Die große Umvolkung
Begriffe wie Umvolkung und Bevölkerungsaustausch sind höchst verdächtig. Das finden jedenfalls unsere Oberverdachtschöpfer vom Verfassungsschutz. Sie finden das vor allem dann, wenn Behördenleiter von der Politik ausgewechselt wurden und entsprechende Anweisungen von ganz oben ergehen.
Ein in Deutschland lebender linksextremer Türke hatte geraunt, die steigende Zahl von Ausländern in Deutschland und der demographische Rückgang der Deutschen selbst sei für ihn ein „Volkstod von seiner schönsten Seite.“ Das fanden Verfassungsschützer anscheinend nicht verdächtig. Als der Mann allerdings mal kurz nach Hause flog, nahmen sich seine Landsleute seiner an und sperrten ihn wegen verdächtiger Umtriebe lange ein.
Völker können aussterben. Schon der Begriff Völkermord legt nahe, daß es solche Ereignisse geben kann, daß sie aber unerwünscht sind. In der Weltgeschichte kam Völkermord gelegentlich vor. Von der Entdeckung über die Eroberung zur Auslöschung war der Weg manchmal kurz. Später wurde das Gemetzel gern verklärt: „This land is your land, this land is my land, this land is made for you and me“, sang Woody Guthrie. Ich habe es in einer Aufnahme der US-Band Peter, Paul & Mary.
Na prima, wenn das Land für die gemacht war, mußten und durften die vorherigen Bewohner ja beseitigt werden. Die Trecks rollten nach Westen, alles herrenloses Land, völlig klar. Wie sagte unsere Kanzlerin so schön: „Jetzt sind sie eben da!“ Findet euch also damit ab!
Oft lösten Klimakatastrophen große Völkerwanderungen aus. Die Kimbern, Teutonen und Ambronen zogen nicht in Urlaubslaune gen Süden. Nässe, Kälte und Hunger trieben sie. Manchmal ging es Völkern aber auch anhaltend so gut, daß sie erheblichen Bevölkerungsüberschuß erzielten, der neuen Lebensraum suchte. Die Germanen siedelten in den fruchtbaren Bördelandschaften vom Münsterland bis zur Magdeburger Börde. Neuere Forschungen, vor allem auch sprachwissenschaftliche, sehen hier ihren Ursprung. Sie breiteten sich im Westen über Flandern bis England aus und nahmen auch im Norden und Süden Land in Besitz.
Fossile Saurierknochen zeigen uns, daß unsere Tierwelt aus den Trümmern ihrer Vorgängerin erstanden ist. Metaphorisch gesprochen sagt „die Natur“ manchmal: „Siehe, ich mache alles neu!“ Die Bevölkerung Europas ist hervorgegangen aus Völkermord. Der ist lange her. Wie Paläontologen erst aus Fossilien eine Vorstellung der Saurierwelt bildeten, erschließen uns heute Genetiker eine Vorstellung der dramatischen Ereignisse vor knapp 5000 Jahren. Wir Europäer sind die Nachkommen der Täter.
Nennen wir sie beim Namen. Linguisten bezeichnen sie als Indogermanen. Archäologen möchten gern ihre gefundenen Scherben zum Sprechen bringen und benennen deren Schöpfer in ihrer Not einfach nach Fundorten. Sie verpaßten einem Hirtenvolk darum den Namen Jamnaja und vergaßen in ihrer Bescheidenheit nicht, das Wort -Kultur hinzuzufügen. Schließlich ging es um Tonscherben. Weil dieses Hirtenvolk nördlich des Schwarzen Meeres in unendlichem Weideland lebte, nennen internationale Genetiker seine Hinterlassenschaften mit dem deutschen Wort Steppe.
Die Ausbreitung der Indogermanen
Grafik: Wiki-Commons, Joshua Jonathan / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)
Genetiker haben inzwischen so viele menschliche Überreste prähistorischer Begrabener genetisch sequenziert, daß unser Bild der Vorzeit hinreichend genau ist. Eine väterliche Stammlinie können sie anhand des Y-Chromosoms eines Mannes nachvollziehen, die mütterliche mtDNA anhand des X-Chromosoms einer Frau.
Um 3000-2500 vor unserer Zeitrechnung begannen die Indoeuropäer aus den südrussischen Steppen in alle Himmelsrichtungen auszuschwärmen. Sie eroberten Westeuropa bis Spanien und England, drangen nach Süden bis Kleinasien vor und nach Osten bis Indien. Dabei zeigt die Genetik der Funde überall das gleiche Ergebnis: Die Männer der dortigen Vorbevölkerungen verschwanden, und anstelle ihrer genetischen Linien traten indoeuropäische.
„Im frühen dritten Jahrtausend wanderten aus der heutigen Ukraine, kann man vielleicht sagen, Steppenhirten nach Mitteleuropa ein, ja, sie kamen bis nach Spanien und wir sehen genetisch bei diesen Einwanderern, daß es vor allem Männern waren. Es ist sehr spannend – wir sehen es am Y-Chromosom, das wird ja auf der männlichen Linie weitergegeben – daß sich das in ganz Europa ausbreitet und auch quasi durchsetzt. Wir wissen nicht, wie friedlich das abgelaufen ist, vor allem, weil zur selben Zeit die männlichen lokalen Linien alle enden.“
Es muß ein endloses, furchtbares Massaker an den eingesessenen Männern gegeben haben. Archäologische Belege dafür sind bisher nicht zutage gekommen. Am Erbgut von Skeletten aus Glockenbecher-Gräbern läßt sich jedoch nachweisen, daß die Steppenhirten einheimische Frauen nahmen und sich mit der mitteleuropäischen Bauernbevölkerung vermischten.
Matthias Hennies, das Rätsel der Glockenbecher-Kulturen, Deutschlandfunk 20.6.2019.
Das Ergebnis stellte sich als kompletter Austausch dar. Eine aktuelle französische Studie zeigt diese Grafik:
Samantha Brunel et allii, Ancient genomes from present-day France unveil 7,000 years of its demographic history, Grafik S 5-1.
Die Jahreszahlen oben in der Grafik habe ich ergänzt. Wir sehen hier die Zusammensetzung der männlichen Bevölkerung nach Maßgabe der untersuchten Funde in vier Epochen. Die braun gezeichnete Haplogruppe R1b1 ist indogermanisch und dominiert heute die Westhälfte Europas. Östlich schließt sich dominierend R1a an.
Die vor der indoeuropäischen Eroberung vertretenen Haplogruppen der alten Jäger-Sammler Kulturen wurden in Frankreich fast restlos ausgelöscht. Sie hatten überwiegend der Haplogruppe I2 angehört, späte Abkömmlinge eiszeitlicher Cromagniden.
Auch in Deutschland
2015 haben Wolfgang Haak und andere gezeigt, daß vor etwa 4500 Jahren mindestens 70 Prozent der Bevölkerung Deutschlands in Folge massiver Einwanderung von Indogermanen aus osteuropäischen Steppengebieten ersetzt wurden:[i] Diese breiteten sich bis England aus und ersetzten dort 90% der Vorbevölkerung. Für die Gebiete des heutigen England und Spaniens gibt es Reihenuntersuchungen und Vergleiche zwischen der Erbsubstanz der heutigen Bevölkerung und Knochenfunden aus vorgeschichtlichen Gräbern. Der Genetiker David Reich ist sich sicher:
Spanien und England wurden im 3. Jahrtausend vor unserer Zeit eingenommen von den männlichen Vorfahren ihrer heutigen Bewohner. Diese Vorfahren entsprechen in der männlichen Abstammungslinie den sich von Osten über ganz Europa nach Westen ausbreitenden Indogermanen. So gut wie alle heutigen Engländer und Spanier stammen in ihrer männlichen Vorfahrenschaft von ihnen ab.[ii]
Sie stammen außerdem teilweise auch in mütterlicher Linie ab von Frauen, die vor der indoeuropäischen Eroberung dort wohnten, in keinem nachweisbaren Fall aber von den Männern der früheren Urbevölkerung. Sie unterlagen dem Land- und zugleich Frauenraub auf die alte Art: Überschüssige männliche Bevölkerung aus den Kerngebieten der Indogermanen in Ost- und Mitteleuropa wanderte nach Westen ab, erschlug oder knechtete die dortigen Männer und nahm sich ihre Frauen. Diese Frauen der Bevölkerung vor der indoeuropäischen Landnahme haben ihr Erbgut bis heute weitergegeben, die Männer vermochten das nicht.
Das gleiche wiederholte sich im Britannien des 5. und 7. Jahrhunderts, als dieses durch Eroberung durch Angeln und Sachsen gerade zum danach benannten England wurde: Die vorherige britische, römische oder keltische Männerwelt konnte ihre Gene nicht weitergeben.[iii] Die männlichen Vorfahren der heutigen Engländer stammen zu 50-100% nicht von den vorher dort lebenden Stämmen ab, von den weiblichen aber sehr wohl.
Vielleicht aber, möchte man einwenden, gab es gar keine Massaker. Hatten die eingeborenen Männer womöglich friedlich die Ankömmlinge willkommen geheißen, sie bewirtet, ihnen gern ihre Frauen und Töchter überlassen, um künftig den Fremden zu dienen, für sie zu arbeiten und auf eigene Nachkommen zu verzichten? Frönten sie einem perversen Steinzeitgott in einer konstruierten Wahnsinnswelt, der die eigene Selbstaufgabe und Auslöschung verlangte? Den Austausch des Eigenen und die Ersetzung durch möglichst Fremdes – vielleicht um kollektive Verbrechen zu sühnen?
Nein, so fortschrittlich und zukunftsweisend dachten die alten Steinzeitler nicht. Wir brauchen da nicht lange zu spekulieren. In den letzten Jahren wurde eine ganze Reihe Massengräber ergraben und die DNA der Toten ausgewertet. Sie lagen haufenweise durcheinander mit meist eingeschlagenem Schädel: ganze Dorfgemeinschaften und Sippen, abgeschlachtet rund 5000 v.Chr., zum Beispiel in Herxheim:
Herxheim ist kein Einzelfall. Zahlreiche Spuren von Massakern, die in den vergangenen Jahren in Mitteleuropa entdeckt wurden, zeigen, daß das Leben am Ende der Jungsteinzeit keineswegs friedlich war, sondern von Gewaltausbrüchen geprägt wurde. Ähnliche Befunde lieferten die Analysen der Massaker von Talheim bei Heilbronn (34 Tote), Kilianstädten (Main-Kinzig-Kreis; 26 Tote) und Schletz (Niederösterreich; rund 200 Tote). Stets fanden sich keine oder nur wenige Knochen junger, gebärfähiger Frauen unter den Opfern. Offenbar waren sie die bevorzugte Beute der Angreifer.
Zum Beispiel bei Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Dort stießen Forscher 2013 in einem Neubaugebiet auf ein Massengrab mit den sterblichen Überresten von neun/elf Menschen, die nur flüchtig verscharrt worden waren. Die Analyse der Schädelknochen zeigt, daß sie allesamt mit Schlägen auf den Hinterkopf getötet worden waren. Und noch ein Aspekt springt ins Auge: Unter den Knochen befinden sich keine Überreste von jungen Frauen.
Ähnliche Befunde lieferten die Analysen der Massaker von Talheim bei Heilbronn (34 Tote), Kilianstädten (Main-Kinzig-Kreis; 26 Tote) und Schletz (Niederösterreich; rund 200 Tote). Stets fanden sich keine oder nur wenige Knochen junger, gebärfähiger Frauen unter den Opfern. Offenbar waren sie die bevorzugte Beute der Angreifer, weil sie selbst unter Frauenmangel litten oder andere Gruppen durch Raub schädigen wollten, resümiert Harald Meller, Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt und Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle
Florian Stark, Hunderte wurden erschlagen, zerteilt und entfleischt, DIE WELT 16.9.2019
Fortleben – aber wie?
In den Mythen der Überlebenden haben die Völkerkämpfe der Vorzeit Spuren hinterlassen. Oft sind sie schwer zu deuten. Germanen erzählten noch von zwei Göttersippen, die sich feindlich gegenüberstanden, gegenseitig erschlugen und am Ende miteinander auskamen: den Asen und den Wanen. In ihnen dürfte sich Erinnerung an das Aufeinanderprallen, die Eroberung und schließlich das Aufgehen von Stammesresten in den Eroberern verbergen.
Genetisch gingen Stämme und Völker auch in der Vorzeit nicht völlig zugrunde. Begehrte blonde Sklavinnen gaben römischen Siegern kimbrische und im 6. jahrhundert vandalische Gene weiter. Selbst als noch 1945 Millionen deutscher Soldaten tot oder in Gefangenschaft waren, wurden „Besatzungskinder“ geboren. Die indogermanischen Eroberer kamen weit überwiegend in männlichen Gruppen an, beseitigten die einheimischen Männer und verhielten sich, im genetischen Ergebnis, genauso wie bekanntlich sowjetische, amerikanische und französische Soldaten in Deutschland.
Selbst die Neandertaler sind nur als Phänotyp verschwunden, leben aber in Europäern und Asiaten zu über 2% genetisch fort. Als unsere Vorfahren ab etwa 50 000 Jahre v.Chr. mitten in der Eiszeit nach Europa vordrangen, haben sie nicht alle Neandertaler umgebracht, sie aber verdrängt. In der Zeit vor etwa 50 000 bis 20 000 Jahren tauschte sich die Bevölkerung Europas komplett aus: die Neandertalermenschen wurden durch unsere Vorfahren ersetzt.
Die Indoeuropäer brauchten keine 20 000 Jahre, sich genetisch durchzusetzen. In unserer Zeit, in der alles sich ständig beschleunigt, wird es noch schneller gehen.
Es deutet aber nichts darauf hin, daß nicht in 200 oder 500 Jahren noch Menschen in Deutschland leben werden, bei denen Genetiker geringe Reste unserer Gene sequenzieren können, wenn sie nur geduldig suchen.
[i] Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, 21.2.2018, Bislang größte Studie alter DNA beleuchtet das „Glockenbecherphänomen“ im vorgeschichtlichen Europa. http://www.shh.mpg.de/842820/beaker-phenomenon.
[ii] Für England: Olalde pp., The Beaker phenomenon and the genomic, transformation of northwest Europe. in: Nature, Oktober 555 S.190-196, 2018, https://reich.hms.harvard.edu/sites/reich.hms.harvard.edu/files/inline-files/nature25738_Olalde_0_0.pdf. Für Spanien: The genomic history of the Iberian Peninsula over the past 8000 years. Iñigo Olalde, David Reich, Ron Pinhasi Et al., In: Science DOI: 10.1126/science.aav4040.
[iii] Michael E. Weale Deborah A. Weiss Rolf F. Jager Neil Bradman Mark G. Thomas, Y Chromosome Evidence for Anglo-Saxon Mass Migration, Molecular Biology and Evolution, Volume 19, Issue 7, 1 July 2002, Pages 1008–1021.
Thomas Engelhardt
Wieder einer dieser ausgezeichneten Kunze- Beiträge.
Hervorragend, alles Wichtige erfasst.
Freilich wundert, das der durchschnittliche Bundesbürger
die Dramatik des Umvolkungsvorganges nicht erfasst und
die, die dafür Verantwortung tragen, nicht erkennt.
Den drohenden Volkstod nicht nur der Deutschen haben
europäische Intellektuelle längst literarisch verarbeitet.
Und es fällt auf, dass hier russische Autoren herausragen:
Matthias Politycki: Samarkand Samarkand. Roman. Hoffmann und Campe, Hamburg 2013
Vladimir Sorokin: Telluria. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2015
Jelena Tschudinowa: Die Moschee Notre-Dame. Anno 2048
Renovamen- Verlag: Schmiedeberg, 2017.
Es lohnt, die gen. Bücher zu lesen.
Die in ihnen beschriebene Zukunft muss nicht zwangsläufig eintreten.
Die Geschichte geht zuweilen krumme Wege.
Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass die Europäer noch
aufwachen.
Thomas Engelhardt, 31241 Ilsede
M.D.
Vielen Dank für diesen wirklich lesenswerten Beitrag!
Klar, deutlich und vor allem fachlich wertvoll auf den Punkt gebracht.
So wie Herr Engelhardt bereits schrieb, kann man nur auf das Aufwachen warten.