Anpassungsfähig
Unsere Art – der Homo sapiens – ist eines der anpassungsfähigsten Lebewesen. Darum vermochte er sich weltweit ist fast jeder Umwelt zu verbreiten, anzupassen und sich zu behaupten.
Wer sich nicht rechtzeitig geänderten Verhältnissen anpassen konnte, dessen Fossilien bestaunen wir in Museen. Eine Forschergruppe um den Ökonomen Toman Barsbai von der University of Bristol hat herausgefunden, daß gleiche Umweltbedingungen auch bei unseren tierischen Nahrungskonkurrenten zu ähnlichen Anpassungen führen wie beim Menschen.
Menschen sind von Natur aus Kulturwesen. In der Kultur spiegelt sich aber gewöhnlich der arterhaltende Wert einer Eigenschaft: Mit einer Neigung zum rituellen Selbstmord hätten sich unsere Vorfahren schon lange ausgerottet, und entsprechend gering schätzen wir seinen ethisch-kulturellen Wert. Als kulturellen Wert empfinden wir unbewußt, was unserer Erhaltung nützlich ist.
Auch die mit uns zu 98,5% identischen Schimpansen besitzen – auf niedrigem Niveau – Tradition und Kultur. Nur manche Verhaltensweisen und Überlebenstechniken wie Techniken zum Nüsseknacken werden weitergegeben. Weiter entfernten Schimpansen sind sie unbekannt. Die grundlegenden Imperative der Arterhaltung und die Grundlagen der sozialen Verhaltensweisen wurzeln also im Genom.
Das Wissenschaftsportal Spektrum berichtet heute über eine Studie der Forschergruppe Toman Barsbais, die in „Science“ erschienen ist: „Barsbai und seine Kollegen studierten anthropologische Beobachtungen an 339 Gruppen von Jägern und Sammlern, die der Archäologe Lewis Binford im 19. und 20. Jahrhundert in Afrika, Asien, Australien und Amerika zusammengetragen hatte. Dann verglichen sie das beobachtete Verhalten der Menschen mit dem von Tieren, die in einem Umkreis von 25 Kilometern lebten. In 14 von 15 untersuchten Lebensbereichen entdeckten sie Übereinstimmungen.“
Die Forscher entdeckten verblüffende Übereinstimmungen, wie viel Nahrungsmittel Mensch und Tier „lagerten, ob sie zur Nahrungssuche weite Wege zurücklegten und ob sie je nach Jahreszeit in andere Gebiete wanderten. Einige Orte begünstigten die Jagd, so daß die Menschen einen Großteil ihrer Nahrung mit Fleisch deckten; in ihrer Nachbarschaft gab es entsprechend mehr Fleisch fressende Tiere,“ berichtet Spektrum.
Beim Fortpflanzungsverhalten gibt es zum Beispiel große Unterschiede zwischen den Populationen, was den Zeitpunkt der ersten Fortpflanzung betrifft. In einigen menschlichen Populationen werden Männer im Durchschnitt zum ersten Mal Vater, wenn sie 30 Jahre oder älter sind, während sie in anderen Populationen jünger als 20 Jahre sein können. An Orten, an denen Menschen später Kinder bekommen, sind auch die dort lebenden Säugetiere und Vögel bei der ersten Fortpflanzung im Durchschnitt älter, während sie dort jünger sind, wo auch Menschen sich früh fortpflanzen. Die Studie ergab auch, daß andere Variablen sich über die Arten hinweg ähnelten, darunter der Anteil der Individuen, die mehrere Partner haben, wie weit sich Individuen von ihrem Heimatort entfernen, um mit neuen Partnern zusammenzuleben, und wie wahrscheinlich es ist, daß verpaarte Individuen sich trennen.
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie 15.1.2021
Wie groß die zusammenlebende Gruppe wird, wie viele Geschlechtspartner genommen werden, wie zahlreich der Nachwuchs ist, ob dieser von beiden Eltern gemeinsam aufgezogen wurde – in allen sozialen Belangen stimmten Menschen- und Tiergruppen in einer bestimmten Umwelt überein.
Gene + Kultur?
Die Kultur von Schimpansen besteht gerade noch in Unterschieden, mit welcher Technik man gewisse Nüsse knackt. Die Anpassungsleistung der in der Studien untersuchten Tierarten ist eine genetische, weil Faktoren wie die Partnerwahl und und das generative Verhalten nicht, wie bei Menschen, auch kulturell weitergegeben werden können.
Das sind starke Hinweise dafür, daß auch unterschiedlichen Menschenkulturen genetische Verhaltensprogramme zugrunde liegen können. Es liegt auf der Hand, daß das generative Verhalten auch von Menschen verschieden sein muß, wenn die Umwelt und ihre Ressourcen voneinander stark abweichen. Bei ungebremster Vermehrung kann eine Population bei zu knappen Ressourcen zugrundegehen, bei üppigen Ressourcen aber auch, wenn der Konkurrenzdruck zu groß ist und derselben Beute nachjagt.
Der neue Befund zeigt,
wie umfassend und konsistent sich die Umgebung auf das Verhalten auswirke. Koautor Dieter Lukas, Ökologe am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, bezeichnete die Ergebnisse als überraschend. »Man würde erwarten, daß verschiedene Arten unterschiedlich mit ihrer Umwelt interagieren.« Die Autoren führen ähnliches Verhalten der Spezies darauf zurück, daß die Umgebung einen Selektionsdruck ausübt und sich deshalb die am besten angepaßten Varianten durchsetzen. Man wisse aber noch nicht, welche Umweltfaktoren für welches Verhalten bedeutsam sind und wie genau beide zusammenhängen.
Menschen verhalten sich ähnlich wie ihre tierischen Nachbarn, Spektrum 15.1.2021
Neophyten unbeliebt
Spannend wird es, wenn in einer bestimmte Umgebung optimierte Eigenschaften plötzlich auf eine ganz andere Umgebung treffen. Dazu kommt es immer häufiger durch eingeschleppte Neophyten. So kann sich eine wohlschmeckende Art mit zahlreichen Freßfeinden auf maximale Vermehrung einstellen. Gelangt sie, vielleicht in Schiffscontainern, auf einen Kontinent, auf dem es diese Freßfeinde nicht gibt, kann die Art sich exponentiell und ungebremst vermehren. Dadurch vermag sie ihre eigenen Ressourcen, von denen sie zehrt, mit der Folge zu dezimieren, daß ihre eigene Population wieder zusammenbricht.
Die Barsbai-Studie berücksichtigt nur Jäger- und Sammler und verglich ihre Kulturen mit den Verhaltensstrategien von Tierarten, die auch als Jäger und Sammler unterwegs sind. Wenn wir Menschen aber unterhalb unserer Kulturen genetische Programme aufweisen, die auch unser Sozialleben beeinflussen, dann behalten wir diese Programme auch, wenn wir uns als Bauern oder Händler seßhaft machen.
Mit der Zeit und den Generationen werden sich Kultur und genetische Neigungen im Gleichklang miteinander ändern. Als unsere Vorfahren in der Eiszeit Europa besiedelten, bedurften sie einer völlig anderen Subsistenzwirtschaft als Menschen in einer tropischen Umgebung mit immer gleichem Nahrungsangebot. Menschen werden sich in Weltgegenden mit starken saisonalen Schwankungen wie Trockenheiten anders behaupten, als stehe jederzeit genug zur Verfügung.
Schneller als die Gene kann unsere Kultur sich anpassen – im Rahmen des uns genetisch Möglichen. Unsere globale Ausbreitung zeigt, daß viele Möglichkeiten in uns stecken. Wir ähneln darin weniger den Tierarten, die seit Urzeiten nur auf eine ökologische Nische spezialisiert sind. Solche Arten neigen zum Aussterben. Wer dagegen wie die Wanderheuschrecken, je nach Bevölkerungsdichte entweder zum alles vertilgenden Freßschwarm werden oder genügsam im Lande bleiben und sich redlich nähren kann, trägt alle Optionen in sich.
Das Schwarmverhalten wird neuester Forschung zufolge ausgelöst, wenn die Tiere häufig Berührungsreize von Artgenossen an ihren Hinterfüßen empfangen, wenn sie also in dichter Menge umherlaufen. Die Umwandlung selbst von einer Phase zur anderen wird wahrscheinlich durch ein oder mehrere Gregarisierungspheromone gesteuert.
Wikipedia
Je nach Bevölkerungsdichte und Ressourcenknappheit gibt es für flexible Arten die Optionen des Weidens und Weiterziehens oder der nachhaltigen Nutzung. Was für Benutzer der einen Option das Mittel der Wahl zu ihrer maximalen Vermehrung darstellt, stößt allerdings nicht immer auf Gegenliebe bei Populationen, die von der nachhaltigen und schonenden Nutzung ihrer Ressourcen leben. Darum galten Heuschreckenschwärme schon zu biblischen Zeiten als Plage – außer bei den Heuschrecken.
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