Wie der Verfassungsschutz die Verfassung umdefiniert

Die Beobachtung des AfD-Flügels durch den Verfassungsschutz ist politisch motiviert. Das ist eine Binsenwahrheit. Damit ist aber noch nicht gesagt, ob sie rechtmäßig ist und ihrerseits der Verfassung entspricht.

Würde der Verfassungsschutz die Funktionsprinzipien unserer staatlichen Ordnung schützen, hätte niemand etwas dagegen. Er kämpft aber in Parteiinteresse in vorderster Front für die Durchsetzung eines Vielvölkerstaats Deutschland mit mulitikultureller Gesellschaft. Beides ist im Grundgesetz nicht vorgesehen. Es wird aber in den Verfassungsbegriff der Menschenwürde hineininterpretiert.

Die richtige Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe hängt eng von korrekter juristischer Prüfung ab. In diese fließen aber zwangsläufig eigene ideologische Vorurteile ein. Unsere Verfassung enthält nämlich viele unbestimmte Rechtsbegriffe, die man interpretieren muß, wenn man sie anwendet. Linksextremisten haben ihren Marsch durch die Insitutionen nach 1968 begonnen und heute abgeschlossen. Sie interpretieren heute um, was unsere Verfassungsväter sich oft ganz anders vorgestellt hatten.

Die Beamten des Innenministeriums behaupten über den rechten Flügel der AfD: „Entsprechende Verstöße gegen die die freiheitliche demokratische Grundordnung prägenden Merkmale Menschenwürde, Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip wurden konstatiert.“ Sie behaupten „Verstöße gegen die Menschenwürde durch völkische Positionen:

Agieren und Aussagen der maßgeblichen „Flügel“-Exponenten Björn Höcke und Andreas Kalbitz sowie sonstiger Funktionäre und Anhänger des Personenzusammenschlusses zielen auch im Jahr 2019 auf die Umsetzung eines völkischen Gesellschaftskonzepts, das auf biologistischen Grundannahmen beruht und daraus abgeleitet ein ethnokulturell homogenes Staatsvolk postuliert, Migranten außereuropäischer Herkunft als grundsätzlich nicht integrierbar ausgrenzt und die größte Gefahr in einem vermeintlich gesteuerten Bevölkerungsaustausch zur Vernichtung der organisch gewachsenen europäischen Völker sieht. Die diesen Ideologemen zugrunde liegende Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, Vorrangstellung des Kollektivs gegenüber dem Einzelnen sowie pauschale Ausgrenzung und Herabwürdigung von Minderheiten stehen im Widerspruch zur Menschenwürdegarantie nach Art. 1 Abs. 1 GG. Hervorzuheben ist dabei die herausragende Rolle Höckes bei der stetigen Formulierung und Propagierung eines geschlossen völkisch-ideologischen Weltbilds.“

Bundesamt für Verfassungsschutz, Fachinformation: Einstufung des „Flügel“ als erwiesen extremistische Bestrebung

Vermutlich treffen alle diese Vorwürfe nicht zu. Ich habe allerdings keine Möglichkeit, anhand von AfD-Originalquellen oder -zitaten nachzuprüfen, was den Herren Höcke und Kalbitz angelastet wird. Der Verfassungsschutz neigt aber dazu, in Äußerungen einen verdächtigen Sinn hineinzulesen, der so gar nicht gemeint war. An Fakten erfahren wir aus dem Textabschnitt des VS im Internet nichts. Alles ist Interpretation, noch dazu von Äußerungen, die nicht mitgeteilt werden und die ich nicht kenne.

Wenn ein kirchlicher Inquisitor 1592 verlautbarte: „Er ist ein Ketzer und zielt darauf, eine Herrschaft Satans zu errichten,“ weiß ich genausowenig darüber, was der Verdächtige denn eigentlich gesagt hat, wie wenn ich lese: „Björn Höcke und Andreas Kalbitz [..] zielen [..] auf die Umsetzung eines völkischen Gesellschaftskonzepts, das auf biologistischen Grundannahmen beruht und daraus abgeleitet ein ethnokulturell homogenes Staatsvolk postuliert [..] und die größte Gefahr in einem vermeintlich gesteuerten Bevölkerungsaustausch zur Vernichtung der organisch gewachsenen europäischen Völker sieht.“

Ich weiß nicht, woher der VS wissen will, auf welches „Gesellschaftskonzept“ Höcke & Co angeblich „zielen“ und worin es bestehen soll. Das teilt der VS nämlich nicht mit. Was ich allerdings sehr gut kenne, sind alle diese Formulierungen aus dem kleinen Inquisitionstext. Dieser ist aus Textbausteinen zusammengesetzt, die politologischer Literatur entnommen wurden.

Die freiheitliche demokratische Grundordnung

Die FdGO wurde in ihren Merkmalen vom Bundesverfassungsgericht entwickelt. Dieselben Merkmale wurden später in Verfassungsschutzgesetzen zu Bundes- und Landesrecht. Verfassungsfeind ist, wer eines ihrer Wesensmerkmale beseitigen will.

Freiheitliche demokratische Grundord­nung nach der Definition des Bundes­verfassungsgerichts (BVerfGE 2, 1, 12f.)
eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung
unter Ausschluß jeglicher Gewalt – und Willkürherrschaft
auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jewei­ligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit
die Achtung vor den im Grundgesetz kon­kretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung
die Volkssouveränität
die Gewaltenteilung
die Verantwortlichkeit der Regierung
die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
die Unabhängigkeit der Gerichte
das Mehrparteienprinzip
Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungs­mäßige Bildung und Ausübung politischer Opposition.

Das ist geltendes Recht. Über dieses geltende Recht setzen sich unsere Verfassungsschützer auf Weisung der jeweiligen Regierung seit Jahren systematisch hinweg. Sie bezeichnen als Verfassungsfeind nicht diejenigen, die eines der Merkmale der FdGO abschaffen wollen. Vielmehr sind die Ämter von linksradikalen Politologen unterwandert. Diese haben ihre ganz eigenen, maßgeschneiderten Definitionen. Ihre Interpretationsmacht sichern sie sich, indem sie die Begriffe „verfassungsfeindlich“ und „extremistisch“ gleichsetzen.

Zum Extremisten erklären sie, wer gegen die multikulturelle Gesellschaft eintritt: Er sei deshalb „völkisch.“

Extremismus – ein beliebiger Begriff

Extremismus ist ein rein politologischer Begriff. Auf wen er angewendet werden kann, entscheidet ein Politologe nach Lust und Laune im Licht seiner persönlichen Ideologie oder ein Verfassungsschützer nach Anweisung von oben. Ein Rechtsanwender muß die vielfältigen verschiedenen Vorstellungen von Politologen erst einmal in seine juristische Begriffssprache übersetzen, um mit ihnen klarzukommen. So mühte sich das OVG Lüneburg zum Extremismusbegriff ab:

Nach der wohl überwiegenden Ansicht verwendet man ihn als Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Gesinnungen und Bestrebungen, die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte und Spielregeln einig wissen (vgl. Backes/Jesse, Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, 1989, S. 33; Borgs/Ebert, Das Recht der Geheimdienste, § 3 BVerfSchG RdNr. 68; Ganßer, „Verfassungswidrig“ — „verfassungsfeindlich“ — „extremistisch“ — Zur Abgrenzung der Begriffe –, BayVBl 1980, 545; Knütter, in Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Verfassungsschutz und Rechtsstaat, 1981, S. 237 ff).

OVG Lüneburg, Urteil vom 12. Februar 1991 – 9 L 246/89 –, Rn. 59

Welche fundamentalen Werte das im einzelnen sein sollen, entnehmen Politologen aber nicht direkt dem Grundgesetz. Während das Grundgesetz seit seiner Geltung stets zwischen Deutschen und Ausländern unterschied, bildet die multikulturelle Gesellschaft den neuen fundamentalen Wert bestimmter Parteien und ihrer Verfassungsschützer. In einem Prozeß der Partei Die Republikaner gegen das Land Rheinland-Pfalz hatte dieses selbst zugegeben, wer gegen das „Zusammenleben der Kulturen“ in Deutschland sei, verstoße gegen das Gebot der Menschenwürde.

Auch der gleichfalls zentrale Begriff der Menschenwürde kann nicht mehr allei­ne im Sinne der „Objekt­formel“ der Nachkriegszeit und des KPD-Urteils (BVfGE 5, 85, 204) interpretiert werden.  In seinem auf den historischen Ursprung in den unveräußerlichen Menschenrechten zurückgehenden Sinne muß er auch den Schutz der rassischen, religiösen und kulturellen Identität sowie die Achtung vor der prinzipiellen Gleichberechtigung der unter der Ver­fassungsordnung des Grundgesetzes zusammenlebenden Menschen umfas­sen. Die explizite Absage an das Zusammenleben von Kulturen, Fremden­feindlichkeit, Rassismus und Intoleranz gefährden insofern die freiheitliche de­mokratische Grundordnung unter heutigen Bedingungen stärker, als dies im Hinblick auf die „Herausforderungen“ der FDGO durch versprengte National­sozialisten einerseits und Kommunisten andererseits 1952 und 1956 der Fall gewesen ist. Insofern ist der zentrale Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung heute weniger im Hinblick auf die strukturellen Aspekte (Mehrparteiensystem, Absage an das Führerprinzip usw.) als vielmehr im Hin­blick auf den Gehalt an Menschenrechten, Gleichheit, Toleranz usw. zu inter­pretieren.  Durch die statische Betonung der formellen Merkmale des Begriffs der FDGO hat das VG diesen Zusammenhang und den normativen Bezugs­rahmen der Rechtsgrundlagen des Verfassungsschutzes verkannt.“

Berufungsbegründung des Landes Rh.-Pfalz vom 6.8.1998 gegen Urteil des VG Maint vom 10.12.97, OVG Koblenz -12 A 11774/98-, S.3 f., Sachbearbeiter Prof.Dr.Friedhelm Hufen, Mainz.

Was die Landesregierung hier mit den Worten „“statische Betonung der formellen Merkmale des Begriffs der FdGO“ verhöhnt, sind nichts weniger als die gesetzlich normierten Strukturprinzipien der Verfassung, die der Verfassungsschütz schützen müßte. Sie werden aber überlagert und verdrängt durch ideologisch fundierte neue Feindbestimmungen: Feind ist inzwischen jeder, dem Absage an das Zusammenleben von Kulturen, Fremden­feindlichkeit, Rassismus und Intoleranz“ nachgesagt wird.

Was Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und dergleichen ist, entscheiden inzwischen „gesellschaftliche Kräfte.“ Es sind Wundertüten-Begriffe, aus denen man alles herauslesen kann, was man selbst vorher hineingesteckt hat.

Verfassungsfeind wird man nicht von selbst, man wird dazu erklärt

Verfassungsfeind muß man unter diesen Umständen nicht selbst werden, man wird dazu erklärt. Sicherlich gibt es auch völkische Kollektivisten, die sich eine sozialistische Volksgemeinschaft nach historischem Vorbild wünschen. Sicherlich gibt es geistige Proletarier, die Herabwürdigung von Minderheiten mit Liebe zu ihrem eigenen Volk verwechseln. Daß diese Mitglieder der AfD wären, ist jedenfalls mir nicht bekannt.

Es wäre eine grandiose Fehleinschätzung der politischen Lage, jemanden aus der AfD zu werfen, bloß weil der Verfassungsschutz mit dem Finger auf ihn zeigt. Der gesamten Partei liegen unser Land und unser Volk am Herzen. Nichts schützt sie davor, deshalb von einem VS als extremistisch bezeichnet zu werden, der zur Durchsetzung des Multikulturalismus als Staatsideologie benutzt wird. Wer heute jemanden aus der AfD werfen will, bloß weil der VS ihn brandmarkt, wird morgen selbst der nächste sein.

Zugleich wäre eine Trennungslinie zu allen erforderlich, auf die Vorwürfe verfassungsfeindlicher Gesinnung tatsächlich zuträfen. Wer unter dem deutschen Volk die Gemeinschaft der Staatsbürger versteht, befindet sich auf unverdächtigem Gelände. Forderungen, Staatsbürger ausländischer Abstammung zu entrechten zugunsten einer ethnischen Homogenisierung, wären verfassungsfeindlich. Mir ist nicht bekannt, daß jemand in der AfD so etwas vertritt.

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