„Psychische Störungen und vor allem Neurosen sind alles andere als selten: Sie entwickeln sich zu Volkskrankheiten.“

Kann auch ein ganzes Volk neurotisch werden? Das würde dem Begriff Volkskrankheit einen ganz neuen, vielleicht aktuellen Sinn verleihen. Im Vergleich der zwischenmenschlichen Atmosphäre der vergangenen Jahrzehnte drängt sich der Eindruck auf, Deutschland verwandele sich nach und nach in ein Tollhaus.

Haben sie schon einmal die Gesichter sogenannter Aktivisten betrachtet, wenn sie Auge in Auge mit ihren Gegnern konfrontiert sind? Sie verwandeln sich dann in haßerfüllte, verzerrte Wutgesichter. Schrille Töne dominieren. Aber man hört sich schon lange nicht mehr zu. Man schreit sich nur noch nieder. Polizeiketten verhindern den Bürgerkrieg auf den Straßen noch.

Was passiert da in den Köpfen? Was verwandelt bei immer mehr Menschen eine stimulierende Angst in irrationale Panik? Was treibt sie von begründeter Sorge in die Hysterie?

Haben Sie schon einmal, vielleicht auch im Film, gesehen, wie eine in die Enge getriebene Ratte um sich beißt? Wird ihre Fluchtdistanz unterschritten, wählt sie den letzten wütenden Angriff, wenn die Alternative der Tod zu sein scheint. In ähnlichem Angriffsmodus stürzen sich linksextremistische Aktivisten auf Andersdenkende – wenn sie nicht durch Polizisten daran gehindert werden. Dann stürzen sie sich auf die Polizisten.

Viele junge Aktivisten verhalten sich gerade so, als drohe ihnen der sichere Tod, dem sie nur nur einen letzten, verzweifelten Angriff entgehen können. Zum Beispiel auf eine Veranstaltung von „Klimaleugnern“, auf eine geplante Abschiebung, auf den Parteitag einer rechten Partei, es ist aber ganz gleich, wogegen sich heute gerade ihr Haß richtet.

Woher kommt er? Ist es die von Heinrich Böll beschriebene „rattenhafte Wut“, mit der Reste verfaulender Macht verteidigt werden? Entspringt der Haß intellektueller Ohnmacht eines politischen Lagers, das nach dem Zusammenbruch des staatlich organisierten Marxismus 1989 hirntot ist?

Freiheit und Gleicheit! hört man schallen;
Der ruh’ge Bürger greift zur Wehr,
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden ziehn umher.
Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz;
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreißen sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
Sich alle Bande frommer Scheu;
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frei.
Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn;
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.

Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke

Im Wahn, einer tödlichen Gefahr ausgesetzt zu sein, springt die eine oder andere wegen einer Maus kreischend auf einen Stuhl. Bei anderen sind es Spinnen. Der gesunde Menschenverstand setzt aus. Ohne den Umweg über den Verstand werden heftige Fluchtbewegungen ausgelöst. Oder ein todesmutiger Angriff mit dem Kehrblech, wenn sich kein Stuhl findet und kein Ausweg bietet.

Phobien nennt man solche Wahnvorstellungen. Der äußere Anlaß ist belanglos. Die Realität spielt keine Rolle mehr. Der phobische Mensch kämpft wie um sein Leben gegen eine eingebildete Gefahr. Ob diese Gefahr eine Spinne an der Wand ist oder der baldige Klimatod, spielt für das Wahngebilde im Kopf keine Rolle. Gesunde Menschen kann man nicht zu einem dermaßen haßerfüllten Mob aufhetzen.

Wie Neurosen entstehen, kann nicht generell gesagt werden. Angststörungen können von einem unbewußten Konflikt verursacht werden. Die Gründe hierfür können in einer problematischen Kindheit oder einem nicht verarbeiteten Trauma liegen. Solche Traumata können Menschen auch durch eine spezielle Pädagogik induziert werden. Das ist vielen Kindern in den letzten Jahrzehnten systematisch angetan worden.

Natürlicherweise liebt ein Kind seine Eltern und Großeltern und vertraut ihnen. Es benötigt diese Bindung für seine werdende Persönlichkeit, für seine Identität. Wie der Soziologe Helmut Schoeck anhand von Schulbüchern der 1970er Jahre bereits aufgezeigt hatte, wurden Schulkinder schon damals planmäßig neurotisiert und gegen ihre Eltern ausgehetzt:

„Wie ein riesiger Staubsauger, der, einem Tintenfisch gleich. mit Dutzenden von Schläuchen aus der Seele des Kindes jeden Winkel absaugt, in dem noch ein Rest Sinn verborgen sein könnte, sind die linken Lernziele und Schulbücher bzw. vom Lehrer selbst zusammengebauten Unterrichtseinheiten ein wohlüberlegtes Instrument zur Abtötung jedes Erlebnisses von Sinn.“

Helmut Schoeck, Kinderverstörung, 1987, S.128.

Die damalige neurotisierte Jugend nähert sich heute bereits dem Ruhestand, nachdem sie weitere Generationen von Kindern indoktriniert hat. Was dabei herauskommt, kann man gelegentlich freitags Schule schwänzen sehen: einen Marsch ungebildeter, hirnloser emotionaler Analphabeten, aufgehetzt und hysterisch schreiend balancieren sie täglich auf dem schmalen Grat zwischen selbstverstümmelndem Ritzen und panischer Furcht vor einem Klimatod. In neurotischer Verkürzung der Wunder des Lebens haben sie nur sich zu empören gelernt, und Anti-etwas zu sein ihr Lebenssinn. Aus der Empörung

„wird Haß, wird Feindseligkeit gegen die eigenen Bezugspersonen, das eigene Volk und Land, und dieser Haß, so richten es die Schulbuchverfasser ein, muß nun auch noch seine vermeintliche Berechtigung in den Augen des Kindes bekommen: deshalb flößt man ihm den Verdacht ein, die eigene Gesellschaft, die Leute bei uns hätten Hunde ohnehin lieber als Kinder. Jetzt, als verfolgte Minderheit im eigenen Land, kann sich das verstörte Kind mit den fernen Kindern in den Entwicklungsländern voll identifizieren.“

Helmut Schoeck Kinderverstörung, 1987, S.108 mit entsprechenden Nachweisen.

Sie sind auf bestimmte Auslösereize konditioniert. Zu ihnen gehören Worte wie Deutschland oder Nazi. Hören sie eine von ihrer abweichende Ansicht, kann das als Trigger, als Auslöser genügen. Was, „Klimawandel habe es immer gegeben?“ Das Denken setzt aus. Der Blutdruck steigt, die Gesichtszüge verhärten sich. Die Sprache wird schneller, aufgeregter. Daß wir Menschen, speziell natürlich wir Deutschen, am Klimawandel allein schuld sind und demnächst unser aller Tod droht, ist ausgemachte Sache, ist für sie feststehende Realität. Daß sie diese mit ihren fünf Sinnen nirgends wahrnehmen, tut nichts zur Sache.

Der Blutdruck steigt, die Gesichtszüge verhärten sich.

Wenn der Mensch psychisch oder psychopathisch erkrankt, so erkrankt er auch an dem Widerspruch zwischen naturhaft gesehener Realität und dem Zwang der Gruppe, etwas anderes als ‚Realität‘ bezeichnen zu müssen.

Meinhard Adler, Vergangenheitsbewältigung in Deutschland, Frankfurt 1990, S.12.

Die Neurotisierung der Deutschen begann nach Beobachtung des Psychiaters Meinhard Adler in den 1960er Jahren im Rahmen sogenannter Faschismusverarbeitung als

zunehmende, man möchte sagen exponentiell ansteigende, inhaltlich als instrumentell zu charakterisierende, Auseinandersetzung mit dem traumatischen Ereignis.

Charakteristisch für deren Mechanismus ist ferner die die Steigerung des […] neurotischen Verhaltens umgekehrt zur persönlichen Betroffenheit. Mit anderen Worten, nicht der schlimmste persönliche Erlebnisgrad macht die stärkste deformierende Wirkung aus, sondern umgekehrt diejenigen, die, um es salopp zu sagen, relativ ‚günstig‘ davongekommen sind, werden am stärksten betroffen. In der Psychiatrie ist dies ein besonderes Signum für die Schwere der Neurose.

Meinhard Adler, Vergangenheitsbewältigung in Deutschland, Frankfurt 1990, S.180

Das neurotische Ergebnis der Faschismusverarbeitung bestand darin, daß die Betroffenen überall nur noch Nazis und in der Bundesrepublik finstere präfaschistische Strukturen am Werke sahen. Seitdem sind weitere Generationen geboren worden und zum Teil von den Neurotikern der 1960er und 1970er Jahre, vom Kindergarten über die Schule und Universität bis hin zu den Schaltstellen der Medien, fremdbestimmt und ihrerseits neurotisiert worden. Von der Klassenfahrt nach Auschwitz führt die Karriere über Antifa- und Klimademos bis in die Lehrerzimmer und die Redaktionsstuben unseres Staatsfernsehens.

Vor dem ständigen moralischen Inquisitionstribunal, Deutsche zu sein, zerbrechen sie. Die eigenen Eltern und Vorfahren, das eigene Land, die eigene Identität: alles verbrecherisch, Kinder eine Tätervolkes. Völkisch? Teuflisch! Deutsch? Hassenswert! Sie selbst? Täterkinder! Das Perpetuum mobile der moralischen Daueranklagen gebiert ein tiefes Trauma, eine Erbneurose, gezeugt aus hypertrophierter Moral und Haß, geronnen zu Selbsthaß und einer eigentümlichen Todessehnsucht. Sie sollen und können nicht mehr Deutsche sein dürfen. Um der Inquisition zu entkommen, werden wir sie Inquisition. Um nicht länger moralisch gequält zu werden, werden sie die Moral, verkörpern sie einen eigentümlich wahnhaften, neurotischen Hypermoralismus. Dieser fegt jetzt nicht minder erbarmungslos durch unser Land wie einstmals der Wahn ihrer Urgroßeltern, die auch das Welt vom ewigen Bösen befreien wurden und die man auch auf diejenigen Menschen hinwies, die dieses Böse angeblich verkörperten.

Sie leben in einer anderen Welt als der Rest des Volkes, der nicht so lange solchen volkspädagogischen Bemühungen ausgesetzt war. Wer nach Hauptschule oder Realschule in eine Lehre ging und sein Dasein mit geregelter Arbeit zubringt, neigt nämlich nicht besonders zu schuldbewußten Grübeleien über seine verbrecherischen Vorfahren oder unsere täglichen Klimaverbrechen. Noch ist nicht unser ganzes Volk neurotisiert. Die Betroffenen aber sind zu differenzierendem Denken oft unfähig. Fallen Auslösebegriffe wie Nazi, Klima oder Flüchtlinge, reagieren sie hysterisch wie in die Enge getriebene Tiere.

Die Generalisierung in den Bereich der eigentlichen Vernunft hinein ist das Erschreckende der deutschen Kollektivneurose, die durch die ‚Faschismusverarbeitung‘ getragen wird.

Meinhard Adler, S.181.

Aufgehetzt von ihren Lehrern, die es auch schon nicht mehr anders gelernt haben, sind unsere Neurotiker jederzeit fähig und bereit, zum Mob zu werden und mit „rattenhafter Wut“ (Heinrich Böll) zu einem Kreuzzug aufzubrechen. Zu einem Kreuzzug für „das Gute“ – versteht sich.

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