Die Propagandatrommeln dröhnen

Die Propagandatrommeln dröhnen uns täglich in den Ohren.

Anderthalb Wochen nach den rassistischen Morden in Hanau hat die Bundesregierung erklärt, dass sie das Thema Rassismus und Rechtsextremismus dauerhaft ins Kabinett holen will. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte am Montag nach dem Integrationsgipfel im Kanzleramt die Einrichtung eines Kabinettsausschusses an, der Maßnahmen beschließen soll.

Der Tagesspiegel 2.3.2020

Worauf soll ihr Dröhnen uns vorbereiten? Droht uns wieder eine Schwemme von Orientalen? Will die Merkel-Regierung größere „Kontingente“ der nahe dem Bosporus Wartenden nach Deutschland holen? Angeblich seien es Flüchtlinge. Muß jemand aus der Türkei flüchten?

Welchen operativen Sinn hat es aus Sicht Merkels, den gewaltsamen Ansturm auf die Grenze des Abendlandes mit der Ausrufung einer Rassismusgefahr in Deutschland zu begegnen? Sollen wir eingeschüchtert und vorsorglich ruhig gestellt werden?

Medial wird das Äußerste aufgeboten, uns Deutschen jeden Verdacht auszutreiben, die Völkerschaften vor den Toren Europas seien womöglich andere Leute als wir. Daß wir unser eigenes Volk als etwas Beschützenswertes, etwas Wertvolles, ja etwas Bedrohtes empfinden, soll, so der Kampfbegriff der Regierung, „Rassismus“ sein.

Die sich da alle in Deutschland ansiedeln wollen, seien Menschen wie wir und nicht andere Menschen, wird witzigerweise genetisch begründet. Genetisch gebe es nämlich keine Rassen. Ein ganz Linientreuer verlangte gestern bereits, das Verbot rassischer Diskriminierung aus dem Grundgesetz zu streichen, weil es keine Rassen gebe.

” Die Abstreitung der Existenz von Rassen beim Menschen geht auf den amerikanischen Populationsgenetiker Richard Lewontin zurück (Lewontin, 1972). Lewontin erwartete von vornherein, dass der Begriff Rasse nur dann einen Sinn machen würde, wenn die Individuen innerhalb einer Rasse genetisch weniger voneinander verschieden wären (einheitlicher sind) als die Angehörigen verschiedener Rassen. Dies gilt jedoch nur für Haustierrassen (Parker, 2012), und es war der große Fehler der nationalsozialistischen Humangenetiker, eben diese Rasse-Definition der Tierzüchtung (ohne Kenntnis der Zoologie) auf den Menschen zu übertragen. ” (Werner Kunz)

Ein Biologe auf der Fährte der „Rassen“

In diese ideologisch aufgeheizten Atmosphäre platzt ausgerechnet ein Aufsatz des Biologen Werner Kunz. Kunz habilitierte sich 1972 und wurde 1973 Professor für Genetik an der Universität Düsseldorf.

 Er weist darauf hin, daß heute zwei Disziplinen (Humangenetik und Zoologie) innerhalb ein und desselben Stammes (Wirbeltiere) mit zwei verschiedenen Definitionen des Begriffs der Rasse arbeiten. Darum rede man immer aneinander vorbei.

Niemand bezweifelt, daß sich die Rassen beim Menschen genetisch nur sehr gering unterscheiden. Rassen unterscheiden sich nicht in vielen genetischen Merkmalen, sondern nur in wenigen (eben rassespezifischen) Merkmalen.

Werner Kunz, Rasse und Rassismus, Novo 20.2.2020

Diese gebe es durchaus.

Das Problem liegt nicht in der statistischen Berechnung von Lewontin, sondern in der Auffassung, der Begriff Rasse sei durch die genetische Varianz der Allele definiert. Eine solche Rassedefinition ist jedoch nicht der Rassebegriff, der seit mehr als hundert Jahren in der Zoologie gebräuchlich ist, wonach sich Rassen nicht durch generelle genetische Verschiedenheit voneinander unterscheiden, sondern allein durch rassespezifische Einzelmerkmale, die von geografischer Region zu geografischer Region verschieden sind (Stresemann, 1936; Wilson / Brown, 1953). Mit dieser Definition arbeitet die Zoologie auch heute noch (Mallet, 2001).

Werner Kunz, ebenda

Daß die Mitglieder eine „Rasse“ sich anhand aller genetischer Merkmale insgesamt untereinander stärker unterscheiden als von anderen „Rassen“, spreche nicht dagegen. Man dürfe nämlich nicht alle möglichen Unterschiede gleich zählen, sondern müsse eben nach signifikanten Unterschieden hinsichtlich solcher Merkmale suchen, die vererbt werden und die spezifischen Unterschiede zu anderen Rassen ausmachen. Natürlich gebe die empirisch feststellbare Verschiedenheit der Rassen keinerlei Anlaß zu einer unterschiedlichen Wertigkeit:

Die rassistische Ideologie beruht auf der Idee, man könne zwischen höheren und niederen Rassen unterscheiden und daraus die Legitimation für Unterdrückung, Ausbeutung und Vernichtung ableiten. Aber anstatt diese fatale falsche Auffassung zu korrigieren, um eine Wiederholung des Unheils zu verhindern, wird heute als Gegenreaktion gepredigt, es gäbe beim Menschen keine Rassen. Das liegt auf derselben Ebene, als würde man, um die soziale Diskriminierung des weiblichen Geschlechts zu verhindern, die These in die Welt setzen, es gäbe keine verschiedenen Geschlechter (Sesardić / De Clercq, 2014). In der Tat unterscheiden sich Mann und Frau in der Gesamtheit ihrer genetischen Anlagen nur sehr gering voneinander, und die genetischen Unterschiede zwischen den Individuen innerhalb eines Geschlechts können größer sein als die genetischen Unterschiede zwischen den Angehörigen verschiedener Geschlechter. Genau wie bei den Rassen. Aber daraus zieht niemand den Schluß, es gäbe keine verschiedenen Geschlechter.

Werner Kunz, ebenda

Sind Rassisten Verrückte?

Die Biologen sind sich uneins, ob die phänotypisch offensichtlichen Unterschiede zwischen Menschengruppen nun das Etikett „Rasse“ verdienen. Einig sind sich aber alle, daß die Feststellung rassischer Verschiedenheiten kein Anlaß zur Vernichtung „niederer Rassen“ sein darf.

Im redlichen Kampf gegen die Wertung von Rassen als “höher” oder “niedriger entwickelt” stehen Philosophen mit in vorderster Front. Nicht jeder ist so bescheiden wie ich und überläßt den Streit, ob es Rassen gibt, den Biologen. Der 1981 geborene Matthias Warkus wagt sich weit vor: „Vernünftige Rassisten“ gebe es nicht.

Neben der „schweren paranoiden Symptomatik“ des Attentäters von Hanau tauchten in dem Text Tobias Rathjens aber

Überlegungen auf, die auf den ersten Blick weit weniger wahnhaft wirken. So läßt sich der Täter zum Beispiel auch über die angeblichen historischen Verdienste und die unterschiedliche Leistungsfähigkeit verschiedener »Völker« aus sowie über einen Zusammenhang zu »Ausländerkriminalität« – gängige rhetorische Muster unter rechten Politikern und Publizisten. Isoliert man die entsprechenden Passagen aus dem Manifest, dann weist nichts an ihnen darauf hin, daß sie aus der Feder eines psychisch kranken Menschen stammen. Aber heißt das nun, daß sie rational sind? Sicherlich nicht.

Matthias Warkus, Vernünftige Rassisten gibt es nicht, Spektrum 29.2.2020

Hier nimmt der Kolumnist der Zeitschrift Spektrum argumentativ Anlauf, mit dem geisteskranken Kind Rathjen das gesamte Bad auszuschütten. Die verbalen Versatzstücke aus den wahnhaften Texten des Mörders und aus seiner Selbstrechtfertigung werden für bare Münze genommen und als „Rassismus“ deklariert. Im nächsten Schritt und Umkehrschluß wird jeder „Rassist“ des Irrationalismus verdächtigt:

Wenn wir versuchen, scharf abzugrenzen, was einen »vernünftig denkenden Rassisten« von jemandem wie dem Täter von Hanau unterscheiden soll, geraten wir zwangsläufig ins Schleudern. Der Schluß liegt nahe, daß es keinen scharfen Unterschied gibt. Daß hier jemand getötet hat, der womöglich auch schwer psychisch krank war, ändert nichts daran, daß die Ideologie, in die er eingebettet war, selbst eine ist, die nur deshalb funktioniert, weil der Vernunftgebrauch in ihr eingeschränkt ist.

Matthias Warkus, Vernünftige Rassisten gibt es nicht, Spektrum 29.2.2020

Nun ist psychiatrisch ganz gleichgültig, in welche „Ideologie ein Geisteskranker eingebettet“ ist. Ein Schizophrener macht sinnesphysiologisch zunächst dieselben Wahrnehmungen wie ein Gesunder. Er interpretiert sie lediglich wahnhaft, zum Beispiel als Bedrohung. Ursache dieser Fehlinterpretation ist seine Erkrankung, ist aber keine „Ideologie, in die er eingebettet“ ist. Wenn etwa Tobias Rathjen wähnte, Geheimdienste würden uns telepathisch manipulieren, hängt ein solcher Wahn in keiner Weise mit der realen Existenz und Rolle von Geheimdiensten zusammen.

Für paranoide Bedrohungsängste ist irrelevant, in welcher Gedankenwelt der Erkrankte sonst lebte. Wenn in gläubiger Katholik paranoide Ängste entwickelt, wird er vielleicht wähnen, der Teufel sei in seine Nachbarn gefahren. Dieser Wahn ist aber kein Argument gegen das Christentum. Ein paranoider Antifaschist wird vielleicht wähnen, seine behandelnden Ärzte seien Nazis. Dieser Wahn wäre allerdings kein Argument gegen den Antifaschismus. Und wenn ein paranoider Philosoph wähnen würde, die Nichtphilosophen bildeten einen Geheimbund zur Ermordung aller Philosophen, spräche trotzdem nichts gegen das philosophische Umfeld, „in das er eingebettet“ ist.

Wenn klinischer Wahnsinn sich als Religion oder Ideologie verkleidet, hat das nichts zu bedeuten. Ein Paranoider in rechtsextremistischem Kostüm ist ein Kranker, kein Rechtsextremist. Seine Wahnideen sind nicht “rechtsextremistisch motiviert”, weil Rechtsextremismus keine Krankheitsursache und für die Wahnideen eben nicht kausal ist.

Das angemaßte Monopol auf Rationalität im sozialen Machtkampf

Jemand Gesundem die Rationalität seines Handelns abzusprechen, heißt oft, daß man der Aufgabe nicht gewachsen ist, ihn zu verstehen.

Auch dann, wenn Ego den Anderen für „verrückt“ hält und somit ein praktisch wenig hilfreiches Urteil über seine Motivation fällt, muß es die Logik dieser Verrücktheit im Handeln des Anderen aufspüren, um mit diesem Handeln in der Realität der sozialen Beziehung fertig zu werden.

Panajotis Kondylis, Das Politische und der Mensch, Grundzüge der Sozialontologie, Bd.1, 1999, S.551.

Wer das nicht begriffen hat, ist möglicherweise ein schlechter Philosoph. Vielleicht ist er aber auch nur ein geschickter Propagandist seiner höchstpersönlichen Ideologie. Er zielt dann darauf ab, dem Andersdenkenden die Rationalität des Handelns schlechthin abzusprechen.

Nun hängt die Rationalität menschlichen Handelns immer auch davon ab, ob die Realität richtig erkannt wird. Ein Schizophrener mit rassistischen Wahnvorstellungen verkennt die Realität und kann nicht rational handeln. Ein nicht geisteskranker Rassist kann aber durchaus folgerichtig und zielstrebig handeln, wie uns die Geschichte lehrt.

Darum ist die Frage immer heiß umkämpft, ob eine menschliche Vorstellung einen Realitätskern enthält. Philosophen wie Warkus behaupten zu wissen, es gebe keine Rassen. Für ihn läuft darum „Rassismus“ auf einen Wahn und damit auf dasselbe hinaus wie eine Geisteskrankheit. Warkus reklamiert überlegenes Wissen über die Realität für sich, nämlich die Nichtexistenz von Rassen, und stellt Menschen, die das anders sehen, als Irrationale neben geistig Umnachtete. Aus dieser scheinbar sicheren Position leitet er seine normative Deutungshoheit ab. Die Deutungshoheit und damit soziale Machtstellung über die Gefahr des Rassismus hat der Philosoph, indem er darüber entscheidet, wer rational ist und wer nicht.

Ein anderer Philosoph erklärt uns, was Warkus vielleicht nicht an sich selbst bemerkt:

Jeder will die allgemein anerkannten anthropologischen oder sozialontologischen Konstanten auf seiner Seite haben, unter der Bedingung allerdings, daß er sich die Zuständigkeit ihrer ins normative gewendeten Interpretation vorbehält.

Panajotis Kondylis, Das Politische und der Mensch, Grundzüge der Sozialontologie, Bd.1, 1999, S.562.

Die anthropologische Konstante ist bei Warkus die Existenz oder Nichtexistenz von Rassen. Von dieser Vorfrage hängt seine Antwort ab: Rassismus oder das, was man gerade dazu erklärt, ist schlecht, irrational und soll unterdrückt werden.

So erweisen sich die scheinbar harmlosen philosophischen Zweifel an der Rationalität gegnerischen Handels als das, was sie im sozialen Leben tatsächlich sind, nämlich als geistige Waffen im sozialen Machtkampf:

Rationalität bildet somit den begehrten Verbündeten und eine effektive Waffe jedes Individuums oder Kollektivs gegenüber anderen; der Sprachgebrauch weiß es, indem er mit dem Adverb bzw. Adjektiv „vernünftig“ sehr unterschiedliche erwünschte oder tatsächliche Gestaltungen der sozialen Beziehungen festlegt.

Panajotis Kondylis, Das Politische und der Mensch, Grundzüge der Sozialontologie, Bd.1, 1999, S.562.

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