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Lebensbilder aus dem alten Weserbergland
von Klaus Kunze Folge 14 1856: Gegensätzliche Brüder: der Großindustrielle, der Sozialrevolutionär und der TierarztDie Brüder waren nicht persönliche Gegner. Wir wissen nicht, was sie über einander dachten: der Großindustrielle und der Sozialrevolutionär. Aber sie standen klar auf verschiedenen Seiten jener sozialen Kluft, die von revolutionärer Seite bald als durch Klassenkampf zu stürmende Barrikade empfunden wurde. Das leibhaftige Stürmen war dem jüngeren Bruder Karl Henckell zwar fremd, aber mit seinen Gedichten bezog er klar Stellung und ging als Arbeiterdichter in die Geschichte ein. Der ältere Bruder Gustav Henckell produzierte Konserven und wurde steinreich, während das Gedichteschreiben für den jüngeren eine brotlose Kunst war und blieb. Bodenfelde war von alters her ein Ort des Mangels und der oft bitteren Armut. Es gingen aus dem Ort aber auch wenige Reiche hervor – und zugleich von Bodenfelde weg, um anderswo noch reicher zu werden. Vater unserer gegensätzlichen Brüder war Arnold Henckell, der am 8.7.1809 in Bodenfelde geboren wurde. Um 1862 verzog er nach Hannover und lebte dort als „sehr reicher Getreidekaufmann“ [1] . Die Kaufmannsfamilie Henckell1809 gab es in Bodenfelde viele, viel zu viele Kauf-
und Handelsleute, so daß sie sich fast gegenseitig auf die Füße traten und die
meisten arm blieben. Das Spektrum reichte von reichen Kaufleuten bis zum armen
jüdischen Kleinhändler
[2]
und weiter bis zum Lumpensammler.
[3]
Wer es zu etwas bringen wollte, mußte schon etwas mitbringen. Arnold Henckel
brachte väterliches Erbe und mutmaßlich mütterliches Geld mit, ein Vermögen,
auf dem er auf- und mit dem er weiterbauen konnte: Sein Vater Johann Christian Henckell
[4]
war Kaufmann in Bodenfelde, 1836 auch Spediteur, und selbst Sohn des
Tabakhändlers Heinrich Henckell aus Bovenden. Er hatte 17.8.1806 in
Gieselwerder Arnolds Mutter Maria
[5]
aus der Industriellen-Familie Barckhausen
[6]
geheiratet.
Arnold begegnet uns in den Bodenfelder Unterlagen
meistens bei Geburten, 1809 seiner eigenen, und 1834 als unehelicher Vater
einer kleinen Wilhelmine Auguste, die er mit Hanne
Sophie Elisabeth Fleißner
[7]
gezeugt hatte. Erst 20 Jahre später heiratete er mit Bertha Elise Auguste
Piderit
[8]
.
Die ersten drei Kinder der Ehe wurden in Bodenfelde geboren, die übrigen,
darunter der spätere Arbeiterdichter, in Hannover:
Das Hannoversche
biographische Lexikon
[14]
bezeichnet Arnold Henckell als Kaufmann, Landwirt und Bürgermeister in
Bodenfelde. Trotz zweier Orts-Chroniken von Bodenfelde – Rock 1939 und Junge 1983 – hat es leider bisher niemand für der Mühe wert
gehalten, Informationen über die Bürgermeister des Ortes zu sammeln, ihr Wirken
oder wenigstens ihre Amtszeit.
[15]
Dabei wäre für das Verständnis des verschiedenen Lebenswegs unserer beiden
Brüder hilfreich gewesen, über ihren Vater und sein Wirken als Bürgermeister
mehr zu erfahren. Das „Projekt Gutenberg.de“ im Internet hält das Elternhaus
für „protestantisch und deutschnational“, ohne dafür Quellen zu nennen. Sein
Sohn Karl schrieb rückblickend über seinen Vater:
Mein Vater stammte aus Bodenfelde bei Karlshafen an
der Weser, wo der Solling seine knorrigen, uralten Eichen zum Himmel reckt. Er
war Kaufmann und hatte besonders mit Getreide gehandelt, daneben auch in seinem
Heimatort das Ehrenamt des Bürgermeisters verwaltet.
Nachdem 1854 und 1858 die Eltern in Bodenfelde
gestorben waren, siedelte Arnold Henckell etwa 1863
[16]
nach
Hannover um. Sein Sohn fährt fort:
Mein Vater huldigte, mit starker Reserve gegen jedes allzu schneidige »Stockpreußentum«, einem gemäßigten Fortschritt und zählte sich zu den Nationalliberalen Bennigsenscher Richtung. […] In Hannover lebte er mehrere Jahrzehnte hindurch als Hausbesitzer [in der Eichstraße 42] und Rentner. Hochbetagt starb er Ende der neunziger Jahre zu Lenzburg in der Schweiz. Ich habe vier Geschwister, zwei Brüder und zwei Schwestern, die ebenfalls in der Schweiz leben, mit Ausnahme des ältesten Bruders, der in jungen Jahren nach Amerika auswanderte. [17]
Seine beiden so verschiedenen jüngeren Söhne machten Arnold wohl unterschiedlich viel Freude. Vom Ältesten wird am Ende noch zu sprechen sein.. Anders als dem zielstrebigen Gustav [18] gefielen dem kleinen Karl Friedrich Schuldisziplin und das Pauken nicht sonderlich. Um ihn doch noch zu einem Schulerfolg zu bringen, schickten die Eltern ihn von der Realschule in Hannover nach Kassel zur Schule. Anschließend studierte er in Berlin, Heidelberg, München und Zürich vor allem Philosophie. Gustav hingegen blieb in Hannover und absolvierte dort Schule und Lehre. Zunächst trennen sich die Lebenswege der Brüder. Trotz gemeinsamer Herkunft steht jeder für ein typisches Menschenschicksal jener Zeit: der eine für wenige in der Gründerzeit reich gewordenen Großindustrielle, der andere für die zahlenmäßig noch kleine Gruppe von Literaten und Intellektuellen. Obwohl vielfach aus denselben bürgerlichen Schichten hervorgegangen, pflegten die einen mit ihrem Vermögen zugleich eine liberale Weltanschauung, die das Ansammeln großen Vermögens als gut und segensreich begrüßte. Die anderen hingegen sahen sich als Verfechter sozialistischer Ideen in schroffem Gegensatz zum „Kapital“ und wollten die Millionenschar der Arbeiter in eine Zukunft zur „Sonne und Freiheit“ führen. Für den bürgerlichen Liberalismus steht in dieser Familiengeschichte der Unternehmer Gustav Henckell, für die sozialistische Linke hingegen sein Bruder Karl. Gustav Henckell 1859-1942Nach seiner kaufmännischen Lehre trat Gustav in die Konservenfabrik von Dr. W. Nägeli in München mit Tätigkeit als Reisender im Außendienst. 1886 gründete er die Konservenfabrik Henckell, Zeiler & Cie. in Lenzburg zusammen mit dem Schulfreund und Gärtner Gustav Adolf Zeiler. „Das Grundkapital betrug 40000 Franken. Davon mußten das Fabrikgelände nebst Beeren- und Gemüseanbauten bezahlt werden. Die junge Firma hatte mit großen finanziellen Problemen zu kämpfen. Deshalb schloß sich 1888 Karl Roth als Teilhaber an und kümmerte sich um die finanziellen Belange. Neu hieß die Fabrik nun Henckell, Zeiler und Roth.“ [20]
Seinen Anteil brachte Gustav Henckell auch aus väterlichem Erbe auf und schrieb: „Ich hatte durch Übernahme des Vermögens meines Vaters, das in zwei Generationen erspart war, meinen Eltern und Geschwistern gegenüber eine schwere Verantwortung übernommen.“ [21] 1889 ließ Henckell seine alten Eltern und die beiden Schwestern von Hannover in die Schweiz kommen, wo der Vater am 7.11.1897 in Lenzburg und die Mutter 1902 in Aarau starb. Uns interessiert weniger die Firmengeschichte als die Persönlichkeit ihres in Bodenfelde geborenen Gründers. Wir erhoffen uns Rückschlüsse auf sein Elternhaus und seine Prägung und damit den in Bodenfelde eingewurzelten Menschenschlag. Bei Gustav Henckells Totenfeier 1942 hielt Pfarrer Hans Hänny eine Trauerrede, in die vieles eingeflossen ist, was der Verstorbene selbst und seine Angehörigen dem Pfarrer erzählt haben. [22] Es charakterisiert ihn als grundsoliden, gütigen, ehrbaren Kaufmann alten Schlages:
Gern hat Herr Henckell später erzählt, wie er im Frühherbst 1885 in einem Gasthof in Einsiedeln ein Nachtquartier bestellt hatte und dann ein junger Mann sich zu ihm gesellte, der ihm bekannt vorkam. Im Laufe des Gespräches stellte es sich heraus, daß es ein früherer Schulkamerad, Gustav Zeiler aus Hannover, war. Dieser war damals Obergärtner in der Baumschule von Otto Großmann in Aarau. Sie fuhren am folgenden Tage noch miteinander nach Zürich. Zwei Wochen später schrieb Gustav Zeiler dem früheren Schulkameraden, er habe im Sinne, eine Konservenfabrik mit Baumschule und eigener Plantage zu gründen, und fragte ihn an, ob er mitmachen wolle. In seinem jugendlichen Optimismus, über den er später sich oft verwundert hat, sagte Gustav Henckell sofort ja. […] Sein Vater meinte freilich, wenn eine Konservenfabrik gegründet werden solle, würde dies am zweckmäßigsten in Hannover selbst geschehen, wo schon gewisse Verbindungen vorhanden wären. Aber Gustav blieb bei seinem abgegebenen Versprechen, das Unternehmen in der Schweiz zu gründen. So zeigte sich schon damals der typische Charakterzug im Leben dieses hervorragenden Mannes, daß er unter allen Umständen sein Wort halten wollte. Nach dem Tod von Zeiler am 12.2.1889 änderte er den Firmennamen in Henckell & Roth AG (Hero) und heiratete 1897 Zeilers Witwe. [23] Er trat, der Trauerrede zufolge, immer entgegen als ein ausgezeichneter, zielbewußter Kaufmann und Unternehmer mit großartigem Organisationstalent. Er war auch ein gütiger und gerechter Prinzipal für seine große Arbeiterschaft und die vielen Angestellten. Wohl stellte er an alle klare und eindeutige Ansprüche, aber er gab stets das Beispiel treuester Pflichterfüllung im Großen und Kleinen. Tüchtige Kräfte erkannte und förderte er. - Bekanntlich pflegt die Öffentlichkeit ein Unternehmen nicht nur nach der Bilanz und den Dividenden zu beurteilen, sondern auch nach seiner Fürsorge für die Arbeiter und Mitarbeiter. Auch in dieser Hinsicht steht er groß da. Er hat einen Wohlfahrtsfonds für die ganze Belegschaft gründen lassen; und was er sonst in gütiger väterlicher Fürsorge für seine Mitarbeiter geleistet hat, steht in keinem Jahresbericht. Nur der edle Geber und die vielen dankbaren Herzen wußten davon.
Die Geschäftsidee des Firmengründers bestand darin, Obst und Gemüse möglichst schonend haltbar zu machen. Am 15.6.1886 brachte er erstmals Erbsenkonserven auf den Markt. Im selben Jahr verschaffte er einem Freund seines Bruders Karl, dem ständig in Geldnot befindlichen Dichter Frank Wedekind, den Posten eines Reklamechefs bei Maggi in Kemptthal. [24] Friedrich Wilhelm Wedekind, der Vater Franks, hatte 1872 Schloß Lenzburg in der Schweiz gekauft. Erst 1937 zog sich Gustav Henckel in den Ruhestand zurück. Neben seiner praktischen Arbeit rühmt Pfarrer Hänny, daß Henckell sich täglich mit Fragen der Wissenschaft, der Geschichte, der Philosophie, der Naturkunde und der Nationalökonomie beschäftigte. Er war auch ein warmer Freund der Dichter und Künstler. So viele Schriftsteller, Musiker, Maler und Bildhauer haben in seinem Heim geistige Anregung und mannigfache Hilfe und Förderung erfahren, ohne daß die weite Welt etwas davon wußte. Es war ihm ein Lebensbedürfnis, in solcher Weise Kultur und Bildung im Lande zu fördern. 1915 ist er Bürger von Lenzburg geworden. 55 Jahre hat er in der Schweiz gelebt und dieses Land, wo er sein Lebenswerk schaffen durfte, lieb gewonnen. Aber er hat auch sein erstes Heimatland, das deutsche Reich und seine großen Geister und Helden, nie vergessen und alles, was er ihm verdankte. Am 18. Januar 1942 starb
er an den Folgen eines Unfalles, den er zwei Tage zuvor auf vereister Straße
erlitten hatte. Seine Firma, die Hero Gruppe, beschäftigt heute mehr als
3500 Mitarbeiter und erwirtschaftete 2008 einen Umsatz von
1,919 Milliarden Schweizer Franken. Hauptanteilseigner ist heute Dr. Arend
Oetker.
Karl Henckell 1864-1929
Nach dem Kasseler Abitur
zog Karl Henckell nach Berlin und stieß auf einen Kreis junger Naturalisten um
die Brüder Heinrich und Julius Hart. Sie lehnten die herkömmliche Dichtkunst ab
und suchten „das Ideale
[25]
,
dessen sich Goethe und Schiller schuldig gemacht haben, ganz und gar zu
verbannen.
[26]
Henckell
studierte, veröffentlichte seinen ersten Gedichtband 1885, zog als Dichter
sozialkritischer Gedichte durchs Land und hielt Lesungen. Seine Sammelbände
verlegte er selbst in „kleinem Selbstverlag“, offenbar weil sie sich nicht im
gewinnorientierten Verlagswesen vermarkten ließen. Anklang fanden sie vor allem
bei Treffen politisch Gleichgesinnter
[27]
,
weniger hingegen bei Liebhabern der schönen Dichtkunst.
Mit verbal schwerem Hammer
wie einem Fabrikwerkzeug verkündet er ein holzschnittartiges Weltbild, in dem
gute Arbeiter und böse Reiche (Schweinepack) einander gegenüberstehen:
Die reiche soziale Schicht
des „Schweinepacks“ ist die der eigenen Herkunft des Dichters. Seine
Vorstellung vom Arbeiter gewann er in Berlin:
Als Studiosus der Philologie ging ich zunächst nach Berlin,
wohin mich frühangesponnene literarische Fäden und Fehden zu den »kritischen
Waffengängern« Heinrich und Julius Hart zogen. Ich wurde regelmäßiger
Mitarbeiter ihrer Monatsschrift. Bald erschien, bei Bruns in Minden, mein
lyrisches Konfirmationsbrevier, das »Poetische Skizzenbuch«, mit melancholischen
Niederschlägen vom Spreeufer. In ihm stand auch schon das »Lied des
Steinklopfers« und ein paar andere soziale Verse, die ich vom Straßenbild der
Reichshauptstadt ablas. Das Elend und die Kontraste der Welt griffen mir ans
Herz und drängten nach Ausdruck. Ohne Zweifel – keine Richtung oder Schule hat
mich zum Dichter gemacht, sondern die Natur und das Leben.
[28]
Daß es Karl Henckell nicht
nur um die Schilderung menschlicher Niederungen ging, sondern um die
Perspektive einer Revolution, wurde von den Zeitgenossen wohlbemerkt, sobald er
seine eigenen Gefühle offenlegte. So geschah es etwa in der Verkleidung eines
scheinbar historischen Gedichts zur Verherrlichung Ulrich von Huttens, der in
der Renaissance mit der Feder für die deutsche Freiheit eingetreten war:
Die Formulierungen drängen
den Eindruck auf, daß Henckell in mancherlei Hinsicht den historischen Hutten
auf seine eigenen, Henckells, Gefühle und seine von ihm gewählte Rolle
projizierte. So erfahren wir in dem Hutten-Gedicht mehr über Henckell als über
Hutten.
1886 zog Karl Henckell
nach Lenzburg, wo sein Bruder die Konservenfabrik aufbaute. In Berlin hatte man
seine Gedichte aufgrund der Sozialistengesetze als „gemeingefährlich“ verboten.
1887 rief er zur Gründung eines Ulrich-Hutten-Bundes für „moderne, im
öffentlichen Leben stehende Menschen mit sozialem Bewußtsein“ auf.
[29]
Die Bezugnahme auf den Renaissancedichter bestätigt uns, daß Henckell sich als
Literat ohne parteipolitische Ambitionen sah. 1892 lernte er auf dem
Friedenskongreß in Bern Anny Haaf-Haller kennen und heiratete sie am 20.4.1897
in Zürich. Sie war Tochter des Kaufmanns Carl Haaf in Bern und Ehefrau Anna Bertha
Haller.
Kein geringerer als der
sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert schrieb ihm zu seinem 60.
Geburtstag eine Grußbotschaft:
Das tiefe Mitleid und das innere Verbundensein mit den Armen und Notleidenden hat sie schon in frühester Jugend auf die Bahn des Kämpfers geführt, aber Sie haben dabei auch stets gewissenhaft und ehrfürchtig der Dichtkunst die Treue bewahrt. Tausenden von Männern und Frauen sind Ihre formschönen und gedankentiefen Schöpfungen eine Quelle der Freude und Anregung gewesen, und in einer Zeit höchster seelischer und äußerer Not haben Sie aus ihnen Trost und Aufrichtung geschöpft. [30] Karl Henckell zog noch
mehrfach um und starb 1929 in Lindau am Bodensee in der Villa Seeheim, einer Art Sanatorium. Wehmütig rückblickend
dichtete er über Bodenfelde, die Heimat seiner Väter, einmal ein Lied voller
Poesie:
Wilhelm Henckell 1857-1936Die in ihrer sozialen Positionierung so verschiedenen Brüder Karl und Gustav Henckell blieben offenbar lebenslang brüderlich verbunden. Hätten sie ihre Lebenswege auch genau entgegengesetzt einschlagen können, der Sozialrevolutionär als Konservenfakrikant, der der Fabrikant als Arbeiterdichter? Oft suchen jüngere Geschwister sich bewußt von älteren abzuheben. Der Dichter Karl hatte mit dem älteren Gustav einen strebsamen späteren Geschäftsmann immer vor der Nase. Er konnte oder mochte vielleicht nicht mit ihm konkurrieren oder ihn kopieren und profilierte sich genau entgegengesetzt. Wie sehr Brüdern völlig verschiedene Wege gehen, sich aber doch brüderlich und an Tüchtigkeit ebenbürtig ähneln, zeigt hier der ausgewanderte dritte Bruder. Ihn haben wir bisher vernachlässigt, zu faszinierend war allein das Gegensatzpaar Fabrikant und Revolutionär. Dabei zeigt aber gerade der Weg des ältesten Bruders Wilhelm, wie sich auch das Leben der jüngeren anders hätte gestalten können: Wilhelm nämlich wanderte schon mit 20 Jahren nach Amerika aus, wo er 1936 als erfolgreicher Tierarzt kinderlos starb. Wir verdanken der findigen Gabi Einsele aus Zürich die Recherche und Übersetzung des in der Zeitung The Sheboygen Press am 28.12.1936 erschienenen Nachrufes auf Wilhelm Henckell: Trauerfeier für Dr. William C. Henckell
Die
Trauerfeierlichkeiten für Dr. William C. Henckell, Veterinärmediziner, fanden
heute Nachmittag um 14h in der „Hanckett“-Leichenhalle statt. Dr. Henckell starb
in seinem 80. Altersjahr. Während fast 50 Jahren führte er eine Tierarztpraxis
in Sheboygan. Er verschied am Samstagmorgen nach mehrmonatiger Krankheit im St.
Nicolas Krankenhaus.
Dem von
Reverend E. R. Krüger, Pastor an der Evangelischen St. Johnskirche, gestalteten
Trauergottesdienst wohnten zahlreiche Freunde des Verstorbenen bei.
Die Feier wurde
mit Orgelmusik, dem „Largo“ eingeleitet, und zum Ausklang ertönten wiederum
sanfte Orgelklänge: das „Going Home“ der “New World Symphony“.
Als Sargträger
wirkten: Al Braun, Anton Trimberger, Dr. A. Stolzmann, Albert Manske, John
Grandlic, jr., und F.E. Pomerich.
Dr. Henckell
war angesehen und beliebt, nicht nur in der Stadt selbst und im Landkreis,
sondern weit darüber hinaus.
In Hannover,
Deutschland, kam er als Sohn von Arno und Bertha Henckell zur Welt, und
übersiedelte 1877 nach Amerika, wo er sich zunächst in einer Farm in West Bank
niederließ. Später zog er nach Cedarburg um. Dort war er während fünf Jahren
als Tierarzt tätig, und dort vermählt er sich auch am 25.12.1885 mit Louise
Barkhausen. Vor einem Jahr feierte das Paar am Weihnachtstag die Goldene
Hochzeit. 1888 kamen er und seine Frau nach Sheboygan, und seither war Dr.
Henckell hier bis kurz vor seinem Tod als Tierarzt aktiv tätig. Vor zwei Jahren
erkrankte er zum ersten Mal in seinem Leben: Er bekam zweimal hintereinander
eine Lungenentzündung und erlitt zwei Schlaganfälle, bevor er schließlich die
Augen für immer schloß.
Bereits im
August letzten Jahres mußte er sich für einige Zeit in Spitalpflege begeben,
doch konnte er nach kurzer Zeit bereits wieder aus dem Krankenhaus entlassen
werden. Nach seiner Genesung führte er seine Tierarztpraxis von zu Hause aus
bis zu seinem Tode fort.
Seine Liebe gehörte kranken Tieren
Dr. Henckells
Berufung war es, kranken Tieren zu helfen und sie zu heilen. Noch einen Tag vor
seinem Todestag suchten Kinder mit ihrem kranken Hund seine Praxis in der
Hoffnung auf, der Tierarzt würde ihrem Haustier helfen können – sie konnten
nicht wissen, daß Dr. Henckell zu jenem Zeitpunkt bereits nicht mehr am Leben
war.
Bereits vor
vielen Jahren war er für die Gesundheit der reinrassigen Rennpferde der Stadt
zuständig. Zudem untersuchte er während vielen Jahren die von der Feuerwehr
dieser Stadt gekauften Pferde und war seinerzeit auch als Experte für die
Rennpferde verantwortlich.
1927 reisten er
und Mrs. Henckell, die am 12. Juli 1879
[31]
in Thiensville geboren wurde, nach Europa. Sie besuchten dort Dr. Henckells
Bruder Gustav und seine Schwester Bertha in der Schweiz, wo Dr. Henckells Bruder
erfolgreich eine große Fabrik zur Konservierung von Fleisch und Früchten
betrieb.
Viele Blumengrüße
Früher betrieb
Dr. Henckell sein Geschäft im „Bessinger Livery Building“ an der 9. Straße
Nord, doch in den letzten Lebensjahren
übte er seine Berufstätigkeit von zu Hause aus, an der 920 Erle avenue.
Er hinterläßt
eine Frau sowie einen Bruder und eine Schwester.
Unter den
vielen prachtvollen Sträußen, mit denen seine vielen Freunde seiner gedachten, stammen
nicht wenige aus dem Hause Brown Brothers Livery sowie von der
Blumenhandlung Giese-Eichberg.“
[1] Roger Stein, Das deutsche Dirnenlied: literarisches Kabarett von Bruant bis Brecht, Köln 2006, S.171.
[2]
Zum Beispiel
Isaak
Dannenberg (3.4.1753-21.4.1834), 1814: Isaak Bär, jetzt
Dannenberg, mit Frau und 1 Sohn, handelt mit alten Kleidern und dergleichen,
alt und arm, siehe Detlev Herbst , Jüdisches Leben im Solling,
Der Synagogenverband Bodenfelde-Uslar-Lippoldsberg und die Synagogengemeinschaft
Lauenförde, Uslar 1997, S.38 nach einer hann. Bestandsaufnahme der im Lande
lebenden Juden.
[3]
Zum Beispiel
Johann Christian Arnold *Burg 1782, † Bodenfelde 8.3.1840, ¤ 26.12.1812 Hanne Christiane Philippine
Grunert,
1810
Papiermachergeselle,
1813 Papiermeister, 1840 ernährte er sich durch
Lumpensammeln
und
Topfhandel,
wurde von Moringen krank hierher gebracht und starb in der größten Armut,
hinterläßt einen Sohn, der Aufwärter in
Göttingen
ist und eine Tochter in
Schoningen,
die von ihrem Bruder unterhalten wird.
[4]
Johann
Christian Henckel *Bovenden 1.10.1768, Sohn
von Heinrich Henckel Bürger und Tabakhändler in Bovenden und Marie Dorothea geb. Aue. Johann Christian Henckell hat
vermutlich seine Geschäfte zeitweise woanders geführt, jedenfalls läßt er
seinen Sohn Arnold nicht 1824 mit den anderen Kindern aus Bodenfelde hier
konfirmieren, und nach einer am 20.2.1815 geborenen Tochter Ernestine
Wilhelmine auch keine Kinder mehr taufen. Er stirbt in Bodenfelde am 3.12.1854
an Altersschwäche.
[5]
Anna Maria Susanne geb. Barckhausen
*Gottsbüren 31.8.1775, † Bodenfelde 7.12.1858
[6] Ihr Vater war Emanuel Ludwig Barckhausen *Rumbeck Sohn von Johann Friedrich B. und Anna Dorothea Glan, getauft Fuhlen 13.5.1741, † Hüttengrund bei Oedelsheim 19.5.1805, ¤Hemeringen 24.5.1765 Anna Elisabeth Wedekind. Barckhausen war 1803 gewesener Conductor (Verwalter) auf der Sababurg, nunmehriger Eigentümer der (später eingegangenen) Glashütte Hüttengrund bei Gieselwerder. Vgl. im einzelnen Klaus Kunze, Ortssippenbuch Oedelsheim, Familie =71=. [7] Geboren in Amelith 27.7.1811 Tochter des Musikanten Johann Heinrich Fleißner und der Friederike Keck, beide aus Glasmacherfamilien stammend. [8] Bertha Elise Auguste Piderit *Rinteln 9.6.1833, † Aarau 12.12.1903, Tochter des Pfarrers und Gymnasiallehrers in Hersfeld, dann Garnisonspredigers und späteren Archivrates Dr. Franz Carl Theodor P. und Friederike Henriette Dorothea Meyer. Sie wohnte 1856 in Kassel. Der Vater war Autor des Werkes Denkwürdigkeiten von Hersfeld, 1829; ders., Gesch. der Hessisch-Schaumburgischen Universität, Rinteln, 1842. [9] Wilhelm Henckell ¤ Ozaukee Co., Wisconsin 2.1.1884 Louisa Barckhausen [Tochter von August B. und Maria Hicker]. Die Ehe blieb kinderlos.
[10]
Emil Braun, Gustav Henckell 1859-1942, in: Lenzburger
Neujahrsblätter 1943. 37 ff. (38).
[11]
West Bend News 31.12.1936, S.2.
[12]
Cedarburg Weekly News 2.1.1884,
S.4.
[13] Bürgeretat Stadt Zürich 1911, Zürich 1911; Bürgerbuch der Stadt Zürich 1926, Zürich 1927; „Aargauer Nachrichten“ von 1896, befindlich in der Kantonsbibliothek Aarau sowie „Aargauer Tagblatt“ von 1928 und 1931., ibid.), Daten ermittelt durch: Gab Einsele, lic.phil. I [14] Dirk Böttcher, Hannoversches biographisches Lexikon, 2002, S.163. [15] Ein 1936 angelegtes Ortsarchiv wurde bis zum Tode des Lehrers Dr. Walter Junge gepflegt. Vor ein paar Jahren hat die Gemeindeverwaltung die Sorge für das Archiv aufgegeben. Über einen Verbleib der entsorgten Bestände vermag heute in Bodenfelde niemand mehr irgendwelche Angaben zu machen. [16] Im Adreßbuch der Haupt- und Residenzstadt Hannover von 1862 noch kein Nachweis. [17] Zitate Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 8-17. [18] Gustav besuchte die Realschule in Hannover von 1865-1875. Er bezeichnete sich rückblickend selbst nicht als besonders guten Schüler, doch wies seine Schulkarriere keine Auffälligkeiten auf, vgl. Emil Braun a.a.O. S.38. [19] Die beiden Abbildungen der Firma aus: Max Steidle, Lenzburger Neujahrsblätter 1930, S.65, und 1943 S.45.. [20] Sara Wechsler, Lernort Ronmühle bei Schötz – Asyl für kulturelles Strandgut, Masterarbeit an der PH Lutern, ebd. 31.10.2007, S.68. [21] Zitiert nach Emil Braun, Gustav Henckell 1859-1942, in: Lenzburger Neujahrsblätter 1943, S.42. [22] Einer Schrift ohne Autor entnommen: Zum Andenken an Gustav Henckell .. und Emilie Henckell, o.J., Firmenarchiv Heros, mir überlassen von Andrè Brunner, bis 2011 Firmenarchivar. [23] Emilie Philippine Schauwecker *Reutlingen 26.8.1863 T.v. Gottlob August S. Lohgerber in Reutlingen und Philippine Zahn, 1.¤ Singen 27.5.1886 Gustav Zeiler [† Lenzburg 12.2.1889], † Lenzburg 5.2.1942. [24] Max Mittler, Der Weg zum ersten Weltkrieg, 2003, S.398, Rolf Kieser, Lob der Erbsensuppe, in: Hartmut Vincon (Hrg.) Pharus IV Frank Wedekinds Maggi-Zeit, 2.Aufl. Darmstadt 1995, [25] Gemeint sind der schwärmerische Grundton des deutschen Idealismus und die dichterisch vollendete, „ideale“ Dichtkunst. [26] Stein, a.a.O. S.172. [27] So 1924 zu seinem 60. Geburtstag bei der „Arbeiterjugend Münchens“, siehe Roger Stein, Das deutsche Dirnenlied: Literarisches Kabarett von Bruant bis Brecht, Köln 2006, S.171. [28] Zitate Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 8-17. [29] Stein, a.a.O. S.174. [30] Zitiert nach Emil Braun, Gustav Henckell 1859-1942, in: Lenzburger Neujahrsblätter 1943, S.44. [31] Richtig wäre: 1859.
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