Den letzten „Wettkampf der Systeme“ hatte „der Westen“ gewonnen. Die zentrale Planwirtschaft des kommunistischen Ostblocks war der dezentralen Marktwirtschaft weit unterlegen. Die Corona-Seuche gibt den Startschuß für einen neuen, andersartigen Wettkampf der Systeme:
Die Pandemie legt die Unzulänglichkeiten und Ungleichheiten offen, die das Land seit Jahrzehnten plagen. In den USA hat der private Profit Vorrang vor der öffentlichen Gesundheit. Dieses System trägt zur Verbreitung eines solchen lebensbedrohlichen Virus auf nahezu unendlich viele Arten bei. China hat schnell und entschlossen reagiert, als der Ernst der Lage deutlich wurde. Tests und Behandlungen wurden kostenlos durchgeführt, und neue provisorische Krankenhäuser wurden in Rekordzeit in den Krisenherden der Epidemie errichtet. Die Pandemie enthüllt die wahre Natur der unterschiedlichen Wirtschaftssysteme. Einige haben gezeigt, daß sie Gesundheit und menschliches Leben über alles andere schätzen. Andere, so scheint es, finden den Tod zu gewinnbringend, um sinnvolle Veränderungen vorzunehmen.
China Daily aus Peking, zitiert nach DLF-Presseschau vom 16.3.2020
Ideologien und die mit ihnen verbundenen Wirtschaftssysteme sind hochkomplexe Gebilde. Der Kommunismus war die politische Organisationsform des Marxismus und dieser seinerseits eine Ideologie. Die fixe Idee, alle Menschen müßten gleichen Anteil an den materiellen Gütern des Lebens haben, hatte sich im Kommunismus sowjetischer und später chinesischer Prägung verwirklicht. Sie hinterließ seit der Oktoberrevolution rund 100 Millionen Todesopfer und scheint damit aus dem globalen Wettbewerb der Systeme ausgeschieden zu sein.
Der westliche Liberalismus trat einen scheinbar konkurrenzlosen Siegeszug an. Sobald eine Ideologie scheitert und eine andere gesiegt hat, brechen sich die immer widerstreitenden Interessen verschiedener Menschengruppen auf dem Boden der siegreichen neuen Ideologie Bahn. Sie artikulieren sich erneut in unterschiedlichen geistigen Entwürfen mit verschiedenartigen Organisationsstrukturen. Diese Fraktionen des bisherigen Systemsiegers bekämpfen sich jetzt ebenso erbittert, wie der gescheiterte frühere Feind gehaßt wurde.
Sobald ein geistiges Modell sich historisch durchgesetzt hat, mutiert es wie ein Virus. Seine Varianten konkurrieren und bekämpfen sich gegenseitig.
Auf Grundlage des kapitalistischen Liberalismus wetteifern heute global drei Hauptmodelle miteinander. Zu Recht erkennt die chinesische Zeitung diesen neuen Wettkampf der Systeme, von dem in Deutschland nicht viel die Rede ist.
Dem One-World-Modell folgen die USA, weil es gut für Amerika ist, wie Herr Trump beteuert. In dieser One World haben die USA durch die Macht ihrer Armeen freien Zugang zu allen Märkten. Ihr Turbo-Kapitalismus sucht alle Grenzen tendenziell zu beseitigen zugunsten des ungehinderten Flusses von Kapital, Waren und Menschen: Die Menschenströme ergießen sich zu den jeweiligen Produktionsstandorten, und das erwirtschaftete Kapital zurück in die USA. Die für dieses Modell erwünschte Geisteshaltung ist der Kosmopolitismus mit allen seinen ihm zuliefernden Werthaltungen.
Das zweite Modell entspricht dem ersten, denkt aber in nationalen Bahnen und Grenzen. Auch dieses verteidigt das aus dem Liberalismus folgende politische Modell des Parlamentarismus und der liberalem Geist entspringenden Menschenrechte. Seine Vertreter sehen ihre Länder aber wirtschaftlich im Nachteil, wenn es gar keine nationalen Grenzen mehr gibt. Ihre Vorbehalte gegen eine kapitalistische One World freier Kapitalflüsse, Waren und Menschen sind nicht prinzipieller Art. Sie tragen aber der realistischen Einschätzung Rechnung, daß ihr kleines Land von Fall zu Fall und auf bestimmten Gebieten des Schutzes seiner Grenzen noch bedarf. Es ist der Liberalismus der kleinen Binnengewässer-Fische, die auf hoher See von den größeren Haien befressen würden.
Das dritte Modell möchte die Segnungen und unbestreitbaren Erfolge des liberalen Westen, fürchtet sich aber vor dem Machtverlust seiner herrschenden Eliten. Rußland und China sind heute ökonomisch weitgehend kapitalistische Staaten. Ihre Führer wie Putin und die chinesischen Kommunisten denken aber nicht daran, auch den politischen Teil des Liberalismus zu übernehmen, also den Parlamentarismus, der sich in Europa Demokratie nennt, und mit ihm seine strukturellen Merkmale des Rechtsstaats und der Menschenrechte.
Die chinesische Zeitung hat Recht, daß die Corona-Seuche auch einen Wettkampf der Gesundheitssysteme mit sich bringt. Diese sind Subsysteme der jeweiligen Wirtschaftsform und entsprechen unterschiedlichen ideologischen Haltungen und Varianten. In den USA gibt es viel weniger Ärzte pro Kopf der Bevölkerung als in Deutschland, in China übrigens noch weniger. Vor allem gibt es in den USA keine verpflichtende Krankenversicherung. Wir werden in den nächsten Monaten mit gruselnder Faszination beobachten dürfen, welche Folgen der Raubtierkapitalismus im Sinne Trumps in den USA haben und welche Opferzahlen er nicht hindern wird.
Wir werden Gelegenheit haben, diese drei Typen kapitalistischer Wirtschaft an ihren Erfolgen in der Krise zu messen. Diese Systemkrise hatte für den Ostblock der 1980er Jahre in der westlichen Nachrüstung bestanden. Er konnte nicht mithalten und brach wirtschaftlich zusammen.
Dem westlichen Kapitalismus prophezeien alle diejenigen seit Jahrzehnten ein krachendes Ende, die ihn ohnehin nicht leiden können. Von rechts bis links gibt es deren viele. Bisher hat er sich als die flexibelste und robusteste Wirtschaftsform erwiesen. Ob die Corona-Seuche ihn als Scheinriesen mit aufgeblähten Finanzblasen mit zu geringer realwirtschaftlicher Basis entlarven wird und ob er das ist, weiß nur ein Prophet.
Innerhalb seiner Anhänger dürften die Globalisten und Kosmopoliten an Boden verlieren. Auf unseren Nationalstaat und seine handlungsfähige Regierung können und dürfen wir nicht verzichten. Ob Trump eine deutsche Firma auskaufen wollte, die an einem Impfstoff arbeitet oder die Firma Dräger heute den Auftrag für 100000 Beatmungsgeräte und Atemschutzmasken erhielt, wenn Entscheidungen zu treffen sind, wer in Deutschland einreisen darf und wem mit wessen Geld ausgeholfen werden muß: Immer kann die Entscheidung nur in Berlin getroffen werden, wenn sie unseren Interessen dienen soll.
Als Europäer haben wir zwar viele Interessen gemeinsam, aber durchaus nicht alle. Wir benötigen die EU, um unsere gemeinsamen Interessen gegen Rußland, China und gegen die USA zu bündeln. Aber eine handlungsfähige und im Zweifelsfall in unserem Interesse handelnde nationale Regierung können wir auf keinen Fall verzichten. Nur sie ist rückgebunden an das deutsche Volk, von dem sie ihre demokratische Legitimation ableitet, dessen Wohl sie mehren und von dem sie Schaden abwenden muß.
Müßte.
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