Religion ohne Gott?

Der Humanitarismus hat sich zur Religion der Selbstvergottung des Menschen entwickelt. Er erkennt nichts Höheres an die Idee vom „Menschen an sich“, dem er früher Gott vorbehaltene Attribute wie eine spirituell verstandene Würde zuspricht. Udo Di Fabio, 1999-2011 Richter am Bundesverfassungsgericht, identifizierte als materiellen Kern der Idee und den Sinn des Begriffs „Würde des Menschen” die säkularisierte christliche Vorstellung von der Gottesebenbildlichkeit jedes Menschen.[1]

„Der moderne Ursprung dieser radikalen Idee liegt auf der Hand. Der Humanismus, repräsentativ verewigt durch die kleine Schrift Pico della Mirandolas über die Würde des Menschen, beginnt die Konstruktion seines Ideengebäudes mit einer im Grunde nur notdürftig kaschierten Gotteslästerung. Die biblische Offenbarung, wonach jeder einzelne Mensch ein Ebenbild Gottes sei, wird von seinen transzendenten theologischen Wurzeln und den praktischen Demutsermahnungen getrennt. Die jeweils einzelne Gottesebenbildlichkeit wird zur Identität des Menschseins schlechthin gemacht, wenn jeder Mensch auf Erden in den Rang eines gottgleichen Schöpfers erhoben wird und jeder als Schöpfer seines Schicksals, im Range gleich.“[2]

Udo Di Fabio, Die Kultur der Freiheit, 2005, S.98.

Die politische Ideologie des Liberalismus beruht auf einer Reihe axiomatischer Glaubenssätze, von denen der weltanschauliche Humanitarismus einer ist. Ein anderer ist die Vorstellung, wenn man alle gesellschaftlichen Akteure möglichst frei interagieren lasse, stelle sich wie von unsichtbarer Hand das ökonomische Gemeinwohl ein. Ebenso soll sich so etwas wie ein Surrogat für „Wahrheit“ manifestieren, wenn in allumfassender Diskussion jeder Diskutant seine Argumente beisteuern darf.

Die Staatsreligion der Freistaaten

Offenkundig kann es in den Köpfen der großen Masse kein dauerhaftes Glaubensvakuum geben. Wer mit Erbschuld, Sünde und „froher Botschaft“ nichts anfangen kann, ersetzte in den meisten Fällen nur den Glauben an den biblischen Gott durch einen anderen Glauben: den an den Menschen

 „Der Mensch“ bildet den Dreh- und Angelpunkt einer neuen inoffiziellen Staatsreligion unserer Tage. Als höchstes Wesen trat er seit der Renaissance an die Stelle Gottes, und zwar gerade nicht irgendein wirklicher Einzel­mensch oder viele bestimmte Einzelmen­schen, sondern eine abstrakte Idee vom Menschen an sich. Wenn bisher Gott das sittliche Gute verkörperte, fiel diese Rolle jetzt dem Menschen zu. Das rief schon bald Spott hervor:

“Weil diese zur Menschlichkeit vollen­dete Sittlichkeit mit der Re­li­gi­on, aus der sie geschichtlich hervorge­gangen, sich völlig aus­ein­an­der­gesetzt hat,” prognostizierte  Max Stirner 1845, “so hinderte sie nichts, auf eigene Hand Religion zu werden.” Dazu komme es, wenn dem Menschen der Mensch das höch­ste We­sen sei: “Hat man da nicht wieder den Pfaf­fen? Wer ist sein Gott? Der Mensch? Was ist das Göttliche? Das Mensch­liche!”[3] Indem Stirner die Humanität als die Staatsreligion des freien Staates bezeichnete[4], durchschaute er bereits 1845 den notwendigen Zusammenhang zwischen Humanitarismus und Liberalismus. Der „freie Staat“ war nämlich 1845 eine liberale Forderung und ist heute verwirklicht.

Während die christliche Vorstellung eines irgendwo thronenden und waltenden Gottes selbst bei vielen deutschen Christen, wie sie sich noch nennen, in synodalem Palaver verdunstet ist, können orthodoxe Christen noch richtig ärgerlich werden. Der Russe Alexander Dugin erkennt richtig, daß der kernhumanitaristische Liberalismus wie eine Religion geglaubt wird. Daß dabei der „Mensch an sich“ auf den Thron gesetzt und Gott funktionslos geworden ist, nennt er satanisch:

Wenn wir genau hinschauen, werden wir in der Tat Fanatismus, Manie und religiösen Glauben an Liberalismus und Fortschritt entdecken. Während diese Modelle nicht funktionieren, werden Nobelpreise zu Recht an die Autoren der Konzepte für ein exponentielles, geometrisch progressives Wachstum der globalen liberalen Wirtschaft vergeben. Ein paar Jahre nach solchen Nobelpreisen stellt sich das Gegenteil heraus, alle Indikatoren sinken. Und doch, die Nobelpreisträger sterben und die Religion bleibt. Eine liberale und in gewisser Weise satanische Religion. [..] In der Tat hat der Liberalismus den Platz der Religion eingenommen. Die Dogmen des liberalen Verständnisses: Fortschritt, das Individuum, das Individuum ist in der Tat eine Art Theologie. Sie hat keine göttliche Dimension, aber sie beharrt auf diesen Dogmen, Regeln und Normen, genau wie die mittelalterliche Theologie.[5]

Alexander Dugin, Der Liberalismus hat den Platz der Religion eingenommen, Synergon 22.7.2022 , original auf Geopolitika
Im Mittelalter glaubte man an Gott und sah in der Geldgier etwas Sündhaftes. Unsere Zeit glaubt an “den Menschen” und betrachtet die Freiheiten des globalen Finanzmarkts als Gebot der Humanität.
Abbildung: Hugo von Trimberg, Der Renner, um 1430.

Die ideologische Wundertüte

Zu den inneren Widersprüchlichkeiten des Humanitarismus gehört es, daß er einerseits an eine spirituelle „Gleichheit“ aller Menschen glaubt. Schließlich steckt in jedem gewissermaßen der „Mensch an sich“. Das hinderte allerdings gerade den angelsächsischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts nicht an einem handgreiflichen Rassismus:

Einst war es eine rassistische Vision, daß es “Weiße” gab, die als “erste Klasse”, “Gelbe” als “zweite Klasse” und “Schwarze” als “dritte Klasse” wahrgenommen wurden. Reiner Rassismus. Sie geht auf das neunzehnte Jahrhundert zurück. Sie wurde übrigens hauptsächlich von Liberalen praktiziert. Der englische, britische Liberalismus war völlig rassistisch. Manchmal wird gesagt, daß der Rassismus mit Hitler nach Europa kam. Aber der Rassismus kam aus England nach Deutschland, aus dem liberalen britischen England, durch die Schriften von Chamberlain. Die Deutschen waren keine Rassisten, bis dieser bösartige, monströse Einfluß der englischen Liberalen zu ihnen kam. Der Liberalismus ist in seinen Wurzeln ein rassistisches Phänomen.

Alexander Dugin, Der Liberalismus hat den Platz der Religion eingenommen, Synergon 22.7.2022 , original auf Geopolitika

Heute hat sich der „humanitäre“ Rassismus argumentativ umgedreht, ohne deshalb an rassistischem Gehalt einzubüßen. Unter der offiziellen Fahne eines „Alle Menschen sind gleich“ werden wieder Menschen selektiert in schwarze und weiße, gute und böse. Die Bösen sind jetzt zum Beispiel die „alten weißen Männer“, die den Schwarzen angeblich alles eingebrockt hätten. Und weil in früheren Jahrhunderten Schwarze kolonialisiert, unterdrückt oder ausgebeutet worden seien, sollen ihre Nachkommen heute privilegiert werden. Ohne erneute Einteilung nach rassischen Kategorien geht das aber nicht.

Wer Deutschen eine „besondere Verantwortung“ zuschreibt wegen „unserer Vergangenheit“, diskriminiert bereits, weil mehr „Verantwortung“ ein Weniger an Freiheit beinhaltet. Weil Deutschland sich in der Epoche des Kolonialismus böse danebenbenommen haben soll, nach heutigen humanitaristischen Maßstäben, sollen uns jetzt Zahlungspflichten auferlegt werden. Sie und ich müssen also arbeiten gehen, um Geld an glückliche Empfänger zu zahlen, deren Ururgroßväter Unrecht widerfahren sei. Uns werden wegen unserer Abstammung Pflichten auferlegt, von denen die Geld Fordernden frei sind. Solches Denken kommt nicht ohne rassistische Denkkategorien aus.

In den USA ist dieser Rassismus bereits weiter auf dem Vormarsch: Beim Zugang zu Universitäten werden Angehörige rassischer Minderheiten häufig privilegiert. Selektiert und quotiert wird dabei nicht nach Maßstäben persönlicher Verantwortung, sondern nach Hautfarbe. Nachkommen jüdischer Immigranten aus der Zeit des 3. Reichs sind dabei gegenüber sogenannten Farbigen genauso unterprivilegiert wie andere „weiße Männer“, obwohl ihre Vorfahren kaum an Negersklavenhaltung beteiligt gewesen sein können.

Die heilige Dreifaltigkeit des Geldes

So ist der ideologische Humanitarismus wie eine Wundertüte, aus der sich jeder die Argumente nehmen kann, die er gerade braucht. Das kann für geistig weniger Leistungsfähige, die gern studieren oder Professor werden wollen, das Argument der Diskriminierung ihrer Ahnen sein. Antideutsche Linksextremisten möchten unser Volk schrumpfen sehen und fordern unbegrenzte Immigration „aus humanitären Gründen“.

Zugleich entdecken die Lenker der großen Geldströme, es sei ein Gebot der Humanität, die Ströme von Waren und Menschen durch keine Grenzen aufzuhalten. Wie man im Mittelalter im Namen Gottes Interessen- und Eroberungspolitik betrieb, betreibt man sie heute im Namen des Internationalismus, Kosmopolitismus und Humanitarismus. Sie sind die hei­lige Dreifaltigkeit unserer Zeit. Mit angeblichen Geboten der Humanität kann man heute alles begründen, man muß es sich nur richtig hindrehen.

Geldgier galt im Mittelalter als böse. Für den Liberalismus wurde sie zur systemrelevanten Eigenschaft, also wurden Gott und Teufel durch einen “Menschen an sich” ersetzt.
Abbildung: Hugo von Trimberg, Der Renner, um 1430.

Die Ökonomie der westlichen Massengesellschaft und ihr liberaler Zeitgeist bedingen einander wechselseitig. Sie bilden gemeinsam ein selbstreferentielles System. Ein solches System kreist immerfort nur um sich selbst und bleibt im Kern seiner Funktionen von außen unbeeindruckt. Erst die räumliche Begrenzung der erreichbaren Ressourcen dieser Welt setzt ihm eine unüberwindliche Grenze. Diese ist den großen Wirtschaftsführern bewußt. Weil ein Krieg um Rohstoffe oft keine sinnvolle Lösung wäre und das Problem nur verschieben würde, muß der Wirtschaftskreislauf sich umstellen. Ohne nachhaltige und schonende Nutzung der natürlichen Ressourcen wird sich die Welt in einen Müllhaufen verwandeln.

Die Pläne und Absichten maßgeblicher Wirtschaftsführer zu einem Great Reset berücksichtigen perfekt die wechselseitige Abhängigkeit einer bestimmten Wirtschaftsform und die zu ihr passenden mentalen Einstellungen. Sie sollen den Wirtschaftskreislauf und damit auch die Macht der großen Konzerne langfristig sichern. Für Deutschland bedeutet das aus Sicht von Männern wie dem Multimilliardär George Soros, dem Leiter des WWF Klaus Schwab und vielen anderen tendenziell die Aufgabe der Nationalstaatlichkeit, unseres Selbstverständnisses als ethnisches Volk und die völlige Einbindung in den internationalisierten Warenkreislauf als bloßer Wirtschaftsstandort, angefüllt mit beliebigen Verbrauchern aus aller Herren Ländern.

Weil sich kein politisches oder ökonomisches System dauerhaft gegen den Widerstand seiner Regierten halten kann, muß dieser durch ideologische Umorientierung gebrochen werden. Diesem Zweck dienen diverse, von Leuten wie Soros finanzierte internationale Nichtregierungsorganisationen („NGOs“) in diversen Staaten. Mit der nötigen finanziellen Ausstattung fördern sie seit Jahren jede Bestrebung, die unseren Staat, unsere demokratischen Institutionen, unseren Selbstbehauptungswillen und unsere Identität untergräbt.

Ziel des Umwandlungsprozesses ist eine multikulturelle, internationalisierte Gesellschaft. Sie wird nicht mehr aus Deutschen bestehen, sondern aus einer Mischbevölkerung ohne eigentümliche Identität. Sie wird keine gemeinsame Kraft aufbringen können, sich als demokratisch verfaßtes Ganzes zu verstehen und zu verteidigen: eine amorphe Masse bloßer Konsumenten und weniger Dienstleister, leicht lenkbar durch Reklame, mediale Meinungskampagnen und ideologische Beeinflussung im jeweils gewünschten Sinn.

Die Methode der weltanschaulichen Umorientierung besteht darin, die herkömmlichen Glaubensgrundlagen der Bevölkerung zu extrahieren und ihr neue einzupflanzen. Die Liebe zum eigenen Volk gilt als rassistisch und wird durch den Glauben ersetzt, globale Vermischung bis zur Unterschiedlosigkeit sei moralisch anzustreben, wenigstens aber hinzunehmen. Um keinen organisierten Widerstand aufkommen zu lassen, wird Hingabe und Opferbereitschaft zu kollektiven Phänomenen als faschistisch gebrandmarkt und ein individualistischer Denkstil gefördert. Zugleich wird „antifaschistischer“ Haß auf die moralisch scheinbar Zurückgebliebenen geweckt, die sich der neuen Religion verweigern.

So gewinnt die Vertretung eigener Interessen erst an Durchschlagskraft, wenn sie als Konsequenz und Gebot höherer Ordnungsprinzipien ausgegeben wird. Politische Positionen können offenbar nicht wirksam propagiert und durchgesetzt werden, wenn ihnen keine religiösen Annahmen zugrundeliegen. Zu ihrer Begründung beruft man sich aber nicht mehr auf einen transzendenten Gott, sondern auf den Menschen immanente göttliche Eigenschaften wie die Würde, die Gerechtigkeit und eine Reihe weiterer Dogmen.

Ihnen ist in ihrer Summe, ihrem inneren Zusammenhang und ihrer logischen Abhängigkeit voneinander die religiöse Qualität nicht abzusprechen. Man kann sie nicht beweisen. Man soll sie halt glauben.


[1] Udo Di Fabio, Die Kultur der Freiheit, 2005, S.114, Herdegen (Maunz-Dürig-Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, 2005) Art. 1 Abs.1 GG, Rdn.7 ff.

[2] Udo Di Fabio, Die Kultur der Freiheit, 2005, S.98.

[3] Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, 1845 (Reclam 1972), S.62.

[4] Max Stirner, 1845 (1972), S.193.

[5] Alexander Dugin, Der Liberalismus hat den Platz der Religion eingenommen, Synergon 22.7.2022, original auf geopolitika