Die allgemeinpolitische Bedeutung von Burschenschaften und anderen Studentenverbindungen tendiert heute gegen null. In ihrer Funktion als Rückzugsort freier Gesprächskultur und demokratischer Willensbildung ist aber unersetzlich.
Wenn es eine Tradition der Burschenschaften gibt, besteht sie im Verbotenwerden. Verboten wurden sie mit den Karlsbader Beschlüssen von 1819, und 1935 wurden sie gleichgeschaltet. Sie mußten als „Kameradschaften“ Teil des NSDStB werden. Heute stehen sie wiederum unter massivem Druck, der von Linksextremisten in SA-Manier ausgeht und sich auch deren Methoden bedient.
Immer waren es das freie Denken und die innere Demokratie, die für ihre Gegner unerträglich waren. 1819 forderten Burschenschaften ein geeintes Deutschland mit Rede- und Pressefreiheit und vieles anderes, das heute unsere demokratische Grundordnung bildet. Weil aber die Zensur und die Kleinstaaterei zum Kernbestand fürstlicher Herrschaft zählten, wurden Burschenschaften rigoros verfolgt und ihre Mitglieder oft eingekerkert.
Es bedurfte der Revolution von 1848, um schwarz-rot-gold als Farben der Deutschen Burschenschaft und der Einheitsbewegung zu legalisieren. Das Frankfurter Paulskirchenparlament 1848 wurde von Burschenschaftern dominiert. Aus dieser Tradition und diesen Farben konstituierte sich 1949 die Bundesrepublik Deutschland.
Auch ab 1933 war das Prinzip gleicher Stimme im Konvent, also der Mitgliederversammlung der jungen Burschen, unvereinbar mit dem nun geforderten Führerprinzip. Offen zu sprechen wurde überall zum Risiko. Band und Mütze als traditionelle Abzeichen der Studentenverbindungen waren wieder einmal verboten. Viele trugen ihr Burschenband unsichtbar unter der Pflichtuniformierung. Man traf sich heimlich, wenn man ein offenes Wort reden wollte.
Wann immer ein kleinkarierter Zeitgeist die Geistesfreiheit größerer Geister durch Zensur und Strafdrohungen unterdrückte, bildeten Burschenschaften und andere Studentenverbindungen geistige Widerstandszellen. Emotionaler Nukleus der Widerborstigkeit war und ist eine unbändige idealistische Freiheitslust. In Wilhelm Baumbachs Burschenschafterlied von 1879 heißt es bezeichnend;
Freiheit duf’tge Himmelsblume,
Morgenstern nach banger Nacht!
Treu vor deinem Heiligtume
steh’n wir alle auf der Wacht.
Was erstritten unsre Ahnen,
halten wir in starker Hut;
Freiheit schreibt auf eure Fahnen,
für die Freiheit unser Blut!
Wilhelm Baumbach, Burschenschafterlied, 1879
Und auch heute bilden Burschenschaften wieder Fluchtburgen der bedrohten Geistesfreiheit. Hier kann man auch heute noch ein freies Wort reden, jede Meinung vertreten, auch mal ins Unreine reden, vielleicht nach langer Diskussion den eigenen Standpunkt verändern und neue Gesichtspunkte kennenlernen.
Hier gelten keine Paragraphen gegen verbotene Behauptungen und Meinungen, hier herrscht kein sozialer Druck, lieber den Mund zu halten und droht kein Karriereknick, wenn man einmal doch ein Wörtchen zuviel gesagt hatte. Wer als patriotischer Student Wert legt auf lebenslange Freundschaft und einen Ort geistiger Freiheit, geht zur Burschenschaft – wohin auch sonst? Für religiös oder weltanschaulich anders ausgerichtete Studenten gibt es ihnen entsprechende Studentenverbindungen.
Wenn die Geistesfreiheit bisher in Deutschland bedroht wurde, dann vom Staat selbst und direkt. Dieser hatte sich 1949 geschworen und verpflichtet:
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz
Sie findet inzwischen doch wieder statt. Nur ihre Methoden haben sich gewandelt. Art.5 GG regelt nur eine Selbstverpflichtung des Staates im juristischen Sinne. An andere mögliche Zensoren dachte man 1949 nicht. Früher fand freie Rede in Versammlungen statt und wurde in Druckwerken verbreitet. Das Grundgesetz verbietet deren staatliche Vorzensur: Man muß Gedrucktes nicht dem Staat zur Vorprüfung vorlegen.
Im digitalen Zeitalter ist das alles Schnee von gestern. Heute findet Zensur mit der Löschtaste von Facebook & Co statt. Der Staat hat seine Leute. Wie im Iran nicht der Staat selbst gegen Abweichler vom rechten Glauben vorgehen muß – die schiitischen Revolutionsgarden erledigen das Nötige für ihn – muß auch unser Staat nicht gegen den Buchstaben seiner Verfassung verstoßen, um Meinungen zu unterdrücken. Es waren auch am 20.Mai 1933 nicht staatliche Einsatzkräfte, als Gewerkschaftshäuser gestürmt und besetzt wurden. Der Staat unter seinem neuen Kanzler mußte sich die Finger gar nicht selbst schmutzig machen. Das erledigte gern die SA als seine Parteiarmee für ihn.
Meinung wird heute weit überwiegend digital gebildet und verbreitet. Die Gewerkschaftshäuser und der Stammtisch haben als relevante soziale Phänomene ausgedient. Es sitzt auch kein Herr im Schlapphut mehr an einem Nebentisch und macht sich Notizen. Noch 1974 mahnte mein Verwandter mich in der HO-Gaststätte in Groitzsch zum leiseren Sprechen, weil einer am Nebentisch „von der SED“ sei.
Dafür gibt es heute ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Es wird zur Zeit verschärft und verpflichtet Internetanbieter, permanent Heerscharen juristisch unbedarfter kleiner Zensoren zu beschäftigen. Wegen Bußgelddrohungen des Staates in Millionenhöhe löschen diese, was das Zeug hält, und zwar meistens ohne Sinn und – juristischen – Verstand. Die absehbare Folge sind inzwischen zahllose Gerichtsurteile, durch die Facebook verpflichtet wurde, gelöschte Beiträge wieder zuzulassen.
Diese Art von Meinungszensur ist heute umfassender als historische Zensur jemals sein konnte. Sie greift nämlich tagtäglich schwerwiegend in das wichtigste soziale Kommunikationsmedium ein. Damit sie einzuschüchtern vermag, werden gewisse, die Meinungsfreiheit eingrenzende Strafbestimmungen immer weiter ausgedehnt, so daß es hoher juristischer Kunst bedarf, zu prognostizieren, ob eine beabsichtigte öffentliche Äußerung noch erlaubt oder schon verboten ist. Selbst am Ende vor Gericht sind sich die Instanzen da nicht immer einig.
Der staatlich erwünschte Effekt besteht darin, daß immer mehr Menschen davor zurückschrecken, offen ihre Meinung zu publizieren. Entsprechende Meinungsumfragen erhärten diese Feststellung. Gegen alle diese staatlichen Umtriebe ist eine Studentenverbindung machtlos. Sie vermag aber geistige Rückzugsorte zu bilden für junge Menschen, die sich noch nicht völlig haben einschüchtern lassen und die ihre Meinungen nicht bei ARD und ZdF abholen.
Wie in einem totalitären Staat will unsere Obrigkeit genau wissen, wer es ist, der sich geäußert hat, und was er sonst noch so treibt, schreibt oder denkt:
In ihrem Entwurf für ein Gesetz gegen Rechtsextremismus und Haßrede hat die Bundesregierung sich auch auf einen neuen Behördenanspruch auf Paßwörter zu Onlinediensten geeinigt. Das geht aus einem am Freitag vorgestellten Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums hervor. Künftig können demnach Behörden unter bestimmten Voraussetzungen von Diensten wie Google oder Facebook verlangen, Paßwörter zu Kundenkonten zu erlangen.
Hendrik Wieduwilt, FAZ, 15.12.2019
Wie sich bestimmte Erreger in einem Organismus abkapseln und sich jederzeit bei besserer Gelegenheit wieder vermehren können, bilden Verbindungshäuser heute oft Samenkapseln geistiger Unabhängigkeit gegen alle Versuche einer Meinungsgleichschaltung. Nicht jeder Verbindungsstudent ist zwar intellektuell ein großes Licht. Es gingen aber aus solchen Verbindungen immer wieder im Düstern noch leuchtende Lichter hervor: Lichter der Freiheit und der geistigen Unabhängigkeit.
Darum sind sie allen Verfechtern „ewiger Wahrheiten“ auch verhaßt bis aufs Blut und werden von den staatlich nicht verbotenen Anti-Körpern eines angeblichen Anti-Faschismus immer wieder gewaltsam angegriffen. Einzelne Burschen werden körperlich angegriffen, Autos brennen ab, Häuser werden beschmiert und beschädigt.
Aber an persönlichem Mut und an Standhaftigkeit hat es Burschenschaftern bekanntlich nie gemangelt.
Dr. Hans Eike van Alste
hervorragend