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Lebensbilder aus dem alten Weserbergland von Klaus Kunze Folge 6 1707: "Hüte dich, Bodenfelde!"
Ein langanhaltendes Echo löste bis in die Kanzleien der Amtmänner und beteiligten Landesfürsten in Braunschweig und Kassel ein Todesfall vom 20.4.1707 aus. Von alters her bekriegten sich die jungen Männer Bodenfeldes mit denen benachbarter Hessendörfer, wobei beide Parteien sich jährlich an der Grenze trafen und Steine gegeneinander warfen. Der Tod eines Beteiligten veranlaßte Pfarrer Mengershausen zu diesem Eintrag ins Sterberegister: Johan Henrich Sibrecht natus 1678 den 24. Oct. [1] der Vater Matthias Sibrecht alter Müller allhier. In der Jugend ist er fleißig zur Schuel gehalten, da er wohl lesen und fertig schreiben können, auch sein Christentum wohl verstanden. 1691 kam er zu seines Vaters Müllerhandwerk und als gehorsamer Sohn 8 Jahre geholfen.. Anno 1699 hat er in fremden Mühlen zu Markoldendorf, Clausthal
und Katlenburg gedient, am letzten Ort aber mit einer Menschen namens Clara
Fartmann ein Hurkind gezeugt, und als dasiger
Pastor Mackensen
[2]
solches gestraft, hat er schändliche Pasqvuillen
[3]
auf ihn an die Pfarrpforte geheftet, worüber er zur gefänglichen Haft gezogen.
Weil er auch sich zu einem Vater des Kindes bekennt, die Strafe erlegt und
versprach, sie zu nähren, ist er losgelassen.
Darauf ist er 1705 in
den Weihnachten wieder hierher kommen und
zu jenem Fest mit seinen Eltern zue Abendmahl gegangen. Freilich habe ich ein
Zeugnis für seinen Lebenswandel von ihm selbst gefordert, und seine Eltern
baten mich inständig und versprachen das beste Zeugnis. Bald aber hat Herr
Mackensen das alles aufgedeckt mit vermittelnden Briefen zugunsten der
entjungferten Fartmann. Dieselbe hat er treulos verlassen und abgewiesen,
später die kirchliche Buße fürchtend und auch das Abendmahl – auch im
Augenblick des Todes.
Was Wunder: Anno 1707 am
Palmsonntag, am 17. April, als er durch Müßiggang und Bechern den Sabbat
entheiligt hatte und schon betrunken gegen 6 Uhr abends sich einem Haufen
anschloß, die sich wankend gegenseitig mit Steinen bewarfen, und, damit das
lebhafter geschehe, das Obergewand ablegte und sich anschickte, jedem, der ihm
in die Quere kam, zu schaden, nach dem einen und dem anderen – wird er mit
einem ziemlichen Stein hinter dem rechten Ohr getroffen, daher er zur Erden
stürzet und das Blut aus dem linken Ohr und dem Mund stromweise herausläuft.
Die Lippoldsbergische siegende Partei wirft noch mit Steinen auf ihn da er
schon auf der Erde gelegen, bis Christoph
Pothast und andere hinzulaufen und abwehren, da er
dann in voller Ohnmacht gelegen zwischen dem Gerichte und Bodenfelde auf der
Höhe: Pothast, Wichers und andere schleppen ihn in
seiner Schwester, des Vorsteher Schachts, Hause, da er drinne sprach-, sinne-
und verstandlos gelegen.
Montags den 18. April
ist er etwas zu sich selbst kommen, da er unter anderem gefragt, ob er das
heilige Abendmahl verlange! Er antwortete: „Morgen.“ Die Nacht darauf ist er
mit dem Jammer und Schlagfluß elendig befallen, wobei er verstandlos blieb bis
Mittwoch, den 20. April nach Mittag um 4 Uhr, da er in solchem miserablen
Zustand verschieden, alt an Jahren 28 ½.
Gott hat ein
grauenvolles Beispiel seiner Gerechtigkeit gegeben. Gedenke daran Bodenfelde!
Du hast ein augenscheinliches Exempel der Rache Gottes über die
Sabbatschänderei: Der Mann, so am Sabbat Holz gelesen Nimrum 15, 36 wurde zu
Tode gesteiniget. Bei deinem Mit-Einwohner hast du ein Gleiches gesehen. (2)
Über die Völlerei. Ein ungehorsamer Sohn, der ein Trunkenbold, mußte nach den
Gesetzen zu Tode gesteinigt werden Deut[eronomion]. 21, 21. Sibrecht hat’s
leider empfunden vor deinen Augen. (3) Über Treulosigkeit. Achan wurde
gesteinigt, der einen fremden Mantel gestohlen. Sibrecht hat die Ehre geraubt
einer unschuldigen Waisen. (4) Über Verachtung des Worts und heiligen
Abendmahls: Die Ohren, die nicht hören wollen, wenn treue Prediger ihr Amt
getan, sind schrecklich getroffen. (5) Über aufgeschobene Buße: Nicht morgen,
sondern heute lebst du, heute bekehre dich, heute so ihr des Herrn Stimme hört,
so verstockt euer Herz nicht. Ehe morgen kommt, kann’s ändern sich.
Tödliche Steine, o weh, rafften Sibrecht
hinweg.
Hüte dich, Bodenfelde, vor dem Rächer, dem Herrn! Etwa ein Drittel des vorstehenden Textes steht im Original auf lateinisch und wurde hier übersetzt. Eindrucksvoll reimte Pfarrer Mengershausen die letzten beiden Sätze, die im Original so lauten: Mórtiferí Capidés eheú rapiére Sibréchtum
Víndice síc Dominó – Tú Bodefélde cavé. Der Vers ist an den [hier mit Akzent und Fettdruck
versehenen] Stellen zu betonen und bildet ein sogenanntes Distichon: Die erste
Zeile ist ein Hexameter, die zweite ein Pentameter.
Die angeführten Bibelstellen zeigen eine zeitbedingte
Theologie, die primär auf das alte Testament zurückgriff, den Rachegedanken in
den Vordergrund rückte und Schicksalschläge als Strafgericht Gottes
interpretierte und den Gläubigen als mahnende Warnung vorhielt. Entsprechend
wird die Predigt am Grabe ausgefallen sein. Schon Wochen vor dem Tode
Siebrechts hatte Pfarrer Mengershausen einen Briefwechsel mit dem
Lippoldsberger Pfarrer Schreider geführt und am 7.3.1707 über eine
unchristliche, „unsere Sabbatfeier und Anbetung störende, großen Anstoß gebende
Gewohnheit“ geschrieben. Auf allen Sonntagen in den heiligen Fasten, besonders
von Dominica Judica bis Ostern kämen nicht allein Knaben und Knechte, sondern
selbst ehrbare und alte Hausväter zur Grenze und steinigten einander. Schreider
[4]
hatte von einer „von langen Zeiten entstandenen ärgerlichen Gewohnheit“
geschrieben, die „vielleicht noch „aus dem Heiden- und Pabsttum eingerissen“
sei. Auf die Eingaben der Pfarrer griffen die fürstlichen Räte in Kassel und
Hannover durch, rügten die bisherige Untätigkeit der beteiligten Amtmänner zu
Nienover und der Sababurg und wiesen diese an, harte Strafen für jeden weiteren
Fall solcher Steinigungskämpfe zu verhängen.
[5]
[1] Geboren 24.10.1678 Sohn von Matthias Siebrecht [*Meinbrexen 10.6.1646 Sohn von Jürgen Siebrecht und Eva Maria Keyser], 1674 Müller in Vernawahlshausen, 1675 Meister, † Bodenfelde 24.4.1714, ¤ 1670 Anna Catrina Hilckemann *1648, genannt Bodenfelde 1689, †21.9.1714 Brustseuche 66J., 4 Söhne, 6 Töchter, von denen 1714 noch 2 Söhne und 5 Töchter leben, vgl. Kunze, Ortssippenbuch Vernawahlshausen, Familie =1723=.
[2]
Barthold Mackensen, 1687-1721 Pfarrer in Katlenburg, † ebenda 26.8.1721
[3]
Schmähschriften
[4] Gottfried Schreider, 1708-1738 Pfarrer in Lippoldsberg, Lebensdaten siehe im einzelnen Kunze, Ortssippenbuch Lippoldsberg, Familie =2429=. [5] Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen, Jahrgang 1873, S.184-193.
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