Hat das Grundgesetz eine ungeschriebene Agenda?

Ratlosigkeit macht sich im Lager der Aufrechten breit: Hat uns der Gegner wieder gelinkt? Wo steht er überhaupt? Im alles umhüllenden roten Sprachnebel droht jedes Wort eine andere Bedeutung anzunehmen, und leuchten nicht selbst die Roben der Karlsruher Kampfrichter schon rot? Atmen ihre Urteile schon den antifaschistischen Geist der 1968er Revoluzzer? Oder liegt das Problem viel tiefer, etwa unter den Wurzeln unseres Grundgesetzes?

Der rote Nebel ist die Überverfassung! Das meint jedenfalls Josef Schüßlburner und will seine Schwaden teilen: „Die Demokratie ist gegen den sogenannten Verfassungsschutz und im Zweifel auch gegen Verfassungsgericht und Grundgesetz durchzusetzen!“ In seiner Broschüre „Scheitert die AfD[1]“ bemängelt er, daß wir wegen einer uns von den Alliierten aufgedrückten „Überverfassung“ heute noch quasi demokratisch am Stock gehen.[2] Sie sei erst mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag 1991 abgelöst worden. Einseitig habe sie sich im Sinne antifaschistischer Doktrinen gegen alles Rechte gewandt und wirke aber bis heute fort.

1998 repräsentierte der Parlamentarische Rat von 1948 auf der Sondermarke von 1998 noch 1,10 DM. Kritiker von der SRP sahen die Verfassunggeber des Grundgesetzes als „im Gepäck der Alliierten“ gekommen, und in der Sache sahen das die Kritiker von KPD und SED ebenso.

Gegen das Verfassungsgericht? Gegen das Grundgesetz? Ulrich Vosgerau bemüht sich, da noch höflich zu bleiben. Die „Kriminalisierung des gesunden Menschenverstandes“, schreibt der Verfassungsrechtler, hätte ja nicht in der Nachkriegszeit begonnen. Vielmehr hätten noch etwa im Jahre 1985 „eigentlich alle politischen Parteien (außer den Grünen) das “propagiert“, was heute als ‚rechtsradikal‘ gelten soll.“ Die Wurzel der Misere liege nicht im von den Alliierten gewünschten Grundgesetz. Denn „die Kulturrevolution, die unter anderem durch das karrieremäßige Ankommen von 68er-Akteuren in den Chefetagen der Zeitungen und vielfach auch der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender seit den frühen 1990er Jahren allmählich quasihoheitlichen Charakter gewann, wurde kaum von großen Amerikafreunden getragen.“[3] Schüßlburner selbst räumt ein, daß „alle wesentlichen, vom Inlandsgeheimdienst als »Verfassung« »gegen rechts« geschützten Ideologieelemente“ gar nicht „unmittelbar nach dem Krieg wirksam wurden“, sondern erst „als Folge des 1968er Kulturbruchs“.

Wer also ist der Gegner – das Grundgesetz oder die dominant gewordenen 1968er Kulturbrecher? Ist es zielführend, einer Partei mit konservativen, freiheitlichen und patriotischen Elementen eine Wegweisung gegen das Grundgesetz zu geben? Sicherlich gab es zum GG nie eine Volksabstimmung. Schon als 1951 das BVerfG die SRP verbot, zitierte es eine hämische Kritik, die Gründer der Bundesrepublik seien ja „im Gepäck der Alliierten“[4] zurück nach Deutschland gelangt. Ist das Grundgesetz deshalb kontaminiert und schwitzt bis heute antifaschistische Giftdünste aus, die als Überverfassung den ungeschriebenen Geist des Gesetzes ausmachen?

Oder müssen wir uns gerade mit dem Grundgesetz unter dem Arm wehren, auf den Buchstaben des Gesetzes klopfen und es vor übergriffiger Uminterpretation verteidigen?

Schüßlburner lesen, nach Murswiek handeln?

Der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider möchte einen vermittelnden Standpunkt einnehmen. Vosgerau liege falsch, die AfD müsse „sämtliche Anstrengungen“ der Vermeidung einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz unterordnen.“ Natürlich müsse man allerdings gerichtlich klären, wie weit der Text des GG „in den Händen der furchtbaren 68er-Juristen durch eine völlig entgrenzende und maßlos überhöhende Auslegung der Begriffe Menschenwürde, Demokratie und Gleichheit schon mutiert“ sei.

Der Freiburger Verfassungsrechtler Dietrich „Murswiek mit seiner Strategie der kalkulierten Übervorsicht“ biete dabei „die besseren Chancen vor Gerichten, von denen wir nicht genau wissen, wie stark sie durch die Fehlentwicklungen seit 1968 angegriffen sind. […] Also: Lest Euren Schüßlburner und lernt Eure Lektion, aber handelt – im Zweifel – nach Murswiek!“[5]

Jenseits aller von Schüßlburner korrekt zusammengetragenen historischen Fakten können 2021 nur politische, nicht historische Wegweiser zum Erfolg einer konservativen Partei wie der AfD führen. Hier sind Pragmatismus und Weitsicht in die Zukunft gefragt. Pragmatisch müssen öffentlich Bedienstete davor geschützt werden, als angebliche Verfassungsfeinde entlassen zu werden. Ihre Furcht davor gräbt einer Partei die personellen Ressourcen ab. Genau darum geht es bei der politischen Beobachtungsdirektive an den VS.

Die Spielregeln vor Gericht sind juristische. Hier muß die AfD mit aller Konsequenz die Anwendung rechtlicher und nicht politologischer Maßstäbe durchsetzen. Vor Verwaltungsgerichten wird nicht in dehnbaren politologischen Redewendungen geschwafelt, sondern hart am Wortlaut des Gesetzes subsumiert. Es steht seit Urteilen des BVerfG und wortgleichen Gesetzen fest, welche Kernelemente die freiheitliche demokratische Grundordnung aufweist: Geltung der Grundrechte, Demokratieprinzip, Rechtsstaatlichkeit und andere.

An diesem gesetzlichen Maßstab wird Verfassungsfeindlichkeit gemessen, nicht an Denunziationsbegriffen antifaschistischer Politologen wie einem „revisionistischen Geschichtsbild“. Schon was „Rechtsextremismus“ sein soll, steht in keinem Gesetz. Die Verfassungsschützer müssen im Zweifel gerichtlich auf den Boden der Verfassung zurückgeholt werden. Es gilt die Rechtsstaatlichkeit wieder durchzusetzen, von der sich unsere Regierung selbst in mehr und mehr Einzelfällen entfernt.

Diese Rechtsstaatlichkeit ist im Grundgesetz verbürgt. Es ist die letzte Bastion derer, die unsere freie Art zu leben bewahren wollen: der Konservativen. Wer seine Legitimität bezweifelt, weil das Volk einstmals lange vor seiner Geburt nicht darüber abgestimmt hatte, rüttelt am Fundament dieser Bastion. Er vergißt auch, daß jede Verfassung legitim ist, die ein Menschenalter lang im wesentlichen vom ganzen Volk unbeanstandet angewandt worden ist. Damit versteht sich unsere ganze Rechtsordnung auch in sich selbst als legal: Sie bildet ein in sich geschlossenes Legalitätssystem, das sich nicht selbst als illegal betrachten kann. Es läßt sich vor Gericht darum niemals erfolgreich mit historischen Argumenten von außerhalb angreifen.

Uminterpretation ist keine Überverfassung

Es gibt keine Überverfassung. Die linke Uminterpretation des Grundgesetzes und der Marsch in eine halbsozialistische Gesellschaft waren niemals im Grundgesetz angelegt und lassen sich auch mit ihm nicht begründen. Zwar besteht seine Schwäche in der Vertrauensseligkeit, einseitig auf die Kräfte „der Gesellschaft“ zu setzen und den neutralen Staat immer weiter abzubauen. In Weimarer Zeit hatte der Reichspräsident ihn verkörpert. Man glaubte 1949, alle Gefahr ginge von einem allmächtigen Staat aus. Vor ihm wollte das Grundgesetz und retten und schützen. An dessen Stelle haben wir heute eine allmächtige Gesellschaft. So gelangten wir vom Regen in die Traufe.

Aber schon in den 1930er Jahren waren die Uniformierten mit Schildern wie „Kauft nicht beim Juden!“ nicht vom Staat geschickt, sondern von einer gesellschaftlichen Teilkraft, einer Partei. Auch heute hetzt nicht der Staat selbst tagtäglich in „öffentlich-rechtlichen“ Medien „gegen Rechts“ und organisiert auch keine Krawalle. Das erledigen „gesellschaftliche Kräfte“, und der Staat wäscht seine Hände in Unschuld. Diese Kräfte haben sich eine Institution nach der anderen zur Beute gemacht und suchen die Verfassung nach ihrer Ideologie zu verdrehen und zu verdeuteln.

Die Schuld bei einer historischen Überverfassung zu suchen, ist ein Irrweg. Eine rechte Partei muß eine Partei des Rechts unseres Grundgesetzes sein und die unverbrüchliche Geltung der Rechtsstaatlichkeit einfordern. Nur das macht sie für jeden Extremisten zu einem furchterregenden und legal unüberwindlichen Gegner. Bringt sie den Boden dieses Grundgesetzes selbst zum Schwanken, wird sie kippeln und fallen.

Die freiheitliche demokratische Grundordnung funktioniert nicht von allein. Die äußerste Linke hat schon viele ihrer Hebel und Instrumente besetzt. Sie wird die herkömmliche Interpretation tragender Verfassungsnormen auf „null“ stellen, die Kernbegriffe der Verfassung in ihrem Sinne neu auslegen und dadurch das Freiheitliche und das Demokratische an unserem System beseitigen. Dieser Prozeß hat bereits begonnen. Er wird unser System zusammenbrechen lassen, ohne es formell zu beseitigen.

Aus Überzeugung, nicht aus Angst vor dem politisch instrumentierten Verfassungsschutz sollte unsere verfassungsmäßige Ordnung verteidigt werden. Sie ist nicht unser Problem, sondern die Lösung. Nicht durch eine andere Verfassung werden wir Linksextremismus und Egalitarismus los. Der Schlüssel liegt auch für uns in der Interpretation der Verfassung und einfachen Gesetze. Was Linke in sie hineingelesen haben, kann man auch wieder herauslesen. Das erfordert zwar harten Kampf um Positionen und Begriffe – juristisch und politisch. Für einen Sieg gibt es keine Garantie. Aber was wäre statt dieses Widerstandes die Alternative für Deutschland?

Der Kampf um Positionen und Begriffe

Mit Worten und Begriffen sagen die Gesetze uns, was Recht und Unrecht ist. Als Juristen nennen wir es Subsumtion, wenn wir einen realen Lebenssachverhalt unter einen abstrakten Gesetzesbegriff subsumieren und schließlich feststellen, was das Gesetz für den Einzelfall befiehlt.

Ideologische Subverson kann den Willen des Gesetzgebers leicht austricksen: Sie muß nur demselben Begriff eine andere Bedeutung unterlegen. Nicht der Wortlaut wird geändert, sondern mit einem verbalen Taschenspielertrick sein Sinn. Wenn Homosexuelle auch gern heiraten möchten, versteht man plötzlich unter einer Ehe nicht einen Mann und eine Frau, sondern irgendwelche Leute. Mit schlangenzüngelnder Rabulistik wird dann listig erklärt, im Lichte der Gleichberechtigung aus Art. 3 GG müsse jeder jeden zur Ehe nehmen dürfen.

Das Grundgesetz unterscheidet das deutsche Volk im staatsrechtlichen Sinne, das sich mit dem Grundgesetz laut seiner Präambel „diese Verfassung gegeben“ hat, vom deutschen Volk im ethnischen Sinn.[6] Radikale Globalisten möchten Völker gern abschaffen und mit ihrem eigenen beginnen. Der Politik­wissen­schaft­ler Dieter Obern­dörfer forderte schon 1991, wo das Grund­gesetz an die deut­sche Volkszugehörigkeit an­knüpfe, han­dele es sich um „ver­fas­sungswidrige Verfas­sungs­normen“ im Grundgesetz – verfas­sungs­wid­rig nämlich im Lichte eines multikul­turel­len ideologischen Vor­ver­ständ­nisses. Solche Verfassungs­normen müßten abge­schafft wer­den, „um eine zivilisierte Einwan­derungs­gesell­schaft zu ermög­lichen“.[7] Ziel dieser Bestrebungen ist die begriff­stechni­sche Ver­änderung der frei­heitlichen de­mokrati­schen Grundord­nung[8], an deren Ende das Staatsvolk und seine Iden­tität als Träger des Staates wie daraus fol­gend auch der Staat selbst in seiner geschützten Identi­tät „zerstört wird. An seine Stelle träte dann ein neuer Staat mit einem neuen Volk als Träger der Staatsge­walt. Dies alles ohne die Zu­stim­mung durch die verfassungge­bende Gewalt des (bestehenden) Volkes dürfte letztlich auf ei­ne Zerstörung der jetzt verfas­sungs­mäßigen Ordnung hin sich entwic­keln.“[9]

1997 galt offiziell noch, Ausländer müßten sich in Deutschland integrieren, also anpassen, zum Beispiel auch an unsere Kultur, an erster Stelle unsere freiheitliche demokratische Grundordnung. Der Multikulturalismus verschiedener Kulturen in Deutschland galt als linksradikale Utopie. Das hinderte den Mainzer Verfassungsschutz nicht daran, vor einem Verwaltungsgericht zu behaupten: „Den sozialen Hintergrund bildet die heutige Verfassungswirklichkeit, in der Men­schen unterschiedlicher Kulturen und Rassen, gegensätzlicher Auffassungen und Werte friedlich zusammenleben.  Gerade das republikanische Prinzip des Artikel 20 GG sowie die Achtung vor den Menschenrechten macht diese heuti­ge Bedeutung der ‚frei­heit­lichen demokratischen Grundordnung‘ verständlich. […] Die explizite Absage an das Zusammenleben von Kulturen, Fremden­feindlichkeit, Rassismus und Intoleranz gefährden insofern die freiheitliche de­mokratische Grundordnung unter heutigen Bedingungen“[10] So tauschte man eine „frühere Bedeutung“ der FdGO flugs gegen eine angebliche heutige aus und erklärte Gegner des Multikulturalismus zu Verfassungsfeinden.

Damit bedient sich der VS derselben Methodik wie der NS-Staat, der „die Weimarer Reichsverfassung zwar nicht formell, aber faktisch“  außer Kraft gesetzt hatte. „Eine neue »ungeschriebene politische Grundordnung des Reiches« wurde zur Verfassung, womit im wesentlichen das Parteiprogramm der NSDAP gemeint war.“[11] Auch der Verfassung der DDR war die Staatsideologie der herrschenden Sozialisten eingebrannt, und ganz offen folgte ihr (am 7.10.1949) ein Gesetz über den Staatssicherheitsdienst auf dem Fuße. Heute ist es die jeweils herrschenden Programmatik der jeweils regierenden Parteien, die dem Grundgesetz untergeschoben wird.

Es hatte sich längst „das Medium der politischen Auseinanderset­zung ge­wan­delt: Die offene politische Auseinandersetzung wich dem »Kampf um Verfas­sungsposi­tio­nen«. Über politische Präfe­renzen konnte nicht mehr politisch, son­dern nur noch im Gewand der Ver­fassungsinter­pretation diskutiert werden. Be­wahrer und Verände­rer, Rechte und Linke beriefen sich ‚in Eintracht‘ auf den Verfassungstext.“[12] Auf die Uminterpretationen der Begriffe Ehe und deutsches Volk weise ich nur als bekannte Beispiele für ein allgemeines Phänomen hin. Alle allgemeinen Rechtsbegriffe unterliegen einem Bedeutungswandel, wenn sich eine zur Interpretation erforderliche Ideologie ändert.

Im Gegensatz zur DDR (inhaltsloses Gesetz vom 8.2.1950) ist in den heutigen deutschen Gesetzen über den Verfassungsschutz durch rechtlich definierte Begriffe geregelt, wer als Verfassungsfeind gilt.

Die Hypothese einer Überverfassung möchte dagegen unterscheiden zwischen einem geschriebenen Verfassungsbuchstaben und einem ihm schon 1949 eingeschriebenen Hinter- und Nebensinn. Richtig ist an ihr nur, daß das Grundgesetz 1949 undenkbar gewesen wäre ohne eine überpositivistische, naturrechtliche Denktradition. Seine Wertvorstellungen fielen weder vom Himmel, noch mußten sie durch die Alliierten erst importiert werden. Sie in Verfassungssätze zu gießen, schützt sie nicht vor interpretatorischer Veränderung durch nachfolgende Generationen.

Wir brauchen das Grundgesetz unbedingt

Es gibt keine idealen Verfassungen und ewig gültigen Systeme.[13] Sie müssen sich immer den Verhältnissen anpassen. Das Grundgesetz hat aus dem totalitären NS-Staat die Konsequenz gezogen, immer von der freiheitsbedürftigen Person und nicht vom Staat her zu denken. Staatsmacht ist immer rechtfertigungsbedürftig, individuelle Freiheit nicht. An Gefahren für die Freiheit, die von gesellschaftlicher Mobilisierung ausgehen, hat es nicht in erster Linie gedacht. Im NS-Staat verschmolzen Staat und Partei zu einem totalitären Ganzen. Die SA war ebensowenig unmittelbarer Teil des Staates wie heute die Antifa oder die öffentlich-rechtlichen Medien.

Wie im 3.Reich und der DDR möchten Parteien gern Staatsparteien werden. Der Schutz unserer Grundrechte und Freiheiten läuft leer, wenn wir sie nur dem Staat entgegenhalten können. Wir benötigen sie auch gegen vom Staat finanzierte „NGOs“, die Medien und die Antifa-Schlägertrupps, deren legale Arme bereits als Parteivertreter in Parlamenten sitzen und den „Kampf gegen Rechts“ aus Steuern bezahlen. Verfassungsrechtler sprechen von einer Drittwirkung von Grundrechten,[14] wo wir sie benötigen, weil sich der Staat dezent heraushält. Unabdingbar sind sie auch gegen Zensur durch neue Medien wie Google, Twitter oder Facebook.

Jede Diskussion, die das Grundgesetz und unsere Freiheitsrechte anzweifelt, führt ins Nirwana. Josef Schüßlburner gab seiner Schrift den Untertitel „Die Illusion der Freiheitlichkeit und die politische Alternative“. Damit spielt er auf die AfD an. Die entscheidende Frage muß aber lauten: Welche Alternative hätten wir denn zum Grundgesetz? Welche politischen Kräfte würden sich in der aktuellen Lage durchsetzen, wenn wir seine Freiheitsgarantien relativieren ließen? In welcher Realität muß man leben, um wie Schüßlburner ernsthaft an die Weimarer Reichsverfassung als Alternative zu denken? Machen wir uns keine Illusionen: Die real drohende Alternative zur heute mangelnden Freiheitlichkeit besteht darin, daß der linke Totalitarismus morgen die rechtlichen Sicherungen des Grundgesetzes kappt und statt der Antifa gleich die Staatssicherheit vor der Haustür steht. Dagegen müssen wir unsere Freiheit und mit ihr unser Grundgesetz mit Zähnen und Klauen verteidigen, denn dazu ist es da.

Wir müssen unsere Verfassung ihren Feinden wieder entreißen. Schüßlburner hat Recht, daß uns heute eine totalitäre Ideologie als Staatsideologie verkauft und wie eine Zivilreligion eingebleut wird.[15] Bei ihr handelt es sich aber nicht um eine Überverfassung, die das Grundgesetz überlagert und schon im Keim vergiftet. Es ist die linksextremistische Ideologie, zu der Karl Marx die Grundlagen legte. Als „Kritische Theorie“ wurde sie in den 1960er Jahren erneuert und infizierte die 1968er Studenten. Wie eine Hydra hat sie viele Köpfe. Als ihr 1989 der staatskommunistische abgeschlagen wurde, erwuchsen ihr sieben neue: Postmarxismus nebst Antikapitalismus, Egalitarismus, Antifaschismus, Moralismus, Genderismus, linke Identitätspolitik. Sie alle sind nicht im Grundgesetz angelegt. Dieses ist vielmehr das metaphorische Flammenschwert, mit dem unser Staat  wie ein deutscher Mich(a)el uns vor diesen schleichenden Übeln schützen soll und schützen kann. Dazu muß er es nur erst in die Hand bekommen.


[1] Josef Schüßlburner, Scheitert die AfD, Die Illusion der Freiheitlichkeit und die politische Alternative, IfS, Schnellroda 2020, S.46.

[2] Josef Schüßlburner, ebenda S.23.

[3] Ulrich Vosgerau, Falsche Schuldzuweisung, AfD und Verfassungsschutz, Junge Freiheit 21.2.2021.

[4] „Wir brauchen keine Emigranten, die auf dem Gepäcktroß der Alliierten, nicht auf der Panzerspitze, als Nutznießer der Niederlage gekommen sind,“ sagte Otto Ernst Remer für die Sozialistische Reichspartei, zitiert nach BVerfG, U.v. 23.10.1952 – 1 BvB 1/51 –, BVerfGE 2, 1-79, Rn. 220.

[5] Hans-Thomas Tillschneider, Nicht wie die Grünen – Weshalb Vosgerau der AfD schlecht rät, https://hans-thomas-tillschneider.de/nicht-wie-die-gruenen-weshalb-vosgerau-der-afd-schlecht-raet/.

[6] Art. 116 GG: Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.

[7] Dieter Oberndörfer, Die Offene Republik, Freiburg 1991, siehe auch Chr. Hubo, a.a.O., S.135.

[8] Christiane Hubo, Verfassungsschutz des Staates durch geistig-politische Auseinandersetzung, Ein Beitrag zum Handeln des Staates gegen Rechts, Dissertation Speyer-Göttingen 1998, ISBN 3-89712-231-6, S.247.

[9] Hubo a.a.O., S.256 f.

[10] Berufungsbegründung des Landes Rh.-Pfalz vom 6.8.1998 gegen Urteil des VG Maint vom 10.12.97, OVG Koblenz -12 A 11774/98-, S.3 f., Sachbearbeiter Prof.Dr.Friedhelm Hufen, Mainz.

[11] Ferdinand Weber, Staatsangehörigkeit und Status, Tübingen 2019, S.153 mit Einzelnachweisen.

[12] Otto Depenheuer, Integration durch Verfassung? Zum Identitätskonzept des Verfassungspatriotismus, Die öffentliche Verwaltung (DöV) 1995, 854 (855).

[13] Vgl. eingehend: Klaus Kunze, Der totale Parteienstaat, Esslingen 1994.

[14] „Die Grundrechte können in solchen Streitigkeiten im Wege mittelbarer Drittwirkung Wirksamkeit entfalten. Sie verpflichten Private zwar grundsätzlich nicht unmittelbar untereinander selbst. Doch strahlen sie auf privatrechtliche Rechtsbeziehungen aus und sind von den Fachgerichten bei der Auslegung des Fachrechts zur Geltung zu bringen“, BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 9.7.2020 – 1 BvR 719/19 –, Rdn. 9.

[15] Schüßlburner, Scheitert die AfD?, S.38, 58.

Eine Erwiderung hierzu von Josef Schüßlburner finden Sie hier:

Josef Schüßlburners Plädoyer für eine liberale Demokratie des Westens in der Bundesrepublik Deutschland