Deutschland zwischen Bürgerkrieg und Verfassungsputsch
Es gibt Augenblicke, in denen ein Sturm kurz die trüben Wolken aufreißt und einen weiten Blick erlaubt. Die großen Momente des Politischen brechen an, wenn sich die Gegner – wie in einer eingefrorener Momentaufnahme – in aller Klarheit erkennen.
Solche Momente durchleben wir gerade. Sie erweisen, ob eine Analyse richtig war oder ob man sich hatte täuschen lassen. Seine Gegner zu täuschen gehört zum politischen Handwerk.
Wir leben – verfassungsrechtlich – in einem demokratischen Rechtsstaat. Der politische Wille sollte in rechtlich geregelter Form von unten nach oben gebildet werden: Vom Volk hin zu den Staatsorganen. Befehle von ganz oben, per ordre Mufti, sind nicht vorgesehen. Wenn sie erteilt werden und „die unten“ gehorchen, obwohl sie verfassungsrechtlich unabhängig sind, ist die Grenze zur autokratischen Staatsform berührt.
Die Kader und Fußtruppen des Linksextremismus sind aufmarschiert. Sie proben den Bürgerkrieg. Jetzt müssen schon Kinder biederer FDP-Abgeordneter um Leib und Leben bangen, wie gestern geschehen. Gelingt die linke Machtergreifung nicht mit Mitteln des kalten Verfassungsputsches, soll sie gewaltsam vollzogen werden.
Wir erleben gerade eine Wanderung auf dem schmalen Grat, der die angewandte freiheitliche demokratische Grundordnung von einer Parteien-Autokratie trennt. Neben und um die staatlichen Organe herum hat sich wie eine Schlingpflanze ein Parteiensystem gebildet, das, wie durch Führerbefehl, den demokratisch gebildeten und rechtlich geregelten Willen der Wähler in sein Gegenteil verkehren kann.
Ein Putsch ist es, wenn sich ein Verfassungsorgan unter Bruch der Gesetze zum alleinigen Machtzentrum aufschwingt. Da die Bundeskanzlerin beides zugleich ist, als Kanzlerin Staatsorgan, vor allem aber Parteivorsitzende, ist in ihrem Handeln beides nicht immer voneinander zu trennen. Bisher wurden keine Mittel angewandt, die als Putsch im Rechtssinn gewertet werden müßten. Bisher scheint es auch ohne Rechtsbruch zu funktionieren. Jedem Usurpator ist die friedliche Machtübernahme lieber als die gewaltsame und Recht brechende. 2015 hatte Merkel sich schon über alles Recht hinweggesetzt, als sie ungezählte Ausländer ins land ließ. Es wächst die Zahl der Beobachter, die ihr weitere Rechtsbrüche bis hin zum offenen Putsch zutrauen: im Namen der Demokratie, versteht sich. Warten Sie einfach, was passiert, wenn die AfD irgendwo über 50% kommt. Sie werden es erleben!
Vom Koalitionsausschuß steht nichts im Grundgsetz
Das in keinem Gesetz vorgesehene oberste Machtgremium des Parteienstaates ist die Koalitionsrunde. Hier sitzen die Bosse derjenigen Parteien zusammen, die schon länger hier existieren. Sie kungeln untereinander aus, wie sie ihre Macht aufrechterhalten. Das stieß sogar der linkskonformistisch gebügelten alten FAZ übel auf:
Es ist bemerkenswert, wie die Bundesregierung sich hier in die Politik eines Bundeslandes einmischt. Denn am Samstagnachmittag haben sich nicht informell die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD zusammengesetzt, um über die Lage in Thüringen zu beraten. Der Koalitionsausschuß hat eine andere Qualität, auch wenn die Parteivorsitzenden mit am Tisch sitzen. Die Runde trifft sich im Kanzleramt, in der Zentrale der Bundesregierung. Die Kanzlerin, der Chef des Bundeskanzleramts und der Vizekanzler sind dabei. In ihren jeweiligen Parteien haben alle drei keine wichtigen Aufgaben inne. Warum entscheiden die Mitglieder der Bundesregierung darüber, wie es in Thüringen weitergeht? Verfassungsrechtlich ist das mindestens heikel. Gerade im Osten werden häßliche Erinnerungen wach, wenn Berlin diktiert, wie die Dinge abzulaufen haben.
Helene Bubrowski, FAZ 8.2.2020
Wie schön, daß das inzwischen auch in der FAZ angekommen ist. Ich hatte schon 1994 geschrieben:
Die wesentlichen Entscheidungen fallen in geheimen Sitzungen der Fraktionsführer oder gar in außerparlamentarischen Komitees, so daß eine Verschiebung und Aufhebung jeder Verantwortlichkeit eintritt und auf diese Weise das ganze parlamentarische System nur noch eine schlechte Fassade vor der Herrschaft von Parteien und wirtschaftlichen Interessenten ist.[1] Koalitionsentscheidungen sind nicht transparent, obwohl sie im nachhinein Wahlentscheidungen verändern, womit sie im Ergebnis das demokratische Prinzip selbst einschränken.[2]
Klaus Kunze, Der totale Parteienstaat, 1994, S.28.
Strukturell war unser Staat schon 1994 ein totaler Parteienstaat. Das konnte nach außen hin verdeckt werden und hatte eine tiefgreifende Analyse erfordert. Heute ist die Machtergreifung des selbsternannten Staatparteien-Systems für jedermann offenkundig. Jeder sieht, daß hier nicht mehr demokratisch und schon gar nicht rechtsstaatlich verfahren wird.
Dabei muß die Analyse aber den Kern treffen: Nicht der demokratische Gedanke, nicht das Demokratieprinzip, und schon gar nicht die freiheitliche demokratische Grundordnung sind schuld. Das Problem liegt in einem an seiner Macht klebenden System politischer Parteien, die sich einbilden, sie seien wichtiger als das Wahlvolk und wichtiger als der Rechtsstaat. Sie erheben für unseren Staat und die Demokratie einen Alleinvertretungsanspruch.
Es gilt, die freiheitliche demokratische Grundordnung vor ihren Feinden zu schützen, die sich selbst zu Königen der Demokratie erklärt, sich einen albernen moralisiernden Krönungsmantel umgehängt und jede Konkurrenz zu Nazis erklärt haben. Das, so meinen sie, zieht immer.
„Die Massen werden durch einen Propaganda-Apparat gewonnen, dessen größte Wirkungen auf einem Appell an nächstliegende Interessen und Leidenschaften beruhen. Das Argument im eigentlichen Sinne, das für die echte Diskussion charakteristisch ist, verschwindet.“[3] „Heute wirkt es wie eine Satire, wenn man einen Satz von Bentham[4] zitiert: ‚Im Parlament treffen sich die Ideen, die Berührung der Ideen schlägt Funken und führt zur Evidenz.'“[5] Das parlamentarische Formprinzip der Entscheidungsfindung aufgrund öffentlicher Diskussion ist längst zur inhaltsleeren Formalie degeneriert. Von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, fallen die wesentlichen Entscheidungen nicht mehr im Parlament.
Die wünschenswerte demokratische Willensbildung im Volke aufgrund freier geistiger Auseinandersetzung, die Willensbildung „von unten nach oben“, führt ihren Reigen allenfalls noch über dem Sternenzelt des Ideenhimmels, nicht aber hienieden im allgegenwärtigen Medienstaat oder gar im Bundestag. Wirklich entschieden wird auf Parteitagen, informellen Treffen von Spitzenpolitikern,[6] in schriftlichen „Verträgen“ einzelner Seilschaften zur Aufteilung der Beutemasse,[7] bestenfalls noch in der Koalitionsrunde, aber nicht in den verfassungsmäßig vorgesehenen Staatsorganen. „Fraktionsdisziplin und -zwang bestehen fort. Koalitionsvereinbarungen legen fest, wann das Abstimmungsverhalten im Parlament den Abgeordneten – horribile dictu – freigestellt werden soll.“[8]
Koalitionen sind in der Verfassung nicht vorgesehen und beeinträchtigen verfassungsrechtliche Kompetenzen von Staatsorganen, nämlich die Personalhoheit (Art.64 I GG) und Richtlinienkompetenz (Art.65 S.1 GG) des Kanzlers und die Ressortkompetenz der Bundesminister (Art.65 S.2 GG). Koalitionsentscheidungen unterliegen, da im Gesetz nicht vorgesehen, keiner verfassungsrechtlichen oder sonst richterlichen Kontrolle.[9] Wie drastisch die nach der Idee des Parlamentarismus und dem Willen des Bonner Grundgesetzes vorgesehene Entscheidung aller Fragen des Gemeinwohls durch demokratisch legitimierte Institutionen zur Farce geworden ist, schildert uns Waldemar Schreckenberger, der von 1982 bis 1989 Staatssekretär im Bundeskanzleramt war und es daher wohl wissen muß. Der spätere Professor an der Verwaltungshochschule in Speyer sieht die Koalitionsrunden als ein Symptom auf dem Wege zum Parteienstaat an.[10]
Er berichtet aus seiner Erfahrung, daß die Entscheidungsverfahren in den staatlichen Gremien Bundestag und -kabinett zunehmend überlagert werden durch interne Beschlüsse der Parteien, den wirklichen Trägern der Macht. Zwischen Kabinett und Koalitionsrunde habe sich eine Arbeitsteilung ergeben, nach der die massenhaften Routinesachen dem Kabinett verbleiben, die wichtigsten Sach- und Personalfragen aber im Regelfall von der Koalition vorentschieden werden. Die nachfolgenden Kabinetts- und Parlamentsbeschlüsse erscheinen nur noch als Vollzugsakt vorausgegangener Parteivereinbarungen. Es entsteht zumindest der Schein, als sei die Regierung ein bloßes Durchführungsorgan oder das geschäftsführende Management der sie stützenden Parteien.
Für eine nur dem Parlament verantwortliche Regierung bedeutet es dagegen eine Herabstufung zu einem Ausführungsgehilfen von Parteioligarchen. Die Regierungsmitglieder fungieren damit als Repräsentanten von Gremien der Parteienkoalition, statt von demokratisch legitimierten Staatsorganen, was Schreckenberger „schwer erträglich“ findet: Eine „Oligarchie der führenden Politiker bei geringer Transparenz.“[11] Nicht weniger bedeutsam sei die Einflußnahme von Koalitionsparteien auf den parlamentarischen Entscheidungsprozeß: Wesentliche Regelungen eines Gesetzesentwurfs, die bereits die Billigung der Koalitonsrunde gefunden haben, lassen sich im Parlament nur noch schwer verändern. So wird der Staat nicht aus seinen verfassungsmäßigen Institutionen gelenkt, sondern aus Parteigremien ferngesteuert.
Wie hatte es doch in einer Rede Hitlers auf dem Reichsparteitag Triumph des Willens geheißen: Nicht der Staat hat der Partei zu befehlen, nein, die Partei schafft sich ihren Staat. Und wie war es in den kommunistischen Diktaturen des Ostblocks? „Die Partei führt, der Staat verwaltet.“[12] Nicht die Regierung war also Träger der Macht, sondern das hinter ihr stehende Politbüro, die Partei. Genau hier verläuft die Scheidelinie zwischen der heute so bezeichneten parlamentarischen Demokratie in Gestalt der bloßen Parteiendemokratie und einem Parteienstaat. Bei ihm ist die Macht des Volkes höchstens noch Fiktion und damit zur Fassade verkommen. Tatsächlich herrschen eine oder mehrere Blockparteien, die sich, wozu jede zur Macht gelangte Gruppe neigt, nach außen für das Allgemeine ausgeben[13] und mit dem Staat identifizieren. Die Identifizierung von Staat bzw. Regierung und Parteien bedeutet aber schon begrifflich den reinen Parteienstaat.[14]
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[1] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 1923, 7.Aufl.1926/1991, S.28.
[2] Burckhardt Ziemske, Ein Plädoyer für das Mehrheitswahlrecht, Zeitschrift für Rechtspolitik 1993,371.
[3] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.11.
[4] Jeremy Bentham, 1748-1832, liberaler Jurist und Theoretiker des Parlamentarismus.
[5] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.12.
[6] Henning Jäde, Die Lebenslüge der Demokratie, Herder-Initiative Bd.20, 1977, S.107 (117).
[7] Erwin Scheuch, Cliquen, zum „Kölner Modell“.
[8] Hans Peter Vierhaus, Die Identifizierung von Staat und Parteien – eine moderne Form der Parteidiktatur? ZRP 1991, S.474
[9] Ziemske, ZRP 1993, 369 (371).
[10] Schreckenberger, FAZ 5.5.1992; ebenso Weizsäcker, Im Gespräch, S.158.
[11] Waldemar Schreckenberger am 14.11.1993 bei einem Vortrag vor der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen. Die Koalitionsrunde sei die Magna Charta der Regierungstätigkeit. Vgl. Friedrich Karl Fromme, FAZ 15.11.1993.
[12] Vgl. bei Ernst Nolte, Streitpunkte, S.382.
[13] Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, Neudruck von 1905, S.37.
[14] Hans Peter Vierhaus, Die Identifizierung von Staat und Parteien – eine moderne Form der Parteidiktatur? ZRP 1991, S.468, S.472, Häberle, Juristenzeitung 1977, 361 (362).
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