In meinem Blogbeitrag vom 6.4.2021 habe ich unter dem Titel Verfassung oder Überverfassung? Josef Schüßlburner widersprochen. Aus meiner Sicht ist im Grundgesetz keine „Überverfassung“ angelegt, die bis heute die politische oder verfassungsrechtliche Agenda auf links polt. Die Legitimität des Grundgesetzes sollte nicht in Zweifel gezogen, sondern seine Freiheitsrechte gegen linke Uminterpretationen verteidigt werden.
Ich halte es für ein Gebot guten Stils und der Fairneß, dem von mir Angegriffenen Gelegenheit zu geben, seine Ansichten hier zu verteidigen. Diese waren auch von Ulrich Vosgerau am 21.2.2021 heftig kritisiert worden. Sein nachstehender Blogbeitrag entspricht darum seiner, nicht unbedingt meiner Meinung.
Klaus Kunze
Plädoyer für eine liberale Demokratie des Westens in der Bundesrepublik Deutschland
von Josef Schüßlburner
Erwiderung zur Stellungnahme von Klaus Kunze[1] zu meiner Schrift: Scheitert die AfD? Die Illusion der Freiheitlichkeit und die politische Alternative[2]
Zu Beginn meiner Erwiderung möchte ich dem Juristen-Kollegen Kunze danken für sein Angebot, auf seiner Website eine Erwiderung zu seiner Kritik an meiner Broschüre und seiner dabei von meinem Ansatz abweichenden Meinung abgeben zu können. Es geht uns beiden (und wohl auch anderen) um die Fortexistenz der Oppositionspartei Alternative für Deutschland (AfD) schon im Interesse der Sicherstellung des politischen Pluralismus, also von Demokratie und Rechtsstaat in der Bundesrepublik Deutschland. Zu diesem Zweck ist ein sachlicher Austausch von Meinungen zur Erkenntnisfindung unbedingt erforderlich. Eine insbesondere ad personam ausgerichtete herabsetzende Polemik wie sie ein Vosgerau in seiner sog. Rezension[3] wohl im Auftrag des Chefredakteurs einer Wochenzeit, die sich ebenfalls dem Überleben der besagten Partei verpflichtet sieht, ist hier fehlt am Platze und zwar selbst dann, wenn der Rezensent mit seiner Kritik recht haben sollte; auch dann hätte eine widerlegte Broschüre zur Entscheidungsfindung schon eine positive Wirkung erzielt – womit aber von mir nicht zugestanden wird, daß Vosgerau richtig liegt.
Klarstellend muß ich darauf hinweisen, daß meine Broschüre sich bewußt nicht zur eigentlichen (verfassungs-)rechtlichen Problematik geäußert hat, sondern als verfassungspolitisch einzustufen ist. Ich habe deshalb mit der Broschüre keine Prozeßstrategie beschrieben, was aber nicht bedeutet, daß ich deshalb von der Beschreitung des Rechtsweges abgeraten hätte, sondern habe allenfalls bedauert, daß man auf diesen angewiesen ist und anders als nach der Weimarer Reichverfassung unter dem Grundgesetz nicht die Möglichkeit eines Volksbegehrens zur Änderung der Rechtsgrundlagen des sog. „Verfassungsschutzes“ hat. Dies habe ich in meiner Erwiderung[4] auf die Polemik von Vosgerau mit zugegebenermaßen ironischem Unterton klargestellt.
Um zu belegen, daß ich nicht von der Beschreitung des Rechtswegs abrate, habe ich nachträglich Ausführungen zu Prozeßzielen formuliert, die bei gerichtlichen Vorgehen (es geht dabei um mehrere Ebenen) angestrebt werden sollten.[5] Diese Überlegungen sind nicht aus dem Ärmel geschüttelt, sondern sind Ergebnis jahrelanger Reflexionen zur bundesdeutschen Demokratiesituation, wobei weiteres dazu auf meiner Website www.links-enttarnt.de vertiefend nachgelesen werden kann. Im Übrigen sehe ich mich nicht im Gegensatz zum geehrten Professor Murswiek, dessen Veröffentlichungen zum Komplex „Verfassungsschutz“ ich voll zustimme.
Mir geht es jedoch vor allem um die (verfassungs-)politische Dimension, auch weil ich meine, daß sich eine politische Partei mehr um Rechtsetzung, also konkret um ein alternatives Staatsschutzkonzept, als um Rechtsstreitigkeiten kümmern sollte.
Grundgesetz begründet keine liberale Demokratie des Westens
Nach diesen wohl notwendigen Klarstellungen möchte ich entsprechend den in meiner Broschüre vertretenen verfassungspolitischen Ansatz meine zentrale Kritik am Grundgesetz formulieren und zwar mit einem Zitat eines in der Sache durchaus kundigen SPD-Politikers, nämlich von Mathias Brodkorb:
„Das Grundgesetz der (sic! Anm.) Bundesrepublik Deutschland ist keine liberale, also wertneutrale Verfassung im amerikanischen Sinne, sondern eine ´wertgebundene Ordnung` (BVerfG 2, 12). Im internationalen Vergleich ist dies `Novum` und `Unikum` zugleich (Hinweis auf Streinz[6] in einem GG-Kommentar, Anm.) Auch das Bundesverfassungsgericht betont in seiner Verbotsentscheidung gegen die KPD daher, daß die deutsche Verfassung sich in diesem Punkt von klassisch liberalen Verfassungen fundamental unterscheidet und begründet diesen Unterschied mit der historischen Erfahrung des Nationalsozialismus (BVerfG 5, 137ff).“[7]
Ich möchte jetzt davon absehen, weitere Belege aus der verfassungsrechtlichen Literatur vorzulegen, die diesen Standpunkt untermauern, sondern nur darauf hinweisen, daß sich diese von Brodkorb sicherlich begrüßte, von mir aber abgelehnte Abweichung des bundesdeutschen Demokratiekonzepts von den „liberalen Demokratien des Westens“ (Formulierung des Bundesverfassungsgerichts)[8] vor allem mit der Parteiverbotskonzeption zum Ausdruck bringt und durch das, was aus dieser Konzeption als (von der Rechtsprechung als solches nicht anerkanntes) Parteiverbotssurrogat (Einsatz des „Verfassungsschutzes“, politische Diskriminierung im öffentlichen Dienst etc.) in einer rechtlich zweifelhaften Weise abgeleitet und praktiziert wird.
Meine Broschüre stellt insoweit einen Appell an die AfD dar, sich hinsichtlich dieser Situation keine Illusionen zu machen. So wie eine schönheitliche Frau nicht unbedingt schön sein muß, so muß eine freiheitliche Demokratie nicht unbedingt eine freie sein (ideologisch schon, aber nicht unbedingt faktisch). Und hinsichtlich der Parteiverbotskonzeption bleibt der Freiheitsgrad der BRD doch sogar hinter dem Grad der Bismarckschen Reichsverfassung zurück:
„Z.B ist das Parteienrecht des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates (gemeint der BRD, Anm.) unter dem Gesichtspunkt der rechtlichen Freiheit betrachtet, schlechter als dasjenige der Sozialistengesetze im Bismarckreich … Dem monarchisch-autoritär verfaßten Bismarckreich ist es demgegenüber nicht in dem Sinn gekommen, wegen der Unvereinbarkeit politischer Zielsetzungen der Sozialdemokratischen Partei mit seiner eigenen Wertgrundlage über das Verbot der Parteivereine, ihrer Versammlungen und Druckerzeugnisse hinaus auch die Freiheit der Stimmabgabe für sozialdemokratische Kandidaten, ihre Teilnahme an den politischen Wahlen aufzuheben oder gar errungene Reichstagsmandate zu kassieren.“[9]
S. E.-W. Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, 1976, S. 91, Fn 77
Zusammengefaßt ist die bundesdeutsche Demokratiesituation im Unterschied zu liberalen Demokratien des Westens in der immer noch aktuellen Studie von Boventer aus dem Jahr 1984,[10] wonach die liberalen Demokratien beim Staatsschutz (in der BRD als „Verfassungsschutz“ fehlbezeichnet) eine Gewaltgrenze ziehen, die BRD und wenige andere Staaten – Boventer konnte als weiteren Fall seinerzeit nur die damalige Verfassungsschutz-diktatur Süd-Korea[11] nennen – eine sog. Wertgrenze. Zur Problematik derselben als zentrales Problem, die zur „Überverfassung“ führt, gleich im übernächsten Absatz.
Verfassungsalternative
Hierbei stellt sich für den Verfasser der Broschüre die zentrale verfassungspolitische Frage. Er plädiert dafür, die Demokratie zu verwirklichen in Sinne der liberalen Demokratie des Westens in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Demokratie soll, falls erforderlich, auch durchgesetzt werden gegen Verfassungsgericht und Grundgesetz. Dies ist mit der von Vosgerau, aber selbst noch von Kunze skandalisierten Aussage gemeint. Dies impliziert die Befassung des Verfassungsgerichts – weshalb es wirklich grotesk ist anzunehmen, der Verfasser der Broschüre hätte sich mit dieser Aussage gegen die Beschreitung des Rechtswegs ausgesprochen (so aber Vosgerau) – aber dabei kann man es nicht belassen, sondern soll dann – selbstverständlich mit legalen Mitteln (daß man dies explizit wegen Unterstellungen im Sinne der VS-Methodik betonen muß, ist wirklich eine Schande für die Dialogkultur im Bereich der AfD) – auch entsprechend dem Anspruch der Partei, um die es geht, eine Alternative anstreben.
Dies mag durch eine vom Verfasser der Broschüre ebenfalls schon mehrfach vorgeschlagene Grundgesetzänderung erfolgen etwa durch Rezeption von § 78 Abs. 2 der Verfassung des freien Königreichs Dänemark[12] im Norden der nur freiheitlichen BRD, aber eben auch durch eine alternative Verfassungskonzeption,[13] wofür die Weimarer Reichsverfassung (WRV) mit ihrer Freiheitskonzeption[14] nur ein Beispiel wäre. Für diese spricht allerdings neben anderem, daß damit etwa die Republik Österreich gut gefahren ist, wo eine mit der WRV kongeniale Verfassung von 1920 in der Fassung von 1929 (womit die Angleichung des österreichischen Regierungssystems an die WRV erfolgte) auch im Jahre 2021 noch immer gilt. Auf diese mit der WRV kongeniale Verfassung Österreichs ist es zentral zurückzuführen, daß sich eine FPÖ etablieren konnte, die keinen (Quasi-)Verbotsforderungen ausgesetzt ist, wie sie im Rahmen des Grundgesetzes gegen die AfD vorgebracht[15] werden.
Eine gut begründete Verfassungsalternative entfaltet auch eine politische Wirkung, wenn sie formal nicht umgesetzt wird. Anhand der Verfassungsalternative können dann nämlich verfassungsgerichtliche und andere Fehlentscheidungen etwa nach den Grundsätzen der liberalen Demokratie des Westens bewertet werden, was sich auf eine geänderte Verfassungspraxis unter der bestehenden Verfassung auswirken könnte. Gerade um zu erreichen, daß das Grundgesetz so praktiziert wird, wie dies etwa Kunze meint, daß es praktiziert werden müßte, kann das Angebot einer Verfassungsalternative geboten sein. Ansonsten überläßt man Verfassungspolitik der politischen Linken, was dann dafür sorgt, daß der politische Kompromiß jeweils links vom jeweiligen Verständnis des Grundgesetzes sich bewegt und die Verfassungsrealität immer linksgerichteter wird. Umgekehrt könnte eine rechte Verfassungsalternative dazu beitragen, daß das Grundgesetz doch noch im Sinne einer liberalen Demokratie des Westens praktiziert wird und sich dann eine förmliche Grundgesetzänderung oder gar eine Grundgesetzablösung erübrigt, um eine normale Demokratie in der BRD zu praktizieren. Es soll hier nur noch darauf hingewiesen werden, daß es einen Art. 146 GG gibt (warum wohl?), der insbesondere der bislang einzigen etablierten Rechtspartei der Bundesrepublik Deutschland mit Beteiligung an der Bundesregierung, nämlich der Deutschen Partei (DP), ein Anliegen war, die im übrigen gegen das Grundgesetz gestimmt hatte.
Die geäußerte Befürchtung, daß eine derartige Position für beamtete Parteimitglieder ein Verfolgungsrisiko darstellen könnte, spricht – berechtigter Weise?[16] – nicht unbedingt für ein Vertrauen in den Freiheitsgrad der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtsstaat. Handelt es sich bei Befürwortung einer liberalen Demokratie des Westens etwa um eine rechtsextremistische Position? Gut, bei der Irrationalität, die mit Ziehung einer Wertegrenze einhergeht, ist auch diese „Bewertung“ möglich (die „Argumentation“ dürfte sein, daß eine liberale Demokratie den Rechtsextremismus mehr Raum geben würde, so daß mit der Forderung nach einer liberalen Demokratie nur die Förderung des Rechtsextremismus beabsichtigt sein könne, insbesondere wenn die Forderung von rechts kommt und nicht demokratisch von links oder von der „Mitte“).
Wertegrenze als Inkorporation der Überverfassung
Das Ziehen einer Wertgrenze beim Staatsschutz (Parteiverbot, Verbotsersatzregime) im Sinne der Einstufung von Boventer läuft in der Tat, methodisch wohl unvermeidbar, auf eine Ideologiegrenze hinaus wie auch die zentralen Vorwürfe des sog. Verfassungsschutzes gegen die AfD belegen. So werden der AfD in dem schlaumeierisch der Linkspresse zugespielten internen „Gutachten“ des Verfassungsschutzes folgende Vorwürfe[17] gemacht:
- Kulturdeterministische Geschichts- / Gesellschaftsinterpretation
- Abstufungen der Wertigkeit von Kulturen
- Nicht zielführende Kritik am Parlamentarismus durch massive Kritik an gegnerischen Parteien
- Kritik an der Vergangenheitsbewältigung, insbesondere „Schuldkult“
- Zweifel an bundesdeutscher Souveränität
- Islamfeindlichkeit
- Völkische Staatsauffassung
Derartige Vorwürfe haben in der Tat mit der vom „Verfassungsschutz“ (VS) zu schützenden Verfassung nichts oder kaum etwas zu tun. „Geschützt“ wird damit etwa, was der Verfasser der Broschüre dem Bereich „Überverfassung“ zugeordnet hat („ungeschriebener Teil des Grundgesetzes“ wird dies häufig genannt).
Kunze hat mit seiner Kritik, daß es eine „Überverfassung“ nicht gibt, bei einer ausschließlich normativen Betrachtung völlig recht. Dann wird es aber auch einfach sein, die entsprechenden Rechtsstreitigkeiten zu gewinnen, weil der VS rechtswidrig handelt, wenn er einer Partei als „verfassungsfeindlich“ etwas vorwirft, was gar nicht Bestandteil der Verfassung ist. Der Begriff „Überverfassung“ hätte dann seinen Sinn gehabt, weil dann damit klargestellt wird, daß die Integrität der Verfassung, also des Grundgesetzes, gegenüber der Anmaßung einer ideologischen, zivilreligiösen und auch andersartigen Überverfassung geschützt werden muß.
Welchen Wettbetrag ist jedoch jemand bereit für die Behauptung einzusetzen, daß die Gerichtsbarkeit dies so sehen wird, indem sie einfach die Irrelevanz der aufgezählten Vorwürfe des VS gegen die AfD feststellt? Die genannte Wertgrenze, die als sehr ideologisierbar eingestuft werden muß, läßt einem wohl doch von einem zu riskanten Wetteinsatz zurückschrecken. Vielleicht spielt so etwa wie eine Verfassungsideologie, die damit verbundene und vom Verfasser der Broschüre kritisierte Umwertung des Grundgesetzes zu einem religiösen Dokument – wovor schon Adenauer[18] gewarnt hat! – bei der Gerichtsbarkeit doch eine zentrale Rolle? Vielleicht ist dann im Zweifel doch so etwas wie eine Überverfassung ausschlaggebend?
Wo ist die Überverfassung geregelt?
Die Existenz von Normen, die über der Verfassung stehen, zumindest die Art und Weise der Praktizierung der Verfassung oder das Verfassungsverständnis prägen, ist dort zu erwarten, wo kein souveräner Staat vorliegt. Nun hat der jetzige Bundestagspräsident Wolfgang Schäubleauf einer Veranstaltung des Europäischen Bankkongresses am 18.11.2011 festgestellt, daß Deutschland „seit dem 8. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen“[19] sei. Dies hat sich dahingehend zum Ausdruck gebracht, daß das Grundgesetz strukturell zumindest zunächst nichts anderes sein konnte als „die deutsche Gemeindeordnung höchster Stufe mit der Tendenz, Verfassung eines Staates zu werden, in dem das Staatsvolk die alleinige Machtgrundlage ist … Für die jetzige Ordnung der Herrschaft (von 1950, Anm.) in den drei Zonen ist die Urkunde von Bonn nicht das Grundgesetz, die lex fundamentalis; denn sie ruht auf fremdherrschaftlicher Grundordnung; deren Gesetze bilden den Grund.“[20]
Bis 1955 mußte man deshalb die zentrale Vorschrift von Art. 82 GG über das Inkrafttreten von Gesetzen des Bundes in Verbindung mit Art. 5 des Besatzungsstatuts wie folgt lesen: „Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze werden vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt und im Bundesgesetzblatte verkündet, sofern sie nicht vorher, einstweilig oder endgültig von den Besatzungsbehörden abgelehnt worden sind. Die Besatzungsbehörden werden ein Gesetz nicht ablehnen, es sei denn, daß es nach ihrer Ansicht mit dem Grundgesetz, einer Landesverfassung, den Gesetzen oder sonstigen Anordnungen der Besatzungsbehörden selbst oder mit den Bestimmungen dieses Statuts unvereinbar ist, oder es eine schwere Bedrohung der Grundziele der Besetzung darstellt.“
Zu diesen Grundzielen der Besatzungspolitik zählte das Meinungsforschungsinstitut der Hohen Kommission, Reaction Analysis Branch, eine Einrichtung der alliierten, auf die psychologische Kriegsführung zurückgehenden Geheimdienststellen, drei Kriterien, um den Erfolg der Besatzungspolitik gegenüber den Deutschen festzustellen, nämlich[21]
- Ablehnung von Nationalismus und Rechtsextremismus
- Anerkennung der deutschen Kriegsschuld und
- Beteiligung der Bevölkerung am politischen Leben,
also irgendwie Demokratie (Punkt 3), die allerdings unter dem Vorbehalt steht, daß keine Rechtsparteien gewählt werden (Punkt 1) und die alliierten Werte verwirklicht werden (Punkt 2). Nichts anderes steht in VS-Berichten zum „Rechtsextremismus“ – unter Bezugnahme auf das Grundgesetz oder von woher sonst übernommen?
Wohl noch bis zum Erlaß der Notstandsverfassung im Jahr 1968 hätte man Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG bei dem insoweit nach dem Deutschlandvertrag noch fortwirkenden Besatzungsvorbehalt wie folgt lesen müssen: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, es sei denn die Besatzungsbehörden übernehmen die Ausübung der vollen Gewalt ganz oder teilweise wieder, wenn sie dies als wesentlich ansehen für die Sicherheit oder die Aufrechterhaltung der demokratischen Regierung in Deutschland.“
In dieser Zeit sind die maßgeblichen Vorschriften zum Verfassungsschutzrecht und zum politischen Strafrecht neuer Art[22] erlassen worden, die eine Abweichung vom klassisch-liberalen Staatsschutzrecht darstellen.[23] Die Parteiverbotskonzeption ist von vornherein von dieser Machtlage geprägt, was man so vorstellen kann: Die Alliierten wollten die „rechte“ SRP verbieten, was sie deutlich gemacht haben, indem sie dieser Partei in West-Berlin, wo der Lizenzzwang noch länger galt, keine Lizenz gegeben haben. Da nach den Standards einer liberalen Demokratie ein derartiges Verbot nur schwer möglich war (es lagen ja nur Ideenbekundungen vor), wurde das Parteiverbot als repressive Fortsetzung des präventiven alliierten Lizenzierungssystem ausgestaltet (also eher ideologisch ausgerichtet); dies hat in Übereinstimmung mit dem neuen politischen Strafrecht zu einem konzeptionellen, d.h. tendenziell schon ideologischen Verständnis des Schutzgutes eines Parteiverbots, nämlich von „freiheitlicher demokratischer Grundordnung“ geführt. Dies war wohl auch deshalb notwendig, weil für eine auf Art. 91 GG gestützte notstandsrechtliche Betrachtung[24] die vorbehaltene Zuständigkeit der Alliierten für den Notstand zu beachten war. Mit dem KPD-Verbot mußte man dann bis zur Aufhebung des Besatzungsstatuts warten, weil die USA gegen ein derartiges Verbot[25] waren (und bis 1955 nicht auszuschließen gewesen wäre, daß die Besatzungsbehörden ein entsprechendes Urteil des Verfassungsgerichts hätten suspendieren können).
Die Alliierten haben deshalb die Geltungserstreckung des KPD-Verbots nach West-Berlin auf die SEW verhindert, dafür aber dann die vom Bundesverfassungsgericht nie verbotene NPD bis 1989 einem besonderen Verbotsregime[26] unterworfen, womit sie der deutschen politischen Klasse klarmachten wie sie das besondere deutsche Parteiverbot verstanden wissen wollten: als „Kampf gegen rechts“.[27]
Machtpolitisch wirkt dies noch immer nach wie frühzeitig bekanntgemachte Dokumente im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung belegen und als maßgebliche Ursache für die Diskriminierung der Republikaner ausgemacht werden können: Als Politik und Medien im Sommer 1989 den REP-Erfolg bei den Europawahlen als „braune Gefahr“ dämonisierten, beschwichtigte Kanzler Kohl seine westlichen Freunde am Telefon. Zu US-Präsident Bush: „Die Republikaner seien keine Nazis. Sie würden jedoch hart bekämpft“ [28] – wieso eigentlich, wenn sie keine „Nazis“ sind? Zu seinem französischen Freund und Feind der deutschen Wiedervereinigung Mitterrand meinte Kohl: „Für die kommende Zeit müsse man die Republikaner im Auge behalten. Diese seien im Grunde keine Nazis. In der Führung gebe es einige Rechtsextreme, die mit der Richtung von Le Pen in Frankreich vergleichbar seien …“. Die drei Punkte nach dem Zitat sind mit der Fußnote versehen: „Zwei Sätze nicht freigegeben“.[29] Als Grund für die Pflege des Staatsgeheimnisses an dieser marginal wirkenden Stelle wird wohl sein, daß Kanzler Kohl erklärt hat, mit welchen Mitteln, vermutlich mit den Instrumentarien des Verbotsersatzsystems des „Verfassungsschutzes“ „man“ den REP-Aufstieg, möglicherweise bei Mitwirkung des US-Geheimdienstes[30] zu sabotieren gedenke.
Am deutlichsten hat sich die fortwirkende Machtlage, die mit Fortentwicklung des Europarechts bezüglich der Deutschen als Überverfassung ausgestaltet werden soll, in den als ideologische Warnung an die Deutschen gerichteten Österreichsanktionen[31] mit den maßgeblichen USA im Hintergrund zum Ausdruck gebracht: Den Deutschen ist nicht einmal eine national-liberale Partei erlaubt! Dies korrespondiert mit dem Verbot der FDP (DPS) in der französisch beherrschten Demokratur des Saarlandes,[32] was mit „europäischen Interessen“ begründet wurde und reflektiert die Tatsache, daß die seinerzeit noch überwiegend nationalliberale FDP von den lizenzierten Parteien die größte Schwierigkeit hatte, eine solche alliierte Demokratiebescheinigung zu bekommen.[33]
Dies müßte noch detaillierter ausgeführt werden und etwa die Frage diskutiert werden, ob mit dem Begleitbrief der Außenminister von BRD und DDR[34] zum 2+4-Vertrag den ehemaligen Besatzungsmächten die Zusicherung der Aufrechterhaltung eines Parteiverbotsregimes insbesondere gegen nationalsozialistische Bestrebungen gemacht worden ist und was darunter genau zu verstehen ist (etwa schon das Singen der 1. Strophe des Deutschlandliedes wie von einer Polizeibehörde in Wien einmal angenommen?).
Aber deutlich werden sollte damit, daß es für die AfD um mehr gehen muß als Gerichtsprozesse zu gewinnen. Genauer: Selbst diese Prozesse sind vielleicht nur zu gewinnen, wenn sich die auf das Verständnis des deutschen Verfassungsrechts einwirkende Machtlage ändert oder diese politisch zumindest neutralisiert wird. Es geht in der Tat maßgeblich um die politische Alternative, deren überzeugende Vertretung gestattet, zumindest die politische Auswirkung auch negativer Gerichtsurteile zu neutralisieren.
Zusammenfassung
Auch diesem übergeordneten Machtkomplex gegenüber gilt es, für eine liberale Demokratie des Westens in der Bundesrepublik Deutschland einzutreten; man muß diesem insoweit nur seine eigene Melodie vorsingen, um die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen (so das Motto der hiermit verteidigten Broschüre gemäß Karl Marx). Die Bundesrepublik ist sicherlich der am wenigsten freie Staat in West-Europa. Dies findet sich gelegentlich in kritischen Äußerungen, wenn etwa eine führende britische Zeitschrift vom „German way of democracy“ [35] schreibt mit „democracy agencies“ (Demokratiebehörden, gemeint Verfassungsschutzämter), die den Wählern und Gerichten den Schutz der Verfassung abnehmen. Bei Berichten über Geheimdienstüberwachung der politischen Opposition denkt man nicht an die wegen Demokratiedefizite kritisierten Staaten Polen und Ungarn, sondern dies findet eben in der Bundesrepublik Deutschland statt (und welchen anderen Staaten noch?).
Sollte sich diese liberale Demokratie des Westens im Wege von Gerichtsstreitigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland bei Auslegung des Grundgesetzes verwirklichen lassen, dann gut so! Dies dürfte zur Voraussetzung haben, daß in der Tat alle gedanklichen Verbindungen zur (gewissermaßen) „Überverfassung“ gekappt werden und rein normativ entschieden wird. Was passiert aber, wenn selbst das Verfassungsgericht den vom „Verfassungsschutz“ behaupteten sog. rechtsextremen, verfassungsfeindlichen Charakter der AfD etwa wegen eines Geschichtsrevisionismus bestätigen sollte? Wartet man dann auf das förmliche Parteiverbot oder löst sich dann die Partei von selbst auf? Vielleicht drängt sich wenigstens dann die Verfassungsalternative auf, die von vornherein verhindert, daß wegen Meinungsäußerungen ein Geheimdienst- und Verbotsproblem für eine Oppositionspartei besteht. Könnte man sich diesem Problem aber nicht schon früher widmen?
[1] S. http://klauskunze.com/blog/2021/04/06/verfassung-oder-ueberverfassung/
[2] S. https://antaios.de/buecher-anderer-verlage/aus-dem-aktuellen-prospekt/106996/studie-39-scheitert-die-afd
[3] S. https://jungefreiheit.de/kultur/literatur/2021/afd-und-verfassungsschutz/
[4] S. https://sezession.de/64014/junge-freiheit-und-politische-romantik
[5] S. https://sezession.de/64134/missbrauch-des-verfassungsschutzes
[6] Nämlich Rudolf Streinz, Das Parteiverbot als Ausprägung der „wehrhaften Demokratie“, in: Christian Starck (Hg.), Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, S. 386 ff.
[7] S. Mathias Brodkorb, Metamorphosen von rechts. Eine Einführung in Strategie und Ideologie des modernen Rechtsextremismus, 2003, S. 113.
[8] S. BVerfGE 5, 85, 135 (KPD-Verbot): „Es ist also kein Zufall, daß die liberalen Demokratien des Westens ein Parteiverbot entsprechend Art. 21 Abs. 2 GG nicht kennen, wie es auch der deutschen Reichsverfassung von … 1919 fremd war.“
[9] S. E.-W. Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, 1976, S. 91, Fn 77.
[10] Gregor Paul Boventer, Grenzen der politischen Freiheit im demokratischen Verfassungsstaat – Das Konzept der streitbaren Demokratie in einem internationalen Vergleich, Berlin 1984
[11] S. zu einem noch jüngeren Parteiverbot in diesem Land:
[12] § 78 Abs. 2 der dänischen Verfassung lautet: „Vereine (unter Einschluß von politischen Parteien, Anm.), die sich unter Anwendung von Gewalt betätigen oder ihre Ziele durch Gewaltanwendung, Anstiftung zu Gewaltanwendung oder ähnliche strafbare Beeinflussung Andersdenkender zu erreichen suchen, werden durch Gerichtsurteil aufgelöst.“ S. dazu: https://links-enttarnt.de/wp-content/uploads/2021/03/AfDvsVSfin.pdf
[13] S. ergänzend zu Sinn und Zweck einer Verfassungsdiskussion:
[14] S. dazu: https://links-enttarnt.de/wp-content/uploads/2020/09/Verfassungsdiskussion_Teil-2.pdf
[15] S. dazu: https://links-enttarnt.de/wp-content/uploads/2020/12/Surrog25-Verbotsvorwirkg.pdf
[16] S. zum diesbezüglichen Beamtenrecht
https://links-enttarnt.de/wp-content/uploads/2021/03/Surrog4-Beamtdiskr.pdf im Unterschied zu den liberalen Demokratien: https://links-enttarnt.de/wp-content/uploads/2021/03/Surrog26-Beamtdiskrint.pdf
[17] S. dazu: https://links-enttarnt.de/wp-content/uploads/2021/03/PrueffallVSPPtx.pdf
[18] „Das Grundgesetz ist nicht mit den Zehn Geboten zu vergleichen!“ s. bei Jochen Lober, Beschränkt souverän. Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland als „Weststaat“ – alliierter Auftrag und deutsche Ausführung, 2020, auf S. 6 als Motto zitiert.
[19] Zitiert bei Karl Albrecht Schachtschneider, Die Souveränität Deutschlands. Souverän ist, wer frei ist, 2012, S. 11.
[20] So Hermann Jahrreiss, Demokratie. Selbstgefährdung – Selbstschutz, in: Festschrift für R. Thoma 1950, S. 71 ff., S. 83.
[21] S. Caspar von Schrenck-Notzing, Charakterwäsche. Die Politik der amerikanischen Umerziehung in Deutschland, 1993, S. XV.
[22] S. dazu Hans Copic, Grundgesetz und politisches Strafrecht neuer Art, 1967.
[23] S. dazu Günther Wilms, Staatsschutz im Geiste der Verfassung, 1962.
[24] Art. 91 (1) GG lautet: „Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder sowie Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen und des Bundesgrenzschutzes anfordern.“ Damit muß „freiheitliche demokratische Grundordnung“ etwas sein, das durch erhöhten Polizeieinsatz geschützt werden kann, was für Verfassungsprinzipien nicht zutrifft; damit kann nur das legale Funktionieren des Staatsapparats gemeint sein, was es bei Aufständen mit erhöhtem Polizeieinsatz zu schützen gilt und erst dann erst wäre auch an ein Parteiverbot zu denken.
[25] „CIA warb für die KPD“ interpretiert Der Spiegel (2/2018, S. 25) gar neu veröffentlichte Dokumente.
[26] S. https://links-enttarnt.de/wp-content/uploads/2020/09/Parteiverbotskritik-Teil-25.pdf
[27] S. zusammenfassend: https://links-enttarnt.de/wp-content/uploads/2020/09/Parteiverbotskritik-Teil-15.pdf
[28] S. bei Hanns Küsters / Daniel Hofmann, (bearb.): Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90,1998, S. 314 dieses offiziösen Werkes.
[29] S. ebenda, S. 305 f. Fn. 3.
[30] S. zu dem Versuch der Unterwanderung der Republikaner durch den US-Geheimdienst den Beitrag von Bernd Kallina im Alternativen Verfassungsschutzbericht: Die Deutschen als Zielgruppe: Einflußnahme, Steuerung oder was? Das Einwirken westlicher Nachrichtendienste auf die Bundesrepublik
[31] S. dazu: https://links-enttarnt.de/wp-content/uploads/2021/01/EuropKritik6-VS.pdf
[32] S. dazu https://links-enttarnt.de/wp-content/uploads/2020/09/Parteiverbotskritik-Teil-26.pdf
[33] Dies ist etwas verschleiernd ausgedrückt im Buch des langjährigen Parteivorsitzenden Erich Mende, Die FDP, Daten, Fakten, Hintergründe, 1972, S. 15: „In der Französischen Besatzungszone lagen die Verhältnisse noch schwieriger, da die Voreingenommenheit gegenüber einer nationalliberalen Partei dort am größten waren.“
[34] S. Bulletins Nr. 109 des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung vom 14. September 1990, außerdem veröffentlicht in: Verträge zur deutschen Einheit – Bundeszentrale für politische Bildung, S. 91-93.
[35] S. Economist vom 29.04.1995 auf S. 36.
Schüßlburner studierte nach dem Abitur am Humanistischen Gymnasium in Straubing Rechtswissenschaften an der Universität Regensburg und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Im Anschluß war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der juristischen Fakultät der Universität des Saarlandes in Saarbrücken.
Er war von 1985 bis 2018 im höheren Verwaltungsdienst des Bundes (Bundesverkehrsverwaltung, insbesondere Bundesverkehrsministerium) eingestellt, unterbrochen durch eine Beurlaubung für Tätigkeit beim Generalsekretariat der Vereinten Nationen, New York, im Referat für Völkerrechts-Kodifikation von 1987 bis 1989 und einer Abordnung als nationaler Experte für Rechtsfragen des Luftverkehrs mit Schwerpunkt Gesetzgebung zur Europäischen Kommission in Brüssel.
Ivo Edersleben
Die als Verfassungsschutz bezeichnete Einrichtung ist sicherlich unrichtig bezeichnet. Allerdings würde ich die richtige Bezeichnung weniger in Staatsschutz sehen als in Parteienschutz. Denn diese Einrichtung wird maßgeblich zum Zwecke des Schutzes der etablierten Partein benutzt.