Die Unfreiheit ist ein Meister aus Amerika

Nur nette Amerikaner

Ich kenne persönlich nur nette Amerikaner. Meine ersten lernte ich auf dem Science-Fiction Weltkongreß in Heidelberg 1970 kennen: Ruhig, neugierig, aufgeschlossen – einfach freundliche Menschen. Sie sind nicht meine Feinde.

Carl Schmitt hat den Unterschied zwischen einem individuellen Feind (lateinisch inimicus) und dem potentiellen Feind einer menschlichen Gesamtheit (hostis) herausgearbeitet: Feindschaft ist die seinsmäßige Negierung eines anderen Seins.[1] Wie Feuer und Wasser nicht zugleich bestehen können, kann die manche Existenzform nicht neben der anderen zugleich Bestand haben.

Die Existenzform der USA ist der Amerikanismus. Als bleibende Verlockung des Besitzbürgertums verspricht er ein risikolos unpolitisches Dasein[2], den endgültigen Abschied von all dem bösen Politischen. Die ganze One World werde einer glücklichen Epoche entgegengehen, wenn sie einmal safe for democracy geworden sein – das Ende der Geschichte und die Auflösung aller Konflikte in einer Weltgesellschaft reiner Ökonomie.

Vom obrigkeitlichen Regen in die ökonomische Traufe

Im Nirwana der reinen Ökonomie lösen sich freilich zwar die einen Machtverhältnisse auf. Andere festigen sich aber umso stärker. Den feudalen Fesseln kaum entronnen, fanden sich die Menschen in einer Massengesellschaft wieder und wurden zu Untertanen von Obrigkeitsstaaten. Die sind vergangen, mit ihnen aber auch der Staat als ein potentieller Schutzpatron unserer Freiheit vor gesellschaftlichen Mächten und Übermächten:

Globale Konzerne gaukeln uns in ihrer Eigenwerbung vor, wie frei wir doch sind, ihre Produkte zu kaufen. Sie fordern immer mehr Freiheit, globale Freiheit, vor allem für sich selbst. Aus dem staatlichen normierten Untertanen werden wir zu ökonomisch normierten Einheitsverbrauchern. Viele Menschen haben in ihrer Konsumlust nichts dagegen. Schließlich sind sie Individualisten und als Kunden frei in ihrer Wahl – oder?

Worin aber besteht die Freiheit des zum Verbraucher denaturierten Bürgers, sobald eine globale AG, die ihn entlohnt, ihr deutsches Werk schließt? Worin besteht sie, wenn er im Supermarkt nur zu kaufen bekommt, was man ihm ins Regal stellt? Worin besteht sie, wenn globale Konzerne wie Twitter oder Facebook ihn aussperren? Was Trump widerfuhr, gehört für unzählige kritische Stimmen seit Jahren zum Alltag.

Die Höhepunkte der großen Politik sind zugleich die Augenblicke, in denen der Feind in konkreter Deutlichkeit als Feind erblickt wird.“[3]

Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.67.

Wir ahnen, daß wir wieder eine Instanz benötigen, die globalen Datenkraken zu bändigen und ihnen unsere freiheitlichen Regeln aufzuzwingen. Eine solche Institution war einst unser Staat, als er noch als neutral über den gesellschaftlichen Kräften stehend handeltn sollte. Er sollte wieder dazu berufen werden, unsere Bürgerrechte durchzusetzen. Zu ihnen gehört, daß uns der Kneipenwirt an der Ecke einlassen muß, ohne nach unserer Gesinnung zu fragen, daß wir das Anrecht gewinnen, ein Stück Butter zu kaufen, ohne daß die Ladenkette uns aussperren darf, weil ihr unsere Meinung nicht paßt, und daß wir auf jedermann zugänglichen Internetplattformen ebenso frei meinen können, was wir wollen, ohne ausgesperrt zu werden. Meinungsfreiheit ist keine reine Privatsache.

Individualismus auf dem Rückzug

Als freie Bürger, die wir sind und bleiben wollen, fühlen wir uns als Individualisten. Die waren früher jeder Staatsmacht verdächtig und sind es heute den selbsternannten Tugendwächtern vom Silicon Valley. Sie bilden heute faktische Meinungsmonopole: Wer etwas Unkorrektes sagt, ist weg vom Fenster. Trump hat das bitter erfahren. Jetzt wissen es alle. Niekisch ahnte es schon 1929:

In der Entwicklung des Konkurrenzkapitalismus zum Monopolkapitalismus kündigte sich das Umsichgreifen des Antiindividualismus an. Noch sieht man nicht ab,  welche spzialen und politischen Bindungen die neue Sachlage unvermeidlich der Menschheit aufzwingen will.[4]

Ernst Niekisch, Gedanken über deutsche Politik, 1929, S.301 f.

Inzwischen fällt es immer mehr Menschen auf. Sie sind aber weitgehend machtlos. Dushan Wegener erkennt die drohende Machtübernahme durch Konzerne, deren Firmenideologie zum Maßstab dafür wird, was wir noch frei verbreiten können:

Man nehme den Puritanismus, der nach »Reinheit« strebt (und in seinem Übereifer zu Ergebnissen gelangen kann, die von außen sehr »unrein« wirken), dazu die moderne ultravernetzte Kommunikationstechnologie, sowie eine menschliche Entwicklungsstufe, welche in mancher Hinsicht derart »effektive« Methoden hervorgebracht hat, dass sie bereits wieder das Gegenteil der angegebenen Absicht erreichen (Essen, das uns mangelernährt; Schule, die unsere Kinder dümmer macht; Unterhaltung, die uns zu Tode langweilt; Information, die uns desinformiert; Armutsbekämpfung, die Armut schafft; Toleranz, die Intoleranz fördert; Demokratie, die das Volk entmachtet, et cetera) – all die anderen Entwicklungen, ob von den vorgeblichen »Anti-Rassisten« geschürte Rassenunruhen, oder der »gute« Mob, der mit ideeller Rückendeckung der Konzerne die Geschäfte der Einzelhändler plündert, oder natürlich vorerst final die Machtübernahme durch Konzerne und konzernartige Staaten, all das ist »nur« Konsequenz, Folge und Epiphänomen der zugrundeliegenden »Denkschulen-DNA«, eines Puritanismus, der sich durch moderne Technologie und eigene Über-Effektivität gegen sich selbst wendet.

Dushan Wegener, Andere Geschichte, andere Bücher, 13.1.2021

Amerikanismus heißt heute für uns mehr denn je, uns amerikanischer Marktmacht und zugleich ihrer Denkweise widerstandslos zu unterwerfen. Diese Denkweise ist im Kern Religion. Der wirtschaftlich Erfolgreiche ist von Gott besonders gesegnet. Europa hatte seine fanatischsten Sekten scheinbar ausgeschwitzt. Sie schifften sich ein und beherrschen nun die USA. Erst als militärische und dann als geistige Wiedergänger haben sie uns bereits infiziert. Ein Teil unseres politischen Establishments ist durch und durch amerikanisiert.

Ein gewisser Widerspruch zwischen Menschenrechts- und Freiheitspathos und dem realen Verhalten der USA ist schon vielen Karikaturisten aufgefallen. Manche Menschen bemerken ihn früher, andere erst, wenn Bomben fallen.

Ihnen ist nur eins heilig: Geld zu „machen“ eine quasi sakrale Handlung. Dabei darf niemand stören: kein Staat, keine Grenzen. Ihr „Konservatismus“ beschränkt sich darauf, die bestehenden ökonomischen Verhältnisse zu konservieren. Die Hypertrophie des Ökonomischen hat sich lange in den USA ausgetobt und Millionen fleißiger Menschen hinter sich gelassen, die nach Standortschließungen und Firmenpleiten verarmt sind. Zu Recht oder zu Unrecht: Trump war ihre Hoffnung. Er beabsichtigte, die Tentakel mi staatlichen Gesetzen zu stutzen.

Die Datenkraken und Gesinnungswächter sind jetzt mitten unter uns. „Jetzt sind sie eben da.“ Wer unternimmt etwas gegen sie?

Gewinnt der Amerikanismus, so wird er in 150 Jahren die Menschheit zugrunderichten, und die Erde wird als erstorbener Mars im Weltall weiterkreisen. Gewinnt die neue Religion, so wird die Menschheit 150 Jahre lang in großer Not leben, und dann wird wieder das jahr Eins kommen und alles wieder von vorne beginnen.

Joachim Fernau, Halleluja, Die Geschichte der USA, 1977, XXI, S.319.

Die Varianten der Unfreiheit

Lassen wir uns von den Schwarz-Weiß-Klischees unserer öffentlich-rechtlichen Medien und den Zeitungen nicht täuschen. Wir haben in puncto USA nicht Partei zu ergreifen zwischen zwei Varianten desselben Ungeistes. Trump wurde bevorzugt von fundamentalistischen Wählern, die in ihm den gottgesandten Retter vor den bösen Lefties sahen. Für unser Verständnis von Freiheit, gerade auch von der Freiheit, unsere Meinung zu vertreten, sind sie kein kommoter als ihre linken Kontrahenten. Sie sind Brüder im Ungeiste:

Die einen US-Puritaner sind gegen Abtreibung (ein »reiner«, kompromißloser Schutz des Lebens), einige sind gegen gefährliche Einflüsse aus fremden Kulturen, und selbst die angeblich anti-konservativen, »woken« »Liberals« sind im Kern die härtesten der Puritaner (nebenbei: und betrachten also auch ihren Erfolg als Ausdruck göttlichen Segens, müssen  sich also zum Erfolg zwingen), und sie wollen die Sprache und das Denken der Menschen weit strenger und bald noch drakonischer kontrollieren als es Zwingli in Zürich tat (nur daß ihre Scheiterhaufen und Bücherverbrennungen eben heute digital und damit auch einfacher zu bewerkstelligen sind).

Dushan Wegener, Andere Geschichte, andere Bücher, 13.1.2021

Es ist auch demokratisch ein „Ungeist“, der uns heimzusuchen droht. Wir haben gelernt, alle ausgeübte Macht demokratisch zu kontrollieren und an den Willen derer rückzubinden, die dieser Macht unterworfen sind. Davon kann bei der Macht der Internet-Globalisten keine Rede sein. Niemand kontrolliert sie, wenn sie uns mit ihrer Zensur den Mund verbieten: niemand in den USA und hier erst recht niemand. Im Gegenteil: Unser Staat richtet geradezu unsittliche Aufforderungen an die Konzerne, unsere Meinungsfreiheit einzuschränken und damit unsere Gesinnung zu steuern: Sonst kommt nämlich das Netzwerkdurchsetzungsgesetz über sie.

„Das, reden wir nicht um den heißen Brei herum, nennt man Zensur. Die sozialen Medien verbannen Stimmen, die nicht in den politisch korrekten Kosmos der Tech-Oligarchen des Silicon Valley passen. Die amerikanischen Oligarchen dominieren jetzt den politischen Diskurs in Amerika und sehr bald auch im Rest der Welt. Sie sind niemandem Rechenschaft schuldig, sie verwandeln ihre sozialen Medien in Meinungsmonopole. Das linksliberale Amerika dominiert die Medien, Hollywood, die Universitäten, die obersten Schichten des Großkapitals und jetzt auch die sozialen Medien. Donald Trump wurde von den Stimmlosen des ‚Middle America‘ gewählt, das die Hälfte der Bevölkerung ausmacht, aber dieser Teil Amerikas hat nun seine Onlinestimmen durch die Intervention der Tech-Unternehmen verloren.

Wenn der Präsident der Vereinigten Staaten mundtot gemacht werden kann, wenn er mithilfe der Techniken des 21. Jahrhunderts nicht mehr mit seinen Anhängern kommunizieren kann, dann kann das jedem passieren.“

Leon de Winter, 13.1.2021, zitiert Thomas Stefan u.a. auf Renovatio.

Uns wird niemand zu Hilfe kommen. Wir müssen uns auf uns selbst besinnen. Unsere Geistesfreiheit ist unsere eigene, mühsam errungene Tradition. Hüter unserer Traditionen und unserer Freiheit kann nur ein auch geistig selbstbestimmter deutscher Staat sein.

Ausgerechnet das Silicon Valley kann uns nicht Mores lehren.


[1] Carl Schmitt, der Begriff des Politischen, 1932.

[2] Definition des bourgeois nach Hegel, vgl. C.Schmitt, 1932, Fn.18.

[3] Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.67.

[4] Ernst Niekisch, Gedanken über deutsche Politik, 1929, S.301 f.

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Das Rad der Geschichte dreht sich – drehen wir uns mit?

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Abweiden und weiterziehen

  1. Interessant – vor allem dr Bezug auf „Science Fiction“ – ich habe immer noch in meinem Arbeitszimmer diese Literator kistenweise stehen. Und alle gelesen – solche Literatur – auch die von FS-Autoren aus dem damals verpönten „Ostblock“ gaben zumindest teilweise Hoffnung auf ein besseres Leben auf der Erde – und auch die von den sogenannten Zukunftsforschern (Kahn). Und genau diese haben so sehr daneben gegriffen, wie sonst niemand!
    Bücher wie 1984 gab es auch damals zu lesen – aber da die Technik und die Politik noch lange nicht so weit war für die totale Überwachung – der VS war lediglich real auf den Versammlungen dabei und machte Protokolle und wurden mit Namen angeredet – wurden diese Bücher nicht so sehr beachtet.
    Dank dafür – für diese Erinnerung an bessere Zeiten in Deutschland :-)))
    N.B. Der Heise-Verlag hatte zeitweise damals immer eine SF- Kurzgeschichte in seiner monatlich? erscheinenen den Zeitschrift IT. Manchmal auch mit Fortsetzungen.
    Und leider erkennen die allermeisten Mitbürgen / Mitmenschen nicht einmal, daß sich das Rad der Geschichte dreht – und inzwischen oft genug in Richtung Vergangenheit. Auch wenn niemand mehr real auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird, so ist hier kaum mehr ein Unterschied zu spüren und es fehlt ein Martin Luther, der gegen die „Ablaßbriefe“ der Neuzeit protestiert bzw. der findet, da von den Medien unterdrückt, kein Gehör mehr und, es würde / wird ihn niemand Glauben schenken, so Indoktriniert sind die Menschen inzwischen!!!

  2. Sehr geehrter Herr Kunze,

    mit großem Interesse und nicht ohne Vergnügen habe ich Ihr Büchlein „Wahn, Wahnsinn, Genderwahn, entgrenzte Gesellschaft gelesen. Hier noch ein Gedanke zum sog. Gendersternchen: Konstruktionen wie Patient*innen oder Student*innen zeigen, vor allem wenn gesprochen (z.B. im Fernsehen), daß hier das generische Maskulinum durch ein generisches Femininum ersetzt wird (werden soll). Diese Konstruktionen verletzen sogar die angebliche Regel, dass der maskuline Vorsatz ein Plural sein muss wie in Mitarbeiter*innen. Hier jedoch kann man das generische Maskulinum ohnehin vermeiden (so man das unbedingt will) und von „Mitarbeitenden“ sprechen, also das Partizip des Präsenz benutzen.

    Mit freundlichen Grüßen — Johannes Martin

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