Moralrausch oder Interessenpolitik?

Die Moralisierung des Politischen ist eine politische Frage, keine moralische.

Ein alter Trick im politischen Machtkampf besteht darain, Interessen moralisierend vorzutragen. Ein moralisch maskierter Machtanspruch wirkt auf schlichte Gemüter gerechter als ein offener.

Gewisse ökonomische Interessengruppen „des Westens“ mit sehr viel Geld finanzieren viele „Nichtregierungsorganisationen“, um Einfluß auf demokratische Wahlentscheidungen und auf Regierungshandeln zu gewinnen. Multikulturelle Gesellschaften liegen in ihrem Interesse. In Deutschland stützt ihr Einfluß sich auf akademisch ausgebildete Kreise, aus denen unsere Funktionseliten sich zu rekrutieren pflegen. Vom Lehrer über den Hochschullehrer bis hin zu den ausgebildeten „Politikwissenschaftlern“ und Journalisten sind sie heute weitgehend links sozialisiert. Sie haben die früheren Funktionseliten der Nachkriegsjahrzehnte ersetzt.

Jene waren hervorragend ausgebildet gewesen. Ein antitotalitärer Grundkonsens verband sie. Dieser schloß ideologische Konstrukte weitgehend aus, verpönte politische Propaganda und widmete sich pragmatisch dem Aufbau der deutschen Institutionen und unseres Wohlstandes.

Die heutige Funktionselite verkörpert das Gegenbild. Nach 1968 standen sie langhaarig, bärtig und nickelbebrillt hinter roten Büchertischen und erklärten uns, je nach Fraktion, daß Breschnew, Mao oder Che Guevarra nette Leute seien und die Weltrevolution eine gerechte Sache wäre. Sie regieren unser Land, obwohl sie es eingestandenermaßen gar nicht lieben wie Habeck oder die Existenz des deutschen Volkes rundweg als „Konstrukt“ abstreiten.

Ihre Machtinstrumente sind die Hypermoralisierung aller Entscheidungen und die scheinbare Abschaffung interessengeleiteter Politik. Inhaltlich stützt die Hypermoralisierung sich auf das Postulat der „Gerechtigkeit“. Damit ist aber nicht Leistungsgerechtigkeit gemeint, sondern die Utopie sozialer Ergebnisgleichheit: Durch Umverteilung soll dereinst keiner mehr besitzen als der andere. Um sie zu erreichen, sollen „Privilegien abgebaut“ und „historische Ungerechtigkeiten“ kompensiert werden. Die Privilegien bestehen zum Beispiel darin, daß Deutsche selbstbestimmt in Rechtssicherheit und Wohlstand in ihrem eigenen Land leben, womöglich gar im alten Häuschen ihrer Oma mit Vorgarten.

Moral als Rammbock eigener Interessen

Jenseits aller Moralisierungen geraten die Interessen von über acht Milliarden Menschen zwangsläufig miteinander in Konflikt. Zwischen Arm und Reich, übervölkert oder überaltert, tolerant oder fanatisch, militärisch bedroht oder in Sicherheit: Nichts deutet auf das von dem Liberalen Fukuyma einst ausgerufene Ende der Geschichte hin. Das Gegenteil ist der Fall.

Nun ist der äußere Ablauf der Menschheitsgeschichte nichts anderes als zu Vergangenheit geronnene Politik. Interessenkonflikte und Machtkämpfe gehören zu ihrem Wesen. Typischerweise maskieren sich Machtansprüche durch den Anschein höherer Moral oder Gerechtigkeit. So tarnte sich der Finanzimperialismus der USA immer schon mit der moralischen Parole „to make the world safe for democracy“. Eroberer aller Herren Länder schmückten sich mit dem Titel der „Befreier“. Der sowjektrussische Imperalismus trat unter der Devise an, die Proletarier aller Länder sollten sich gefälligst unter Führung der KPdSU vereinigen. Frau Baerbock tingelt durch die Lande und säuselt überseeischen Potentaten etwas von „feministischer Außenpolitik“ vor, hinter der allerdings handfeste Interessen stehen.

Die Moral als Ideal scheint im Gegensatz zur Politik zu stehen. Realistisch betrachtet ist sie aber eine der Waffen, deren ein politischer oder persönlicher Machtanspruch sich bedient, um sich Geltung zu verschaffen.

Ideen und Werte sind Funktionen, ja Funktionsweisen des um Selbsterhaltung und Machterweiterung kämpfenden sozialen Existenz.

Panajotis Kondylis, Macht und Entscheidung, 1984, S.119.

Wer einen Gegner der eigenen Interessen dazu bringt, diese zu vergessen und die Moral seines Konfliktgegners zu übernehmen, hat verloren. Sie fesselt und bindet ihn. Er kann nicht mehr in eigenem Interesse handeln, sondern fremdbestimmt durch fremde Moral.

Tatsächlich hat aber politisch nie „die Moral“ geherrscht, sondern reale Interessen haben das Handeln bestimmt. Die Moral wurde oft wie ein Fähnchen des guten Gewissens vor den Armeen hergetragen. Es gab aber niemals nur eine Moral, sondern stets so viele, wie es Menschen mit verschiedenen Interessen und Moralvorstellungen gibt. Was im eigenen Interesse lag, erkannten Menschen schnell und gern als das moralisch Gebotene an. Die Moral ihrer Gegner aber fanden sie abscheulich und stritten ihr den Moralgehalt rundweg ab.

Moral ist ein Mittel, eigene Machtansprüche ideologisch oder gar religiös zu überhöhen.

Das ist der Grund, warum alle festen und langlebigen Herrschaften in der bisherigen Geschichte im Namen von objektiv gültigen Prinzipien und nicht einer nackten Entscheidung ausgeübt wurden; der Herrscher muß theoretisch dienen, um praktisch herrschen zu können.

Panajotis Kondylis, Macht und Entscheidung, 1984, S.56.

Klassische Interessenkonflikte

Während Menschen sich moralische Prinzipien im Kopf ausdenken, sind Interessenkonflikte elementar. Sie haben ihren Ursprung nicht im Kopf wie die vielen Moralvorstellungen, sondern in der Realität der Verhältnisse. Freilich machte sich bei Moralisten noch nie beliebt, wer das klar aussprach. Von unbestechlichem Urteil war der athenische Geschichtsschreiber Thukydides. Er lebte in der zweiten Hälfte des 5. vorchristlichen Jahrhunderts. In seinem Werk über den peloponnesischen Krieg berichtet er über die Rede des Radikaldemokraten Alkibiades vor den athenischen Bürgern 415 v.Chr. Er überzeugte sie vom Feldzug gegen Sizilien:

Gegen den Mächtigen wehrt man sich nämlich nicht nur, wenn er angreift. Sondern damit er nicht angreift, kommt man ihm zuvor, Wir können uns nicht einteilen, wie weit wir herrschen wollen, sondern sind gezwungen, da wir nun einmal auf dem Stand angelangt sind, gegen die einen Anschläge zu ersinnen, die anderen nicht hochkommen zu lassen, da uns droht, von anderen beherrscht zu werden, wenn wir nicht selbst über andere herrschen.

Alkibiades, Rede vor der athenischen Volksversammlung 415 v.Chr., nach Thukydides, Der peloponnesische Krieg, 6.Buch, 18.
Der Athener Alkibiades *um 450, gestorben 404 v.Chr. (Wikipedia)

So wurde der Angriffskrieg demokratisch beschlossen. Der Imperativ der Macht gilt bis heute: Wer nicht beherrscht werden will, muß dem zuvorkommen, der sonst über ihn herrschen würde. Das läßt sich nicht auf ein moralisches Angriffskriegsproblem verengen, denn bei jedem existenziellen Konflikt sagt jeder Seite ihre Moral, daß es schrecklich unmoralisch wäre, gewänne der Feind weiteren Boden oder gewönne gar den Krieg.

Die Seemacht Athen sah ihren Imperialismus als Garanten ihrer Existenz an. Der Krieg gegen die Landmacht Sparta währte schon Jahre, und jede Aktion wurde am Gebot der Nützlichkeit gemessen. Athens Flotte segelte zur „spartanischen“ Insel Melos, um die Melier in ein Bündnis mit Athen zu zwingen. Die Melier beschworen Recht und Gerechtigkeit, Moral und alle Götter. Unbeeindruckt erwiderten 416 die Athener:

Thukydides, vor dem Parlament in Wien (Wikipedia)

Sucht das Mögliche zu erreichen, da ihr ebenso gut wie wir wißt, daß Recht im menschlichen Verkehr nur bei gleichem Kräfteverhältnis zur Geltung kommt, die Stärkeren aber alles in ihrer Macht Stehende durchsetzen und die Schwachen sich fügen.

Antwort der athenischen Verhandlungsführer an die Melier, nach Thukydides, Der peloponnesische Krieg, 5.Buch, 89.

Jeder der Konfliktparteien bestätigte ihre Moral, sagten ihre Götter, mit höheren Gesetzen in Einklang zu handeln. Als die Melier nämlich auf ihre Gottesfurcht pochten und in ihre Götter ihre Hoffnung setzten, erklärten die Athener:

Wir glauben, daß der Gott wahr­scheinlich, der Mensch ganz sicher allezeit nach dem Zwang der Na­tur überall dort, wo er die Macht hat, herrscht. Wir ha­ben dieses Ge­setz weder aufgestellt noch als bestehendes zuerst be­folgt. Als gege­ben haben wir es übernommen und werden es als ewig gül­tiges hinter­lassen.“

Antwort der athenischen Verhandlungsführer an die Melier, nach Thukydides, Der peloponnesische Krieg, 5.Buch, 105.

Als sich die Melier trotzdem nicht fügten, wur­den nach kurzem Kampf alle Männer getötet und ihre Frauen und Kin­der in die Sklave­rei verkauft.

Die elementare Kraft des Politischen erkennen wir historisch überall, und im gegenwärtigen Welttheater bestimmt es das Handeln der globalen Großakteure. Die moralischen Maskeraden sind etwas für die sich über das breite Publikum ergießenden Propaganda der Staatsmedien von Moskau über Kiew, Berlin bis Washington.

Die moralische Maskerade

Sie wird aber nicht nur bei Staats- und Völkerkonflikten benutzt, sondern bildet auch ein Instrument der Herrschaft im Innern. Je homogener eine Bevölkerung ist, desto weniger konfliktträchtig ist sie. So war es in den ersten Nachkriegsjahren in Westdeutschland.

Nach dem Scheitern der multikulturellen Experimente befinden wir uns in einer völlig anderen Lage. Die Meinungslager sind tief gespalten und bis zum weltanschaulichen Haß gegeneinander aufgebracht. Zwischen Stadt- und Landbevölkerung bestehen erhebliche Unterschiede an inneren Haltungen und objektiven Interessen, zum Beispiel im Bedürfnis nach Verkehrsmitteln, und zwischen oft ländlichen Hauseigentümern und Bewohnern städtischer Mietskasernen. Während die deutsche Bevölkerung immer laizistischer, toleranter und altersweiser geworden ist, werden die Anhänger fanatischer orientalischer Kulte immer zahlreicher und pflanzen ihre Gebetstürme wie Siegeszeichen ins Herz unserer Städte.

Die Kinder der Nachkriegsgeneration, denen es „einmal besser“ hatte gehen sollen, sind saturiert, während Millionen ausländischer Kolonisten ökonomisch Habenichtse sind. Freien Wohnraum gibt es nicht mehr.

„Was tun?“ spricht Zeus, ´ „die Welt ist weggegeben,“
„Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein.

Friedrich Schiller, Der Poet.

Wo regierungsamtlich hunderte Kolonisten in einem Dörfchen angesiedelt werden sollen, das auch nur ein paar hundert Bewohner zählt, bricht der Interessenkonflikt auf. Die meist orientalischen jungen Männer werden den Dörflern vor die Nase gesetzt, und mit ihren Steuern sollen sie das auch noch teuer mit bezahlen.

Seit 2015 haben unsere Regierungen Millionen Fremder ins Land gelassen, von denen die weit überwiegende Mehrheit, beköstigt, behaust, versorgt, therapiert und gepampert werden muß. Wie viele Fachkräfte sind allein erforderlich, all diese Arbeit zu leisten? Fachkräftemangel ist unausweichlich, wo die Anforderungen der Regierungsparteien über unsere Kräfte gehen.

Diese Entwicklungen führen zu klar erkennbaren Interessenkonflikten. Diese sind die unausweichliche Konsequenz der Multikulti-Ideologie und Frucht ihrer moralisierenden Bannerträger. Der Interessenkonflikt besteht zwischen uns, die wir das Eigene behalten und erhalten wollen, und den hier anlandenden und einfliegenden Bevölkerungsüberschüssen südlicher Länder, denen wir jahrzehntelang „Brot für die Welt“ geschickt hatten. Von Generation zu Generation stellt alle Welt immer wieder verblüfft fest, daß ihre Anzahl sich mal wieder verdoppelt hat und die Infrastruktur ihrer Länder nicht ausreicht, alle satt, reich und glücklich zu machen.

So suchen denn die wohlhabenden unter Ihnen, die sich die teure Reise und Geld für die Schlepper leisten können, ihr Heil bei uns, gerade so, wie Millionen Deutsche im 19. Jahrhundert nach Amerika ausgewandert waren. Individuell kann man das niemandem verdenken. Auswanderer sind keine bösen Menschen. Die Einwanderung in die USA hatte dem Land damals genützt. Die Einwanderung solcher Leute, wie sie eben tagtäglich kommen, nützt aber dem deutschen Volk gar nichts. Ihr Aufenthalt hier nützt ihnen, schadet aber uns.

Darin liegt ein klassischer Interessenkonflikt. Solche Konflikte müssen immer irgendwann aufbrechen, manchmal gerade so wie wir es momentan in Frankreich an den Einwandererkrawallen gesehen haben.

Utopismus oder Realismus?

Er ist rein politisch zu lösen, nicht moralisierend. Ob und welche Moral man auf ihn anwenden könnte, ist eine politische Frage.

Man seift uns aber regierungsamtlich jeden Tag moralisch ein. Die Zutaten wuchsen im ideologischen Gärtlein der Grünen und der Roten, irgendwo fern im utopischen Nirwana. Dort sind alle Menschen gleich, das gilt dann als gerecht. Wie auf den kitschigen Werbebildern der Zeugen Jehovas Löwen und Lämmer friedlich beieinander liegen, integrieren sich Menschen aus aller Herren Länder fröhlich auf grünen Blümchenwiesen. Da schwören womöglich monotheistische Fanatiker ihrem allein seligmachen Gott ab und entdecken den stillen Charme der Ungläubigkeit und der Ketzerei.

Und wer an diese niedliche Idylle nicht glaubt, sind die skeptischen Bösewichter der ganzen Geschichte. Denn jede Moral erzeugt als Antithese ihre spezifische Unmoral. Und Unmoral, weiß jeder Moralist, hat keine Existenzberechtigung, weil sie ja unmoralisch ist. Wer gegen die Kolonisierung Deutschlands durch Fremde ist, wer sie nicht mit seinem Steuergeld durchfüttern möchte, wer als Fan der freiheitlichen demokratischen Grundordnung keinen Zustrom religiöser Fanatiker dulden möchte, wer realistisch bemerkt, daß Deutschland für so viele Kolonisten weder Grund und Boden noch Wohnungen, Ärzte, Therapeuten und Polizisten besitzt: Für alle jene findet man als politischer Moralist flugs das passende N-Wort.

Über den Wolken mögen viele hübsche, bunte moralische Seifenblasen schweben. Wer seine Schritte aber als moralisierender Hans-guck-in-die-Luft nach ihnen lenkt, fällt alsbald auf die Nase.

So jagt ihr gleichsam einer anderen Welt nach, als in der wir leben, versteht euch aber nicht einmal hinreichend auf die Gegenwart.

Rede des Kleon vor dem athenischen Volk 427 v.Chr. nach Thukydides, Der peloponnesische Krieg, 3.Buch, 38.
Büste des Thukydides, Puschkin-Museum, Moskau (Wikipedia)

Die moralischen Blockwarte unseres Parteienblocks sind schon auf die Nase gefallen. Mit Utopien allein kann eine Küchenhilfe kein Land regieren. Noch halten sie sich verzweifelt an den Restbeständen unseres früheren Wohlstandes fest und glauben an ein finanzielles Füllhorn, das niemals versiegt. Sie klammern sich an die tätigen Arme aller Tüchtigen, die noch arbeiten und Steuern zahlen.

Sie reißen diese aber mit sich in den Abgrund, wenn sie nicht vorher in die Küche zurückgeschickt werden, wo sie hingehören. Wie heißt es doch in ihrer eigenen Utopie: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürnissen!“ – Eine Beschäftigung nach den Fähigkeiten unserer rotgrünen Parteipolitiker werden sie sicherlich bald finden bei dem „Fachkräftemangel“.

Starker Fachkräfteüberschuß herrscht freilich in der Branche der Klimapropheten, der Gesundheitsangsterzeuger, der Moralprediger, der Gleichheitsapostel, der Gesellschaftsingenieure, der Internetzensoren, der Fernsehhetzer und der Nachahmer Karl Eduard von Schnitzlers und seiner Sendung „Der schwarze Kanal“. Sie alle leben von der Arbeit und dem Geld der werktätigen Bevölkerung. Sie nehmen es vom Lebendigen. Zwischen ihnen und den Familien, der Arbeitenden, den Steuerzahlenden, den Bewohnern kleiner Eigenheime und allen, die gern freie Luft in einem Land mit freier Rede atmen möchten, besteht ein fundamentaler Interessenkonflikt.

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Unsere populistische Demokratie

  1. Uwe Lay

    Emanuel Hirsch zeigte schon vor 100 Jahren in „Deutschlands Schicksal“ (1925, S.87) auf, wie England seinen Weltkrieg humanitaristisch führte: „So durfte England auf Glauben rechnen,als es verkündete, daß es für den Weltfrieden kämpfe,daß die Deutschen Friedestörer seien.“ Aber es muß auch gesagt werden, daß England so erfolgreich war in 2 Weltkriegen, weil es an seine eigene Ideologie glaubte, daß es als das Reich des Guten kämpfe. Die angloamerikanische Weltherrschaft nach 1989 beruht eben auch auf diesen Glauben an sich selbst.

  2. Uwe Lay

    Anmerkungen zur Moralisierung der Politik: Kann es rein sachliche Politik geben?
    Die jetzige deutsche Außenministerin präsentiert sich als eine Musterschülerin der Vermoralisierung der Politik, indem für sie der Ukrainekrieg einfach ein Krieg der Bösen gegen die Guten ist, der die Verurteilung der bösen Russen verlangt, sind die ja der alleinige Aggressor. Diese dichotomische Weltsicht macht jede Analyse dieses Konfliktes überflüssig, verbietet auch jede diplomatische Lösung sondern kennt nur die Option des Endsieges der Guten. Zu dem gehöre dann auch, daß die russische Regierung vor ein Kriegsverbrechertribunal gestellt wird, das sie dann abzuurteilen habe. Für die Grünenpolitikerin sind da die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse ein leuchtendes Vorbild, daß die Sieger die Verlierer zu den alleinigen Kriegsverbrechern erklären. So fordert diese Politikerin ja vehement eine Änderung des Völkerrechtes, um Putin als Kriegsverbrecher verurteilen zu können.
    Angesichts dieses vermoralisierten Politikverständnisses, das keine realen Interessengegensätze kennt, die dann auch zu Kriegen führen können, ist die Lektüre des Artikels: „Moralrausch oder Interessenpolitik“des Internetblogges von Klaus Kunze vom 5.7.2023 mehr als lesenswert. Dort heißt es:
    Die Moralisierung des Politischen ist eine politische Frage, keine moralische. Ein alter Trick im politischen Machtkampf besteht darin, Interessen moralisierend vorzutragen. Ein moralisch maskierter Machtanspruch wirkt auf schlichte Gemüter gerechter als ein offener“.
    Als Beleg dafür wird Panajotis Kondylis, „Macht und Entscheidung“1984 ,zitiert: „Ideen und Werte sind Funktionen, ja Funktionsweisen des um Selbsterhaltung und Machterweiterung kämpfenden sozialen Existenz.“ (S.119) Das präsumiert, daß der so Agierende zuerst seine Interessen erfaßt, die im Raum der Politik als Wille zur Selbsterhaltung und Machterweiterung definiert werden, um dann in einem zweiten Schritt diese Interessen moralisch verpackt, um sie so besser durchzusetzen. Emanuel Hirsch offeriert uns dafür in seinem Werk: „Deutschlands Schicksal“ den 1.Weltkrieg als Anschauungsbeispiel: „Der englische Welt-Imperialismus fällt praktisch mit dem einzigen Pazifismus,der auf Erden möglich ist,zusammen.So durfte England auf Glauben rechnen,als es verkündete,daß es für den Weltfrieden kämpfe,daß die Deutschen Friedensstörer seien“ (1925,S.87) England führte diesen Krieg im Namen der Moral, es kämpfe für den Weltfrieden und Deutschland kämpfe wider die Friedensordnung.
    Diese Entlarvungssstrategie steht in der aufklärerischen Tradition des Priesterbetrugsnarratives: Die Priester hätten die Götter nur für sich erfunden, um damit ihre Herrschaft zu legitimieren. Sie selbst glaubten natürlich nicht an ihre Götter, aber sie simulierten diesen Glauben, um das dumme Volk zu täuschen. (Bedenkenswert, daß so zur Aufklärung konstitutiv diese Priester-verschwörungstheorie dazugehörte, während jetzt alle Verschwörungstheorien als rein irrationale Phantasmata abgbetan werden.) Nur existiert kein einziger Beleg dafür, daß diese Priester nicht an ihre Götter geglaubt haben. (Vgl dazu: Peter Slotterdijk, Kritik der zynischen Vernunft)
    Das ist der Grund, warum alle festen und langlebigen Herrschaften in der bisherigen Geschichte im Namen von objektiv gültigen Prinzipien und nicht einer nackten Entscheidung ausgeübt wurden; der Herrscher muß theoretisch dienen, um praktisch herrschen zu können.“ verallgemeinert Kondylis S.56 dann dieses aufklärerische Narrativ, das dadurch auch nicht wahrer wird. Die Prämisse ist nämlich das Prioblem, daß zuerst ganz objektiv die Welt, die besondere Lage und die eigenen Interessen wahrgenommen würden, und daß dann erst sekundär die ideologisch bzw moralisch verpackt im öffentlichen Diskurs präsentiert würden. Man bräuchte eigentlich nur die Schlüssellochperspektive wählen, wie die Diener ihre Herren belauschen, um zu erkennen, daß sie alle nicht an ihre eigene Moral und Ideologie glaubten.
    Nur gibt es außerhalb dieses Narratives auch für diese Schlüssellochwahrheiten keinen Beweis. Realistischer ist es, daß die vorherrschende Ideologie von den Herrschenden selbst geglaubt wird, wie die Priester an ihre Götter, denen sie opferten, daß das gerade die herrschende Ideologie ausmacht.
    In der Anfangszeit Westdeutschlands soll das nun aber anders gewesen sein. Kunze schreibt: „Jene waren hervorragend ausgebildet gewesen. Ein antitotalitärer Grundkonsens verband sie. Dieser schloß ideologische Konstrukte weitgehend aus, verpönte politische Propaganda und widmete sich pragmatisch dem Aufbau der deutschen Institutionen und unseres Wohlstandes.“ Anfänglich hätte es also ideologiefreie Eliten gegeben, die nach 1945 Deutschland rein vernünftig aufgebaut hätten. Aber der hier zitierte antitotalitäre Konsens ist nun mal ein rein ideologisches Gebilde, fußend auf einer kritisierbaren Interpretation des deutschen National-sozialismus und des russischen Stalinismus als Totalitarismus. Die Ideologie des Liberalismus fundierte diese Totalitarismustheorie, die, wen wundert es, den Liberalismus dann als einzig wahr Alternative zu allen Totalitarismen propagiert. Daß der Pragmatismus und der ihm anverwandte Utilitarismus genuin angelsächsische Hervorbringungen sind und sich so wenig mit unserer deutschen Kultur vertragen, zeigt dann an, wie sehr die Ideologie der westlichen Siegermächte den Werdegang Westdeutschlands nach 1945 bestimmte. Daß dann kein „Pragmatismus“, wenn man darunter eine Politik ausgehend von den Interessen des deutschen Volkes, die westdeutsche Politik bestimmte, zeigte dann die schroffe Ablehnung der Stalinofferte, daß Deutschland wiedervereint werden könnte, wenn es sich außenpolitisch für neutral erklärte.
    Nein, die Welt wird nicht erst rein sachlich objektiv wahrgenommen, um sie dann in einem zweiten Schritt ideologisch zu verklären. Die Welt ist uns immer nur als eine ausgedeutete, interpretierte. Die Vermoraliserung der Politik stellt nun mal ein mögliches Politikverständnis dar, das ob seiner Dichotonomie von den rein Guten und den rein Bösen extrem friedensgefährdend ist, da es nicht den diplomatischen Kompromiß sondern nur den Sieg über den bösen Feind kennt.
    Nietzsche hat wahrscheinlich mit seinem Votum: „Gegen den Positivismus,welcher bei den Phänomen stehen bleibt,>es giebt nur Thatsachen< ,würde ich sagen:nein,gerade Thatsachen giebt es nicht, nur Intepretationen.“ mehr Recht als die Verkünder einer ideologiefreien Politik. (Nietzsche zitiert nach:Norbert Fischer,Die philosophische Frage nach Gott, 1995,S.266 Anders gesagt: Mannschaften können nicht miteinander Ball spielen, ohne festgelegt zu haben, welches Ballspiel sie spielen wollen.ob Hand- oder Fußball oder….Es gibt eben keinen pragmatischen richtigen Umgang mit dem Spielgerät Ball ohne ein bestimmtes Ballspielregelsystem und so auch keine Politik ohne eine ihr zugrunde liegende Ideologie.

    Zusatz:
    Die Außenministerin verlangt nun die moralische Verächtung des Angriffskrieges. Nur, als England und Frankreich uns 1939 den Krieg erklärten,war das nicht auch ein Angriffskrieg, da es keine Kriegsabsichten Deutschlands gegen diese 2 Länder gab? Und wie war das noch mit den Angriffskriegen gegen Afghanistan und Jugoslawien? Selbstverständlich sollen die nicht verurteilt werden, sondern nur unsere vor 1945 und alle russischen, denn nur wenn Böse Kriege führen sind das verwerfliche.

    • Lieber Herr Lay, aus nachvollziehbaren Gründen sträuben Sie als guter Christ sich gegen die Reduktion von Gut und Böse auf Machtansprüche und Interessen. Sie entzieht nämlich jedem Glauben an objektive und universell gültige Werte die Grundlage, was ein Gläubiger nicht hinnehmen kann.
      Da Sie leider aus dem Werk von Panajotis Kondylis nur meine wenigen Zitate kennen und nicht das Buch „Macht und Entscheidung“, muß ich Ihre Sicht darauf korrigieren. Keineswegs sieht Kondylis die Genese von Werten so, wie Sie hier schreiben: „Das präsumiert, daß der so Agierende zuerst seine Interessen erfaßt, die im Raum der Politik als Wille zur Selbsterhaltung und Machterweiterung definiert werden, um dann in einem zweiten Schritt diese Interessen moralisch verpackt, um sie so besser durchzusetzen.“
      Das wäre freilich weltfremd. Tatsächlich beginnt Kondylis seine Analyse aber bei der Kleinkindphase, in der Bedürfnisse und Ängste zu einem Deutungsmuster der Erscheinungen führen, etwa: „Nuckelflasche, lecker: GUT!, Licht aus, Schlafenszeit: „Will nicht schlafen! BÖSE!“
      So baut jeder Mensch sich von Klein auf eine Weltsicht auf, die zwischen den ihm zuträglichen Phänomenen und den ihm abträglichen unterscheidet: Grundlagen der Abstraktion Gut ./. Böse.
      Bewußt werden den meisten Menschen diese Zusammenhänge zeitlebens nicht. Sie benötigen nämlich den Glauben daran, daß das, was ihren Bedürfnissen entspricht, auch im Einklang mit einer geglaubten „höheren“ Ordnung der Welt steht. Die Engländer dürften, so gesehen, keine Zyniker der Seemacht sein, sondern vielfach wirklich geglaubt haben, daß daß sie mit ihrer handelsmäßigen und militärischen Eroberung eines Großteils des Planeten bis vor 100 Jahren an der Spitze des moralischen Menschheitsfortschritts marschierten und daß sie deshalb von Gott mit dem Reichtum aller Länder besonders gesegnet wurden.
      Sie waren aus ihrer Sicht immer die Guten, und ihre US-Ableger haben sie darin noch übertroffen.

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