Sterbehilfe – autonome Entscheidung oder moralisierende Bevormundung?

Der Druck moralische Heteronomie oder Fremdbestimmung lastet drückend auf unserem Land. Einen letzten Rückhalt für unsere Selbstbestimmung gibt das Bundesverfassungsgericht: Aus unserer Menschenwürde fließt unmittelbar unsere autonome Entscheidung darüber, „selbstbestimmt und nach eigener Zielsetzung“ zu leben und unsere „Existenz nach eigenen, selbstgesetzten Maßstäben“ zu bestimmen.

„Noch ist Polen nicht verloren“, singen die Polen in ihrer Nationalhymne. Um unser Deutschland steht es zwar denkbar schlecht. Verloren sind unser Land und unsere Freiheit aber noch nicht.

Eine der letzten Bastionen bildet das Bundesverfassungsgericht. Vorgestern brach sich an ihm wieder einmal eine Brandungswelle der Entmündigung. Anlaß war die Sterbehilfe zum Beispiel durch Sterbehilfe-Vereine.

Die selbstbestimmte Verfügung über das eigene Leben ist vielmehr unmittelbarer Ausdruck der der Menschenwürde innewohnenden Idee autonomer Persönlichkeitsentfaltung; sie ist, wenngleich letzter, Ausdruck von Würde. Der mit freiem Willen handelnde Suizident entscheidet sich als Subjekt für den eigenen Tod. Er gibt sein Leben als Person selbstbestimmt und nach eigener Zielsetzung auf. Die Würde des Menschen ist folglich nicht Grenze der Selbstbestimmung der Person, sondern ihr Grund: Der Mensch bleibt nur dann als selbstverantwortliche Persönlichkeit, als Subjekt anerkannt, sein Wert- und Achtungsanspruch nur dann gewahrt, wenn er über seine Existenz nach eigenen, selbstgesetzten Maßstäben bestimmen kann

(BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15 –, Randnummer 211)

Die autonome Persönlichkeitsentfaltung sieht sich in unseren Tagen massiven Angriffen ausgesetzt. Diese sind nur manchmal rechtlicher Art.

Im krassen Gegensatz zum Demokratieprinzip überschütten uns die staatlichen oder staatlich kontrollierten Medien mit ihrer Propaganda. Sie hämmern uns rhythmisch ihre verlogenen Phrasen ein und wollen uns darauf konditionieren, wen wir lieben müssen und wen wir nicht hassen dürfen. Die ständige Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts besagt, daß der Wille des Volkes sich von unten her, vom Volk, hinauf zu den Staatsorganen zu bilden hat. Ein Staat, der seine Bürger zwangsweise zu Rundfunkgebühren heranzieht und diese dazu mißbraucht, die Bevölkerung umzuerziehen, sollte sich nicht mit dem Ehrentitel der Demokratie schmücken.

Aus unserer Menschenwürde fließt aber unmittelbar unsere autonome Entscheidung darüber, „selbstbestimmt und nach eigener Zielsetzung“ zu leben und unsere „Existenz nach eigenen, selbstgesetzten Maßstäben“ zu bestimmen. Dagegen lastet heute der Druck moralische Heteronomie oder Fremdbestimmung drückend auf unserem Land. Ihm kann man sich nur als moralischer Aussteiger entziehen, als Waldgänger, als geistiger Partisan gewissermaßen.

1996 schrieb ich:

„Der moralische Aussteiger ist der Anfang vom Ende jeder Herrschaft. Der Partisanenkampf gegen die soziale Vorherrschaft moralisierender Imperative ist uralt. Immer werden Herrschende die Beherrschten geistig binden wollen durch moralische Heteronomie. Ohne verbindlichen Glauben an ein heiliges Allgemeingültiges können nicht Millionen Menschen zusammenleben. Immer wird es Menschen geben, die den Zusammenhang zwischen der Herrschaft und ihrer Ideologie durchschauen. Sobald sie „Ihr da oben und wir hier unten“ sagen, werden sie diese Hierarchie umdrehen wollen.“

Klaus Kunze, Wir Autonome, Junge Freiheit 5/1996

Die Begründung der Sterbehilfe-Entscheidung des BVerfG kann uns ermutigen. Im Abwehrkampf der Selbstbestimmung gegen die moralisierende Entmündigung stehen wir auf der rechten Seite.

Wir stehen auch auf der verfassungskonformen Seite. § 217 StGB gilt jetzt kraft Richterspruchs als verfassungswidrig und damit nichtig. Einmal mehr hatten unsere Bundestags-Parteien, jederzeit mit der Verfassungsfeinde-Keule fuchtelnd, ein seinerseits verfassungswidriges Gesetz fabriziert.

Unsere moralische Autonomie können und müssen wir immer wieder einfordern. Heute stecken in unzähligen Gesetzen quasimoralische Gängelungen und Grenzsetzungen unserer Freiheit. Wie kann ich nach „meinen eigenen, selbstgesetzten Maßstäben“ leben, wenn mich eine staatliche Moral in Form eines Gesetzes dazu zwingt, in meine kleine Kneipe jeden einzulassen, auch Gäste, die ich als Wirt hier nicht haben will? Warum darf ich als Arbeitgber nicht diejenigen bevorzugt einstellen, die ich hier lieber sehe als andere? Wann darf ich Fleisch nur noch heimlich unter der Theke kaufen?

Nicht nur auf dem Sterbebett, schon unter Lebenden möchte ich nach meiner Facon selig werden und nicht nach mir vorgegebenen Zumutungen von Ideologen, die mal wieder eine ihrer Seifenblasen als Gesetz verabschiedet haben.

Keine autonome Bekleidung als Vertreter des Staates

Die moralische Autonomie der Person endet erst dort, wo sie nicht als Individuum auftritt, sondern den Staat verkörpert. Eine mohammedanische Rechtsreferendarin kann ihre Kopfverhüllungen darum gern in ihrer Freizeit tragen. Als Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft muß sie aber neutral sein, entschied das BVerfG in einer gestern verkündeten Entscheidung zu recht.

Im Koran steht nichts von einer Kopftuchpflicht. Sie beruht nur auf ethnischer Tradition. Wer sich so selbst in der Öffentlichkeit darstellen will, dem steht die Selbstbestimmung über sein Äußeres zu.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wirkt in dieser Gewährleistungsvariante insbesondere als Schutz des Selbstbestimmungsrechts über die Darstellung des persönlichen Lebens- und Charakterbildes. Der Einzelne soll selbst darüber befinden dürfen, wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen will und was seinen sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll.

(BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 – 2 BvR 1333/17 –, Rn. 111)

Ein Polizeibeamter in Uniform aber lebt in der Öffentlichkeit nicht seinen sozialen Geltungsanspruch aus, noch weniger ein Richter oder Staatsanwalt. Selbst als Rechtsanwalt hülle ich mich vor Gericht in eine schwarze Robe, bin ich doch gesetzlich ein „Organ der Rechtspflege.“ Hinter den Schranken des Gerichts sitzt gewissermaßen der neutrale Staat selbst, und was die Persönlichkeit des Richters irgend ausmacht, soll und muß hinter der verhüllenden Robe verschwinden.

Justiz im neutralen Verfassungsstaat: transparent, objektiv, unparteiisch und unpersönlich
(im Landgericht Bochum 20.1.2020)

Die Staatsanwaltschaft schmeichelt sich gern, die „objektivste Behörde der Welt zu sein.“ Ich kenne sehr viele Staatsanwälte, die sich alle Mühe geben und den Anspruch einlösen. Objektivität heißt aber Neutralität. Wer mit Fanschal ein Bundesliagaspiel besucht, braucht mir nichts von Neutralität zu erzählen. Eine Rechtsreferendarin, der ein Kopftuch vielleicht auch verbirgt, wie grün sie noch hinter den Ohren ist, hat in ihrem bisherigen Studium offenbar vom Wesen des weltanschaulich neutralen Rechtsstaats nichts verstanden.

Viele Angeklagte hätten kein Vertrauen in die Sachlichkeit des Vertreters der Staatsanwaltschaft, dürfte er sich mit irgendwelchen religiösen, politischen oder anderen Symbolen behängen.

Die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zählt zu den Grundbedingungen des Rechtsstaats und ist im Wertesystem des Grundgesetzes fest verankert, da jede Rechtsprechung letztlich der Wahrung der Grundrechte dient. Funktionsfähigkeit setzt voraus, dass gesellschaftliches Vertrauen nicht nur in die einzelne Richterpersönlichkeit, sondern in die Justiz insgesamt existiert.

(BVerfG, Beschluß vom 14. Januar 2020 – 2 BvR 1333/17 –).

Wer dem Bürger als Teil der Staats gegenübertritt, kann in dieser Rolle nicht seine persönliche Autonomie für sich reklamieren.