Naturrecht – Kreuz oder Crux der Rechten?

Selten genug beschäftigt sich der Kölner „Deutschlandfunk“ mit rechtsintellektuellen Themen. Am 1.April glaubte ich beim zufälligen Zuschalten fast an einen Aprilscherz, als er über das Renovatio-Institut berichtete: Dieses wolle das Patriarchat einführen.

Rechte Christen träumen von der Rückkehr des Patriarchats, berufen sich auf gottgegebenes Naturrecht und bekämpfen die „Gender-Ideologie“. Der Krieg gilt als Stunde der Männlichkeit. Ein rechtskatholischer Thinktank ist das „Renovatio-Institut für kulturelle Resilienz“, als intellektueller Kopf gilt der belgische Historiker David Engels

Andrea Becker, DLF 1.4.2022

Die christlichen Ultras publizieren seit längerer Zeit im Internet bemerkenswerte Analysen. In Gefolgschaft ihres Gottes, des Erzengels Michael und des scharfsinnigen Althistorikers David Engels sehen sie die Rettung des untergegangenen Abendlandes in der Aufrichtung eines neuen Reiches Christi, einer Renovatio Imperii. Dieses allein könne mit dem Teufel fertig werden, der schon in unseren Hallen haust. Er hat uns die Perversion alles dessen gebracht, was Gott uns als Ordnung auf den Weg gegeben und als gute Gaben geschenkt hat.

Wenn man an diesen Gott – sind es nicht genau genommen drei faltige Herren? – und seine himmlischen Heerscharen nicht glaubt, hat leicht spotten über die christlichen Reaktionäre. So trieft auch der DLF-Potcast von ungläubiger Süffisanz, Häme und Einseitigkeit bis hin zur Verfälschung. Gleichwohl bedankte das Institut sich artig:

„Die vorgebrachte Kritik ist im Grunde nur eine zutreffende Beschreibung der Inhalte unserer Arbeit. Es trifft zu, daß das Institut zur Bewahrung naturrechtlich fundierter Ordnungen beitragen will.“

Institut Renovato 1.4.2022

Das Patriarchat erhebt sich

Es stellt sich allerdings die Frage, mit welcher Begründung man sich denn dem Genderismus, Homosexualisierung, Transen-Hype, Pädophilie und ähnlichen Verirrungen entgegenstellen kann, wenn nicht mit ihrer Einordnung als „Sünden“?

Die Streiter Gottes lassen nichts anbrennen (Facebook-Auftritt mit Link)

Die Streiter Christi geben sich da kämpferisch und bekennen sich zu ihren patriarchalisch klingenden Lösungen:

Die Kritik an diesen Zielen müßte vor allem die Fragen beantworten, warum sie diese Ordnungen beseitigen will und durch welche Ordnungen sie ersetzt werden sollen. Wer etwa die naturrechtliche Vorstellung der Berufung des Mannes als Verteidiger des Gemeinwesens ablehnt, müßte beispielsweise vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieg erklären, wie ein Gemeinwesen auf einer anderen geistigen Grundlage besser verteidigt werden könnte. Fundierte Antworten auf diese konkreten Fragen haben die Kritiker des naturrechtlichen Denkens bislang jedoch nicht vorgelegt und auch keine praxistauglichen Alternativen dazu formuliert. Die etwa von der Politikwissenschaftlerin Kristina Lunz als Alternative zu naturrechtlich fundierten Konzepten formulierte feministische Sicherheitspolitik hätte im Fall ihrer Umsetzung den ukrainischen Staat wehrlos gemacht und zu seinem raschen Zusammenbruch geführt. Dieser Staat hat den Angriff einer militärisch weit überlegenen Macht nur deshalb überlebt, weil die ihn tragende Kultur und Gesellschaft von einer geistigen Substanz geprägt sind, die die feministische Kritik als “patriarchal” ablehnt und auflösen will. Wenn man Schaden vom Gemeinwesen abwenden will und dieses krisenfest machen möchte, müßte eine wesentliche Folgerung aus dem Geschehen in der Ukraine aber sein, diese Substanz auch in Deutschland zu bewahren und zu stärken anstatt sie aufzulösen.

Institut Renovatio 1.4.2022

Memmen und Tunten könnten ein Land nun einmal nicht verteidigen, da müßten richtige Männer her. Für die Feministen des Deutschlandfunks ist das ein Fehdehandschuh, den sie nicht hätten aufnehmen sollen. Sie verheben sich nämlich an ihm, weil ihnen die Sachkompetenz fehlt. So wissen sie anscheinend mit dem Begriff des Naturrechts nichts anzufangen. Was das ist? Da stellt sich der DLF erst mal ganz dumm.

Naturrecht

Es ist ganz einfach: Menschliche Neigungen zu Mord und Totschlag, Haß, Neid und anderen fiesen Charaktereigenschaften wollte jede historische Gesellschaft eindämmen. So verkündete einst ein Kaiser einen ewigen Landfrieden. Um seinem Gesetz mehr Gewicht zu verleihen pochte er auf die Offenbarung der zehn Gebote Gottes.

Dieser Gott kam in der Aufklärung außer Konjunktur. Die Zweifel, ob er tatsächlich da oben sitzt und waltet, mehrten sich. Es schlug die Stunde des Naturrechts. Es erklärte alle fiesen Eigenschaften für unmenschlich, denn „von Natur“ aus sei doch „der Mensch“ edel, hilfreich und gut. Die guten Eigenschaften fielen aber nicht mehr als Gottesgeschenk vom Himmel, sondern wurden in den Menschen verlegt: Sie sollten jetzt jedem innewohnen. Gut zu sein sei human, böse zu sein also inhuman. Folglich befahl das Naturrecht: Der Mensch soll gut handeln, weil er es von Natur aus ist. Der vollendete Zirkelschluß  folgert aus dem Sein ein Sollen: Wir sollen gut sein, weil wir gut sind. Was aus der Natur des Menschen folgte und jetzt als gut galt, stand allerdings im Belieben des jeweiligen Naturechtlers.

Wie zeitbedingt alle naturrechtlichen Normen waren, lehrt ein Blick in alte Natur­rechts-Lehrbücher. Was im einzelnen für ver­nünf­tig er­klärt und damit allen Men­schen als Soll ver­ordnet wurde, un­ter­schied sich je nach Gut­dün­ken des einzel­nen Ver­nunf­trechtlers be­trächtlich vom Vernunft­recht des anderen Ver­nunft­recht­lers oder der Vernunft spä­terer Ge­ne­ra­tionen. So ver­strick­te sich heillos in wahre Ver­­nunft­knäu­el zum Bei­spiel Pu­fendorf: Nach seiner ver­nünftigen Meinung „wi­der­streitet es zwar eindeutig dem Na­tur­recht, wenn ei­ne Frau mit mehreren Män­­nern gleichzeitig Ver­kehr hat, doch daß ein Mann zwei oder mehr Frauen hat, ist bei vielen Völ­kern üb­lich und war einst auch beim jü­di­schen Volk ge­bräuchlich. Trotzdem ergibt sich schon aus ver­nünfti­ger Über­legung, … daß es wei­t­aus an­ge­mes­se­ner ist, daß ein Mann mit einer Frau zufrieden ist.“[1]

Klaus Kunze, Mut zur Freiheit, 1995

Nachdem sich der Rechtspositivismus nach 1945 als moralistischer Sicht disqualifiziert hatte, nahm unser Verfassungsgeber 1948 auffrischende Bäder im hergebrachten Naturrecht. Man legte es dem Grundgesetz als Wertordnung zugrunde und bekannte (!) sich zu ihm:

Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

Grundgesetz

Ja, das ist Naturrecht pur. Es sollte nämlich nicht etwa erst ab Verkündung des Grundgesetzes in Kraft treten. Es galt und gilt als angeblich vorstaatliches Recht ganz unabhängig von menschlichen Gesetzen, und das offenbar wenigstens seit der Steinzeit, vielleicht aber auch erst seit der christlichen Offenbarung, da will man sich in seinem „Bekenntnis“ nicht recht festlegen.

Letztlich steht im Hintergrund aber immer die christliche Vorstellung eines Gottes, der zumindest die Regeln des kosmischen Spiels vorab festgelegt hat.

Wer das Natur­recht als ohne Gott be­ste­­hend auf­­faßt und ein Ge­setz ohne Ge­setz­ge­ber annimmt, schneidet ihm nach Mei­nung von Heinec­cius den Le­bens­­­nerv durch.[2] Bis heu­te steht hinter allem Naturrecht bis hinein in Ur­teile der höchsten Bun­des­gerichte nach dem Eingeständ­nis des er­­sten BGH-Prä­sidenten „un­aus­gespro­chen die Vor­stel­lung, das schlecht­­­hin Verbindliche der Ord­nung der Werte und des dar­aus ent­sprin­­genden naturrechtli­chen Sol­lens beruhe auf göttlicher Set­zung.“[3].

Klaus Kunze, Mut zur Freiheit, 1995,

Wenn sich die feministischen Streiterinnen des DLF über die patriarchalischen Naturrechtler des Renovatio-Instituts belustigen und ihnen vorwerfen, eben Naturrechtler zu sein, unterwühlen sie in ihrem Eifer den nur naturrechtlich begründbaren Anspruch des Grundgesetzes gleich mit. Es gibt keine „vorstaatlichen Menschenrechte“ ohne Naturrecht, denn sie beruhen auf ihm. An den Mikrofonen unserer Staatssender haben Vertreter poststrukturalisischer und genderistischem Ideologien sich breit gemacht. Manchmal entlarven sie sich als Verächter der „naturrechtlichen“ Ideenwelt, die der „Wertordnung des Grundgesetzes“ voraus- und zugrundeliegt.

Wie sonst?

Vermutlich liegt ihrer Verachtung des Naturrechts keine von ihnen selbst bemerkte Verfassungsfeindlichkeit zugrunde, sondern lediglich Bildungslücken. Die Schriften des Renovatio-Instituts weisen solche Lücken nicht auf. Was sein Spiritus Rector David Engels schreibt, entspringt einem in sich geschlossenen und konsequent durchdachten Weltbild. Es wendet sich gegen alles, was uns kaputt macht: gegen den in der LGBT-Bewegung versteckten antiweißen Rassismus, die Ersetzung alles Männlichen durch Verweiblichung, die Zersetzung alles Heroischen und Bewahrenden und die tiefe Verachtung unserer abendländischen Identität.

Die Webseiten bilden eine geistige Rüstkammer nicht nur für gottgesandte Streiter Christi, sondern auch für profane Heidenkinder. Sie enthalten nämlich die geistigen Waffen, die jeder gegen die Zersetzung unserer Identität führen kann. Daß die staatlich bezahlten Zersetzerinnen empört aufheulen, ist ein guter Hinweis. Ihre Bildung ist schmal, ihr philosophischer Fundus dürftig, und ihr Hochmut wird sie zu Fall bringen.

Es spricht nichts dagegen, wenn ein Teil der intellektuellen Rechten bei seiner „Reconquista“ des öfteren auf die Knie fällt, sich bekreuzigt und seinen Heiland anruft. Lassen wir sie, solange sie auf dem rechten Weg bleiben. Wir wollen – metaphorisch gesprochen „unser Land zurück“, sie eine Rückeroberung ihres christliches Abendlandes. Das widerspricht sich weitgehend nicht, auch wenn sich unsere Wege am Ende trennen werden.

Reconquista: Boabdil, letzter mohammedanischer König von Granada, übergibt 1492 sein Königreich an das spanische Königspaar Ferdinand und Isabella (Historienbild von 1882). © Wikimedia, gemeinfrei

Wir werden auf unserem Weg keine Kniefälle vor Heiligenbildern machen und am Ziel kein Reich Gottes ausrufen. Jene „abendländischen“ Werte, die sie als christlich verstehen, entspringen evolutionär erworbenen menschlichen Grundeigenschaften. Sie zu verteidigen sichert eine Funktionsvoraussetzung jeder menschlichen Gemeinschaft. Wenn sich die Ukrainer schminken, pudern und parfümieren würden, statt in die Schlacht zu ziehen, würde ihr Volk schnell untergehen. Irgendwann holt die Realität alle Träumer ein.

Aber das ist eine andere Geschichte…


[1] Samuel von Pufendorf, De officio hominis, 1673, 2.Buch, Kap.2, § 5, Hrg. Maier/Stolleis, Frankfurt 1994, S.149.

[2] Johann Gottlieb, Heineccius, Elementa juris naturae et gentium, 1737, Hrg. Christoph Berg­feld, Frankfurt 1994, Kap.I, § 14 = S.31.

[3] Weinkauff, Der Naturrechtsgedanke, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1960, 1689 (1691).