Das Aufgeben der eigenen Identität

Lange hatte Boris auch in der Berufsschule seinen blau-weißen Schalke-Schal mit Stolz getragen. Doch jetzt geriet es ihm täglich zu einem Spießrutenlaufen. Die Jungs aus den benachbarten Dortmunder Siedlungen waren Borussia-Fans und hänselten ihn: „Absteiger!“

Schließlich gab er auf. Der Segen war zum Fluch geworden. Das Selbstwertgefühl wuchs nicht mehr in der Gewißheit, einer ruhmreichen Siegermannschaft anzugehören. Boris gab seine Schalker Identität auf und war nur noch Boris, Kind einer entwurzelten Einwandererfamilie.

Identität stiftende Angebote für Entwurzelte gibt es überall, von Fußball-Ultras bis hin zur Antifa. Sie lassen ihre Anhänger sich einem mächtigen Ganzen angehörig fühlen und ihre Identität prägen. Sie nehmen teil an der Gemeinschaft aller, erkennbar zum Beispiel an blau-weißen Schals. Sieg und Niederlage aller werden zu Sieg und Niederlage auch für den Einzelnen.

Der skeptische Blick

Wer emotional unbeteiligt außen steht, hat hinreichend Stoff für Witz und Persiflage wie der Erfolgsautor Walter Moers:

Ich wußte zum Beispiel, daß es so etwas wie kollektiven Egoismus gibt, der Solidarititis genannt wird, obwohl das eigentlich ein Widerspruch in sich ist.

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