jahrhundert nichts geändert. Der Bildhintergrund spielt auf den verbreiteten astrologischen Glauben an, der Stand der Gestirne zur Stunde der Geburt bestimme das Lebensschicksal. |
Fertigkeiten jeder Art lernte man in alten Zeiten
von den Eltern, so daß sich Berufe und Kenntnisse oft über viele Generationen
fortsetzten. Auch die aus der ersten Ehe der Bademutter hervorgegangene Tochter
wurde Bademutter. Bemerkenswert ist, wie sehr das Amt allseitiges Vertrauen
voraussetzte, das sich darin zeigte, daß beide Bademütter ausdrücklich
„gewählt“ wurden. Über die Art des Wahlvorganges erfahren wir nichts.
Cathrina Dalfaut, die Bademutter, geboren 1658, Vater Hans
Wichers, Einwohner allhier,, Mutter Cathrina Armbrecht. In der Schule Lesen und
Christentum gelernet. Nachdem sie im 16. Jahr ihres Alters ihren Vater
verloren, hat sie bei dem Herrn Oberförster gedienet, bis sie im 29. Jahr anno 1687 Johan Dalfaut geheiratet, von Arenborn bürtig, mit dem sie 6 Kinder gezeuget, wovon noch 2
Töchter am Leben. Nach ihrer seligen Mutter Tode ist sie anno 1707 zur
Bademutter gewählt, bei welchem Amte sie christlich und vorsichtig sich aufgeführt,
auch von Gott reichen Segen gehalten, als daß 132 Kinder glücklich zur Welt
geholfen. Vor 14 Tagen krank worden an der Brustkrankheit, viel Stiche und
Schmerzen ausgestanden, woran sie am 9. Tage † 5. Juli 1712, alters 54 Jahr.
Biblisches Alter
Einer verbreiteten Legende nach wurden die Menschen „früher
nicht so alt wie heute“. Das stimmt nur statistisch, weil vor allem die
Kindersterblichkeit außerordentlich hoch war. Trotzdem wurden Menschen nicht
selten steinalt:
Anna Catrina Schacht geboren 1614, ihr Vater Jochen Tielen Kleinschmied und Ackermann allhier,
Mutter Lucretia Munzenbur aus Lipsberg.
Im 25. Jahr ihres Alters hat sie sich mit Tönnies Schacht Rademacher und
Ackermann allhier in Ehestand begeben und mit ihm 8 Kinder 5 Söhne und 3
Töchter gezeuget und ist ihr Mann anno 1686 gestorben. Nachher hat sie 27 Jahr
im Witwenstande gelebet. Sie ist gestorben den 29. Jan. 1713 im 99. Jahr ihres Alters, von 8 Kindern
Mutter, von 41 Kindeskindern Großmutter, von 11 Kindes Kindes Kindern
Eltermutter.
Vermutlich: Obersteiger in einem Bergwerk.
Sie war also Haushälterin des Amtmanns im Amte
Nienover Georg Bode gewesen, begraben 29.11.1651 in Nienover, siehe Kunze, Rolf Nowaks Ortssippenbuch
Uslar, Familie =1007=.