Wie unsere Freiheit in einer Flut von Regelungen erstickt wird

Um 1810 dichtete Max von Schenkendorf das bekannte Lied

Freiheit die ich meine, die mein Herz erfüllt,
komm mit deinem Scheine, süßes Engelsbild!
Magst du nie dich zeigen der bedrängten Welt?
Führest deinen Reigen nur am Sternenzelt?

Wo sich Gottes Flamme in ein Herz gesenkt,
das am alten Stamme treu und liebend hängt,
wo sich Männer finden, die für Ehr’ und Recht
mutig sich verbinden, weilt ein frei Geschlecht.

Die wunderschöne Dichtung verwendet eine sprachliche Metapher. Tatsächlich wohnt die Freiheit nicht als Person im Himmel. Sie ist keine Wesenheit, sondern eine Abwesenheit.

Denken Sie sich eine leere Kugel. In ihr ist nichts, gar nichts, völliges Vakuum. Sie ist völlig frei von jeder Materie. Diese Freiheit von Materie in der Vakuumkugel entspricht genau der Freiheit in jeder Beziehung. Freiheit ist immer ein Nichts, eine Leere, eine Abwesenheit. Es hält sich in der Kugel keine Freiheit auf. Es ist einfach nichts drin.

Auf einem menschenfreien Strand einer Karibikinsel lebte vor Robinson niemand. Wenn wir den Strand gedanklich bevölkern, entsteht eine Gesellschaft. Mit Robinsons Freiheit war es vorbei. Es gab nämlich noch nie eine Gesellschaft ohne Spielregeln. Diese grenzen die Handlungsfreiheit ein. Früher galten Regeln als herkömmliche Gewohnheiten oder Bräuche, später als gottgewollte Gebote, dann als unvordenkliche Gewohnheiten und schließlich als staatliche Gesetze. Die Auseinandersetzungen, welche Gesetze gelten sollten, nannte man Politik.

Völlige politische Freiheit wäre die gänzliche Abwesenheit irgendwelcher Regelungen, ein völliges Chaos. Wäre hingegen alles Handeln vom Schrittzähler am Fuß bis zum Herkunftsstempel auf dem Hühnerei reglementiert und vorgeschrieben, wäre jede Freiheit gänzlich durch eine feststehende Ordnung vernichtet.

Auf einer quantifizierenden Skala wäre die völlige Freiheit ganz auf der einen Seite angesiedelt, und mit je mehr Regelungen ich die Bürger überziehe, desto stärker schränke ich diese Freiheit ein bis zu einem fiktiven Punkt am anderen Skalenende, wenn jedes Verhalten gesetzlich vorgeschrieben wäre.

Ich denke mir jetzt einen Zeitstrahl von 1871 bis heute und trage in diese Grafik die Anzahl der jeweils geltenden staatlichen Regelungen und Gesetze ein. So ergibt sich eine Kurve. Sie macht mir deutlich, daß die Summe staatlicher Reglementierungen seit Beginn unseres Staates ständig anwächst. Gegenüber der schieren Masse heutiger, ständig neuer Gesetze und Verordnungen lebten die Deutschen im Kaiserreich zwar nicht in einem völlig rechtsfreien Raum. Die Regelungsdichte aller Lebensbereiche war aber wesentlich geringer als sie heute ist. Quantitativ nimmt der regelungsfreie Raum, nimmt unser aller Freiheit, ständig ab.

Wie lange dürfen wir noch Currywurst aus echtem Fleisch essen? Wie schnell dürfen wir dann noch auf der Autobahn fahren? Was dürfen wir noch laut sagen ohne Furcht, vor dem Strafrichter zu landen? Vieles davon wissen wir nicht mehr genau.

Zu den gesetzlichen Regelungen gehört auch das Steuerrecht. Von größter Bedeutung für jeden Einzelnen ist, wieviel vom Ertrag seiner Arbeit er steuerfrei behalten darf. Der Staatsanteil in Deutschland lag 1890 bei 13%, 1950 bei 30%, heute bei nahezu 50% und zeigt uns, daß wir die Hälfte unserer Freiheit, mit unserem Geld zu tun, was uns beliebt, verloren haben.[1] Schon 1961 warnte Ludwig Erhard:

“Wir sind mit einem Anteil der öffentlichen Hand von 40 Prozent am Sozialprodukt schon das Land, das in der nicht-kommunistischen Welt an der Spitze liegt, und dann werden diese 40 Prozent auf 45 Prozent und auf 50 Prozent gesteigert werden. Glauben Sie …, daß dann noch eine freiheitliche Ordnung denkbar ist …?”

Ludwig Erhard, Zitiert nach Lars Feld, Zwischen Anarchie und totalem Staat, FAZ 3.7.2011

Politisches Recht

Innerhalb eines weiten Feldes von der Heizkostenverordnung bis zur Menschenrechtskonvention interessiert uns das spezifisch politische Recht am meisten. Wieviel politische Freiheiten hatten die Bürger früher, wieviel heute? Hat sich auch hier der Freiraum durch Regelungen verengt, oder hat er sich im selbst gern so genannten freiesten Staat auf deutschem Boden erweitert?

Diese Frage kann nur jeweils bezogen auf einen bestimmten Akteur beantwortet werden. Es ist banal, festzustellen, daß die Kommunisten in der Weimarer Zeit und in der DDR freier waren als heute. Die jeweiligen herrschenden Machteliten sind innerhalb des von ihnen geschaffenen Systems immer frei. Noch jedes Herrschaftssystem hat seinen eigenen Anhängern große Freiheit verschafft, sich gegen seine Entmachtung aber verteidigt und einen Systemwechsel für illegal erklärt. Eine Freiheit, die Obrigkeit zu stürzen, gab es nie. Es gab sie nicht, als durch die Karlsbader Beschlüsse die Burschenschaft verboten wurde, es gab sie in der Reichsverfassung von 1871 nicht und gibt sie auch heute nicht. Daß die Weimarer Verfassung sich nicht vor ihrer eigenen legalen Abschaffung absicherte, war ein handwerklicher Fehler und besiegelte ihren Untergang.

1871 nahm der Staat durch den sogenannten Kanzelparagraphen, § 130a StGB, die Freiheit politischer Agitation von der Kanzel:

Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufes öffentlich vor einer Menschenmenge; oder welcher in einer Kirche oder an einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte vor Mehreren Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängniß oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft.

§ 130a StGB 1871

Der Paragraph wurde erst 1953 aufgehoben. Nicht nur gegen die Freiheit der Kirchen richtete der Staat ein Verbot, sondern auch gegen die Freiheit zum Klassenkampf. Schon § 130 des StGB des Norddeutschen Bundes von 1870 lautete:

Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedene Klassen der Bevölkerung zu Gewaltthätigkeiten gegen einander öffentlich anreizt, wird mit Geldstrafe bis zu zweihundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.

§ 130 StGB des Norddeutschen Bundes 1870

Wir sehen hier die Urfassung unseres heutigen Volksverhetzungsparagraphen, der mit den Worten beginnt:

“Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Haß aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.”

§ 130 StGB

Und § 131 ergänzte schon 1871 eine Regelung, die man kürzlich in Frankreich eingeführt hat.

Wer erdichtete oder entstellte Thatsachen, wissend, daß sie erdichtet oder entstellt sind, öffentlich behauptet oder verbreitet, um dadurch Staatseinrichtungen oder Anordnungen der Obrigkeit verächtlich zu machen, wird mit Geldstrafe bis zu zweihundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.

§ 131 StGB 1871

In § 3 des Heimtückegesetzes von 1934 hieß es dann entsprechend;

Wer vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, die geeignet ist, das Wohl des Reichs oder eines Landes oder das Ansehen der Reichsregierung oder einer Landesregierung oder der hinter diesen Regierungen stehenden Parteien oder Verbänden schwer zu schädigen, wird, […] mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und, wenn er die Behauptung öffentlich aufstellt oder verbreitet, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft.

§ 3 Heimtückegesetz 1934

Die dazu passende Vorschrift des StGB der DDR von 1974 lautete:

§ 220. Staatsverleumdung. (1) Wer in der Öffentlichkeit

1. die staatliche Ordnung oder staatliche Organe, Einrichtungen oder gesellschaftliche Organisationen oder deren Tätigkeit oder Maßnahmen;

2. einen Bürger wegen seiner staatlichen oder gesellschaftlichen Tätigkeit, wegen seiner Zugehörigkeit zu einem staatlichen oder gesellschaftlichen Organ oder einer gesellschaftlichen Organisation

verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadel bestraft.

§ 220 StGB DDR

Auch so etwas gibt es heute noch in unserem StGB, nämlich in § 188:

Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine üble Nachrede (§ 186) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

§ 188 StGB

Darüber hinaus haben wir natürlich heute in §§ 86, 86a und 130 StGB eine historisch unerrreichte gesetzliche Regelungsdichte.

1878 bis 1890 galten im Reich die Sozialistengesetze. Sie verboten die SPD und ihr angeschlossene Vereine, auch kommunistische. Die KPD wurde in der Bundesrepublik vom BVerfG auch verboten und ist es bis heute ebenso wie die Sozialistische Reichspartei. Verboten sind heute unzählige Vereinigungen und Vereine. Es zieht sich eine Kontinuitätslinie verbotener politischer Organisationen über alle verschiedenen Staatsverfassungen von der Reichsgründung bis heute.

Das Ausmaß oder die Härte der Anwendung von Staatsschutzparagraphen in verschiedenen Zeiten und Systemen läßt sich allein durch einen Vergleich der Normstruktur natürlich nicht erfassen.

Man kann die Einschränkungen der Freiheit durch spezifisch politische Verbote dennoch auf den Nenner bringen, daß jedes System die Voraussetzungen seines eigenen Funktionierens und seines Machterhalts durch strukturell sehr ähnliche Bestimmungen schützt. In Staatsschutzparagraphen werden wir kein spezifisches Auf oder Ab der Freiheitskurve finden.

Sie gleichen sich strukturell, oft hat sich noch nicht einmal der Standort in der gesetzlichen Paragraphenfolge geändert.

Das Politische in jedem Recht

Eine Gesellschaft ist umso freier, je weniger sie regelt. Was sie im einzelnen für regelungsbedürftig hält, ist eine politische Frage. Politisches Recht steckt nicht nur in dem Untertitel des StGB über die Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats. In jeder anzuwendenden Rechtsnorm steckt eine politische Entscheidung. Von der grundlegenden politischen Garantie des Rechts auf Privateigentum bis hin zur gesetzlichen Deckelung von Mietsteigerungen beruht die Setzung jeden Rechts auf einer politischen Entscheidung.

Der Bundestag besitzt die sogenannte Kompetenz-Kompetenz, also das Recht, darüber zu entscheiden, wofür er selbst zuständig ist. Er kann von Rechts wegen jeden Lebensbereich bis in den kleinsten Winkel normieren und unsere Freiheit faktisch gegen null tendieren lassen. Er darf die Regelung von Lebensbereichen an sich ziehen, er darf sie aber auch privatisieren und die etwaigen Grenzen der Freiheit dem Spiel der gesellschaftlichen Kräfte überlassen.

Solche Entpolitisierungen bieten leider keinen Ausweg aus der Falle für unsere Freiheit. Vor Entstehung des modernen Staates gab es andere, die Freiheit begrenzende Akteure. Gesellschaftliche Kräfte wie die Kirchen, die Zünfte, Feudalherren und andere setzten ihren jeweiligen Machtanspruch über die Menschen rechtsförmig durch. In der freien Reichsstadt Köln waren die Gaffeln und Zünfte staatsfrei in der Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten. Der einzelne Bäckermeister war aber nicht frei. Buk er zu kleine Brötchen oder Wecken mit Luftblasen drin, konnte er von der Bäckerzunft aus der Stadt gejagt werden.

Als Köln preußisch wurde und der Zunftzwang endete, waren die Zünfte nicht mehr frei in der Regelung ihrer Angelegenheiten. Jetzt begann der Staat diese zu regeln. Die deutschen Staaten beseitigten eine Unzahl noch aus dem Mittelalter ererbter wohlerworbener Rechte und Freiheiten. Zugleich begründete er neue Freiheiten auf ganz anderen Gebieten. Ich bin zutiefst skeptisch gegenüber der Hypothese, die jeweilige Quersumme aller Freiheiten zu irgendeiner historischen Zeit in Deutschland hätte sich, per saldo gewissermaßen, ganz wesentlich von der anderer Zeiten unterschieden.

Selbst in Zeiten von Diktaturen entsprach dem völligen Mangel an Freiheiten in bestimmter Beziehung ein größerer Freiraum – oder sollte ich Spielraum sagen? – in anderer. Der gesellschaftliche Innenraum einer Diktatur kann bemerkenswert unpolitisch und – soweit unpolitisch – frei sein. Wenn ich alle Freiheiten zu handeln insgesamt nehme und die verschiedenen Epochen und Systeme miteinander vergleiche, bin ich vorsichtig gegenüber der Vorstellung einer bis heute zunehmenden Freiheit. Ich halte es mehr mit der süffisanten Bemerkung des Schriftstellers Aldous Huxleys aus dem Vorwort seiner weltberühmten Utopie „Schöne neue Welt“ von 1953:

„Je mehr sich politische und wirtschaftliche Freiheit verringern, desto mehr strebt, entschädigungsweise, die sexuelle Freiheit danach, sich zu vergrößern.“

Aldous Huxley, Schöne neue Welt, Vorwort

Daran ist im historischen Rückblick richtig, daß jede Epoche ihr ganz eigenes weltanschauliches Kampfgebiet besaß, zum Beispiel bis 1648 das religiöse, und daß die jeweils folgende Epoche dieses entschärfte, entpolitisierte und damit neutralisierte. Der Streit entzündete sich dann an anderen Fragen. Mit solchen Entpolitisierungen und Neutralisierungen schwand das Bedürfnis nach strengen gesetzlichen Regelungen. Größerer Freiheit auf einem Gebiet entsprach geringere auf einem anderen.

Der gesellschaftliche Druck

Der gesellschaftliche Druck auf die Freiheit des Einzelnen kann selbst in einem Staat überhand nehmen, der sich die politische Freiheit in die Verfassung geschrieben hat. Das Grundgesetz versteht Freiheit als Staatsfreiheit und hat die Grundrechte als Abwehrrechte gegen einen latent übergriffigen Staat konzipiert.

Das genügt aber nicht. Wo der Staat wegsieht, fällt unsere Freiheit in die Hände der Verbände, der nichtstaatlichen Organisationen, privatisierten Staatsunternehmen und anderer Akteure. Die neue SPD-Vorsitzende hat schon die verfassungswidrige Forderung erhoben, private Nichtregierungsorganisationen am Gesetzgebungsprozeß zu beteiligen. Diese verstehen sich oft als Speerspitze gesellschaftlicher Veränderungen und die Freiheit einschränkender Regelungen.

Da arbeitete ein gelernter Bäcker in der Kantine eines großen VW-Werkes. VW ist eine AG und gehört weitgehend dem Staat. Der VW-AG gehört wiederum eine Betriebs-GmbH für die Kantinen, und in einer Kantine arbeitete unser Bäcker sei Jahren tadelfrei. Nicht tadelfrei führte er sich aus Sicht der Antifa und des Verfassungsschutzes. Dossiers über ihn und seine bösen Jungs – Nostalgiker einer von Blut und Ehre triefenden Musikrichtung – kursierten im Internet. Seine Kantinen-GmbH interessierte das nicht. Eines morgens aber ließ ihn der Werkschutz von VW nicht mehr durchs Werktor zur Kantine und zog den Werksausweis ein. Arbeitsrechtsschutz dagegen fand sich nicht, denn die VW-AG und ihr Werkschutz waren nicht Arbeitgeber. Um seine Freiheit, seiner Arbeit nachzugehen, war es geschehen. Der Staat wusch seine Hände in Unschuld.

In vielen deutschen Unternehmen gibt es bereits interne Regelungen, die Freiheiten einschränken. In staatlichen Institutionen gibt es sie sowieso. Auch wenn sich kein Staatsanwalt für eine private Webseite eines beamteten Hochschullehrers interessiert, weil dort zwar Provokantes, aber nichts Verbotenes steht, kann ihm plötzlich eine Abmahnung ins Haus flattern, er habe gegen seine beamtenrechtliche Mäßigungspflicht verstoßen.

Einem Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration schrieb und kündigte seine Behörde zugleich. Sein Auto sei nämlich irgendwo in Mecklenburg parkend nahe einem Konzert einer verfassungsverdächtigen Gruppierung notiert worden, der er früher nahegestanden habe. Einer jungen Kindergärtnerin kündigte ihr der Caritas angeschlossener Verein fristlos, weil sie auf einer Demonstration „Mütter gegen Gewalt“ ein Transparent gehalten hatte, demzufolge Flüchtlinge nicht willkommen wären.

Diese Reihe ließe sich endlos fortspinnen. Die Sonntagsrede vom freisten Staat auf deutschem Boden erweist sich als programmatische Wunschvorstellung. Der Rückzug des Staates aus der unmittelbaren Verantwortung führte zu abnehmender, nicht zunehmender Freiheit. Natürlich gibt es auch heute noch Bürger, die früh um 6 Uhr vom Staat aus dem Bett geklingelt und deren Computer beschlagnahmt werden. Das Gros der Heimsuchungen geht aber nicht mehr vom Staat aus. Wenn jemand heutzutage sein Heim verwüstet, die Hauswand beschmiert und das Auto abgebrannt vorfindet, sind es – abstrakt gesprochen – gesellschaftliche Kräfte, die ihm seine Freiheit nicht lassen wollen.

Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Die schwerwiegendste und zugleich hinterhältigste Bedrohung unserer freien Kommunikation und Meinungsäußerung hat uns die Regierung mit dem sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz beschert. Es zwingt private, meist ausländische Firmen wie Facebook und Twitter, einen umfangreichen Kontroll- und Zensurapparat für Meinungen zu unterhalten oder Millionenbußen zu zahlen.

Nicht juristische Angestellte in irgendwelchen Callcentern sollen in Schnelldurchsicht aus Abertausenden von Meinungsäußerungen weglöschen, was gegen deutsches Strafrecht verstößt. Das können sie natürlich nicht, nicht fachlich juristisch. Die Auslegung und Anwendung der einschlägigen Strafrechtsbestimmungen ist ein juristischer Hochseilakt, der selbst Juristen mißlingt, die nicht regelmäßig zum Beispiel mit dem Volksverhetzungsparagraphen hantieren müssen.

Darum wenden Facebook, Twitter & Co. sogenannte Algorithmen an und fischen gewisse Schlüsselworte heraus. Würde etwa eine alte Dame auf Facebook mit den Worten für “Brot für die Welt” werben, in Afrika würden so viele arme Neger hungern, würde der Beitrag umgehend gelöscht. Während das deutsche Strafrecht nicht verbietet, einen Neger ganz wertneutral einen Neger zu nennen, gilt das in den USA manchen als politisch nicht korrekt. Es widerspricht den sogenannten Gemeinschaftsstandards von Facebook.

Auf der anderen Seite ließ Facebook im November ohne Zensur durchgehen, daß jemand ein Foto von Trümmerfrauen über eines von Kopftuchfrauen montierte und dazu schrieb, die einen würden sich im Grabe umdrehen, sähen sie die anderen. Das Bild ist noch bei Facebook zu betrachten und wurde 647 mal geteilt. Ein Staatsanwalt und ein Amtsrichter haben es unterdessen für Volksverhetzung gehalten, worüber noch verhandelt werden wird.

Niemand weiß mehr genau, was noch erlaubt und was schon verboten ist. Verlage und Vereine lassen Manuskripte vorbeugend anwaltlich auf Strafrechtsverstöße begutachten, um auf der sicheren Seite zu sein.

Der Stammtisch hat schon lange ausgedient. Meinungsbildung und Kommunikation finden heute im Internet statt. Das hat den Staat auf dem linken Fuß kalt erwischt. Immer wieder hagelt es Kritik, die man heute, ich übersetze gleich, als Schiet-Sturm bezeichnet. Das Volk steht dann auf, das heißt: aufstehen möchte es gern, aber ihm wird fortwährend Angst eingejagt. Es ist die berechtigte Angst vor Hausdurchsuchungen, Verurteilungen, Entlassungen oder angezündeten Autos, nachdem man im Internet frei seine Meinung geschrieben hatte. Die mentale Schere der Vorsicht kauft vielen den Schneid ab, sich frei von der Leber weg zu äußern. Eine Schweigespirale senkt sich drückend auf das Land.

Diskriminierung

Ein ganz neuer Feind der Freiheit entstand uns durch Diskriminierung. Sie horchen zurecht auf? Ist die Phrase von der Diskriminierung nicht eine linksradikale Lieblingsparole?

Der Antidiskriminierungseifer der Linken war nicht zum Stillstand gekommen, als alle irgendwo noch versteckten Minderheiten gleiche Rechte bekommen hatten: Schwule durften heiraten, Frauen Militärdienst leisten und so weiter. Auf den erfolgreichen Kampf um Gleichberechtgung für alle folgte der Kampf dafür, alle im Ergebnis des täglichen gesellschaftlichen Konkurrenzkampfes denselben faktischen Anteil zu verschaffen. Das entscheidende dabei: jeder Minderheitengruppe denselben Anteil zu verschaffen.

Während wir doch seit Geltung des Grundgesetzes noch stolz darauf waren, daß Posten ohne Ansehen der Person nur nach Leistung und Tüchtigkeit besetzt werden sollten, werden Bewerber jetzt in vielen westlichen Ländern nach Merkmalen wie ihrer Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Gruppen registriert, kategorisiert und durchgerastert. Es wurden Quotenanteile festgelegt, die erfüllt werden müssen. Angehörige einer jener sogenannten Minderheiten erhielten Privilegien, zum Beispiel mußten Schüler mit – gleich welchen – Behinderungen, geringere Prüfungsstandards erfüllen, es kam zur Frauenquote, zur Behindertenquote und so fort.

Solche Quotenvorrechte setzten aber zwangsläufig alle diejenigen zurück, die jetzt, zum Beispiel in den USA als weißer, gesunder, heterosexueller Mann, eine angestrebte Position nicht erhielten. Ihre Freiheit der Berufswahl wurde durch staatliche Regulierung geschmälert. In den USA ist diese Entwicklung am weitesten fortgeschritten. Deutschland ist bereits infiziert. Zum Teil werden bereits sogenannte Migranten bevorzugt eingestellt. Wer nicht eingestellt wird, büßt an Freiheit seiner Berufswahl ein.

Der Kampf um unsere Freiheit ist leider nicht zuende. Er stellt eine immerwährende Aufgabe dar, so wie der Deichbau auf einer meerumtobten Insel, die man gern frei von Wasser und Wellen halten möchte.[2]


[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/249719/umfrage/historische-staatsquoten-ausgewaehlter-laender-im-vergleich/

[2] Festrede, gehalten am 18. Januar 2020 auf dem Reichsgründungskommers der Kölner Burschenschaft Germania.

Lesen Sie zum Thema Burschenschaft auch