Der Schock sitzt tief. War die Besetzung des Kapitols in Washington womöglich ein Menetekel  für unsere politische Klasse. Diese scheint das zu glauben.

Sie überschlagen sich in ihrer Kritik an den Demonstranten, die den Abgeordneten im Kapitol einmal demonstrieren wollte, wer ihrer Meinung nach die Präsidentenwahl gewonnen habe. „Angriff auf die Demokratie!“ tönt es rundum. Die latente Furcht der Vertreter vor der Macht der Vertretenen klingt in Deutschland panisch. Mit sicherem Instinkt wissen unsere Parlamentarier, die Parteivertreter und die sie umgebenden Medienleute genau: Wer ihrer Macht gefährlich werden könnte, ist einzig das Volk.

Unser politisches Establishment ist wütend: Parteien und Medien bauen auf die Macht der Repräsentanten über die Repräsentierten

Dieses soll sich ja, so die Uridee der Demokratie, selbst regieren. Weil es das nicht so kann wie auf der antiken Agora Athens oder vielleicht noch unter lauschigen Eichen im Land der Eidgenossen, muß man wohl oder übel Vertreter wählen. Eine andere oder bessere Idee hatte noch niemand.

Als Vertreter des Volkes und seines angeblichen Willens haben sich historisch schon viele aufgespielt und als dessen Repräsentanten manchmal schreckliche Herrschaften errichtet: Ob ein großes Gremium im Namen des Volkes auftritt, ein kleines Politbüro, ein Triumvirat oder gar ein Alleinherrscher: Stets wurde der Anspruch erhoben: „Hier herrscht das Volk, und ich bin nur sein bescheidener oberster Repräsentant. Wer mich stürzen will, greift die Demokratie an.“

Die Washingtoner Demonstranten führten den Namen der Demokratie ebenso im Munde wie die Volksvertreter im Kapitol. Sie beschwerten sich über die Verletzung demokratischer Spielregeln durch angebliche Wahlfälschungen. Was sie so wütend machte, war der Glaube, es sei eben nicht demokratisch sauber zugegangen. Nicht Feindschaft gegen die Demokratie beflügelte sie, sondern tiefes Mißtrauen gegen ihre Repräsentanten und die staatlichen Institutionen.

Dieses Mißtrauen richtet sich gegen das gesamte politische Establishment und wird von diesem herzlich erwidert: Dieses traut „dem Volk“ ebensowenig über den Weg, jedenfalls wenn es auf die Straße geht und die Macht der Regierenden über die Regierten anzweifelt. Für Regierende sind solche Demonstranten durchweg böse „Populisten“. Populus ist das lateinische Wort für Volk. Populisten trauen den Repräsentanten nicht zu, das Volk zu repräsentieren.

Instinktsicher hat die deutsche politische Klasse gewittert, daß es hier ans Eingemachte auch ihrer Legitimität geht. Die Washingtoner Demonstranten besetzten das Kapitol nicht aus Abneigung gegen die Demokratie, sondern aus Mißtrauen gegen deren Repräsentanten. Es ist dabei für unsere Analyse gleichgültig und für uns nicht nachprüfbar, ob sich unter denen, die ins Kapitol gingen, auch antifaschistische Provokateure befanden.

Dieses Mißtrauen wohnt auch, oft dumpf und wenig reflektiert, in deutschen Demonstranten, die es denen da oben in Berlin mal richtig zeigen wollen. Weil sich Deutsche aber bekanntlich bei der revolutionären Erstürmung eines Bahnhofs erst eine Bahnsteigkarte lösen möchten, blieben die Berliner Demonstranten friedlich, als sie ein Gruppenfoto auf den Treppen des Reichstags machten. Der Schock ihrer Volksvertreter und deren medialer Hilfskräfte sitzt aber tief und wurde am 6. Januar 2021 durch die Washingtoner Ereignisse bis an den Rand der Hysterie verstärkt.

Wenn das Schule machen würde, was würde dann aus uns und unserer Macht? Wenn die Leute ihre Vorstellungen auf der Straße durchsetzen, keine Neujahrsansprachen und Verlautbarungen mehr hören wollen und keine Lust mehr auf linksliberale Talkrunden haben, ahnt man in Berlin und anderswo, würden sie bald machtlos und brotlos.

Auch ich kann mir in einem großen Staat keine Herrschaft ohne Repräsentation vorstellen, selbst wenn man direktdemokratische Elemente einbauen würde wie in der Schweiz. Aber völlig klar ist, daß es kein stabiles Repräsentativsystem geben kann, in dem die Repräsentanten ihre Volk verunglimpfen, des „Populismus“ bezichtigen, ihm eine Umerziehungstherapie nach der anderen verordnen und erkennbar vor allem sich selbst repräsentieren und ihre jeweilige Ideologie.

Die Angst unserer politischen Klasse ist berechtigt. Wenn ihre Methoden, das Volk ruhig und bei guter Laune zu halten, nicht mehr fruchten, wenn mehr Menschen den Eindruck gewinnen, durch die Politik der Neubesiedlung unseres Landes mit Orientalen trachteten unsere Herrscher dazu, ihr Volk auszutauschen, wenn sie richtig wütend über die staatliche Dauerpropaganda in den öffentlich-rechtlichen Medien würden: Dann hätten unsere Parlamentarier die Gräben und Sperren um das Reichstagsgebäude in weiser Voraussicht  ihrer künftigen Notwendigkeit errichtet.

In einer Demokratie kann das niemand wollen. Der Schwarze Peter liegt in Berlin bei den Volksvertretern. Wenn sie unser Volk glaubwürdig vertreten, brauchen sie auch keine Angst zu haben.