und dem Zweck der neu- und altrechts-Unterscheidung
Während die rotgrüne Guerilla ihren Marsch durch die Institutionen vollendet hat, zwei Jahre nach ihrer legalen Machtergreifung, während die Volksleugner unserem Land ein Standbein nach dem anderen weghauen, haben manche Rechte nichts besseres zu tun, als über die feinsinnigen Unterscheidungen zwischen altrechts und neurechts zu sinnieren.
Leider laufen sie dabei den amtlich bestellten „Extremismusexperten“ ins offene Messer. Lesen Sie die Details hier. Die Standortbeschreibung von Carsten Jung und seine Analyse beider angeblicher rechter Richtungen beinhaltet eine kapitale Fehlanalyse.
Es ist unvergessen, daß es linke Autoren waren, die schon vor Jahrzehnten den Begriff der Neuen Rechten aufgegriffen und in ihrem Sinne publizistisch verwertet hatten.[1] Die Quintessenz und polemische Zielrichtung hatte immer darin bestanden, den historisch abscheulichen Kern alles „alten Rechten“ auch bei dem neuen wiederzufinden und dieses mit der Nazikeule niederzuhalten. Einen ersten Ansatzpunkt fand man schon darin, daß die Idee einer neuen Rechten 1972 bekannt wurde durch eine Eigenbenennung: 10% des bayerischen NPD-Landesverbandes traten aus, und 350 von Ihnen gründten die „Aktion Neue Rechte“ (ANR).
Seitdem ist der Begriff wohlfeil und wird von rechten wie linken Autoren verwendet. Aus Sicht vieler neuer Rechter stellte man sich so etwas wie ein rechtes Weltbild abzüglich Diktatur und Judenverfolgung vor, womit man sich unangreifbar glaubte.
Carsten Jung nimmt die Unerscheidung als gegeben hin und fragt nach den entscheidenden Unterschieden. Neben richtigen Beobachtungen einzelner Phänomene führt seine Analyse aber zu grob falschen Ergebnissen, weil sein philosophisches und sonstiges Marschgepäck allzu leicht ist.
Diese radikale Transformation, welche Europa und die Welt erfaßt hat, ist auf die Krise der Moderne zurückzuführen. Heute lassen sich alle Werte philosophisch dekonstruieren, bis wir schließlich vor dem Nihilismus stehen und in den Abgrund blicken. Unser technisches Denken führt zu einer Spaltung der Welt in das Subjektive und Objektive, weshalb jede Wahrnehmung des Natürlichen als bloß subjektives Gehirngespinst abgetan werden kann. Zu Ende gedacht wird dieser Fortschritt auch nicht vor dem Menschen halt machen, denn er läßt sich ebenso dekonstruieren und ersetzen, wie alles andere auch.
Carsten Jung, Darum sind wir „Neurechts“, Thymos – Kulturmagazin, 23.3.2024.
Jung hält den Nationalsozialismus für die „Verkörperung der alten Rechten“. Damit schon beginnt sein Weg in die analytische Katastrophe. Hitler sei rechts gewesen, ist ein Lieblingsdogma der Linken und Liberalen, um mit ihm die politische Rechte niederzuhalten. Ein Rechter muß es sich nicht zu eigen machen. In Wirklichkeit hatten führende Nationalsozialisten wie Hitler und Goebbels die damaligen Rechten abgrundtief gehaßt. Zu Recht verwies der liberale Historiker Rainer Zitelmann darauf, daß Hitler seine Einordnung als rechts oder links entschieden ablehnte und sich für „seinen Sozialismus“ aus dem Ideengut beider Gegner bediente.[2] Bei Hitlers Sozialismus werden wir also nicht fündig, wenn wir nach den eigentlichen Grundlagen rechten Denkens fragen.
Der Nationalsozialismus war strukturell ein diktatorischer, sozialistischer Kollektivismus und inhaltlich ein polyideologischer Flickenteppich. In seinen letzten Jahren tendierte er immer deutlicher weg von einem traditionellen Verständnis deutscher Kultur, das auch Rechte haben, hin zu einem pangermanischen, eine angebliche Rasse betonenden Kollektivismus.
Schon der Politologe Herfried Münkler wies 1988 zu Recht „die Fiktion einer unverwechselbaren und eindeutigen Ideologie des Nationalsozialismus“ zurück, weil dieser „nicht nur in seiner Herrschaftsstruktur polykratisch, sondern auch in seinen Visionen und Rechtfertigungen polyideologisch gewesen ist.“[3] Hitler selbst verstand sich „weder als Politiker der Rechten noch der Linken.“[4] Die Strukturähnlichkeiten zwischen seiner Ideologie und dem gleichzeitigen Stalinismus überwogen bei weitem die wenigen, wie auf ein Kostüm aufgeklebten rechts wirkenden Versatzstücke. Die fast identische Herrschaftsstruktur mit Einparteiensystem, faktischer Einmanndiktatur mit Willkürherrschaft, Massenorganisationen kollektivistische Gleichschaltung und innere Homogenisierung führte zur Totalitarismustheorie,[5] die diese Herrschaftsform als eigenständig begreift. Homogenisierung hieß hier Ausmerzung angeblicher rassischer Minderheiten, dort Ausmerzung der Klassenfeinde. Josef Goebbels tönte sogar: Der Idee der NSdAP entsprechend sind wir die deutsche Linke! Nichts ist uns verhaßter als der rechtsstehende nationale Besitzbürgerblock.“[6] – Ein heutiger Rechter, der mit diesen Leuten in das Traditionsboot „Rechts“ steigt, hat die falsche Passage gebucht und wird eher zum Fliegenden Holländer, als jemals wieder Land zu sehen.
Anti-Moderne und Nihilismus
Carsten Jung übersieht in seiner Modernitätskritik das Hauptmerkmal rechten Denkens: den Realismus. Er unterscheidet nicht zwischen den realen historischen Umbrüchen der letzten zweihundert Jahre, die uns Massengesellschaften mit Massenproduktion und -konsum beschert haben, und ihren ideellen Folgen. Die geistige Moderne ist nicht vom Himmel gefallen, sondern bildet die weltanschauliche Neuorientierung der Massenmenschen in einer Umwelt ab, für die die Weltbilder etwa der Renaissance und der Romantik keine Erklärung und Sinndeutung mehr boten. Die moderne neue materielle Lebenswelt war wie das Feuer, die Moderne als geistiges Konzept nur der Rauch. Man kann ihn nicht vertreiben, solange das vernichtende Feuer brennt.
Man kann diesen Rauch nicht mit Gegenrauch bekämpfen, wenn man kein Feuer zur Verfügung hat. Das versucht aber Carsten Jung.
Wir müssen die Geschichte annehmen, wie sie ist, und erkennen, daß es sich um eine sinnvolle Geschichte handelt. Ja, wir erleben Kulturverfall und Niedergang. Aber es spannt sich ein historischer Bogen, der zu unserer heutigen Situation geführt hat. Wir können nicht als Übermensch diesem Prozess trotzen. Aber wir können den Samen pflanzen für einen Neubeginn. […] Die hier beschriebene Rechte steckt bisher noch in den Kinderschuhen, aber das wird sich ändern. Als diejenigen, die in die Geschichte gerufen wurden, ist es unser Schicksal, uns auf die Suche zu begeben.
Carsten Jung, Darum sind wir „Neurechts“, Thymos – Kulturmagazin, 23.3.2024.
Bitte überlesen Sie nicht die verräterischen, entscheidenden Details. Jungs Stichwort lautet „sinnvolle Geschichte“. Er fühlt sich „in die Geschichte gerufen.“ Der Rauch, den er mit diesen Worten macht, soll eine handgreifliche Geschichsphilosophie beschwören. Er sieht einen „Sinn“ in der Geschichte, noch deutlicher hier:
Ein weiteres Kernproblem der alten Rechten ist ihr Umgang mit dem Nihilismus. Letztlich ist die alte Rechte nicht davon überzeugt, daß die Welt sinnvoll wäre. Sie steht in der Denktradition von Nietzsche, bei welchem der Sinn von Übermenschen in einem Willensakt aus sich selbst geschaffen und der Gesellschaft aufgedrückt werden. Jede Kultur ist damit bloß von (Über-)Menschen aus sich selbst heraus geschaffen worden…. und kann genauso wieder zerstört und ersetzt werden.
Carsten Jung, Darum sind wir „Neurechts“, Thymos – Kulturmagazin, 23.3.2024.
Damit denkt er strukturell genauso wie die Christen und die Marxisten. Christen glauben an einen gottgegebenen paradiesischen Urzustand, der nach dem Abfall der Menschen von Gott in ein irdisches Jammertal geführt habe, aus dem sich aber die Guten und Gerechten am Tage des jüngsten Gerichts wieder erheben und zu Gottes ewiger Seligkeit zurückkehren können. Sie verstehen die reale Geschichte als Heilsgeschichte, die am jüngsten Tag Gottes Heilsversprechen einlösen wird. Mit einer strukturell ähnlichen Geschichtsphilosophie prophezeit der Marxismus: Nach der kommunistischen Urgesellschaft, dem Sündenfall der Erfindung von Eigentum und Produktionsmitteln und eine zwangsläufig eintretende Revolution werde es schließlich eine paradiesische herrschaftlose Gesellschaft geben.
Das wären also „sinnvolle Geschichtsabläufe“. Von dieser Sorte stellt sich offenbar auch Carsten Jung einen vor, ohne ihn im Detail auszumalen. Man darf gespannt sein, welche Bedeutung im Rahmen seiner „sinnvollen“ Geschichte etwa die Vernichtung Dresdens, Kölns und Hamburgs im alliierten Bombenhagel einnehmen könnte.
Bei realistischer, also rechter Betrachtung steckt leider kein „Sinn“ in der Historie. Wer sollte ihr den gegeben haben? Ein Sinn und Zweck erfordert unabdingbar eine Person, die der in sich sinnlosen Sache einen – aber nur für sie – geltenden Sinn verleiht. Wer einen Knüppel aufhebt, um sich auf ihn zu stützen, verleiht ihm eben diesen Sinn. Vorher war da kein Sinn. Keiner – nihil – da schaudert es allen Liebhabern übersinnlicher Sinngebungen, aber es ist noch kein Versuch gelungen, einen für alle Menschen gültigen Sinngeber zu finden, auch wenn sie noch so verzweifelt nach einem suchten, hofften und beteten. Ohne jemanden, der einer Sache oder einem Geschehen einen Sinn zumißt, ist alles nur kausal determiniert. Erst der im Kopf einer Person entstehende Vorgang der Sinngebung setzt eine Finalität in Gang und macht das Geschehen zielgerichtet, also sinnvoll.
Das ist unser Glück, denn wie könnte ein Mensch seinem Leben oder auch bloß einer banalen Sache Sinn und Zweck geben, wenn alles schon einen hätte? Seinem Leben einen Sinn zu geben, kann schon jeder für sich selbst tun. Das Jammern und Wehklagen über eine „Sinnlosigkeit des Seins“ zeugt nur vom geistigen Kater, wenn der Glaubensrausch verflogen ist.
Das Übersinnliche
Es verläuft eine tiefe geistige Kluft zwischen Realisten und Metaphysikern. Diese stehen in der Tradition Platons, der seinerzeit tief von animistischem, mythischen Denken erfüllt war. Solche Leute meinen, hinter dem realen Diesseits gebe es eine jenseitige Welt, Dinge hinter den Dingen, im Irgendwo schwebende Ur-Ideen und andere Phantasmata. Von solcher Metaphysik ist die europäische Geistesgeschichte tief verseucht, seit Augustinus dem Christentum Platons Ideenlehre hinzugefügt hatte. Wie Esoteriker bei ihren Séancen Ektoplasma zu sehen glauben, erfanden neuere Metaphysiker Phänomene wie den Weltgeist, den Geist der Geschichte, die fundamentalistische Menschengleichheit als „beseeltes Geschöpf“ und viele andere.
Wer sich einmal im Irrgarten übersinnlichen Glaubens verloren hat, findet manchmal nicht wieder hinaus. Uwe Backes, inzwischen der Nestor der Extremismusforschung, arbeitete
„nach einer Analyse des linken, rechten und religiösen Extremismus heraus: erstens den exklusiven Erkenntnisanspruch (Glaube an ein „höheres“ Wissen), zweitens den dogmatischen Absolutheitsanspruch (Behauptung der unbezweifelbaren Richtigkeit eigener Positionen), drittens das essentialistische Deutungsmonopol (alleinige Erfassung des „wahren“ Wesens der Dinge), viertens die holistischen Steuerungsabsichten (angestrebte ganzheitliche Kontrolle der Gesellschaft), fünftens das deterministische Geschichtsbild (Wissen um den vorgegebenen historischen Weg), sechstens die identitäre Gesellschaftskonzeption (Forderung nach politischer Homogenität der Gesellschaft), siebtens den dualistischen Rigorismus (Denken in kompromißlosen Gegensatzpaaren wie Gut-Böse) und achtens die fundamentale Verwerfung des Bestehenden.“[7]
Uwe Backes
Alle diese Merkmale enthalten einen metaphysischen Kern und werden von rechtem Denken grundsätzlich abgelehnt. Was von rechts mit der eingeführten philosophischen Begrifflichkeit als metaphysisch kritisiert wird, nennt der Politologe Backes extremistisch. Offenkundig wird das, wenn Backes „exklusive Erkenntnisansprüche“ aufgrund „höheren Wissens“ nennt, wenn er als extremistisch ein „Deutungsmonopol“ eines „wahren Wesens der Dinge“ bezeichnet, ein deterministisches Geschichtsbild und so fort. Rechtes Denken bildet das Gegenteil von alledem. Es betont realistisch, daß es da im Universums gerade nichts zu „deuten“ gibt. Man kann die Dinge drehen und wenden, solange man will, es steckt kein „höherer Sinn“ in ihnen. Genau die von Backes aufgezählten Merkmale sind es, vor denen rechtes Denken sich mit Grausen abwendet.
Freilich ist die Versuchung immer groß, seine eigene Weltdeutung und die eigenen individuellen und kollektiven Interessen für allgemeinverbindlich zu erklären: Sie stünden angeblich mit dem „Sinn des Daseins“ und ähnlichen hübsch klingenden Wortgebilden in trautem Einklang. Wer darauf angewiesen ist, steht in der Tradition heilsgeschichtlicher Erwartungen und denkt strukturell ebenso religiös wie die von ihm bekämpften politischen Gegner. Diese vertreten nur andere Religionen: die Klimareligion, die Religion des guten Menschen und der Gleichheit oder viele andere.
Wer möchte aber mit denen schon ins selbe Boot steigen und ablegen?
Keine Rechten
Manche Metaphysiker und Esoteriker mögen sich selbst für rechts halten. In ihrer grundlegenden Denkstruktur stimmen sie aber überein mit anderen Religionen, Heilslehren und Ideologien: Sie glauben sich eingebettet in eine Art sinnvollen kosmischen Geschehens. Rechtes Denken dagegen spekuliert nicht, sondern ist realistisch und im Kern an naturwissenschaftlichen Fakten orientiert. Auch durch den Hintereingang „Für neue Rechte“ gibt es keinen Weg für jene, von denen sich manche den Ausdruck „rechter Narrensaum“ gefallen lassen müssen: liebenswerte Träumer. Zu ihnen zähle ich Carsten Jung nicht. Jede Bemühung um unsere geistige Standortbestimmung hat ihre Verdienste.
Es versteht sich von selbst, daß politische Haltungen wie „rechts“ und „links“ sich in ständigem historischen Wandel befinden. Die Unterscheidung von Neurechts und Altrechts nützt der Rechten gar nichts. Unabdingbar ist lediglich der entschiedene Widerspruch überall, wo ausgerechnet die nationalkollektivistische Variante des marxistischen Sozialkollektivismus als „rechts“ bezeichnet wird. Sozialismus bleibt immer Sozialismus, und mit kollektivistischer Unterordnung haben gerade rechte Individualisten unüberwindliche Probleme. Sie waren historisch die einsamen Waldgänger, nie aber die gläubigen Mitläufer.
Lesen Sie demnächst gern weiter in:
Das rechte Weltbild
erscheint im April 2024im Lindenbaum-Verlag.
Die Grundlegung der rechten Denkstruktur und des rechten Weltbildes.
[1] Günter Bartsch, Revolution von rechts? Ideologie und Organisation der Neuen Rechten, 1975, Margret Feit, Die Neue Rechte in der Bundesrepublik, Organisation – Ideologie – Strategie, 1987, Claus Leggewie, Die Republikaner, Phantombild der Neuen Rechten, 1989 u.a.m.
[2] Rainer Zitelmann, Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs, 1998, hier zitiert nach The European.
[3] Zitiert nach Armin Mohler, Der Nasenring, , ISBN 3-926650-26-5.S.75.
[4] Rainer Zitelmann, Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs, 1998, S.27.
[5] In der Sache schon 1957 bei Walther Hofer, Der Nationalsozialismus, Dokumente 1933-1945, herausgegeben und kommentiert von Walther Hofer, Frankfurt 1957, S.365.
[6] Josef Goebbels 6.12.1931 in der Zeitschrift „Der Angriff“, Gauzeitung der Berliner NSDAP.
[7] Armin Pfahl-Traughber, Linksextremismus in Deutschland, 2.Aufl. 2020, S.18 f.
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