von Hermann Tögel [1]

Aus fremden Landen und aus fernen Zeiten ist das Weihnachtsfest zu uns gekommen. Zuerst feierten griechische Christen am 6. Januar, weil sie an diesem Tage früher als Heiden das Geburtsfest des Fruchtbarkeits-, Wein- und Begeisterungsgottes Dionysos begangen hatten, anfangs die Vereinigung des himmlischen Christus mit dem Menschen Jesus in der Taufe, später die Geburt Jesu.

In Rom bemächtigte sich die Kirche des volkstümlichen Lichttages des „unbesiegten Sonnengottes“ und gedachte deshalb am 25. Dezember 354 zum ersten Male der Fleischwerdung Gottes in der Geburt des Kindes Jesus.[2]

Was konnten diese fremdartigen griechischen und römischen Gedanken dem deutschen Volksgemüt bieten? Es ist verständlich, daß das Geburtsfest jesu in Deutschland nicht sofort volkstümlich geworden ist. Erst nach dem Jahre tausend wird das liebe Wort „Weihnacht“ gebildet..

Aber das deutsche Volk durchtränkte das kirchliche neue Fest allmählich mit seinen warmen Gefühlen. Krippen waren von Anfang an schon in Italien in den Kirchen aufgestellt worden. Die dazu verwendeten Puppen wurden im deutschen Mittelalter bald durch lebende Menschen ersetzt. Anstelle der römischen Krippe, die wie ein Altar aus Steinen gebaut war, setzt man die deutsche Wiege. Das „Kindelwiegen“ wurde der Mittelpunkt der kirchlichen Christfeier. Mit lautem Jubel und in fröhlichem Reigen umtanzte das Volk in der Kirche das Christkind. Weihnachtsspiele kamen auf, die erfüllt waren von deutscher Innigkeit und derben deutschen Volksspäßen.

Schon 1162 klagte ein Geistlicher über den Mummenschanz. Krippen und Spiele wurden deshalb aus den Kirchen hinausgedrängt.

Auch die evangelische Orthodoxie eiferte gegen den „papistischen Sauerteig, Christenlarven und Weihnachtsfratzen.“ 1739 verbot der König von Preußen „dergleichen Allfanzereien.“ Es hat nichts geholfen. Aus den Kirchen wanderten die Krippen in die Häuser und blieben hier bis in unsere Zeit. […]

So tief hat das deutsche Volk das fremde Kirchenfest in sein Herz aufgenommen. Aber dieses verdeutschte sich seit dem Mittelalter noch viel mehr. Wie ein Magnet zog es die uralten deutschen Winterfeste in seinen Bannkreis. Zwar ein Fest der Wintersonnenwende hat es in Deutschland nie gegeben; aber wenn es kalt zu werden begann und die Hirten, die Bauern nicht mehr draußen arbeiten konnten, dann kamen die großen Schlacht- und Freudentage des Spätherbstes. Man schmauste an ihnen nicht nur; sondern man suchte auch die Geistwesen der Fruchtbarkeit für das nächste Jahr durch mancherlei Gebräuche für sich zu gewinnen. An die Stelle von göttlichen Wesen, die wir nicht kennen, traten bei Einbürgerung des Christentum der heilige Martin und der heilige Nikolaus. So lebten im Martinstag (11. November) und im Nikolaustag (6. Dezember) die altdeutschen Winteranfangsfeste fort. Deren uralte Gebräuche wurden nunmehr auf das Weihnachtsfest übertragen.

Die alte hölzerne Baumpyramide mit brennenden Kerzen wurde im 19. Jahrhundert in Deutschland von dem immergrünen Tannenbaum verdrängt, beide altgermanische Symbole der neugeborenen Sonnen- und Naturkraft.

Bei den Nordgermanen wurde, wenn man merkte, daß die Tage länger wurden, mit Opfer, Schmauserei und Zecherei vom 12. Januar an das Julfest gefeiert, um die Kraft der Fruchtbarkeit für das kommende Jahr zu sichern. Bereits Hakon der Gute[3] gab ein Gesetz, „daß das Julfest künftig zu derselben Zeit abgehalten werden sollte wie das christliche Weihnachtsfest. da sollte jeder ein bestimmtes Maß Bier brauen oder Strafe zahlen, und er sollte die Zeit heilig halten, solange das Bier reichte.“ Die Trinkgelage waren ja heilige Handlungen, um göttliche Kraft zu erlangen. So nahm das Weihnachtsfest in Deutschland und im Norden die ganze Fülle der altheiligen Gebräuche und der alten Winterfeste in sich auf.

Wenn in der alten deutschen Zeit der Winter mit seinen Stürmen und mit seiner Kälte nahte, wenn der Bauer in seiner nur spärlich erhellten und nur mühsam erwärmten Stube saß, dann begann die unheimliche, die Spukzeit des Jahres. Dann brauste das wilde Heer durch die Lüfte, mochte nun der wilde Jäger oder Frau Holle oder Frau Perchta dabei sein oder nicht. Da wurden die Totengeister wieder gefährlich und gingen um, da wurden auch die Flur- und Hausgeister, die Feld- und Waldgeister recht lebendig.

Wenn in den Zwölf Nächten nach Weihnachten das Wilde Heer durch die Lüfte brauste, wurde gar mancher Unvorsichtige ergriffen und mitgenommen.

All dies wurde durch den Einfluß des Christentums in die Tage zwischen dem 25. Dezember und 6. Januar zusammengedrängt, die nunmehr die heiligen „Zwölf Nächte“ genannt wurden. Diese Bezeichnung ist also christlichen Ursprungs. Wegen der Mehrzahl der Festtage wurde nun auch neben der Einzahl „Weihnacht“ = geweihte Nacht“ die Mehrzahl „Weihnachten“, „ze wihen nahten“ = „in den geweihten Nächten“ gebildet. Vor allem in Ostdeutschland ist diese Form üblicher als die Einzahl.


[1] Aus: Hermann Tögel, Germanenglaube, Leipzig 1926, S.233 ff.

[2] B. Kranemann, Lexikon des Mittelalters,1999, Band VIII, Spalte 2109 nennt als erstmalige Erwähnung für Rom 335/337. „Der Festtermin soll entweder auf das errechnete Geburtsdatum Christi („Berechnungshypothese“; heute zumeist abgelehnt) oder auf die Verdrängung des heidnischen Sonnenfestes Natalis Solis Invicti („religionsgeschichtliche Hypothese“; dem Sol Invictus stellte man Christus als wahre Sonne entgegen) zurückgehen.

[3] Hakon der Gute 920-961.