Wahlkampf – war da nicht was?
In ein paar Wochen dürfen wir wählen. Millionen mündige Bürger werden zu den Urnen gerufen. Das souveräne Volk soll entscheiden. Der Kampf der Meinungen tobt. Argument um Argument wird frei ins Feld geführt. Jeder Wähler ruft sich alles Für und Wider in Erinnerung. Aus dem Widerstreit der Ansichten und Interessen geht ein Parlament aus den Edelsten und Besten unseres Volkes hervor.
Träumen Sie davon noch? Bemerken Sie irgend etwas von einem Wahlkampf um die besten Argumente? Können Sie mir irgend eine grundlegende Frage nennen, in der die tonangebenden Parteien verschiedener Meinung sind? Von Splittergruppen einmal abgesehen scheren nur links die SED aus, die immer noch vom Sozialismus schwärmt und jetzt Linke heißt, und rechts die AfD, die das normale Deutschland zurück haben will und weitgehend die Unionspolitik von einst vertritt.
Bundestagswahlen werden nicht mehr in „Wahlkämpfen“ entschieden. Entsprechend lässig bemühen sich die alten Parteien um Wähler und um Argumente. Könnte die Wahl etwas ändern, würden sie sich um uns Wähler reißen.
Sie müssen ihre Wähler aber nicht mehr anlocken und überzeugen. Mehrheiten gewinnt man heute durch die Macht über die Medien und die sozialen Netzwerke. Vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien entscheiden darüber, mit welchen Informationen wir tagtäglich angefüttert werden und was wir besser nicht erfahren sollten. Fakten zählen nur, wenn sie die richtige Gesinnung stärken.
Von der Meinungsplattform geschubst
Die sozialen Medien und Meinungsplattformen wurden zu staatlich beaufsichtigten privaten Zensoren. Unter dem Druck des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes wird heute mehr an öffentlicher Meinung gelöscht als jemals in der Geschichte durch staatliche Zensur.
Demokratietheoretisch wäre die Forderung nach freier Teilhabe an den sozialen Medien zwingend. Nicht nur ist eine demokratische Meinungsbildung unmöglich, wenn ein Teil der Akteure davon ausgeschlossen wird, seine Ansichten dort zu publizieren, wo alle Welt sie auch potentiell liest, und das ist heutzutage nicht der Leserbriefteil im Stormarner Kreisblatt. Es ist auch unmöglich, wenn emotionale Grundhaltungen von Staats wegen oder durch Facebook-Algorithmen als „Haßreden“ wegzensiert werden, zum Beispiel wenn jemand nach einem islamischen Anschlag seinen Abscheu gegen den Islam ausdrückt. Wenn im demokratischen Staats-Boot alle nach Kräften rudern müssen, aber einem Teil der Ruderer der Mund zugebunden wird und sie den Kurs nicht mitbestimmen dürfen, ist es eben kein demokratisches Boot mehr.
Früher gefährdete zuweilen ein übermächtiger Staat die bürgerliche Freiheit. Er verfolgte mit Argusaugen und seiner Justiz penibel jedes publizierte Wort bis hin zum Witz am Stammtisch. So war es im Vormärz, im 3. Reich und in der DDR. Heute aber sichern unsere Machthaber sich vor allem durch innergesellschaftliche Herrschaftsinstrumente ab. Die staatliche Zensur wurde an private Subuntenehmer wie Facebook und Twitter vergeben. Sie dürfen Nonkonformisten „sperren“. Die Behörden waschen ihre Hände in Unschuld.
Die Gesellschaft hat den Staat gefressen
Wo Staat und Gesellschaft eins sind, kann sich niemand der Einheit von Privatem und Öffentlichem und damit dem ideologischen Konformitätsdruck entziehen. Im mittelalterlichen christlich-universalistischen Feudalismus führte das Verschmelzen von Thron und Altar dazu, daß jeder Verstoß gegen die christlichen Dogmen selbst dann auf dem Scheiterhaufen enden konnte, wenn der Ketzer im übrigen gesetzestreu war. Ketzer, wußte 1646 Nicolas de Vernuls, darf man im Staate auch dann nicht dulden, wenn sie friedlich seien, denn Menschen wie Ketzer könnten gar nicht friedlich sein.[1] Später setzte sich die alleinige Räson des Staates mit ihrer Trennung von der privaten Moral durch und erlaubte ein ungekanntes Maß an Glaubens- und Geistesfreiheit. Im 21.Jahrhundert hat die Gesellschaft den Staat zurückerobert. Gewechselt haben gegenüber dem Mittelalter nur die Ideologeme. Jetzt gibt es wieder den Gedankenverbrecher[2]. Diese Rolle spielt zur Zeit der „ewige Nazi“.
Gesellschaftliche Zensur ist strenger als die staatliche und arbeitet mit Tabus. Diese erzeugen den gewünschten Zwang zur ideologischen Konformität. „Die Probe auf die Pressefreiheit ist, ob geistige Traditionen und von nennenswerten Teilen der Bevölkerung getragene Positionen an der Öffentlichkeit teilhaben können oder nicht. Ist das nicht der Fall, kann man sicher sein, daß Zensur nicht nur ausgeübt wird, sondern sich bereits erfolgreich durchgesetzt hat.“[3]
Ein zunehmend zum totalitären Gesinnungsdruck übergehender Rigorismus beurteilt den Menschen nicht mehr danach, was er tut, sondern danach, was er denkt, sagt oder schreibt.[4] Ideologische Strömungen haben sich parteipolitisch formiert und ihre Vertreter in alle staatlichen Machtpositionen gebracht. Die Frage ist sinnlos geworden, ob ein und dieselbe Person gerade in hoheitlicher Position oder einer parteipolitischen Funktion auftritt, also zum Beispiel als Verfassungsschutzpräsident oder SPD-Genosse oder als staatlicher Sektenbeauftragter oder als CSU-Mann. Er ist oft mehreres zugleich. „Der Eifer unserer Gesinnungs-, Weltanschauungs- und und Sektenbeauftragten, unserer Groß- und Kleininquisitoren und Wächter über ‚political correctness‘ ist zu einer ernsten Bedrohung unserer Freiheit geworden.“[5] Während die staatliche Gesetzesordnung oft noch so weitmaschig gehandhabt wird, daß kein Verhalten mehr verboten werden kann, versichert die Gesellschaft sich als Ersatzlösung der Gesinnung ihrer Bürger. Das Verhalten ist nur noch der formale Anknüpfungspunkt, um „verfassungsfreundliche oder -feindliche“ Gesinnung herauszufinden, auf die es ihm entscheidend ankommt.[6]
Die Moral frißt das Argument
Vor der Forderung nach strammer Gesinnung und der politisch korrekten Haltung zählen keine Sachargumente mehr. Am 1.9.2020 publizierten Gunnar Kaiser und Milosz Matuschek einen „Appell für freie Debattenräume“ und beklagen:
„Zensierte Karikaturisten, pauschal verbotene Demonstrationen, Schriftsteller, deren Bücher aus dem Sortiment genommen werden oder von Bestsellerlisten getilgt werden. Verfolgte und eingesperrte Whistleblower & Enthüller, Opernaufführungen, die abgesagt werden. Seminare oder Vorlesungen, die nicht stattfinden können, weil sie gestört werden. Verlage, die gedrängt werden, bestimmte Bücher nicht herauszubringen. […] Absagen, löschen, zensieren: seit einigen Jahren macht sich ein Ungeist breit, der das freie Denken und Sprechen in den Würgegriff nimmt und die Grundlage des freien Austauschs von Ideen und Argumenten untergräbt. Der Meinungskorridor wird verengt, Informationsinseln versinken, Personen des öffentlichen und kulturellen Lebens werden stummgeschaltet und stigmatisiert.“[7]
Es werden bestimmte inhaltliche und sprachliche Konventionen durchgesetzt durch die „Drohung, daß sich der Abweichler isolieren,“ also durch die bekannten Mechanismen der Schweigespirale selbst „zu schützen“ wisse. „Da es den Hütern der Konventionen strategisch stets darum geht, unter dem Aspekt der Diskriminierung die Diskussion moralisch aufzuladen, befindet sich derjenige, der die Konvention verletzt, nicht einfach nur in einem Irrtum, sondern er ist unanständig.“[8]
Eine gewisse Kommunikation findet zwar innerhalb dieser gesellschaftlich dominanten Elite noch statt. An den Schaltstellen der Medien und Parteien beherrscht und lenkt sie das Meinungsklima. Sie möchte jeden zum Verstummen bringen, der ihre ideologischen Vorurteile nicht teilt. Wie in katholischen Zeiten der Häretiker oder Ketzer exkommuniziert wurde, wird heute jeder Abweichler von der Kommunikation ausgeschlossen: Aus Talk-Schauen wird er ausgeladen, Buchhändler werden bedroht, die seine Bücher verkaufen, und irgendwann wandert er als Unperson ist die Schatten des gesellschaftlichen Vergessens.
Das Perpetuum mobile der totalitären Gesinnungsgesellschaft erfordert keinen Wahlkampf mehr. Die früher mündigen Bürger wurden entweder zu Gläubigen des modernen Multi-Kultes, oder sie wurden zum Schweigen gebracht. In den Resten der staatlich garantierten Meinungsfreiheit leben sie wie in einer Gummizelle: Sie dürfen alles sagen, sogar laut schreien. Es hört sie aber niemand.
Lesen Sie gern hier weiter:
Sie können die Broschüre kostenfrei bestellen:
[1] Nicolas de Vernuls, De una et diversa religione.
[2] George Orwell, 1984, S.28.
[3] Caspar von Schrenck-Notzing, Criticón 1993,155.
[4] Armin Mohler, Liberalenbeschimpfung (1990), S.133.
[5] Martin Kriele, FAZ 4.5.1994.
[6] Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie (1991), S.284.
[7] Gunnar Kaiser und Milosz Matuschek, Appell für freie Debattenräume, https://idw-europe.org/#form.
[8] Sebastian Müller-Franken, Meinungsfreiheit im freiheitlichen Staat, 2013, S.60. f., Hermann Lübbe FAZ 16.12.2011, S.9.
Uwe Lay
Einfache Fragen
Wenn eine Frau ein Vorstellungsgespräch hat, von wem läßt sie sich dann frisieren? Von ihrer besten Freundin, geht sie in ein Friseurgeschäft, läßt sie sich da von der Auszubildenden oder lieber von der Chefin die Haare schneiden? Ist die Kunst des Regierens nicht viel anspruchsvoller als die des Friesierens? Aber was qualifiziert denn nun die zur Wahl stehenden Politiker zu dem Beruf des Regierens im Vergleich zu der Berufsqualifikation eines Friseurmeisters? Wenn sie aber für die Kunst des Regierens völlig unqualifiziert sind, was wundert es dann, das ihr Wahlkampf ein getreues Abbild ihrer Nichtqualifikation ist? Argumentieren Können setzte ja eine Fachkompetenz voraus.