Die Irren werden zahlreicher
Ohne Zweifel nimmt die Anzahl psychisch leidender Menschen zu. Immer mehr Zeitgenossen müssen sich auf dem schmalen Grat zwischen psychopathischem Charakter[1] und manifester Geisteskrankheit hüten, einen falschen Schritt zu tun.
In meiner anwaltlichen Praxis vermehren sich die Rechtsfälle wie Kaninchen, die erst nach psychiatrischen Gutachten richterlich entschieden werden können. Die Spanne reicht vom vielleicht nicht schuldfähigen Angeklagten bis zu familienrechtlichen Streitigkeiten um „auffällige“ Eltern oder Kinder.
Wenn bei aufsehenerregenden Morden immer häufiger über psychische Probleme des Täters spekuliert wird, ist das nicht bloß darauf zurückzuführen, daß orientalische Messermörder aus politischen Gründen als bedauernswerte Kranke hingestellt werden, während Taten schizophrener Deutscher wie in Hanau propagandistisch als rechtsextreme Taten eingeordnet werden. Jochen Sommer ärgert sich über das obligatorische „psychisch krank“ bei Messermorden:
Vor Gericht erfolgten dann der in solchen Fällen deutschlandtypische, obligatorische Freispruch wegen „Schuldunfähigkeit” aufgrund einer „psychischen Erkrankung” und die Einweisung in die geschlossene Psychiatrie in Emmendingen, wo er seit vier Jahren untergebracht ist. Nun wurde bekannt, dass der Täter ungeheuerlicherweise schon wieder Freigang erhalten hat und sich bis zu drei Stunden am Tag frei in der Stadt (!) bewegen darf. Er muss lediglich mobil erreichbar sein und sich einem gelegentlichen Drogentest unterziehen.
Jochen Sommer, Messer-Afrikaner: 2019 Offenburger Arzt ermordet, heute schon wieder auf freiem Fuß, Ansage 11.3.2023.
Brüder im Geiste
Nicht die Messer und nicht die Schußwaffen bilden das Problem, sondern die Vermehrung wahnsinniger Mörder. Was Tötungsdelikte verbindet, ist häufig ein Wahn. Dabei läßt sich zwischen Religionswahn und psychotischem Wahn oft keine klare Grenzlinie ziehen. Ob einer Nonne nach 60 Jahren des Klosterlebens plötzlich in ihrer Zelle die Jungfrau Maria erscheint oder ob einem frommen Muselmann sein Gott eingibt, alle Ungläubigen von der Erde zu vertilgen, beruht auf dem gleichen psychischen Mechanismus. Ein Wahn wirkt sich freilich bei Gläubigen eines mütterlichen Friedfertigkeitskults anders aus als bei Erkrankten aus einer aggressiven und intoleranten Religionskultur.
Das hassenswerte und todeswürdige Objekt entnimmt ein Kranker immer seiner spezifischen Kultur ebenso wie ein Anbetungswürdiges. Schon Plutarch (etwa 45-125) führte auf Einbildung zurück, ein römisches Standbild der Göttin Tyche habe tatsächlich gesprochen und Tränen geweint (Coriolan, Kap.37). Religionen mit Haßobjekten müssen nicht monotheistisch sein: Auch buddhistische Mönche können im Kampf gegen Andersgläubige gewalttätig werden, und selbst eine äußerlich als „weltlich“ erscheinende Ideologie erfüllt denselben Zweck, wenn sie ein komplettes ideologisches Wahnsystem enthält. Als Fritz Hippler 1940 den Propagandafilm „Der ewige Jude“ drehte, bezeichnete er „den Juden“ als unseren leibhaftigen Dämon.
Dämonen sind in der Mythologie bekanntlich die fiesen Geisteswesen, wohingegen die netten Engel oder Götter heißen. Solche Dämonen muß man austreiben oder ausrotten, wo sie sich zeigen – klarer Fall für einen Wahnbessenen. Gleichsam als sei der Kranke wirklich von einem Dämonen besessen, beherrscht ihn der wahnhafte Glaube an die reale Existenz des Bösen.
Kundenrezensionen auf einer von Amazon jetzt gelöschten Webseite (noch im Cache erreichbar) erkannten den Wahnsinn auf Anhieb. Eine Milena schrieb dort am 10.3.2023: „
Auch sein Stundenlohn, seine nicht angegebenen Referenzen, das zeugt von einer kaum zu übertreffenden Hybris. Krude Thesen im Buch: Gott hat die russische Armee in die Ukraine geschickt, weil es ukrainische Frauen gibt, die als Sexarbeiterinnen tätig sind. Überhaupt sollten Frauen keiner Beschäftigung nachgehen, sondern lediglich eine dekorative Rolle einnehmen. Bizarr und erschreckend!“, und eine Marion Kirchner kritisierte Amazon: „Ich finde es schon erschreckend genug , daß ihr Bücher verkauft, in denen der Autor sagt, Hitler wäre ein Botschafter von Jesus gewesen und der Holocaust eine Befehl Gottes… und wenn der Autor dann auch noch unschuldige Menschen regelrecht hinrichtet, würde ich sagen: sowas darf nicht auf dem Markt bleiben!!“
Zeugen Jehovas: harmlose Verrückte?
Philipp Fusz war Zeuge Jehovas, bis diese ihn rausschmissen. Sein Werbetext für sein im Dezember 2022 erschienenes Buch „The Truth About God, Jesus Christ and Satan: A New Reflected View of Epochal Dimensions“ lautete bei Amazon, bis der Eintrag am 11.3.2023 gelöscht wurde:
Niemals zuvor wurde versucht, die Wechselwirkung zwischen Himmel und Erde deutlich zu machen und die Einflüsse der Geistpersonen [Gott, Jesus Christus, Satan] auf die Menschheit, die Gesellschaft und den Einzelnen sichtbar zu machen. Entgegen der landläufigen Meinung sind Gott, Jesus Christus und Satan keine abstrakten Wesen im Himmel. Nein, vielmehr haben wir es mit sehr mächtigen Geistwesen zu tun, die ebenso wie wir Menschen Gefühle haben und daher teilweise auch impulsiv aus Gefühlen heraus handeln.
Philipp Fusz auf Amazon über sein Buch (gelöschter Link)
In einem amerikanischen Form der Zeugen Jehovas lese ich über Philipp Fusz:
Dieses Buch wurde am 20.12.2022 veröffentlicht. Danach bekam er einen Komiteefall und wurde am 9.3.2023 offiziell ausgeschlossen.
Anonymer, deutschsprachiger Nutzer auf https://www.jehovahs-witness.com
Hinter „Komitteefall“ verbirgt sich eine Art innerkirchliches Strafverfahren, in dessen Konsequenz ein Gemeindemitglied ausgeschlossen und quasi mit dem sozialen Tod bestraft werden kann. Für die anderen existiert er nicht mehr. Er gehört jetzt zur „bösen Welt Satans“,
so im Wachtturm vom 15. Juli 2008, S. 26-27 mit Verweis auf 1. Joh. 5:19, wo es heißt:
Frank Bruder, Das Kontakt- und Grußverbot bei Zeugen Jehovas nach einem „Gemeinschaftsent-zug , 2.Aufl., Dinslaken 2012, S.31. Download-Link
19 Wir wissen, daß wir von Gott stammen, aber die ganze Welt liegt in der [Macht] dessen, der böse ist.
Diese Stelle muss vor dem Hintergrund von 1Ko 5, 5 und 1Tim 1,20, betrachtet werden, um herauszufinden, inwiefern ein Gebannter „zur bösen Welt Satans“ gehört:
[…] einen solchen Menschen zur Vernichtung des Fleisches dem Satan übergebt, damit der Geist am Tag des Herrn gerettet werde (1Ko 5:5).
Zu diesen gehören Hymenäus und Alexander, und ich habe sie dem Satan übergeben, damit sie durch Züchtigung gelehrt werden, nicht zu lästern (1Ti 1:20).
Wenn der Nutzerbeitrag aus dem US-Diskussionsforum der Zeugen Jehovas zutrifft und Philipp Fusz am 9.3.2023 ausgeschlossen und damit „dem Satan übergeben“ worden ist, hat er sich noch am selben Tag tatsächlich „satanisch“ verhalten, sieben seiner Gemeindmitglieder und zuletzt sich selbst umgebracht. Seine religiöse Botschaft hatte er am 1.2.2023 noch ins Netz gestellt.
Wenn Teufels- und Gotteswahn an Wahnkrankheit grenzen
In jeder Religion waren stets in der Minderheit, die in einem realen, existenziellen Sinn an die ihnen „offenbarten Geistwesen“ glaubten. Wir finden sie kaum auf synodalen Wegen oder Abwegen hoher Kirchenfunktionäre, die über Gott und den Teufel kein Wort mehr zu verlieren haben und statt dessen streiten, welche Genitalien aufweisen muß, wer seiner Gemeinde am Ende der Messe den Schlußsegen „spenden“ darf.
Wo sich aber der Teufels- und Gotteswahn tief eingefressen hatte und Gläubige ihre reale Existenz wähnten, wurde es für die Ungläubigen und Wankelmütigen eng: So mutierten Prediger des lieben Gottes zu inquisitorischen Verfolgern und Massenmördern wie Savonarola (1452-1498) oder Torquemada (1420-1498). Richard Dawkins formulierte, wie bis heute die
Taliban gute Beispiele dafür sind, was passiert, wenn Menschen ihre heiligen Schriften wörtlich und ernst nehmen.
Richard Dawkins, Der Gotteswahn, 12.Aufl.2013, S.401.
Das waren bis vor ein paar Jahren in Deutschland nicht viele Leute. Für die meisten Kirchenmitglieder reduzierte sich ihr Kirchenbesuch auf gesellschaftliche Konformität und die Frage, ob da „nicht doch irgendwas dran sein“ könne. An dieser Haltung erkennt man Menschen, die noch relativ klar im Kopf sind. Sie sehen keinen heiligen Geist sich herabsenken, hören keine „Stimmen“ und reimen sich ihren Glauben halbwegs rational zusammen.
Die fixe Idee
Wo aber die fixe Idee irgendwelcher Geister zur empfundenen und gelebten Realität wird, setzt ein gefährlicher Teufels- und Gotteswahn ein. Wie bei einem schizophrenen Paranoiker interpretiert der Gläubige alles und jedes im Sinne göttlichen oder teuflischen Waltens. Existenzielle Angst um sein „Seelenheil“ kennt kein Erbarmen mit Ungläubigen, und ihrer kulturellen Vielfalt. Sie verwandelt den Gläubigen in einen Streiter für sein Gutes, durch göttlichen Auftrag dazu berufen, das Böse aus der Welt zu schaffen. Er vollbringt jetzt mit gutem Gewissen, was er sonst gar nicht oder nur mit schlechtem getan hätte.
Ein von mir verteidigter Angeklagter hatte seine Freundin fast umgebracht in der festen Annahme, diese sei „in Wahrheit“ eine Agentin eines Geheimdienstes, der ihm nach dem Leben trachtete.[2] Er hatte panische Angst vor ihr. Solche Angst treibt auch Menschen im Gottes- oder Teufelswahn: Sie interpretieren das Brennen eines Dornbuschs (Exodus 3,1 EU bis Ex 4,17 EU) als Stimme Gottes oder ihre sexuelle Lust als Versuchung des Teufels. Die psychische Schraube ist nicht erst locker, wenn ein Mensch im Gotteswahn „„Allahu akbar“ schreit und Passanten massakriert. Anfällig ist auch jeder, der an reale Blutwunder, unbefleckte Empfängnisse, Pfingstwunder, Dreifaltigkeiten, Teufel und Dämonen glaubt. Dawkins schrieb über islamische Selbstmordattentäter:
Diese Leute glauben tatsächlich an das, was sie sagen. Die Lehre, die wir daraus ziehen können, lautet: Wir sollten die Religion selbst dafür verantwortlich machen und nicht einen religiösen Extremismus, als wäre dieser eine Art entsetzlicher Perversion einer richtigen, anständigen Religion. Voltaire erkannte es schon vor langer Zeit: „Wer dich veranlassen kann, Absurditäten zu glauben, der kann dich auch veranlassen, Greueltaten zu begehen.“
Richard Dawkins, Der Gotteswahn, S.426.
Christliche können genauso gefährlich sein. Psychische Erkankungen und Psychosen gibt es zwar auch ohne religiösen Hintergrund. Hat aber ein Kranker bereits einen wahnhaften Glauben an das personifizierte Gute und das Böse fest verinnerlicht, an Götter oder Teufel, Engel oder Dämonen, wird er die Versatzstücke seiner psychotischen Vorstellungswelt dem Inventar dieses Glaubens entnehmen.
Darum ist jeder manichäische Glaube an ein substanzielles Gutes und Böses eine echte Gefahrenquelle für unser friedliches Zusammenleben: ein Reservoir, aus dem „der Teufel schöpft“.
[1] Die Fachpsychiatrie der letzten Jahrzehnte hat hier ein verbales Hütchenspiel veranstaltet und den Begriff der Psychopathie ersetzt durch allerlei diskriminierungsfrei klingende Anglismen wie Borderline, was mir wohlbekannt ist.
[2] Er verbrachte die nächsten Jahre zur Behandlung seiner paranoiden Schizophrenie in einem geschlossenen Krankenhaus.
Axel Kilian
Lieber Herr Kunze, ich fand und finde ihren Blog stets interessant und anregend. Ihr aktueller Artikel über Gotteswahn reizt mich aber zum Widerspruch. Vorausschicken will ich, dass ich auf spirituellen Gebiet absolut unmusikalisch bin, ein lupenreiner Agnostiker. Wie Sie halte ich Gläubige, die ihre Lehre absolut ernst nehmen und nicht erkennen dass es sich um Scheinfragen außerhalb unserer Realität handelt, durchaus für wahnhaft. Aber diese Art Realitätsverlust ist ja nicht auf Religionen beschränkt. Man findet ihn genauso bei Fußballfans oder Klimarettern. Alle glauben, sie seien die Guten und nur sie hätten recht. Auch die Juristerei ist nicht frei davon. In Kambodscha haben Justizangestellte im vollen Bewusstsein ihrer Rechtsstaatlichkeit den Verdächtigen zuerst Schuldgeständnisse per Folter abgepresst und sie erst danach hingerichtet. In unserem zivilisierten Land kann so etwas natürlich nicht passieren, man kann jeden Unsinn sagen, z.B. auch dass die Erde flach ist, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Mit Ausnahmen, wohlgemerkt: leugnet man etwa den Holocaust, wird man auch als alter kranker Mann gnadenlos weggesperrt. Solche Grenzfälle der Rechtspflege zeigen, wie relativ Recht und Unrecht sind. Übrigens hat ausgerechnet der oberste Hirte der wahnhaft-religiösen Katholiken, Papst Benedikt, 2011 vor dem Bundestag eine eindrucksvolle Rede über Naturrecht gehalten. Also Vorsicht vor Pauschalurteilen, es gibt immer solche und solche.