Von der Verwandlung des Totenkopfschwärmers vom Todesboten zum Studienobjekt
Zeichen sind bedeutsam. Sie kennzeichnen den Inhalt, auf dem sie aufgebracht sind. Wir benutzen sie seit der Steinzeit in vielfältiger Weise.
Viele Zeichen sind Symbole. Hinter ihnen stehen ganze Vorstellungswelten. Bis zur Aufklärung war eine dieser Vorstellungswelten die magische. Hinter den Dingen, wußte man von Platon, verbargen sich die wahren Dinge. Was hier mit den Augen sehen, sei bloße Erscheinung. Das Symbol aber steht für die wahre Natur dessen, was es symbolisiert.
Bis heute kennt unser Strafgesetzbuch Verbote, bestimmte Kennzeichen als Symbole zu benutzen. Dahinter steht die Hoffnung, mit den Symbolen könne man die hinter ihnen stehende Gedankenwelt verbieten. Eines dieser als verboten geltenden Symbole ist der Totenkopf in derjenigen graphischen Ausführung, die eine SS-Division geführt hatte.
Die kaiserlichen Totenkopf-Husaren standen in der Tradition friderizianischer Husaren. Er symbolisierte Mut bis zum Letzten und Todesverachtung: der Tod diente als Trophäe – diente! Wenn sie anritten, sollten vielleicht auch Feinde denken, hier komme der Tod zu ihnen. Der Totenkopf war im 18. Jahrhundert ein sicheres Kennzeichen und Merkmal des personifizierten Todes.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts glaubten viele noch an Hexerei. In der Epoche zwischen 1600 und 1800 lebten aber bereits viele einzelne Gebildete, die empirisch forschten. Nach und nach wurde immer klarer, daß es für “alles eine natürliche Ursache” gibt. Je mehr diese natürlichen Ursachen gefunden wurden, desto mehr zog sich der Aberglaube zurück. Die allgemeine Neugier auf Außergewöhnliches und Kurioses war groß.
1720 Die Natur als Kuriositätenkabinett
Eigentliche Abbildung und glaubwürdige Nachricht von einem sehr abentheuerlichen Vogel, welcher sich im Jahr 1719, den 21. Dec. in der hochfürstlichen Residenz Gotha antreffen lassen, der curiosen Welt zu beliebiger Betrachtung mitgetheilet Anno 1720.
Hochgeneigter Leser!
Man vexiret die Leute fast jährlich mit Erzehlung von allerhand wunderbaren Begebenheiten. Bald soll hier und da gantz gewiß Blut in Wasser, oder gar in den Speisen, gefunden seyn. Das meiste von dergleichen Dingen verdienet billig den meisten Glauben; und man thut klug, wenn man so wohl einer artigen Erzehlung Beyfall giebet, als auch denen leuten nicht gleich alles, davon man doch keine zuverläßige Nachricht hat, zu wissen sich unterstehet.
Das letztere sonderlich ist in gegenwärtiger Abbildung eines abentheuerlichen Vogels beobachtet worden, der hochgeneigte Leser siehet hier denselben in seiner richtigen Gestalt, und die gantze Begebenheit von ihm verhält sich folgender Massen:
Nachdem man vom Gothaischen Bürgermeister Herrn Wallich[1] erfahren, daß selbiger bettlägerig worden, auch gemuthmasset, als ob er wohl schwerlich mit dem Leben davon kommen möchte; welches auch nochmals der Ausgang nicht anders gewiesen: so trug es sich zu, daß in des dasigen Herrn Rath Weitzens[2] Schlaff-Zimmer die Nacht zuvor, ehe besagter Bürgermeister Wallich verstorben, ein sonderlicher Vogel herum zu fliegen anfieng, so gar, daß er auch das gewöhnlicher massen brennende Nacht-Licht mit seinem Flattern auslöschete. Es wurde solches wiederum angezündet, aber wiederum noch etliche mal von diesem Vogel ausgelöschet, biß er endlich zu Boden geschmissen und den Morgen darauf gefunden worden.
Herr Rath Weitz hatte kurtz zuvor in eben dieser Nacht einen Traum gehabt, da ihm vorgekommen, als ob ein fremder und gantz seltzamer Vogel in sein Schlaff-Gemach geflogen käme, und ihm das Nacht-Licht auslöschete.
Nebst dem kam auch gedachten Herrn Weitzen träumend vor, wie man ihm die gewisse Nachricht von des Bürgermeister Wallichs Tod hinterbrächte, welche ihm auch des andern Tages in der That angesaget worden.
Den Vogel nun betreffend, so hat man denselben, als man ihn frühe gefunden, mit nicht geringer Verwunderung, da er noch etwas gelebet, betrachtet, und seine Gestalt gantz fremde und ausserordentlich befunden.
Er praesentirete mit seinen zusammen gethanen Flügeln und Füssen eine vollkommene Todten-Baare. Oben am Kopffe hatte er einen so naturellen Todten-Kopff, daß ihn schwerlich ein Mahler netter bilden dürffte, vor dem Kopffe streckte er ein gelbes und forn gekrümtes Horn von sich, in der Größe war er, wie ein Sperber, davor man ihn auch im Fliegen gehalten, doch hatte er weder am Leibe, noch an den Flügeln, Federn, sondern diese letztern waren etwa wie Floß-Federn, an den Fischen befindlich, nebst dem Schwanze, über dem er ein weisses Creutze, wie auf einem Todten-Sarge, zeigete, von einer subtilen Haut oder Felle, und zum Fliegen sehr wohl geschickt. Weil dieses Thiergen allerdings bey iederman viele Verwunderung und Nachdencken verursachte; so wurde er nach Hofe gebracht, von dem Hof-Mahler Wolffen accurat abgemahlet, der Cörper aber sodann in die Hochfürstliche Kunst-Kammer aufgehoben.
Einige muthmassen, daß dieser Vogel ein Bastart von einer Eule oder Fledermauß sey.
Eine Eule aber ist, der alten Tradition nach, ein avis fexalis, ein dem Tod, Pest und ander Unglück, mit ihrer Gegenwart und ihrem Geheule ankündigende Bestie: Ignavus bubo, dirum mortalibus omen. […]
Hier hat der hochgeneigte Leser alles, was wir von diesem curieusen Vogel zu sagen wissen, unser Urtheil und Reflexions darüber zu eröffnen ist unvonnöthen, ein ieder hat die Erlaubniß davon zu gedencken, was ihm beliebet.
Johann Kanold, Sammlung von Natur und Medicin- wie auch hierzu gehörigen Kunst- und Literatur-Geschichten so sich von 1717-26 in Schlesien und andern Orten begeben und als der zehende Versuch ans Licht gestellet (Breslauische Sammlungen), Leipzig 1721, S.720-725.
1720 Die Natur als Kunstobjekt
Kein Wunder, daß man in Gotha und Schlesien noch sehr überrascht war über den fremden Nachtfalter. Auch der Naturmaler Eleazar Albin in England schrieb 1720, er habe von der Art noch bei keinem Autor je gelesen.
Das hielt in nicht davon ab, Raupe und Falter exakt zu beschreiben und zu malen. Der Falter sei sehr selten. Die Raupe lebe an Jasmin.
Albin widmete jedes seiner Bilder einer bestimmten hochgestellten Persönlichkeit. Sie waren bei aller Präzision der Darstellung als Kleinkunstwerke gedacht.
Von irgendwelchem Aberglauben war vom Kontinent nichts an das Ohr des englischen Malers gedrungen. Er kannte auch keinen eigenen Namen für Raupe oder Falter und beschreibt anhand der Zeichnung keinen “Totenkopf”.
1726
In Deutschland berichtete ein Dr. Bruckmann 1726 von einer “schönen, großen”, im August in Braunschweig “observirten Jasmin-Raupe”.:
“Sonsten haben wir noch bey dieser Raupe angemercket, daß sie erstens ungemein geschwinde ein Blat mit starcken Knappern und Knuppern wegfressen könne, viel geschwinder als ein Seiden-Wurm [er meint den Seidenspinner Bombyx mori].
Johann Kanold, Sammlung von Natur und Medicin- wie auch hierzu gehörigen Kunst- und Literatur-Geschichten so sich von 1717-26 in Schlesien und andern Orten begeben und als der dreizehenter Versuch ans Licht gestellet (Breslauische Sammlungen), Leipzig 1726, S.234 f.
1755 Naturbeobachtung als Abschied vom Aberglauben
Viel weiter war man 1755. Der Künstler August Johann Rösel von Rosenhof gab fortlaufende “Insecten-Belustigungen” heraus. Seine Darstellungen von Raupe und Falter sind äußerst präzise.
Rösel von Rosenhof machte die eindrucksvolle Raupe des Schwärmers noch als “Jasmin-Raupe” bekannt. Jasmin ist für die Raupen nur ein Notbehelf. In Preußen begann erst 1738 der Kartoffelanbau in größerem Stil. Seitdem werden die Raupen vor allem auf den oberirdischen Kartoffelblättern gefunden, kaum auf Jasmin.
August Johann Rösel von Rosenhof, Insecten-Belustigungen, Teil 3, 1755
In ihrer nordafrikanischen Heimat fressen die Raupen gern das Nachtschattengewächs Solanum incanum, einen Verwandten der ursprünglich amerikanischen Kartoffelpflanze.
Rösel von Rosenhof beobachtete sehr genau. Er stellte ganz richtig einen Zusammenhang her zu besonders warmen Jahren,
“wann sich nämlich bey mehr als gewöhnlich warmer Frühlings=Zeit ein Papilion im Fliegen bis in unsere Gegend verirret und seine Eyer auf das der Raupe sonst zur Nahrung dienende Gewächs leget.” Am 28. August wurde “wiederum eine andere vor dem Thor im Sand kriechend gefunden, und verschiedene Gärtner, denen dieselbe bey mir zu Gesichte gekommen, haben mich berichtet, daß sie etliche gesehen, die sie mit Füssen zertretten; weil sie solche, ihrer Grösse wegen, für die gefährlichsten Heck-Mütter allen Geschmeisses gehalten.”
Die Furcht vor dem Tode, das törichte Verlangen, sein künftiges Schicksal zu wissen, die schlechte Aufmerksamkeit, welche man auf die natürlichen Zufälle insgeheim zu haben pflegt, machen, daß der größte Teil der Menschheit gar viele Dinge für Vorboten eines großen Unheils hält, vor welchen ein gesetztes und durch reifes Nachdenken aufgeheitertes Gemüt nicht im geringsten erschrickt. Ist es denn also wohl Wunder, daß auch der Totenkopf von vielen nicht ohne Schrecken erblickt wird, zumal da er bei seiner besonderen Zeichnung auch noch einen Kläglichen Ton von sich gibt, sich nur bei Nacht sehen läßt und noch überdies beim Fliegen ein ziemliches Geräusch macht.
Rösel von Rosenhof 1755
Ist es dann also wohl Wunder, daß auch der jezt beschriebene Papilon von ihrer vielen nicht sonder Schrecken erblicket wird, zumal da er bey seiner besondern Zeichnung auch noch einen kläglichen Thon von sich giebet, sich nur bey der Nacht sehen lässet, und noch über dieses im Fliegen edin ziemliches Geräusche machet?
Herr von Reaumur saget, es seien ihme Klöster bekannt, woselbst alle die Nonnen eines Schlaf-Zimmers in den größten Schrecken gesezet worden, weil ein solcher Papilion in demselben herumgeflogen.
In Bretagne hat er bey dem Volck zu verschiedenenmalen, wie eben derselbe berichtet, viele Furcht erwecket; und weil er sich gerad zu der Zeit in ziemlicher Menge gezeiget, da ansteckende Krankckheiten grassirten, so mußte er auch, bey den Einwohnern der Provinz, ein Vorboth gefährlicher Seuchen und des Todes selbsten heissen.
So geschwind aber der Pöbel in Franckreich auf dergleichen fürchterliche Gedancken verfället, so geschwind würde solches auch in unserm Deutschland geschehen, wann sich etwann dieses Insect einmal häufiger zeigen sollte.”
1779 Naturwissenschaft in der Aufklärung
Im 18. Jahrhundert gedieh die Aufklärung. Man legte in wenigen Jahrzehnten den Weg vom Aberglauben zur Wissenschaft zurück. Vollendet wissenschaftlich in der Methode arbeitet Eugenius Johann Christoph Esper. Er versteht zwar noch den überlieferten Aberglauben, Sein Interesse gilt aber bereits der streng naturwissenschaftlichen Systematik.
Sie können diese bei ESPER nachlesen. Uns interessiert hier seine Reflektion:
Was hat nicht vollends die düstere Farbe unseres gar nicht heßlichen Zweyfalters für Auslegungen zum Vorschein gebracht? Dessen besondere Grösse, sein rauschender Flug, die ahndungsvollen Stunden, in denen er sich vernünftigen Geschöpfen nur zeigen kann: die Abenddämmerung, die Gewohnheit, sogar in Zimmer zu fliegen, wohin ihn, wie andere, angezündete Lichter locken; alles dies, sage ich, hat das Seinige beygetragen, daß er in jenen dunklen Zeiten (und vielleicht sind diese noch nicht vorüber) Schrecknisse zu verbreiten vermochte.
Aberglaube, welcher über die heiligsten und reinsten Kenntnisse seine Macht verbreitet, ist im Reiche der Insecten am meisten geschäftig gewesen. Es wurden die Geschöpfe dieser Art am spätesten untersucht. Kaum ist es ein Jahrhundert, wo man den irrigen Wahn des zufälligen Entstehens derselben besiegt. Wie wenig sind diese Aufklärungen noch allgemein worden, bis sie erst zur Bekehrung des Volkes sich eine Bahn gemacht haben. […]
Ist es daher befremdend, wenn der Sphinx atropos in dem Reiche des Aberglaubens eine wichtige Rolle gespielt? Er wurde nicht für ein Geschöpf, nicht für ein Meisterstück der Allmacht gehalten. Er mußte ein Bothe des Schreckens werden, Furcht und Wehklagen verkündigen, Sterben unter Menschen und Vieh, sogar das Ableben der Grossen der Erde, Pest und Seuchen anmelden unter den Menschen.
Esper, Die Schmetterlinge in Abbildungen nach der Natur
2. Teil Erlangen 1779
1928 Poetische Verarbeitung
Die schönsten Ergebnisse zeigen sich oft, Wenn Wissenschaft, Malkunst und Poesie Hand in Hand gehen. Zu den schönsten Totenkopf-Bildern gehören die von Kunstmalern angefertigten.
Der Lyriker Friedrich Schnack vereinte sichere Kenntnisse über Schmetterlinge mit tiefem Gefühl für die Phantasien, die sich Menschen angesichts eines Totenkopfes einst hingaben.
In seinem Buch “Das Leben der Schmetterlinge” schreibt er:
Er ist der letzte Zeuge aus einer versunkenen antiken Nachtwelt. Mit seinem schrecklichen Wappen gemahnt er den Menschen an den Tod, an die versunkene Unterwelt, und er, der einzige unter den Faltern, der eine Stimme hat, gibt Töne von sich, die kein Mensch und sicherlich auch kein Totenkopf versteht. Klagt er um die Asphodeloswiesen, die vergilbt sind und gestorben, um die selig-unselige Schattenwelt des Hades, als er dort saß als ein furchterregendes Zeichen auf der Stirn eines Unterweltrichters?
In Turin sah Leander in einem Sarkophag einen Pharao aus einer frühen Dynastie, dessen Bemalung gut erhalten war. Auf seiner Brust war ein großer Totenkopfschmetterling in Gold und Schwarz abgebildet. Mit ausgebreiteten schwingen und düsterem Siegel starrte der Falter. Wovor sollte er das Herz des zweifellos großen Königs schützen?
Gespenster gibt es, die sind furchtbar. Vampire gibt es, wer sie sieht, dem gefriert das Blut in den Adern. Tote gibt es, die mit allen Kräften nach dem Leben gieren. Sollten alle diese abgeschreckt werden von dem Totenkopf auf der Brust des Pharao? Ist er es, der Totenkopfschmetterling, der die bösen Geister bannt?
Friedrich Schnack, das Leben der Schmetterlinge, 1928
Breslau 1845, 2. Teil
[1] Johann Philipp Wallich, Bürgermeister von 1716-1720, siehe Johann Georg August Galletti, Geschichte und Beschreibung des Herzogthums Gotha, 2. Teil, 1779, S.244.
[2] Jakob Friedrich Weitz, *3.8.1641, gestorben 29.7.1723, Stadtphysikus, Rathsherr und mehrfacher Bürgermeister.
2 Pingbacks