Widderchen heißt eine Schmetterlingsfamilie. Sie unterscheiden sich von anderen durch ihre Antennen (Fühler): dick wie Widderhörner. Von ihnen will ich erzählen.
Ein einzelner Falter ist gar kein Falter.
Konrad Lorenz, Pionier der Verhaltensbiologie, prägte den Satz: “Ein Affe ist kein Affe”. Damit spielte er auf das Bedürfnis an, einer Gruppe anzugehören. Die Affenhorde, das Löwenrudel, die Giraffenherde, das Bienenvolk, der Heringsschwarm: Sie sind die kleinsten Einheiten, in denen die biologische Art sich erhalten kann. Einzeltiere tragen zum Fortbestand der Art nichts bei.
Schmetterlinge bilden keine Herden und Rudel. Sie füllen ein geeignetes, vorhandenes Areal mit einer flexiblen Individuenzahl an. So viele Individuen ein Biotop ernährt, so viele gibt es dort auch. Ein Falter kommt selten allein. Wo eine Schmetterlingsart existieren kann, da gibt es sie gewöhnlich zahlreich.
Schmetterlinge können sich exponentiell vermehren. Sie ähneln darin Blumen: Sie können sich potentiell ins Unendliche aussamen, werden aber durch die verfügbare Fläche begrenzt.
Darum ist “ein Schmetterling kein Schmetterling”. Die Fünffleck-Widderchen des Halbtrockenrasens bei Scheden, dem Bramwald im Weserbergland östlich vorgelagert, bilden in ihrer Gesamtheit einen Gen-Pool. Alle Falter sind eng verwandt und verschwistert. Die Individuenzahl wird durch den verfügbaren, für die Art geeigneten Lebensraum begrenzt.
Ein einzelner Falter hat für den Bestand innerhalb dieses Biotops keine Bedeutung. Reißt man auf dem Rasen ein Grasbüschel aus, schafft man nur Platz für ein neues, das sich unweigerlich ausbreitet und dieselben Gene trägt.
In phantasievollen Romanen, zum Beispiel des Science-Fiction-Autors Isaac Asimov, werden diese Grundeinsichten weitergesponnen bis zur Idee planetenumspannender Kollektivwesen: Wir stellen uns Gruppenintelligenzen vor, deren Bauteile die Einzelwesen sind. Wir müssen aber in der Wirklichkeit keiner Tierart ein personales Gesamt-Bewußtsein zuschreiben, um sie als Quasi-Individualität zu begreifen, eine kollektive Individualität, deren Bestandteile bedeutungslos sind wie das Einzelblatt eines Baumes.
Augenfällig wird sie uns bei dem nordamerikanischen Monarch-Schmetterling (Danaus plexippus), der jährlich zu Millionen aus nördlichen Brutgebieten in immer größer sich zusammenballenden Schwärmen tausende Kilometer weit nach Mexiko fliegt. Dort überwintert er auf engstem Raum, Tier an Tier, quasi die gesamte Art oder Population. Die schlafenden Falter ruhen dicht an dicht auf großen Nadelbäumen, deren Nadeln man vor lauter Schmetterlingen nicht mehr sieht.
Hier arbeitet ein Widderchen-Pärchen an der Arterhaltung. Von Genen und Kollektivintelligenzen wissen sie nichts. Aber daß man gleichzeitig das eine tun kann und das andere nicht lassen muß, scheint klar zu sein: Wer sagt denn, daß man “dabei” nicht mal einen tüchtigen Schluck trinken und sich stärken darf? Die Skabiose machts möglich.
Fünffleck-Widderchen sind anpassungsfähiger als andere Widderchen. Sie sind in unterschiedlichen Lebensräumen zuhause. Die Speisekarte ihrer Raupen umfaßt mehr Pflanzen als die mancher Verwandten: Hornklee, Kronwicke, Platterbse und andere.
Trotzdem ist auch diese verbreitete Widderchen-Art im Weserbergland nicht überall verbreitet. In den Waldtälern des Bramwaldes fehlt sie jedenfalls. Unmittelbar östlich des Bramwaldes gibt es aber mehrere Vorkommen auf Halbtrockenrasen.
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