Wie unsere Ängste geschürt werden und wem sie nützen
Die Menschen früherer Epochen lebten in der Furcht des Herrn. Aber mehr noch fürchteten sie dessen Widersacher, den Teufel. In albtraumhaften Visionen malten Priester die Schrecknisse des Fegefeuers und der Hölle aus. Nie versäumten sie den Hinweis, wer ein ihnen gefälliges Leben führe, habe nichts zu fürchten.
Heute wissen viele nicht, daß scharfsinnige Köpfe die Methoden kirchlicher Herrschaftstechnik durchschauten. Samuel von Pufendorf schrieb 1667 in seinem Werk De statu imperii Germanici:
Die Zahl der Sakramente wurde mit Bedacht vermehrt, damit die Menschen häufiger der Priester bedürfen. […] Ich glaube, auch das Fegefeuer ist nur zu dem Zwecke angezündet, um diejenigen mit einer Abgabe belegen zu können, die der Tod sonst von allen menschlichen Dingen befreit. […] Ohne Zweifel wird man die Religion für die beste halten, die ihre Diener am meisten mit Reichtum und Ehren überhäuft hat und die mit den wirksamsten Mitteln ausgestattet ist, ihre Schafe zu scheren und doch in Gehorsam zu halten.1.
Samuel von Pufendorf, De statu Imperii Germanici, 1667, Die Verfassung des Deutschen Reiches, Hrg.Horst Denzer, Frankfurt/M.1994, S.259, 26 1
Daß die Herde sich ängstlich um den Schäfer schart, wenn dieser ihr Geschichten vom bösen Wolf erzählt, ist eine psychologische Konstante. Rainer Mausfelt (*1949) ist Emeritus und lehrte in Kiel. Er hat sich intensiv mit den psychologischen Methoden der Herrschaftstechnik befaßt und schreibt:
‚Hirte‘ klingt ja zunächst sorgend und gütig. Warum aber wird das Volk überhaupt gedanklich zu Lämmern gemacht, die dann eines Hirten bedürfen? Wie kommt der Hirte eigentlich zu seiner Hirtenrolle? Und warum benötigt er Hütehunde, die die Herde auf Kurs halten? Man sieht also, daß diese Metapher schon von Anfang an zutiefst ideologisch durchtränkt ist.
Rainer Mausfeld, Die Angst der Machteliten vor dem Volk, Demokratie-Management durch Soft Power-Techniken, Vortrag IPPNW-Hamburg (Organisation Jette Limberg-Diers) Steiner-Haus Hamburg, 2. November 2016
Seit der unkontrollierten Masseneinwanderung 2015 brodelt es in Deutschland. Viele Menschen hatten Angst vor einem Verlust unserer Identität als Volk und vor kriminellen Übergriffen. Die in Wahlen feststellbare Zustimmung zu den verantwortlichen Parteien sank teils ins Bodenlose. Die AfD stieg auf.
Kraft des ewigen Zusammenhangs von Schutz und Gehorsam verweigerten viele Bürger Parteien und ihrem Staat den Gehorsam, weil sie sich nicht länger als sicher und geschützt empfanden. Die Herde drohte auseinanderzulaufen. Da riefen die Schäfer laut: „Wölfe!“, um all die verirrten dummen Schäflein wieder um sich zu versammeln.
Seitdem jagt eine medieninduzierte Angstwelle die nächste. Vor zwei Wochen fragte ich mich hier: „Klima, Nazis, Corona – wovor fürchten wir uns als nächstes? Wie eine neurotische Gesellschaft von einer Panikattacke in die nächste fällt.“
Als wichtiger Aspekt drängt sich die nächste Frage auf: Wer jagt uns von einer Angstwelle in die nächste, und warum? Derartige Massenhysterien gedeihen nicht von allein. Sie wachsen zwar auf dem Nährboden einer in Teilen hysterischen gesellschaftlichen Stimmung. Aber sie bedürfen der Verstärkung und des ständigen Zustromes, ja der dauerhaften Wiederholung ein und derselben Phrasen in den Massenmedien, um voll wirksam zu werden.
Der Psychologe Rainer Mausfeld sieht uns gelenkt von einer Machtelite aus Politik und Wirtschaft.
Die Ideengeschichte der politischen Philosophie zeigt, daß die Hirtenmetapher vor allem der Rechtfertigung des Status der Machteliten dient. Mit dieser Metapher wird das Volk gedanklich zur Herde gemacht. Sie schafft die ideologische Konstruktion eines ‚unmündigen Volkes‘ und verschleiert zugleich den Eigennutz derjenigen, die sich als Führer anbieten; sie erst schafft die Grundlage einer kategorialen Unterscheidung von ‚Volk‘ und ‚Führungselite‘, die das Fundament der herrschenden Vorstellungen von Demokratie bildet. Genau dieser ideologische Gegensatz von ‚Volk‘ und ‚Elite‘ ist das Fundament unserer gegenwärtigen Vorstellungen von ‚Demokratie‘.
Rainer Mausfeld, Die Angst der Machteliten vor dem Volk, Demokratie-Management durch Soft Power-Techniken, Vortrag IPPNW-Hamburg (Organisation Jette Limberg-Diers) Steiner-Haus Hamburg, 2. November 2016
Der westliche Neoliberalismus ist nach seiner Ansicht gar keine Demokratie, sondern eine Herrschaft weniger Mächtiger und Vermögender. Um aber eine
Illusion von Demokratie zu schaffen, benötigt man vor allem – und genau hier kommt die Herden-Metapher wieder ins Spiel – eine Rechtfertigungsideologie, die begründet, warum das Volk unmündig sei und einer Führung bedürfe. Ferner muß die für das Volk so attraktive Idee von Demokratie so entleert werden, daß sie nur noch auf einen Wahlakt beschränkt ist. Und schließlich benötigt man ein kontinuierliches Demokratiemanagement, damit das Volk bei dem Wahlakt auch so will, wie es wollen soll.
Rainer Mausfeld, Die Angst der Machteliten vor dem Volk, Demokratie-Management durch Soft Power-Techniken, Vortrag IPPNW-Hamburg (Organisation Jette Limberg-Diers) Steiner-Haus Hamburg, 2. November 2016
Diese Rechtfertigungsideologie nimmt für sich das Wissen in Anspruch, was gut für das Volk sei. Vor allem aber weiß man, was schlecht für die eigene Macht und darum angeblich auch für das Volk sei: wenn dieses nämlich so regiert werde, wie es das selbst gern hätte. Gegen diese blasphemische Forderung richtet sich der „Denunziationsbegriff“ des Populismus. Populist ist, wer politisch durchsetzen will, was eine Mehrheit im Volk will, entgegen den Absichten der führenden Eliten in Parteien und Wirtschaft.
In einem Vortrag vom 22.6.2015 zitiert Mausfeld Edward Bernays (1891-1995), einen Neffen Sigmund Freuds. 1949 wurde er von der American Psychological Association für seine Beiträge zur Entwicklung von Techniken der Meinungsmanipulation geehrt:
Die bewußte und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft. Wer die ungesehenen Gesellschaftsmechanismen manipuliert, bildet eine unsichtbare Regierung, welche die wahre Herrschermacht unseres Landes ist. Wir werden regiert, unser Verstand geformt, unsere Geschmäcker gebildet, unsere Ideen größtenteils von Männern suggeriert, von denen wir nie gehört haben. Dies ist ein logisches Ergebnis der Art wie unsere demokratische Gesellschaft organisiert ist. Große Menschenzahlen müssen auf diese Weise kooperieren, wenn sie in einer ausgeglichen funktionierenden Gesellschaft zusammenleben sollen. In beinahe jeder Handlung unseres Lebens, ob in der Sphäre der Politik oder bei Geschäften, in unserem sozialen Verhalten und unserem ethischen Denken werden wir durch eine relativ geringe Zahl an Personen dominiert, welche die mentalen Prozesse und Verhaltensmuster der Massen verstehen. Sie sind es, die die Fäden ziehen, welche das öffentliche Denken kontrollieren.
Die psychologischen Methoden direkter wie auch unterschwelliger Lenkung der Massen sind vielfältig. Das Schüren von Ängsten gehört am prominenter Stelle dazu. Die Kirche stützte sich lange besonders auf die Angst der Menschen vor einem „Teufel“. Hitler gewann Zustimmung durch die Angst der Menschen vor dem Bolschewismus und die von Hitler erzeugte Angst vor einem „gefährlichen Weltjudentum“. Die SED benötigte immer „den Klassenfeind“, um die Menschen sozial und politisch zu disziplinieren.
Auch bei Angstwellen vor einer Klimakatastrophe, vor „Haß und rechtsextremistischer Gewalt“ oder dem Corona-Virus“ dürfen wir immer spontan fragen: Wem nützt diese konkrete Angst? Wer soll durch sie ein von wem gewünschtes Verhalten zeigen oder welches Verhalten bleiben lassen? Wessen Macht stabilisiert sich darin, wenn Menschen massenhaft die Gebote aus dem Klima-Katechismus befolgen, aus Rechtsextremismusfurcht nicht mehr „wir Deutsche“ zu artikulieren wagen oder nur noch bei Amazon bestellen, weil unsere Ladeninfrastruktur zerstört ist?
Wem nützt es, wenn wir uns plötzlich bis über beide Ohren verschulden, womöglich noch für die Schulden von Nachbarn wie Italien haften sollen? Von wem werden wir abhängig?
Besonders wirksam sind Arten der Manipulation, die direkt auf den Kern unserer mentalen Kapazitäten zielen und dazu beitragen, Chaos in den Köpfen anzurichten, aus dem sich dann politischer Nutzen ziehen läßt. Diese Formen der Manipulation will ich, in Ermangelung eines geeigneteren Wortes, Mentalvergiftung nennen. Eine Mentalvergiftung kann auf eher oder auf eher kognitive Bereiche unseres Geistes zielen.
Am einfachsten läßt sich dies auf affektivem Wege bewerkstelligen. Durch die Erzeugung von geeigneten intensiven Affekten läßt sich das Denken lähmen und die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Zentren der Macht ablenken und auf jeweils gewünschte Ablenkziele und Ablenkthemen richten.
Besonders erfolgversprechend ist dabei die systematische Erzeugung von Angst und Haß, die seit jeher zu den wirksamsten Instrumenten der Kontrolle der öffentlichen Meinung gehören. Lasswell stellte in seinem Standardwerk schon 1927 klar: „Es darf keine Zweifel darüber geben, auf wen sich der Haß der Öffentlichkeit zu richten hat.“ Durch die Erzeugung von Haß läßt sich auch Ängsten ein geeignetes Zielobjekt geben, auf das sich dann Affekte des Volkes richten können.
Rainer Mausfeld, Die Angst der Machteliten vor dem Volk, Demokratie-Management durch Soft Power-Techniken, Vortrag IPPNW-Hamburg (Organisation Jette Limberg-Diers) Steiner-Haus Hamburg, 2. November 2016
Neben der geschürten Angst ist die Kontrolle unserer Sprache zentral für unsere Beherrschung. Sobald wir nur noch in der Begriffswelt unserer heimlichen Herrscher sprechen, können wir unsere eigenen Gedanken auch nicht mehr denken. Darum soll uns unsere eigene Sprache genommen werden.
Eine weitere Klasse kognitiver Mentalvergiftung stellen Denunziationsbegriffe und Diffamierungsbegriffe dar. Unter solchen Begriffen erfreuen sich gegenwärtig Begriffe wie ‚Querfront‘, ‚Verschwörungstheorie‘, ‚Antiamerikanismus‘, oder ‚Populismus‘ besonderer Beliebtheit bei den Macht- und Funktionseliten. Diese Begriffe haben eine perfide Logik: Sie beruhen auf einer bestimmten Form einer gedanklichen Verklammerung unterschiedlicher Themenbereiche, durch die suggeriert wird, zwei gänzlich unabhängige Themenbereiche seien gleichsam ihrem Wesen nach miteinander verwoben. Auf diese Weise sollen speziell Themen, deren öffentliche Diskussion die Machteliten und die sie stützenden Elitengruppen als unerwünscht und abträglich für ihren Status ansehen, dadurch in Diskredit gebracht werden, daß sie mit Themen verklammert werden, die geächtet sind oder als anrüchig gelten – wie etwa rechtsextreme oder rassistische Auffassungen.
Rainer Mausfeld, Die Angst der Machteliten vor dem Volk, Demokratie-Management durch Soft Power-Techniken, Vortrag IPPNW-Hamburg (Organisation Jette Limberg-Diers) Steiner-Haus Hamburg, 2. November 2016
An ihre Stelle treten neue Denkinhalte, entweder durch ganz neue Worte oder, indem man einem altbekannten Wort einen völlig anderen Sinn unterschiebt und diesen in ARD und ZdF dreißigmal täglich wiederholt. Immer wiederholt und eingehämmert werden auch zusammenhängende Phrasen und Wendungen wie „gegen Haß und Rechtsextremismus“. Mausfeld weist darauf hin: Selbst wenn ein Einzelner erkennt, daß er hier manipuliert wird, kann er sich, psychologischer Forschung zufolge, nicht vollständig von der Beeinflussung befreien. Sie haftet zu tief.
Wir hatten nach der Thüringer Abstimmung über den Ministerpräsidenten eine massive Welle medienerzeugten Hasses gegen die AfD. Scheinbar standen ihre Machtergreifung und ein Fackelzug durchs Erfurt unmittelbar bevor. Die regierungsamtlich erwünschte Angst und der Haß als ihr Zwillingsbruder wurden auf die AfD fokussiert. Diese Angst wurde durch die neue Corona-Massenhysterie abgelöst. Angstvoll scharten die Schäfchen sich um ihre Mutti. Die AfD verlor kurzfristig 4 Prozentpunkte an Zustimmung.
Es funktioniert!
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