Die Resignierten
Konservative und Rechte haben unterschiedliche Gefühle. Konservativ ist der typisch Bürgerliche. Kampf ist ihm verhaßt. Er leidet unter ihm. Wenn auf der Straße die Revolution marschiert, verbirgt er sich in seinem Ideengehäuse, proklamiert persönliche Abwehrrechte gegen die Tyrannei, steht hinter der Gardine und wartet, welche Fahne er morgen vorsichtshalber hissen sollte.
Rechte dagegen sehen sich unbedingt als Akteure in einem niemals endenden Kampf um das Dasein. Sie ordnen sich ungern unter und betrachten das soziale Leben als ständiges Ringen um die eigene Selbstbehauptung. Rechte müssen nichts von Heraklit wissen, um den ontologischen Ausgangspunkt des alten Philosophen mit wissendem Lächeln zu quittieren:
„Kampf ist der Vater von allem, der König von allem. Die einen macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu Freien.“[1]
Heraklit
Nach ihrem erfolgreichen Marsch durch die Institutionen geht der organisierte Linksextremismus zum Generalangriff auf die ihm verhaßte bürgerliche Gesellschaft über. Schon 1933 hatte ein sozialistischer Kollektivismus es in Deutschland vermocht, die Institutionen unseres Staates zu übernehmen. In den äußeren Formen des Rechts zerschlug er planmäßig seine politischen Gegner, erst organisatorisch, dann physisch. Die bürgerliche Gesellschaft kuschte: „Befehl ist Befehl!“
Befehl war auch Befehl, als paramilitärisch ausgerüstete Polizisten des morgens um sechs einen verschlafenen Zeitungsherausgeber aus dem Bett klingelten und er sich im Bademantel vor den wartenden Kameras der vorinformierten Journaille den Schlaf aus den Augen rieb. Auch 1933 folgte der Machtergreifung umgehend die Zerschlagung von „Vereinen“ und ihrer Presse: der SPD, der Gewerkschaften und damit zugleich ihrer Zeitungen.
Jetzt zittern die Konservativen
Doch nicht nur unsere politische Freiheit bröselt. Auch auf der Straße sind wir uns unseres Lebens nicht mehr sicher. Das löst bei Konservativen Fluchtinstinkte aus.
Grundgesetz und Rechtsstaat helfen uns nicht mehr, wenn dieselben Polizisten, die unlängst noch eifrig Jugendlichen in Grünanlagen hinterherrannten, weil diese keine Masken trugen, unfähig sind oder untätig gehalten werden, wenn eine Frau im Dunkeln nach Hause gehen möchte. Ohne den politischen Willen, unsere Institutionen auch funktionieren und arbeiten zu lassen, nützen uns die papierenen Gesetze gar nichts.
Ohnehin pfeift die linksextreme Innenministerin Faeser auf deren Einhaltung: Sie macht einfach, was sie will, und wem es nicht paßt, kann ja dagegen klagen, meinte heute früh im Kontrafunk Hans Georg Maaßen. So ging die Regierung aus SPD, Grünen und Liberalen (!) als erste Bundesregierung in die Geschichte ein, die tatsächlich wieder eine höchst effektive Pressezensur einführte: Man machte einfach den ganzen Verlag dicht. Was werden die sich noch alles einfallen lassen? Roland Tichy schrieb gestern, am 21.7.2024:
Die Aufhebung der Presse- und Meinungsfreiheit hat viele Bürger schockiert. Es ist das Signal, dass das Grundgesetz mit Taschenspielertricks jederzeit außer Kraft gesetzt werden kann. Der Vorgang wirkt wie ein Aufruf zu Vertreibung und Flucht oder zur inneren Emigration und Verweigerung. „Für meine Frau und mich hat sich seit Dienstag etwas massiv verändert. Uns ist tatsächlich die Zuversicht abhanden gekommen. Die Zuversicht, dass sich in diesem Land in näherer Zukunft etwas zum Besseren wenden könnte.“ Das schreibt mir ein erschrockener Leser und überlegt, wohin er auswandern will.
Roland Tichy, Die große Vertreibung der Deutschen ins Nirgendwo, in: Tichys Einblick 21.7.2024
Auswandern oder innere Emigration
Wer nicht kämpfen kann oder möchte, könnte sich vor dieser Alternative sehen. Sie hat in Deutschland historische Vorbilder: Die Jahrzehnte der Pressezensur und der Verbote der Burschenschaften unter Fürst Metternich in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, sogenannte Demagogenverfolgung gegen die demokratische Delegitimierung der fürstlichen Obrigkeitsstaaten, die Demokratenverfolgungen nach der mißglückten Revolution von 1848 und die Zeiten des herrschenden Kollektivismus 1933-45 und in der DDR bis 1989.
Der Rückzug in die Innerlichkeit, ins wohlgeordnete Biedermeier, in die innere Emigration: Das ist Teil der deutschen Kulturgeschichte. Eine neue Rückzugsstrategie kommt hinzu: der Verzicht auf wirtschaftliche Leistung. Es ist das neue Biedermeier ohne Sozialversicherungsbeitrag. Warum arbeiten, wenn das Finanzamt mit Höchststeuersätzen schon beim kleinen Einkommen zuschlägt? Warum arbeiten, wenn immer neue Steuern erfunden werden, obwohl uns doch Christian Lindner das Gegenteil versprochen hat? Warum arbeiten, wenn es sich vom Bürgergeld besser leben läßt? Warum aufstehen und Rentenbeiträge bezahlen, wenn eine im europäischen Vergleich minimale Rente dabei herauskommt? Warum bis 70 arbeiten, wenn die Franzosen oder Italiener für eine fast doppelt so hohe Rente gemessen am Erwerbseinkommen nur bis 60 oder 62 arbeiten müssen?
Roland Tichy, Die große Vertreibung der Deutschen ins Nirgendwo, in: Tichys Einblick 21.7.2024
Im 19. Jahrhundert blieb vielen Demokraten nur die Wahl hastiger Flucht in die Schweiz oder nach Amerika, um ihrer Einkerkerung, und im 20. Jahrhundert, um der Ermordung zu entgehen. So weit sind wir hier und heute noch lange nicht. Hier werden wir lediglich ausgenommen wie Weihnachtsgänse, und man bindet uns den Schnabel zu. Tichy als braver Gutbürgerlicher empfiehlt:
Lieber mit kleiner Rente und Einkommen leben, wo die Sonne scheint, die Steuern niedrig und die Preise akzeptabel sind, ganz ohne CO2-Abgabe. Oder daheim im Kleingarten. Auch wenn die Schweiz schon wegen Überfüllung geschlossen ist: Als digitaler Nomade lebt es sich schon am Plattensee phantastisch und halbieren sich in Lissabon die Steuern, von Nord-Zypern ganz zu schweigen.
Roland Tichy, Die große Vertreibung der Deutschen ins Nirgendwo, in: Tichys Einblick 21.7.2024
Ein Rechter kämpft
Idealtypisch wird hier der Unterschied zwischen bloß räsonnierenden Konservativen und kampfbereiten Rechten deutlich. Der Rechte will sich behaupten, wo immer er steht. Er weiß, daß er fallen kann. Aber es quält ihn nicht, daß er sterben wird, denn das muß sowieso jeder. Wie er lebt ist ihm wichtiger, als daß er lebt, und zwar in kämpfender Selbstbehauptung. Diese Haltung verbindet sich mit Tugenden, die das eigene physische Leben im Zweifelsfall dem unterordnet, das man liebt, für das man kämpft und notfalls auch stirbt.
Solche Menschen lassen sich und ihren Stamm lieber von der Kavallerie niederschießen als sich in ein Reservat umsiedeln zu lassen. Andere knieten nicht nieder vor den Altären eines neuen Gottes, sondern steckten lieber den Missionar in den Suppenkessel. Der rechte Kommandant José Moscardó der umzingelten Festung Alcázar im spanischen Bürgerkrieg kapitulierte 1936 nicht, obwohl die linken Belagerer seinen Sohn als Geisel hielten, ihn zu erschießen drohten und dann exekutierten.
Wer flieht und sich lieber am Plattensee eine virtuelle Existenz aufbaut, weil er dort das Leben mehr genießen kann, ist ein bürgerlich-Konservativer. Es ist eine Stilfrage, welche Kriterien im Zweifel entscheiden: moralische für den Einen, ökonomische für den Zweiten oder Lebensgenuß für den Dritten. Und dann gibt es jenseits aller Gutmenschen, Geldmenschen und Genußmenschen eine spezielle Spezies, die im Zweifel alles andere sausen läßt: die Moral, den Profit und den Genuß. Diese Leute haben in ihrem Kopf ganz präzise Vorstellungen davon, was sie sein wollen, wie sie sein wollen und welches Bild sie dabei abgeben. Dieses sollte ein glänzendes, zu bewunderndes Bild sein – für sie völlig klar. Für sie ist es auch eine ästhetische Frage.
Wer sich mit starken Persönlichkeiten seelenverwandt fühlt, formt seinen eigenen Charakter so, wie er sich seine Vorbilder vorstellt, und versucht entsprechend zu handeln. Er entwirft ein Konzept von sich selbst und handelt danach. In solchen Lebenskonzepten mancher Menschen von sich selbst ist das Beugen von Knien nicht vorgesehen. So verklärte Julius Mosen 1810 den letzten Weg Andreas Hofers:
„Doch als aus Kerkergittern im festen Mantua
die treuen Waffenbrüder die Händ‘ er strecken sah,
da rief er aus: „Gott sei mit euch,
mit dem verrat’nen deutschen Reich
und mit dem Land Tirol!“
Dort sollt er niederknien; er sprach: „Das tu ich nit.
Will sterben, wie ich stehe, will sterben, wie ich stritt.
So steh ich hier auf dieser Schanz –
Es leb mein guter Kaiser Franz,
Mit ihm sein Land Tirol!“
Die innere Emigration
Diesen Weg scheint Ernst Jünger gegangen zu sein, in den 1920er Jahren noch konservativer Revolutionär. In der Hochphase des 3. Reiches zog er sich zurück und beschränkte sich auf subversive Schriften, in denen er seine Systemkritik verschlüsselte. Deutlicher durfte er in jenem System nicht werden und schon gar nicht einen organisierten Kampf aufnehmen, ohne Gefahr zu laufen, gehenkt zu werden wie die Männer des 20. Juli 1944.
Doch ist nicht auch das Schreiben eines subversiven Buchs eine Form des Kampfes? Kampf ist ja nicht nur der militante oder militärische. Ernst Jüngers Kampf war ein geistiger und wirkte viel nachhaltiger als jede direkte Aktion wie etwa die Ernst von Salomons, der Beihilfe zur Ermordung Walter Rathenaus geleistet hatte. In seinem 1947-49 verfaßten Roman Heliopolis legt Jünger einer Romanfigur in den Mund:
Wir kennen ihre Lage- sie ist die eines konservativen Geistes, der beim Versuche, revolutionäre Mittel anzuwenden, scheiterte. Die alte Heimat ist verschlossen, und die Bewegung wurde uferlos. In diesem Stande wendet man sich den unberührten Reichen, sowohl im Innern als in der Ferne zu.
Ernst Jünger, Heliopolis, hier nach der Ausgabe Diana-Verlag Salzburg und Wien 1950, S.432.
Da trat sie in den Möglichkeitsraum: die „Ferne“, in der noch die Freiheit wohnt. Jünger nennt sie metaphorisch „jenseits der Hesperiden“, einem mythischen Ort der antiken Literatur.
Im Augenblick, in dem die niederen Mächte völlig triumphieren, wird für den Menschen, insofern er noch Größe in sich empfindet, immer der Rückzug jenseits der Hesperiden möglich sein.
Ernst Jünger, Heliopolis, hier nach der Ausgabe Diana-Verlag Salzburg und Wien 1950, S.360.
Für Jünger als hervorragendem Mitglied der geistigen Elite waren die niederen Mächte alle, die in ihrer gleichmacherischen Vernichtungswut alles kollektivieren, vereinheitlichen und durch „Herrschaft einer absoluten Bürokratie“ (a.a.O. S.175) zu beherrschen suchen. Sie zielen auf
Herrschaft über eine entfärbte und nivellierte Welt. Die Sonderungen und Überlieferungen sollen im menschlichen Bestand verschwinden.
Ernst Jünger, Heliopolis, hier nach der Ausgabe Diana-Verlag Salzburg und Wien 1950, S.343.
Hinter den Kollektivierungen des Sozialismus und der rassischen Vereinheitlichung des Nationalsozialismus steckt dieselbe „Herrschaft des Niedrigen“, die sich auf alles stürzt, was hervor ragt, was seine Identität bewahrt und dadurch dem absoluten Herrschaftsanspruch widersetzt. Als Rechter sah Jünger mit Abscheu auf alle kollektivistischen „Bestrebungen auf die Bildung von intelligenten Insektenstaaten (a.a.O. S.176) herab.
Diese rechte Geisteshaltung ist es, die heute dem Anspruch unserer Linken und unserer EU-Bürokratie hemmend im Weg steht. Daher rührt der unbedingte Vernichtswille, rühren aller Haß und und alle Hetze „gegen Rechts“. Alles ist moralisch erlaubt gegen jeden, der nicht links ist, der sich dem Gleichheitspostulat und der Gleichmacherei der Linken entgegenstellt und die Utopie einer vollkommenen Gleichheitsordnung stört.
Sie glauben an die Möglichkeit vollkommener Ordnung, an lückenlose Perfektion. Das treibt sie notwendig der Tyrannis zu und gibt den Idolen, die sie errichten, den fürchterlichen Glanz.
Ernst Jünger, Heliopolis, hier nach der Ausgabe Diana-Verlag Salzburg und Wien 1950, S.250 f.
Menschen wie gleiche Moleküle
Als amorphe Masse sind wir Leuten wie Faeser am liebsten vor allem, wenn wir im Dunkeln Feuerzeuge hochhalten und Gutmenschensprüche skandieren. Als berechenbare Moleküle des Marktes schätzen uns auch die globalen Mitspieler des Wirtschaftslebens: Sie kennen keine Deutschen mehr, sie kennen nur noch Verbraucher. Zur sich wandelnden „Formenwelt der späten Demokratie“ (a.a.O. S.335) war
die Freiheit dahingeschwunden, sie hatte sich in Gleichheit aufgelöst. Die Menschen glichen sich wie Moleküle, die nur durch Grade der Bewegung unterschieden sind.
Ernst Jünger, Heliopolis, hier nach der Ausgabe Diana-Verlag Salzburg und Wien 1950, S.335.
Während Faeser, von der Leyen und Konsorten alles daransetzen, Völker in beherrschbare Massen umzuwandeln, war für Ernst Jünger die
Frage die, ob Masse in Volk zurückverwandelt werden kann.
Ernst Jünger, Heliopolis, hier nach der Ausgabe Diana-Verlag Salzburg und Wien 1950, S.348.
Wenn sich die Restbestände des Volkes freilich in alle Welt zerstreuen, kann das nicht gelingen – Tichys Plattenseelösung ist Fahnenflucht.
Nur der ist jedem Posten gewachsen, der weiß, wie er sich auf verlorenem Posten zu halten hat.
Ernst Jünger, Heliopolis, hier nach der Ausgabe Diana-Verlag Salzburg und Wien 1950, S.91.
Bloß Konservative sind keinem Kampf gewachsen, der über die Sicherung ihrer eigenen Habe hinausgeht. Dazu bedarf es eines Rechten:
Es wohnte ihm ein Zug von angestammter Freiheit inne, der ihm unmittelbare Autorität verlieh. Das machte ihn fähig, den Ränken des hoffnungslos gezähmten Menschen und seiner Treiber zu widerstehen, ja führend zu sein in diesem Widerstand.
Ernst Jünger, Heliopolis, hier nach der Ausgabe Diana-Verlag Salzburg und Wien 1950, S.81.
Bloß Konservative sind hoffnungslos gezähmte Rechte. Sie eignen sich aber als Seismographen: Bei kleinen Erschütterungen denken sie bereits an Flucht. Sie haben keinen festen Maßstab in sich, Widerstand bis zur letzten Konsequenz zu leisten. Wir wissen nicht, ob „die niederen Mächte“ siegen werden. Alle historische Erfahrung aber lehrt, daß keine gesellschaftlichen und politischen Gebilde Ewigkeitswert haben.
Bis dahin ist für Abwechslung jedenfalls gesorgt:
Es könnte die Stunde kommen, in der der Sieg der niederen Mächte unwiderruflich war. Dann würde man versuchen müssen, zu leben wie im Museion von Alexandria. Es fehlte ja an Diadochen nicht. Und die Betrachtung auch nur einer der Facetten, die der Geist dem Stein der Weisen angeschliffen hatte, gab einem kurzen Menschenleben vollauf Beschäftigung und auch Zufriedenheit. Die Welt war immer noch unendlich, solange man den Maßstab in sich bewahrte; die Zeit blieb unerschöpflich, solange man den Becher in der Hand behielt.
Ernst Jünger, Heliopolis, hier nach der Ausgabe Diana-Verlag Salzburg und Wien 1950, S.75.
Solange es Rechte gibt, bleibt die Welt zweifellos bunter, vielfältiger und abwechslungsreicher, als es egalitaristische Linke ertragen können.
[1] Herakleitos von Ephesos, zit. nach Wilhelm Capelle, Die Vorsokratiker, 1968, bei Kröner, Stuttgart, S.135; zustimmend Mark W. Moffett, Was uns zusammenhält, Eine Naturgeschichte der Gesellschaft, 1. Auflage 2019, ISBN 978-3-10-002385-8, S.427.
Bernhardt
Das ganze Leben ist ein Kampf
und es Endet immer Tödlich, aber bis dahin bleibt die Welt zweifelsfrei bunter !