Antitotalitärer Grundkonsens oder antifaschistische Blockpartei?
In Thüringen läßt die Union sich anscheinend von der Linken wie am Nasenring durch die Manege führen. Den Ring hat sie sich selbst angelegt. Er besteht in dem Dogma, die AfD sei eine extremistische Partei und gefährlicher als die umbenannte SED.
Das parlamentarische Spiel funktioniert ähnlich wie Schach. Die AfD-Abgeordneten hatten den FDP-Mann Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt und mit der CDU eine strategische Mehrheit gebildet. Damit setzten Sie die Union in Zugzwang, der diese nicht ohne positionellen Nachteil entkommen konnte: Sie mußte die Position räumen, keine strategische bürgerliche Mehrheit mit der AfD zu bilden, oder die Position aufgeben, die kommunistische Nachfolgepartei nicht zu stützen. Durch ihre dogmatische Festlegung, weder mit der rechten noch mit der linken Partei zusammenzuarbeiten, hat die Union selbst ihre ausweglose Lage verschuldet.
Das Abstimmungsverhalten der AfD war kein Spielchen, wie es abschätzig von Kommentatoren genannt wurde, die nicht politisch denken können. Es hat die Union gezwungen, Farbe zu bekennen. Die Union ist auf Bundesebene unabdingbar für eine bürgerliche Mehrheit gegen die vor der Tür stehende Machtergreifung des linken Extremismus. Sie hat in dieser Bewährungsprobe schmählich versagt. Die Partei Helmut Kohls, die den Menschen in Mitteldeutschland politische Freiheit garantieren wollte, droht zum Steigbügelhalter für die 1989 abgehalfterten SED-Erben zu werden.
Nachdem sich die SPD unter blassen Führungsfiguren auf unter 15% Wählerzuspruch verzwergte und bedeutungslos machte, könnte ihr die Union schnell folgen. Das Parteiensystem der alten Bundesrepublik implodiert vor unseren Augen. Es war durch oft so genannte Altparteien gekennzeichnet. Ein antitotalitärer Grundkonsens verband sie: die gleiche Distanz nach rechts zum früheren Nationalsozialismus wie nach links zum Sozialismus der SED. Der Begriff der Altparteien könnte demnächst vom Begriff „Blockparteien“ abgelöst werden.
In der AfD konnte man sich offenbar nicht vorstellen, die Union als potentielle bürgerliche Verbündete gegen die Linke könnte allem abschwören, was sie seit ihrer Gründung beschworen hatte. Wer hätte sich das auch vorstellen können oder wollen? Die AfD hatte die CDU auf die bürgerliche Seite zwingen wollen. Zusammen mit der FDP hätte man in Thüringen eine Mehrheit. Möglicherweise hat sie falsch eingeschätzt, wie wenig politische Substanz in der Merkel-Partei noch vorhanden ist, aber wie viel Willen, unbedingt an der Macht teilzuhaben. Programmatische Werte werden nach außen hochgehalten, aber
andere Thüringer CDU-Mitglieder haben diese Werte gegen einen abgewogen, der für sie schwerer wiegt: Die Fragen, ob sie bei einer Neuwahl wieder ins Parlament kommen und ob ihre Pensionsansprüche wie von ihnen geplant wachsen, wenn schon in Kürze neu gewählt wird. Und manche in Berlin unterstützen diesen Plan in Thüringen, weil sie ebenfalls eine Wahl fürchten.
Johannes Boie, Ein tristes Spielchen in der Partei von Ludwig Erhard, Die Welt 22.2.2020
Wenn die Thüringer CDU-Fraktion bald für Ramelow stimmen sollte, wird sie den antitotalitären Grundkonsens der Demokraten aufgeben. Er schloß jede Zusammenarbeit mit der umbenannten SED aus, in der die vom Verfassungsschutz zurecht beobachtete Kommunistische Plattform höchst virulent ist. Deren früherer Vorsitzende Walter Ulbricht sagte im Mai 1945: „Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ Unter der „Führung“ der Kommunisten kam es erst zur Zwangsvereinigung mit der SPD und schließlich zum bekannten System der „Blockparteien“ in der DDR. In ihm erhielt auch eine Ost-CDU eine abgesteckte Spielwiese zugeteilt.
Wenn diese Strategie der Kommunisten – wie auch immer sie sich gerade nennen mögen – wieder aufgeht, wird es das Ende des bisherigen Parteiensystems bedeuten. Wird der antitotalitäre Grundkonsens durch einen sogenannten antifaschistischen ersetzt, steht der Volksfront von links auf der bürgerlichen Seite nur noch die AfD gegenüber. Sie kann sich ihr Schicksal in einem Staat mit antifaschistischem Grundkonsens leicht ausrechnen. Der Begriff besagt nämlich, daß alles als faschistisch gilt, was sich dem kommunistischen Machtanspruch nicht beugt. Wer das nicht weiß, mag ein bißchen historischen Nachhilfeunterricht nehmen.
Unter der Parole des „Antifaschismus“ wurden alsbald ökonomische Umgestaltungen im sozialistischen Sinne durchgeführt. Sozialdemokraten und Liberale wurden, wenn sie nicht bereit waren, sich der SED unterzuordnen, ins Gefängnis geworfen. Die Sowjets führten von Nationalsozialisten errichtete Konzentrationslager weiter, die sich angeblich gegen „Faschisten“ richteten, in die aber ebenso Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus eingeliefert wurden, wenn sie sich gegen die Kommunisten stellten.
Rainer Zitelmann, Eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik, Tichys Einblick 22.2.2020
Den antitotalitären Grundkonsens aufzugeben würde die Union förmlich in Stücke reißen und ihre Reste marginalisieren wie zuvor die SPD. Ein erheblicher Teil bürgerlicher Unionsmitglieder würde diesen Weg nicht mitgehen und sich abwenden. Jens Spahn und Wolfgang Schäuble übten schon scharfe Kritik. Ihr Generalsekretär twitterte:
Ich lehne eine Wahl von Bodo Ramelow ab. Eine solche taktische Wahl ist unglaubwürdig. Nach den fatalen Wendungen der letzten Wochen sind zügige Neuwahlen der einzig sinnvolle Weg. Es muss Schluss sein mit Taktieren. Es geht um Grundüberzeugungen und die Glaubwürdigkeit der CDU.
Paul Ziemiak auf Twitter 22.2.2020
Wem will eine Union noch etwas von Demokratie erzählen, wenn sie sich mit Kommunisten gemein macht? Wer wird ihr noch ihre Bekenntnisse zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abnehmen, wenn sie an einer linken Volksfront teilnimmt unter alleinigem Ausschluß einer AfD, die programmatisch dasselbe vertritt wie die CDU noch 2005?
Viele zutiefst unpolitische Wähler glauben den täglichen Medienparolen, die AfD sei rechtsextremistisch. Steht aber der Sozialismus vor der Tür, vermag das den deutschen Michel so zu radikalisieren, daß er sich denkt: „Na und?“ Wie wird er wählen zwischen einem „antifaschistischen“ Parteienblock und der AfD als einziger Alternative?
Und wie wird sich ein von einer antifaschistischen Volksfront geführter deutscher Staat verhalten gegenüber einer AfD als einziger Opposition, wenn er diese als „faschistisch“ und damit staatsfeindlich definiert?
Schließlich: Auf welche historischen Modelle wird man gegen die übrigbleibenden „Faschisten“ zurückgreifen? Die SED alias Linke kennt sich da gut aus.
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