In hoch ideologischen Zeiten lebt es sich bequem, wenn man die vorgeschriebenen Rituale täglich befolgt. Wer mit dem Strom schwimmt, hat meistens nicht zu befürchten.

Zu den rituellen Glaubensbekenntnissen gehört heute in Amerika und Europa das Mantra: Alle Menschen sind gleich. Wer es in vorschriftsmäßiger Weise abspult, darf auf Gnade hoffen, jedenfalls mit Milde rechnen. Sofort im nächsten Satz kann er dann ungeniert loslegen und begründen, warum das genaue Gegenteil richtig ist.

Lesen Sie einfach mit eingeschalteter Logik diese Erklärung der Universität Lübeck vom 18. September 2020:

Alle Menschen sind gleich, und doch ist jeder Mensch einzigartig. Das liegt zum Teil an Erziehung und Umwelt, aber größtenteils auch an der Herkunft unserer Gene, die in der DNA, dem Bauplan des Lebens, kodiert sind. Die genetische Ausstattung des Menschen unterscheidet sich weltweit und bestimmt nicht nur das Aussehen, sondern auch die Anfälligkeit für Krankheiten und das Ansprechen auf Medikamente. Um diese Unterschiede zur Entwicklung einer individuellen Präzisionsmedizin zu untersuchen wurden in den letzten Jahren verschiedene Projekte zur Populationsgenetik in Europa, Nordamerika, Asien und dem südlichen Afrika ins Leben gerufen.

Das erste ägyptische Referenzgenom des Menschen, Universität Lübeck 18.9.2020

An die Spitze des ersten Satzes gehörte das zentrale Glaubensbekenntnis. Es steht zum zweiten, durch ein Komma getrennten Satz in logischem Widerspruch. Entweder sind alle Menschen gleich, oder jeder Mensch ist einzigartig. Ein Drittes dazwischen gibt es nicht.

Der zweite Satz beginnt wiederum mit einem Glaubensbekenntnis, nämlich dem der Milieutheorie. Dieser alte Hut aus dem letzten Jahrhundert besagte, Menschen kämen wie unbeschriebene Blätter zur Welt und würden ausschließlich durch unsere Umwelt zu der Person, die sie sind. Auf der Mileutheorie basierten viele linksextreme Forderungen nach einem “gerechten Ausgleich gesellschaftlich verschuldeter Ungleichheit.” Es lag scheinbar auf der Hand: Wenn nur das Milieu schuld an Mißerfolgen ist, mußte “die Gesellschaft” schuld sein und revolutioniert werden.

Die Milieutheorie gehört heute der Wissenschaftsgeschichte an. Der zweite Satz der Verlautbarung der Universität Lübeck entspricht dem Forschungsstand. Dennoch: Die Verneigung vor “Erziehung und Umwelt” mußte anscheinend sein, bevor auf neueste genetische Forschungen eingegangen werden durfte.

In der frühen Neuzeit hatte der Glaube an Götter oder Gott nachgelassen. Aufklärer demontierten ihn Schritt für Schritt. Am Ende ihrer Bücher ahnte der Leser: Der Autor glaubt eigentlich an gar nichts mehr. Die Schlußfolgerung, es gebe keinen Gott, blieb aber unausgesprochen. Schließlich wollte man keine Schwierigkeiten mit kirchlichen und weltlichen Mächten. Darum steht selbst in solchen Schriften am Anfang die rituelle Beschwörung eines Gottes, auch wenn man später im Buch den Glauben an ihn Seite um Seite mehr verliert.

Ein argumentativer Trick früher Aufklärer bestand darin, den Gott der Christen zwar mit großem Indianerehrenwort heraufzubeschwören und ihn selbstverständlich zum Schöpfer des ganzen Universums zu erklären. Dreihundert Seiten später hatte man dann gelernt: Er ist für uns völlig irrelevant, weil er ein Universum gebaut hat, perfekt wie eine ewige Uhr, so daß er nie wieder persönlich in unsere Geschicke eingreifen muß.

Unterwerfung vor der Autorität: Der Engel sagt selbst dem König, wo es lang zu gehen hat:
“Bis hierher darfst Du denken, ab hier mußt Du glauben!”
(Jans der Enikel, Weltchronik, 13. Jh.)

Zeitgenössische Leser aufklärerischer Schriften hatten das sofort begriffen. Auch die Deutschen in der DDR verstanden ausgezeichnet, etwas zwischen den Zeilen durchblicken zu lassen. Allen ideologisch totalitären Systemen eignet der Zwang zur Konformität.

Unterwerfung vor der Autorität: Kotau im alten China

Hat man den Geßlerhut der herrschenden Ideologie erst einmal mit tiefer Verbeugung geehrt, ist man unangreifbar und kann frisch loslegen. So liest es sich in der genetischen Studie über die Ägypter höchst spannend und vergnüglich unter der Einleitung, daß alle Menschen wirklich und ganz bestimmt “gleich” seien:

Wir haben die ägyptische Bevölkerung in Bezug auf 143 andere Bevölkerungsgruppen der Welt genetisch anhand von Variantendaten von insgesamt 5429 Personen charakterisiert. […] Eine PCA der Daten zeigt ein genetisches Kontinuum zwischen Europäern, Afrikanern, Ostasiaten und Amerikanern entlang der ersten drei Hauptkomponenten, siehe die interaktive HTML-basierte Abbildung. Die Ägypter befinden sich auf der europäisch-afrikanischen Achse und in der Nähe der Europäer. Ihre genetische Varianz breitet sich in geringem Maße in Richtung der asiatischen Achse aus. […] Dementsprechend umfaßt die Genetik ägyptischer Individuen vier verschiedene Abstammungskomponenten, die im Durchschnitt 75% ausmachen. Ägypter haben einen nahöstlichen, einen europäischen / eurasischen, einen nordafrikanischen und einen ostafrikanischen Anteil mit einem relativen Einfluss von 27%, 24%, 15% bzw. 9%. Laut unserer Kohorte weisen die Ägypter eine genetisch geringe Heterogenität auf, wobei der Anteil der Abstammungskomponenten zwischen den Individuen kaum variiert.

Inken Wohlers u.a., An integrated personal and population-based Egyptian genome reference, in: nature communications 18.9.2020, hier übersetzt.

Die dazu gehörende Grafik verdeutlicht, aus welchen genetischen Anteilen die Ägypter als Volk einst zusammengeflossen waren:

Grafik aus der zitierten Arbeit von Wohlers u.a.

Die Ägypter besaßen an der geographischen Wegkreuzung der Kontinente jahrtausendelang ein Weltreich. Es verwundert nicht, daß sie aus allen Himmelsrichtungen Gene in sich aufnahmen. So kann man sich argumentativ selbst widerlegen. Auf den rituellen Schwur, daß alle Menschen gleich sind, folgt seine eigene Widerlegung.

Ach und übrigens – ehe die Egalitaristen mich heimsuchen: Alle Menschen sind gleich. Völlig klarer Fall.

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Identität oder Egalität. Vom Menschenrecht auf Ungleichheit ISBN 978-3-938176-79-5