Der aussichtsreichste Bewerber zur Wahl zum Oberbürgermeister in Ludwigshafen wurde nicht zur Wahl zugelassen. So führt der Weg unseres Staates weiter in Richtung Postdemokratie. In ihr gelten die herkömmlichen Grundätze unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht mehr.
Wenn Wahlen nicht mehr frei sind, hört ein System auf, demokratisch zu sein, auch wenn es sich so nennt. Auch die SED, die sich heute die Linke nennt, hatte die alleinige Macht, die Bewerber zu ihren „Wahlen“ vorher auszuwählen. Das hinderte sie nicht, sich demokratisch zu nennen.
Der Grundsatz der freien Wahl besagt, daß jeder kandidieren darf und darum jeder Bürger wählen darf, wen er will. Wenn sich hingegen ein innerer Zirkel „UnsererDemokratie“ herausbildet und die Kandidatur der Opposition verbietet, ist die Wahl nicht mehr frei. Der Ludwigshafener Oberbürgermeisterkandidat Joachim Paul liegt nach Umfragen Kopf an Kopf mit dem Bewerber der CDU und fiel jetzt der ehrenwerten Gesellschaft seiner Mitbewerber zum Opfer. Die Vertreter seiner Konkurrenzparteien hielten zusammen und ließen ihn zur Wahl nicht zu. Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße segnete das vorläufig – noch nicht rechtskräftig – ab.[1]
Entscheidung gegen die Verfassung
Wenn wir uns durch das Dickicht der Gesetzes- und Verordnungswerke wühlen, dürfen wir niemals, quasi wie einen Fixstern am Himmel, den elementaren Verfassungsgrundsatz der freien Wahlen aus den Augen verlieren. In seinem Lichte kann eine Behördenentscheidung schlechterdings nicht richtig sein, die diesen Grundsatz in seinem Kernbereich vernichtet.
Nicht betroffen ist dieser Kernbereich, wenn eine Person von der Kandidatur ausgeschlossen wird, etwa weil er als Mörder einsitzt und seine Wählbarkeit verloren hat oder weil er nicht das vorgeschriebene Mindestalter aufweist. In Zeiten harter politischer Auseinandersetzungen aber jemanden aus rein politischen Gründen auszuschließen, macht die freie Wahl zu einer unfreien. In Ludwigshafen hat ein Wahlausschuß konkurrierender Parteien und ihm folgend ein Verwaltungsgericht sich angemaßt, an Stelle der Bürger die politische Entscheidung gegen einen aussichtsreichen Kandidaten zu treffen.
Wenn in einer nominellen Demokratie aber ein behördliches Gremium und ein Gericht ihre Entscheidung über die Wahl eines Kandidaten an die Stelle demokratischer Bürgerentscheidung setzen, ist das ein kalter Verfassungsputsch und beseitigt die Demokratie zugunsten einer Funktionärsherrschaft. Übrig bleibt eine Demokratiesimulation.
Im Dickicht
Gesetzestechnisch möglich wurde das durch die Konstruktion des rheinland-pfälzischen Kommunalrechts. Es läßt den Oberbürgermeister einer großen Stadt einerseits durch die Bürger wählen, macht ihn damit aber dann automatisch zum Beamten. Für ihn als Beamten gelten dann sämtliche Regeln zur Verfassungstreue. Darum dürfte ein Verfassungsfeind nicht Oberbürgermeister werden.
§ 53 Gemeindeordnung Rheinland-Pfalz
(3) Wählbar zum Bürgermeister ist, wer Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes oder Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland ist, am Tag der Wahl das 18. Lebensjahr vollendet hat, nicht von der Wählbarkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 des Kommunalwahlgesetzes ausgeschlossen ist sowie die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt.
Daß darüber ein von den anderen Parteien im Rat besetzter Wahlausschuß entscheidet, ist bloße Verwaltungsvorschrift:
Ob ein Bewerber nach Absatz 3 und Absatz 4 Nr. 1 wählbar ist, prüft und entscheidet der Wahlausschuss. Dies gilt auch für die Voraussetzung, dass der Bewerber die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt. Auf die Verwaltungsvorschrift des Ministeriums des Innern und für Sport „Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst“ vom 4. Dezember 2009 (MinBl. S. 362) wird hingewiesen.[2]
So wurden in Ludwigshafen die Böcke aus den Reihen der linken Konkurrenzparteien und des Kopf-an-Kopf-Gegenkandidaten von der CDU zu einem Wächterrat grinsender Gärtner, die dem Kandidaten Paul nur zu gern die Verfassungstreue absprachen.
Wie problematisch das ist, zeigt die abweichende Verwaltungsregelung in Bayern, die den Finger in die Wunde legt:
4.3.1 Ausschluss wegen fehlender Gewähr, für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten
1Der Wahlausschuss muss bei der Prüfung der Frage, ob eine sich bewerbende Person nachweisbar nicht die Gewähr dafür bietet, dass sie jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung des Freistaates Bayern eintritt, größte Zurückhaltung üben, da sonst erfolgreiche Wahlanfechtungen zu befürchten sind und eine unrichtige Entscheidung, selbst wenn sie später im Wahlprüfungs- oder Wahlanfechtungsverfahren wieder aufgehoben würde, fortdauernde nachteilige Folgen für die betroffene sich bewerbende Person nach sich ziehen kann. Der Wahlausschuss sollte von folgenden Grundsätzen ausgehen: Dem Sinn des Gesetzes entspricht eine enge Auslegung. In jedem Fall müssen Tatsachen vorliegen, die den Ausschluss von der Wählbarkeit rechtfertigen; Vermutungen und Gerüchte genügen nicht. Für die Tatsachen müssen Beweise vorhanden sein, die einer gerichtlichen Nachprüfung standhalten. In Verdachtsfällen kann sich die Wahlleiterin oder der Wahlleiter an das Landesamt für Verfassungsschutz wenden mit der Bitte um konkrete Informationen zum Extremismusbezug der jeweiligen sich bewerbenden Person (vgl. Art. 25 Abs. 2 Nr. 3 BayVSG). Anonyme und „vertrauliche“ Mitteilungen, deren Wahrheitsgehalt nicht nachgeprüft werden kann, dürfen nicht verwertet werden. Die nachgewiesenen Tatsachen müssen objektiv den Schluss rechtfertigen, dass die sich bewerbende Person keine Gewähr dafür bietet, dass sie jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt. Im Zweifel muss der Wahlausschuss zugunsten der sich bewerbenden Person entscheiden.[3]
Genau in diesem „Zweifelsfall“ verfuhr das Verwaltungsgericht Neustadt genau anders herum, nämlich gegen den Kandidaten. Es erkannte durchaus den „Zweifelsfall“, meinte aber, ihn nicht entscheiden zu können:
Ob diese Zweifel an der Gewähr dafür, daß der Antragsteller jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintrete, begründet seien und den Wahlausschluss trügen und ob die Feststellungen des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz ausreichten, bedürfe einer eingehenden und – aufgrund der potenziell zahlreichen Prognosetatsachen – umfangreichen Prüfung, die so kurz vor der Wahl nicht abschließend durchgeführt werden könne und zum Schutz der Beständigkeit von Wahlen dem Wahlprüfungsverfahren vorbehalten bleiben müsse.
Die Katze beißt sich in den Schwanz
Dabei nahm das VG ganz schlicht ein zwölfseitiges Elaborat des Verfassungsschutzes für bare Münze. Dessen Inhalt war ihm offenbar so schwierig, daß es ihn nicht mehr „umfangreich prüfen“ konnte. Aufgrund des auf dem Tisch liegenden Tatsachenstoffs eine Rechtsprüfung anzustellen, übersteigt offenbar 2025 die fachlichen Möglichkeiten eines überforderten Verwaltungsrichters.
Die Katze des totalen Parteienstaates in „UnsererDemokratie“ beißt sich hier in den Schwanz, weil der Verfassungsschutz des Landes von der Regierung direkt abhängig ist und auf Anweisung handelt, eben unter der Regierungspartei, gegen die der Bewerber Paul in Ludwigshafen beste Chancen hat. Wie bei einem Hütchenspiel schiebt man sich die Argumente zu. In den USA spricht man mittlerweile von einem deep state. In ihm spielen Wahlergebnisse keine Rolle mehr, weil die Entscheidungen schon im Vorfeld getreffen werden. Dieses Vorfeld halten Vertreter bestimmter Parteien und Seilschaften besetzt und halten die Posten.
So sitzen im Wahlausschuß Parteivertreter auf Posten, die Landesregierung auf ihrem, der Verfassungsschutz auf seinem, und alle blinzeln sich vertraulich zu und können sich aufeinander verlassen. In Köln nennen wir so etwas Klüngel. Demokratietheoretisch ist es ein totaler Parteienstaat in Händen von Blockparteien eines unter sich einigen Parteienblocks.
Für den Wahlausschuß, belehrt uns das Verwaltungsgericht weiter, hätten also „Anhaltspunkte bestanden, die Zweifel daran begründeten, daß der Antragsteller die Gewähr dafür biete, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten.“
Solche Anhaltspunkte ergäben sich unter anderem daraus, dass die Einstufung der AfD als Verdachtsfall durch das Verwaltungsgericht Köln mit Urteil vom 8. März 2022 – 13 K 326/21 – und das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 13. Mai 2024 – 5 A 1218/22 – bestätigt worden sei. Der Antragsteller selbst sei im Bericht des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz 2024 namentlich benannt (Seite 98). Sein Wahlkreisbüro in Koblenz sei nach der Einschätzung des Innenministeriums „zu einer bedeutenderen Veranstaltungs- und Vernetzungsörtlichkeit herangewachsen“. Ausweislich der dortigen Feststellungen hätten
„(nach) der Schließung des ‚Zentrum Rheinhessen‘ […] 2024 Veranstaltungen der ‚Neuen Rechten‘ im sogenannten Quartier Kirschstein in Koblenz (stattgefunden). So wurde dort am 17. August 2024 die ‚Messe des Vorfelds‘ abgehalten, bei der bedeutende Akteure der Szene, darunter auch Vertreter des ‚COMPACT-Magazins‘ und anderer Organisationen, sowie AfD-Politiker anwesend waren. Vor allem die Teilnahme bekannter Influencer und Onlineblogger verdeutlichen die digitale Strategie der Szene. Zwischen 70 und 100 Besucher nutzten an diesem Tag die Gelegenheit, sich zu informieren und auszutauschen. Bereits im Sommer 2023 trat der Rechtsextremist Martin Sellner im Rahmen seiner ‚Remigrations-Tour‘ im ‚Quartier Kirschstein‘ auf und präsentierte seine sogenannten Remigrationspläne einem breiten Publikum. Auf dieser Veranstaltung war auch der rheinland-pfälzische Influencer Miró W. anwesend. Im Oktober 2023 fand zudem ein zweitägiger Bücherbasar im ‚Quartier Kirschstein‘ statt, auf dem hauptsächlich einschlägige rechte Literatur ausgestellt wurde“ (Bericht des Verfassungsschutzes Rheinland-Pfalz 2024, Seite 63).
Was aber besagt das zur Frage der Verfassungstreue eines Bewerbers Paul, der selbst als Lehrer Beamter auf Lebenszeit bereits ist, und dem bisher, soweit bekannt, disziplinarisch nicht nachzusagen ist, nicht jederzeit für die Verfassung einzutreten?
Was das VG hier zitiert, ist eine argumentative Nullnummer. Es enthält keinerlei Hinweis oder gar einen Nachweis für eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Von keiner der genannten Personen ist bekannt oder offenkundig, sich gegen diese Grundordnung einzusetzen. Was bitte ist „einschlägige rechte Literatur“, und inwiefern soll „rechte Literatur“ gegen einen der Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstoßen?
Hier erweist sich, daß der gegen Joachim Paul gerichtete Vorwurf ganz schlicht darin besteht, daß er rechts ist. Zwischen rechter und linker Kommunalpolitik sollten in einer Demokratie die Wahlbürger entscheiden. Statt ihrer haben in ihrem (leicht erforschlichen) „unerforschlichen Ratschluß“ ein parteilicher Wahlausschuß und ein Verwaltungsgericht entschieden.
Die politische Linke, zu der unterdessen die oberen Ebenen der CDU gehören, ergreift die Macht, indem sie die politische Rechte in Bausch und Bogen verfassungsfeindlich nennt. Was als rechts und links zu gelten hat, definiert sie dabei selbst.
Den Mut aber, diesen substanzlosen behördlichen Unsinn vom Tisch zu wischen, hatten die Verwaltungsrichter nicht. Auch sie saßen auf ihrem Posten.
[1] Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße, Beschluß vom 18. August 2025 – 3 L 889/25.NW –
[2] „Ob ein Bewerber nach Absatz 3 und Absatz 4 Nr. 1 wählbar ist, prüft und entscheidet der Wahlausschuss. Dies gilt auch für die Voraussetzung, dass der Bewerber die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt. Auf die Verwaltungsvorschrift des Ministeriums des Innern und für Sport „Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst“ vom 4. Dezember 2009 (MinBl. S. 362) wird hingewiesen.“ (Landesverordnung zur Durchführung der Gemeindeordnung (GemODVO) vom 21. Februar 1974 (GVBl. S. 98), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Landesverordnung vom 6. November 2009 (GVBl. S. 379) und Verwaltungsvorschriften zur Durchführung der Gemeindeordnung (GemO-VV) vom 3. Mai 1979 (MinBl. S. 179), zuletzt geändert durch Rundschreiben des Ministeriums des Innern und für Sport vom 20. März 2024 (MinBl. S. 278)).
[3] Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration | Verwaltungsvorschrift (Bayern) | Vollzug des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes und der Gemeinde- und Landkreiswahlordnung … | i. d. F. v. 27.06.2025 | gültig ab 17.07.2025, Normgeber: Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration, Aktenzeichen: B1-1367-3-37, Erlaßdatum: 24.10.2024, Fassung vom:27.06.2025, Gültig ab: 17.07.2025, Fundstelle:BayMBl 2024, Nr. 534.


Wolfgang Meier
Man sollte sich von der Vorstellung lösen, daß Richter, insbesondere solche an den Verwaltungsgerichten, von den Gesetzes bestimmt werden. Sie fühlen sich regelmäßig als Teil der Staatsmacht und sehen die Dinge häufig aus dem Blickwinkel der Staatsmacht. Außerdem möchte der durchschnittliche Richter Karriere machen und nicht bei den Kollegen anecken. Nur selten fand ich einen Richter, der den Mut besaß, sich gegen die herrschenden Ansichten zu stellen und wenn, dann stand er meist kurz vor der Pensionierung und hatte keine Karrierehoffnungen mehr.
Von daher haben Gerichtsentscheidungen wenig mit Recht zu tun. Klar, man ruft die Gerichte an, manchmal hat man auch Glück, aber Misserfolge sollte man sich nicht zu Herzen nehmen.