Eine Feinderklärung und ihre Konsequenzen

Freund-Feind-Denken, hieß es bisher, sei ein Merkmal extremistischer Denkstrukturen. In einer pluralistischen Demokratie gibt es nur politische Gegner, aber keine Feinde. Diese politischen Gegner genießen denselben rechtlichen Schutz wie jeder andere auch und haben dieselbe Chance, demokratische Mehrheiten zu erringen.

Wer hingegen zum Feind erklärt wird, genießt den Schutz der Gesetze nicht mehr. Er wird erbarmungslos bekämpft und seiner Rechte enthoben.

Der linke Flügel der CDU hat die AfD zum Feind erklärt: Karin Prien, stellvertretende CDU-Vorsitzende in Schleswig-Holstein, sagte am 10.2.2020:

Die Linke bleibt unser politischer Gegner. Aber die andere Frage ist, ob das das Gleiche ist wie unsere Feindschaft zur AfD. Die einen sind politische Gegner, die anderen sind politische Feinde, weil die wollen eine andere Republik, die wollen brechen mit allem, was uns als Christdemokraten heilig ist, und mit denen kann es gar keine irgendwie geartete Form des Zusammenarbeitens oder des Miteinanders geben.

Karin Prien, stellvertretende CDU-Vorsitzende in Schleswig-Holstein, im Deutschlandfunk-Interview 10.2.2020

Es ist eine der obersten staatlichen Aufgaben, den inneren Frieden im Land zu sichern. Potentielle Bürgerkrieger und geistige Brandstifter sind da unwillkommen.

„Wo ein Teil der Bürger in einem Teil der anderen aus welchen Grün­den auch im­mer nicht ‚Rechts­­genossen‘, son­dern Feinde erblickt, an deren loya­ler Ge­sin­­nung man zweifeln muß, dient das Recht in der Sicht der beiden Kon­­trahenten weniger dem Schutz der eigenen Per­son; es schützt und er­hält vielmehr zu­nächst den ‚Feind‘ und verdient da­her selbst be­kämpft zu wer­den. … Es erscheint nunmehr als Schutz­­schild und Waffe des jeweiligen Geg­ners.“

Braun,  Recht und Moral im pluralistischen Staat, Juristische Schulung (JuS) 1994, S.730 f.

Der Flügel der CDU hat die Moral ausgerufen und sich vom demokratischen Rechtsstaat verabschiedet. Er mißbraucht das Recht und die Demokratie, aber mora­lisch hoch er­ho­be­nen Hauptes. Wie lange wird die AfD sich das gefallen lassen, bevor sie eine Moral ablehnt, die  of­fen­kundig nur als Kampfin­strument zu ih­rer Niederhaltung ein­ge­setzt wird? Wann wird sie ihre eigene Moral dagegensetzen? Welche alten Götter werden ihren Gräbern entsteigen, wenn in Deutschland wieder ein Glaube gegen den anderen antritt?

Êxtremismus der Mitte: Karin Prien im Deutschland-Interview

Der Schritt von der Akzeptanz des anderen als Gegner hin zu seiner Ausrufung als Feind markiert die Scheidelinie zwischen demokratischem Rechtsstaat und einem Bekenntnisstaat. In diesem gibt es nur noch Andersgläubige, die man als Feind vernichten muß. Die innerstaatliche Feinderklärung ist die Aufkündigung des inneren Friedens.

„Es ist un­mög­lich, mit Leuten, die man für verdammt hält, in Frie­­den zu leben.“

Jean-Jacques Rousseau,  Der Gesellschaftsvertrag, 1762, (Hrg. Weinstock), 1974, S.155.

Die neuen Bürgerkrieger

Wer in Mitbürgern seines eigenen Staates Feinde sieht, ist ein geistiger Brandstifter. Die Alternative zum inneren Frieden stiftenden Rechts- und Verfassungsstaat sind ein Gottesstaat mit Unterdrückung Ungläubiger oder ein Bürgerkrieg. Unser Staat vrsteht sich als umfassende, alle Parteien und ihre gegensätzlichkeiten relativierenden politischen Einheit.

Wenn innerhalb eines Staates die parteipolitischen Gegensätze restlos „die“ politischen Ggensätze geworden sind, so ist der äußerste Grad der „innerpolitischen“ Reihe erreicht, d.h. die innerstaatlichen, nicht die außenpolitischen Freund- und Feindgruppierungen sind für die bewaffnete Auseinandersetzung maßgebend. Die reale Möglichkeit des Kampfes, die immer vorhanden sein muß, damit von Politik gesprochen werden kann, bezieht sich bei einem derartigen „Primat der Innenpolitik“ konsequenterweise nicht mehr auf den Krieg zwischen organisierten Völkereinheiten (Staaten oder Imperien), sondern auf den Bürgerkrieg.

Carl Schmitt, Der Begriff des politischen, S.32.

Wer eine Konkurrenzpartei zum Feind erklärt, zündelt am inneren Frieden. Die Innerstaatliche

Feinderklärung ist, je nach dem Verhalten des zum Staatsfeind Erklärten, das Zeichen des Bürgerkrieges, d.h. der Auflösung des Staates als einer in sich befriedeten, territorial in sich geschlossenen und für Fremde undurchdringlichen, organisierten politischen Einheit. Durch den Bürgerkrieg wird dann das weitere Schicksal dieser Einheit entschieden.
Für einen konstitutionellen bürgerlichen Rechtsstaat gilt das, trotz aller verfassungsrechtlicher Bindungen des Staates, nicht weniger, sondern eher noch slbstverständlicher als für jeden anderen Staat. Denn im „Verfassungsstaat“ ist, wie Lorenz von Stein sagt, die Verfassung „der Ausdruck der staatsbürgerlichen Gesellschaft selber.“ So wie sie angegriffen wird, muß sich daher der Kampf außerhalb der Verfassung und des Rechts, also mit der Gewalt der Waffen entscheiden.

Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.47.

Die innerstaatliche Feinderklärung setzt den „Feind“ begrifflich außerhalb des Rechts und des Rechtsschutzes. Sie ist ein verfassungsfeindlicher Anschlag auf die freiheitliche demokratische Grundordnung.

Der Extremismus der Mitte

Seine parteipolitische Konkurrenz zum Feind zu erklären, ist auch politologisch eine extremistische Position. Drei Merkmale machen politologisch den Extremisten aus: Er erhebt erstens den Wahrheitsanspruch, mit seiner Doktrin die einzig wahre Weltsicht gefunden zu haben. Darum kämpfe er zweitens mit besonderem Rigorismus gegen andere Interessen, Lebensformen und Wertvorstellungen. Weil Freund-Feind-Denken und Haß die Hauptantriebskräfte extremistischer Politik seien, seien sie heterophob und wollten demokratischen Pluralismus nicht akzeptieren.[1] Der Politologe Bergsdorf erläutert das:

Sowohl Rechts- als auch Linksextremisten meinen erstens, in ihrer Doktrin die einzig wahre Weltsicht gefunden zu haben: Der Wahrheitsanspruch von Extremisten scheint kategorisch. Ihr Welt- und Menschenbild ist hermetisch abgeriegelt. Deshalb kämpfen Extremisten zweitens vehement gegen an-dere Interessen, Wertvorstellungen und Lebensformen: Sie kennzeichnet ein Dogmatismus im Denken, Formulieren und Handeln. […] Freund-Feind-Denken, Fanatismus oder gar Haß sind Haupttriebkräfte extremistischer Politik; ebenso Verschwörungstheorien, die offenkundige Unterschiede zwischen Ideologie und Realität vernebeln sollen. Deshalb fällt es Extremisten drittens schwer, demokratischen Pluralismus («Die Partei hat immer Recht«) zu akzeptieren.

Harald Bergsdorf / Rudolf van Hüllen, Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr? Zwischen Brandanschlag und Bundestagsmandat, 2011, S.13 f.

Die Feinderklärung der CDU-Frau Prien erfüllt alle Merkmale dieses Extremismusbegriffs. Selbst am erhobenen Wahrheitsanspruch fehlt es nicht. Während der pluralistische Verfassungsstaat sich durch den Interessenausgleich gegnerischer Interessen definiert, reklamiert Frau Prien „heilige“ Werte. Das ist eine fundamentalistische und zugleich extremistische Position. Wertschätzen ist ja gut und schön. Aber Heiligtümer zum Anbeten sollten in Kirchen weggeschlossen bleiben.

Wenn dieser linksfundamentalistische Flügel der CDU sich gegen den rechten der Werte-Union durchsetzen sollte, wird die CDU einschwenken in die Reihen eines Linksmoralismus, der links von den Linken beginnt, die Rest-SPD und die Grüne umfaßt und in einer protosozialistischen CDU ihren „rechten Flügel“ haben wird.

Jetzt hat auch die CDU ihre Extremisten. Wir werden sehen, ob das überhaupt noch jemand merkt, ob es jemanden interessiert und wie man damit umgeht. Voraussichtlich wird dem extremen Moralismus in den üblichen verdächtigen Medien frenetischer Beifall gezollt werden. Schließlich geht es ja um die Sache der Guten!


[1] Harald Bergsdorf, in: Backes, Uwe und Eckhard Jesse (Hrg.), Gefährdungen der Freiheit, Extremistische Ideologien im Vergleich, Göttingen 2006), S.182.