Wer die Sprache regelt, lenkt das Denken. Das wußte schon George Orwell. Er lebte in der Zeit des Totalitarismus. Stalinistische und nationalsozialistische Herrschaftstechniken suchten Worte aus dem allgemeinen Sprachgebrauch zu verdrängen und dadurch das Bewußtsein zu verändern. In Orwells weltberühmten Klassiker „1984“ müssen die Menschen „Neusprech“ benutzen. Es gibt vorgeschriebene und verbotene Worte.

Auch Hunde können denken, wenngleich nicht begrifflich. Wir Menschen vermögen uns durch abstrakte Symbole ausdrücken: als Worte und Begriffe stehen sie für eine Sache. Jeder sprachliche Begriff beinhaltet zugleich eine bestimmte Denkweise. Ohne das jeweils passende Wort können wir einen bestimmten Gedanken gar nicht denken und ein ein Gefühl nicht mehr nachempfinden, das uns jemand durch ein Wort nahebringen möchte.

In vielen Sprachen gibt es Wörter für Emotionen, die sich nur schwer in eine andere Sprache übersetzen lassen. So bezeichnet etwa der portugiesische Begriff »saudade« ein Gefühl der tiefen Melancholie, das durch das Verlangen nach etwas entsteht, was abwesend oder verloren ist. Auf Deutsch würde man dazu am ehesten »Sehnsucht« sagen, was wiederum ebenfalls keine genaue Entsprechung im Englischen hat.

Daniela Zeibig, Andere Sprache, andere Gefühle , Spektrum vom 19.12.2019

 Wer das Denken seiner Untertanen manipulieren will, muß bei ihrer Sprache anfangen. Im 3. Reich gab es viele offizielle Euphemismen. Sie sollten verhindern, daß bestimmte Worte ausgesprochen wurden, weil niemand den Inhalt dieser Worte denken sollte. Aus dem Rückzug der Truppe im Krieg wurde eine harmlose Frontbegradigung, aus der Massenvernichtung eine harmlose Endlösung.

Ignatius Fortuna war Kammermohr von Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach
Das Wort Neger wurde im 17. Jahrhundert aus dem französischen nègre entlehnt.

Darum sind begriffliche Positionen auch heute ein heiß umkämpfter Bereich der politischen Auseinandersetzung. Ich erinnere mich gut, wie der Ausländer meiner Kindheit zum Gastarbeiter wurde. Später mutierte er, gern auch ohne deutschen Paß und Bürgerstatus, zum ausländischen Mitbürger. Als das wieder nicht mehr paßte, hießen illegale Einwanderer plötzlich auch dann Flüchtlinge, wenn sie nirgends geflohen waren. Nach dem Ende der Nahostkriege, werden sie plötzlich Migranten genannt. Immer geht es darum, mit der Verwendung des Begriffs eine positive Assoziation zu wecken und eine abwehrende zu vermeiden. Der frühere Propagandaminister wäre stolz auf seine Epigonen.

Auf der anderen Seite sollen bestimmte Vorstellungen aus dem Denken verschwinden, weshalb man die Bezeichnungen für bestimmte Worte verbieten will. Wer etwas nicht mehr auf den Begriff zu bringen vermag, kann es noch nicht einmal mehr denken. Schon der bloße Gedanke an etwas Verbotenes – das Gedankenverbrechen – wird dem Unterworfenen unmöglich.

Siehst du denn nicht, daß die Neusprache kein anderes Ziel hat, als die Reichweite des Gedankens zu verkürzen? Zum Schluß werden wir Gedankenverbrechen buchstäblich unmöglich gemacht haben, da es keine Worte mehr gibt, in denen man sie ausdrücken könnte.

George Orwell, Neunzehnhundertvierundachtzig, Zürich 1950, zitiert nach der 13.Aufl.1964, S.50

Eines der bekanntesten Beispiele dafür bildet das Wort Neger. Als ich im evangelischen Kindergarten das Lied von den „Zehn kleinen Negerlein“ lernte, dachte sich dabei kein Mensch irgend etwas Schlimmes. Im Roman „Tom Sawyer“ von Mark Twain las ich irgendwann, daß es für Neger in den USA auch das abwertende Schimpfwort Nigger gibt. Mein Lateinlehrer ergänzte meine Kenntnisse durch die Vokabel niger – schwarz. Meine begriffliche Welt schien mir damit vernünftig sortiert zu sein.

In den USA beginnend und schließlich auch in Deutschland fanden viele, meistens Weiße, es irgendwann diskriminierend, einen Neger als einen Neger zu bezeichnen. Ich habe nie verstanden, was schlimm daran sein soll, ein Neger zu sein. Aber aus ideologischer Warte einer in bestimmter Weise gemeinten Gleichheitsforderung schien die Verwendung von Worten wie Neger, Weißer und dergleichen der Behauptung zu widersprechen, alle Menschen seien nicht nur in ihrem Menschsein gleich, sondern faktisch völlig gleich. Der Begriff Neger mußte darum fallen, und mit ihm alle Negerküsse – und die Mohren-Apotheken vorsichtshalber gleich hinterdrein.

Heute wissen die meisten Leute nicht mehr genau, ob man noch Neger sagen darf oder nicht. Schwierig könnte es zum Beispiel werden, wenn ein Zeuge vor Gericht aussagen soll. Er muß die Wahrheit sagen! Nehmen wir den Fall, wie er beobachtet hat, wie ein hilfsbereiter Neger das am Boden liegende Opfer vor den Tritten von Angreifern schützte. Dessen Namen kennt er natürlich nicht. Sagt er in seiner Verlegenheit, der Retter sei ein Afrikaner gewesen sein, wäre das schon eine Falschaussage. Ein Zeuge darf nicht fabulieren und nichts dazuerfinden. Der Retter könnte nämlich in Wahrheit auch ein dunkelhäutiger US-Soldat gewesen sein.

Aber auch „Dunkelhäutiger“ könnte den Richter irreführen, weil es auch braungebrannte Weiße und dunkelhäuige Südasiaten gibt. Wie also soll er wahrheitsgemäß die Tatsache bezeugen, daß der nette Retter nun einmal ein Neger war? Es gibt kein passendes Ersatzwort dafür in der deutschen Sprache. Begriffe wie Schwarzer oder Farbiger könnten ihrerseits als beleidigende Verhöhnung empfunden werden. Ich habe außer im Karneval noch nie einen “Farbigen” gesehen. In den USA hat man das schon bemerkt, wo der dumme Begriff „Farbiger“ inzwischen als „inkorrekt“ gilt.

Wie jedes Wort kann man auch das Wort Neger in beleidigendem Zusammenhang verwenden. Das Amtsgericht Göttingen sah es als strafbare Beleidigung an, jemandem zu sagen: „Hau ab, du Neger, sonst hole ich die NPD!“ Es ist immer der Ton, der die Musik macht.

Das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern urteilte am 19.12.2019 über einen Fall, in dem ein Abgeordneter das Wort Neger mehrfach im Plenum benutzt hatte. Er erhielt dafür einen Ordnungsruf von einer Linken-Politikerin, welche die Sitzung leitete. Dieser Ordnungsruf verstieß aber gegen die Landesverfassung.

“Unabhängig von dem konkreten Zusammenhang, in dem ein Wort verwendet wird, kann es allenfalls dann mit einem Ordnungsruf beanstandet werden, wenn es in keinem denkbaren Zusammenhang geeignet wäre, etwas zur inhaltlichen Auseinandersetzung beizutragen oder in den Kontext einer inhaltlichen Stellungnahme eingebettet zu werden, wenn es also ausschließlich der Provokation oder der Herabwürdigung anderer dienen kann.”

LVerfG M.-V. Urteil vom 19.12.2019 -LVerfG 1/19-

Der Ordnungsruf der Linken hatte die Verwendung des Wortes gerügt, die schon für sich genommen unzulässig sei:

Der nachträglich erteilte Ordnungsruf rügt nach seinem Wortlaut die Verwendung des Wortes „Neger“ allgemein und unabhängig vom Zusammenhang. Die Vizepräsidentin hält dem Antragsteller mit dem Ordnungsruf vor, dass er ein Wort benutzt habe, das von der Gesellschaft als Schimpfwort und als abwertende Bezeichnung für Menschen mit dunkler Hautfarbe verstanden werde. Dagegen knüpft sie nicht an die konkreten Äußerungen des Antragstellers an. Sie geht insbesondere nicht der Frage nach, welchen vollständigen Inhalt der erste den Begriff „Neger“ verwendende Zwischenruf des Antragstellers hatte, der entweder inhaltlich unvollständig war oder nur unvollständig verstanden und protokolliert worden ist. Vielmehr erteilt sie für die mehrfache Verwendung des Wortes „Neger“ pauschal einen Ordnungsruf, ohne näher zu differenzieren. Der Ordnungsruf erfaßt damit auch die Äußerung, in der er das Wort „Neger“ verwendet hat, um zu erklären, dass er der Auffassung sei, dieses Wort verwenden zu dürfen. Beanstandet werden nicht einzelne, in ihren Zusammenhängen durchaus unterschiedliche Äußerungen; vielmehr richtet sich der Ordnungsruf ausdrücklich nur gegen die Verwendung des Wortes selbst.

LVerfG M.-V. Urteil vom 19.12.2019 -LVerfG 1/19-

Die Greifswalder Verfassungsrichter meinten zwar, die Verwendung des Wortes Neger geschehe heute in der Regel abwertend.

Das Wort „Neger“ wird von dieser Überlegung nicht erfaßt. Es wird zwar nach heutigem Sprachgebrauch in der Regel als abwertend verstanden (vgl. OLG Köln, Urt. v. 19.01.2010 – 24 U 51/09 – juris Rn. 15; LG Karlsruhe, Beschl. v. 20.07.2016 – 4 Qs 25/16 – juris Rn. 16). Ob es tatsächlich abwertend gemeint ist, kann jedoch nur aus dem Zusammenhang beurteilt werden. Das Wort kann zitierend oder ironisch verwendet werden, oder es kann benutzt werden, um über das Wort, seine Verwendung und seine Verwendbarkeit zu sprechen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluß vom 1.10.2018 – 1 W 41/18 – bei juris). Es kann dann geeignet sein, zur inhaltlichen Auseinandersetzung beizutragen. Wenn ein Abgeordneter in einem solchen Zusammenhang – also etwa im Rahmen einer Diskussion über „politische Korrektheit“, über „Sprache, Diskriminierung und Rassismus“ oder ähnliches – von der Verwendbarkeit des Wortes „Neger“, von einem Bedeutungswandel des Wortes und dessen Ursachen spricht, so kann er das Wort selbst benutzen, anstatt es zu umschreiben. Die Verwendung des Wortes kann in einem solchen Kontext nicht ohne weiteres als bloße Provokation oder Herabwürdigung aufgefaßt werden; sie kann vielmehr Bestandteil einer inhaltlichen Stellungnahme sein.

LVerfG M.-V. Urteil vom 19.12.2019 -LVerfG 1/19-

Damit ist geklärt, daß das Wort Neger – ebenso wie andere, eine Tatsache ausdrückende Begriffe, nicht verboten sind und nicht verboten werden können. Auf einem anderen Blatt steht, daß der Grat zur Volksverhetzung äußerst schmal ist, wenn man Negern als Teil der Bevölkerung pauschal negative Eigenschaften zuschreibt. Wer das wagt, beginnt einen juristischen Spießrutenlauf.