Zusammengehörigkeit in Zeiten der Coronoa-Seuche

Da sitzen sie jetzt oder bald millionenfach in ihren Wohnungen beisammen: Vater, Mutter und die Kinder. Die klassischen Familien eben, durch öffentliche Verbote nach Hause verbannt. Das öffentliche Leben kommt zum Erliegen. Wer nicht systemrelevant arbeiten muß, sieht die eigenen vier Wände und immer dieselben Nasen.

Nicht jeder: Alleinstehende sehen vielleicht immer nur ein und dieselbe Nase, nämlich beim Blick in den Spiegel. Im Freien darf man von Ferne noch anderen Leuten zuwinken. Die Prognosen des Seuchengeschehens erlauben nicht die Hoffung, der Spuk werde schnell vorübergehen.

Als die Pest Europa heimsuchte, erfand man in Italien die Quarantäne: Schiffsbesatzungen mußten 40 Tage auf einer Insel zubringen, bevor sie die Stadt betreten durften
(Bild: Die Pest 1656 in Neapel)

Menschen besitzen aber die wunderbare Eigenschaft, sich geistig schnell auf neue Verhältnisse einzustellen. Das jeweilige Sein erzeugt das Bewußtsein: Die realen Lebensverhältnisse und ihre Erfordernisse sind immer die Ursache, und die geistige Einstellung verändert sich als Wirkung relativ zu ihnen. Die ideelle Welt folgt der realen nach.

Die Mentalitätsgeschichte ist reich an Beispielen, daß geistesgeschichtliche Umschwünge und historische Epochenwechsel auf schwerwiegende Umbrüche des realen Lebens folgten. Wenn wir die Geistesgeschichte periodisieren und mit Großereignisse der Realgeschichte vergleichen, finden wir das Ende des Mittelalters geistesgeschichtlich nach den Pestepidemien des 14. Jahrhunderts und den Durchbruch der Aufklärung nach dem 30jährigen Religionskrieg. Wir stoßen auf den Beginn der Moderne im Gefolge von Industrialisierung und Massengesellschaft.

In Deutschland brachen nach der Katastrophe von 1944 und 1945 die bis dahin bestimmenden geistigen Leitbilder zusammen. Zu ihnen gehörte die Idee der Gemeinschaft, also des unverbrüchlichen Zusammenhaltens von Menschen mit gleicher historischer Erfahrung, gleicher Abstammung und gleichem Schicksal. Volksgemeinschaft wurde zum Unwort.

Die verschiedenen tradierten Gemeinschaften wurden ersetzt durch die Idee einer unverbindlichen Gesellschaft. Zu ihr hätten sich die Menschen, einer Schnapsidee Rousseaus zufolge, durch einen Sozialvertrag einst zusammengeschlossen. In Not- und Krisenzeiten mag man ihn fristlos kündigen und sich seiner Gemeinschaftspflichten entledigen können – eine pfiffige Idee.

Überzeugend klingt das für Generationen, die nie erleben mußten, daß zuweilen alle mit anpacken und eine alle treffende Bedrohung nur gemeinsam bewältigen können. Eine solche Lage hat es in Deutschland nicht mehr gegeben, seit unser Land in Trümmern lag und alle gemeinsam enttrümmern und neu aufbauen mußten.

Gemeinschaftsdenken und Denken in individuellen oder Gruppenegoismen sind beides menschenmöglich. Weder das eine noch das andere ist objektiv und immer richtig oder falsch. Es ist aber situationsbedingt nützlich oder schädlich: Ohne eine Gemeinschaft, die ihn trägt, mit der er sich solidarisch fühlt und für die er sich zur Not aufzuopfern bereit ist, kommt auch der eigenwilligste Solitär nicht in jeder historischen und damit persönlichen Lage aus.

Es zeichnet sich ab, daß nicht für alle Coronösen ein Krankenhausbett verfügbar sein wird. Auch wenn die Kinder schon aus dem Haus sind, haben Eheleute aber noch immer einander. Bekommt einer Fieber, kann der andere ihn pflegen. Wahrscheinlich steckt er sich an und wird anschließend vom Genesenen gepflegt. So etwas nenne ich eine Solidargemeinschaft. Wenn wir uns auch von allen Fremden fernhalten sollen, haben wir doch einander.

Familie hat sich historisch als unverzichtbar herausgestellt. Es gibt gesellschaftliche Ausnahmefälle, in denen viele Menschen meinen, auf sie verzichten zu können. Als der Sozialstaat viele Aufgaben der Familien auf sich und damit den Familien durch Besteuerung die Kraft nahm, verlor die Idee Familie für viele an Überzeugungskraft. Sie leben als sogenannte Singles und verwirklichen sich selbst.

Ich bin gespannt, wie weit sie in den nächsten Monaten und Jahren damit kommen werden. Ich weiß nicht, wie lange kapitalgedeckte Renten sicher sein werden, wenn es zu einer langanhaltenden Wirtschaftskrise kommt. Ich kann nicht voraussehen, bis zu welchem Ausmaß unser Sozialstaat seine Segnungen aufrechterhalten kann und wird, falls die Zahl der noch Arbeitenden und Wirtschaftenden unter die Zahl der Hilfsbedürftigen sinkt.

Familie ist zwar auch ein Konstrukt, wie unsere oberschlauen Genderisten und Dekonstruktivisten gern formulieren. Sie ist konstruiert, wenn wir ihr in unserer Vorstellung bestimmte Merkmale zumessen: gegenseitige Solidarität, Verläßlichkeit, Fortpflanzungsgemeinschaft, eheliche Treue und manches mehr.

Sie ist aber nicht nur ein Konstrukt. Wir müssen nicht konstruktiv über sie nachdenken, um Familie zu leben. Das haben auch unsere Vorfahren nicht. Wenn Vater und Mutter ihre Kinder großziehen, sind sie real eine Familie, was auch immer man dann geistig an Werten und Tugenden konstruieren und statuieren mag.

Wie bei der Familie im kleinen Maßstab verhält es sich mit unserem Volk im großen. Wir sehen ja jetzt, wer sich für uns einsetzt, unser Wohl mehrt und Schaden von uns wendet. Die Chinesen oder die Brüsseler Eurokraten sind das nicht. Aus der Portokasse spenden wie für Brot für die Welt ist das Eine. Mit jemandem das letzte Hemd zu teilen oder mit seinem Leben für ihn einzustehen, ist aber etwas ganz anderes. Das schuldet man seinen Eltern, Gatten und Kindern, nicht der ganzen Welt.

Wer die real bestehenden Solidargemeinschaften wie Familie und Volk abschaffen will, nimmt die Welt wahr als einen allen Menschen gemeinsamen öffentlichen Raum, in dem Frieden herrscht und alle lieb zu einander sind. Deutschland hat eine Jugend großgezogen, erfüllt von Stuhlkreisen und vielen bunten Luftballons. Es ist dieselbe Welt, die ich auf den kitschigen Paradiesbildern der Zeugen Jehovas und ihren Zeitungen sehe: Der Löwe liegt schnurrend neben dem Lamm.

Dieser Jugend hat niemand das nötige historische Bewußtsein dafür vermittelt, wie die Welt immer war und was darum immer gilt. Sie leidet darum oft unter Fehlwahrnehmungen. Ich nehme die Familie wahr als innersten Kern meines sozialen Lebens. Mit einer großartigen Frau fest verbunden sind wir schon zu zweit. Mit unseren Eltern und Kindern bilden wir eine Schicksalsgemeinschaft.

Reale Gemeinschaft oder Hirngespinste?

Für diese ist völlig belanglos, daß ich infolge unserer freien, innerfamiliären Entscheidung für meine berufliche Arbeit höher bezahlt werde als meine nicht weniger schuftende Frau. Es stellt eine grobe Fehlwahrnehmung dar, wenn heute wieder einmal beklagt wird, Männer würden mehr verdienen als Frauen.

Twitter-Nachricht 18.3.2020

Es gehören keineswegs alle Frauen zusammen und haben gemeinsame Interessen. Zusammen gehören immer Mann und Frau. Was sie gemeinsam verdienen, darauf kommt es an. Sie geben es ja auch gemeinsam aus.

Nirgends helfen „die“ Frauen „den“ Frauen. Die Welt in Männer und Frauen geschieden wahrzunehmen und die einen gegen die anderen auszuspielen, nimmt die Wirklichkeit anders wahr, als sie ist.

Eine längere Isolation von Singles und Familien durch Quarantäne, Ausgehsperre oder dergleichen könnte vielen Menschen helfen, wesentliche Aspekte der Wirklichkeit wieder als solche zu erkennen und von ihren Hirngespinsten zu unterscheiden.