Vortrag, gehalten in Bonn am 15. 11.2024

A. Problemstellung

B. Was ist Metaphysik?

1. Animismus

2. Ideenrealismus

3. Theologie

4. Ontologie: Immanenz

5. Geschichtsmetaphysik

6. Liberalismus: die unsichtbare Hand und die Wahrheitsfindung durch Debatte

7. Prinzipienmetaphysik: Diskurstheorie

8. Menschenwürde

C. Merkmale der rechten Denkstruktur

D. Folgerungen

 A. Problemstellung

Die Analyse linksamtlicher Extremismusvorwürfe an rechte Adressen hat gezeigt, daß sie sich durchweg mit linksmetaphysischen Bannsprüchen gegen rechtsmetaphysische Formulierungen verbinden.[1] Weil aber das politisch rechte Weltbild völlig ohne Metaphysik auskommt, wären seine Vertreter gut beraten, auf angreifbare Vorstellungsbilder zu verzichten.

Gegenüber der juristischen Definition unserer Verfassungsgrundsätzeals freie demokratische Grundordnung führt der politologische Begriff des Rechtsextremismus ein Eigenleben. In ihn packen metaphyysisch bewegte Linke[2] in zunehmendem Maße alles hinein, was ihnen nicht in den Kram paßt: in ihre sozialreligiöse Ideologie der Gleichheit nämlich. Die Idee eines real nicht existierenden „Menschen an sich“ wird in den Rang pseudoreligiöser Verklärung erhoben, und eine abstrakte Würde dieses Menschenabstraktums entspricht der einstigen „Würde Gottes“ im christlichen Menschenbild. Jeder Mensch habe ein wenig davon abbekommen, und darin bestehe aus fundamentalistischer Sicht die „menschliche Fundamentalgleichheit“. Wer sie nicht ehrt, gilt als Rechtsextremist und wird mit jemandem gleichgesetzt, der einen der Verfassungsgrundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekämpft.

Uwe Backes, inzwischen der Nestor der Extremismusforschung, arbeitete „nach einer Analyse des linken, rechten und religiösen Extremismus heraus: erstens den exklusiven Erkenntnisanspruch (Glaube an ein „höheres“ Wissen), zweitens den dogmatischen Absolutheitsanspruch (Behauptung der unbezweifelbaren Richtigkeit eigener Positionen), drittens das essentialistische Deutungsmonopol (alleinige Erfassung des „wahren“ Wesens der Dinge), viertens die holistischen Steuerungsabsichten (angestrebte ganzheitliche Kontrolle der Gesellschaft), fünftens das deterministische Geschichtsbild (Wissen um den vorgegebenen historischen Weg), sechstens die identitäre Gesellschaftskonzeption (Forderung nach politischer Homogenität der Gesellschaft), siebtens den dualistischen Rigorismus (Denken in kompromißlosen Gegensatzpaaren wie Gut-Böse) und achtens die fundamentale Verwerfung des Bestehenden.“[3]

Alle diese Merkmale enthalten einen metaphysischen Kern und sollten darum von rechtem Denken grundsätzlich abgelehnt werden. Was von rechts mit der eingeführten philosophischen Begrifflichkeit als metaphysisch kritisiert wird, nennt der Politologe Backes extremistisch. Offenkundig wird das, wenn Backes „exklusive Erkenntnisansprüche“ aufgrund „höheren Wissens“ nennt, wenn er als extremistisch ein „Deutungsmonopol“ eines „wahren Wesens der Dinge“ bezeichnet, ein deterministisches Geschichtsbild und so fort. Rechtes Denken bildet das Gegenteil von alledem.

Daß jemand rechte Wertvorstellungen als „für mich richtig“ annimmt, weil sie seiner Persönlichkeit und ihren Bedürfnissen entsprechen, erfordert keine Metaphysik. Man kann sich auch einfach so für ihre Geltung entscheiden.

B. Was ist Metaphysik?

Alle Metaphysik beruht auf dem Glauben an immaterielle Dinge hinter den Dingen, an eine jenseitige Welt. Sie wird bevölkert von Geistwesen und immateriellen Prinzipien, denen wir angeblich gehorchen müssen. Per definitionem ist nichts Metaphysik, was der empirischen, also unserer physischen Welt angehört. Was sich hinter dieser verbirgt, sei nicht sichtbar, weil es eben transzendent ist, unseren Blicken verborgen.

Das Jenseits ist seit Jahrtausenden ein beliebtes Sujet von Märchenerzählern aus tausend und einer Nacht, beginnend mit dem jenseitigen Paradies bis hin zu moderner Utopie und Fantasy.

Man nennt solche Weltbilder dualistisch – hier das Diesseits – dort ein Jenseits. Wer daran nicht glaubt, hat ein monistisches Weltbild, erfüllt von u.a. physikalischen Naturgesetzen. Metaphysik bildet den Versuch, den Glauben an Dinge hinter unserer empirischen Welt zu rationalisieren.

Damit verhält sich die Metaphysik zur Physik und unserer Naturwissenschaft analog wie die  Alchimie zur Chemie. Als Vorteil der Chemie hat sich herausgestellt, daß sie funktioniert, die Alchimie aber nicht. Analog dazu funktioniert unsere Naturwissenschaft, Zaubern oder Beten hingegen nicht.

„Als Inhalt beruht jede Metaphysik auf der Unterscheidung zwischen Transzendentem und Immanentem bzw. zwischen überempirischem Jenseits und empirischem Diesseits, indem sie ersteres  als „wahre“, unverfälschte Wirklichkeit und zugleich (wenigstens in ihren großen traditionellen Gestalten) als Quelle von normativen Prinzipien versteht. […] Als Form der Erkenntnis, d.h. als System von Sätzen, die auf Grund von logischen Regeln miteinander verbunden sind, und unabhängig von ihrem jeweiligen Inhalt bzw. der jeweiligen Definition von Transzendentem und Immanentem strebt Metaphysik die rational-demonstrative Erfassung des Seins und seiner letzten Prinzipien an. Aus dieser Sicht kommt vornehmlich nicht die Beschaffenheit des Seins, sondern die Tatsache in Betracht, daß menschlicher Intellekt in seiner höchsten und intensivsten Bemühung das Sein erfassen und in ein widerspruchsfreies System von Sätzen bringen kann.“[4]

Panajotis Kondylis

Geschichtlich hat sich die Metaphysik entwickelt von animistischem Seelenglauben zu Platons Ideenlehre, wurde untrennbarer Bestandteil jeder Theologie, trat seit Beginn der Neuzeit als Ontologie in Erscheinung und wurde zuletzt als Prinzipienlehre behandelt. Die behauptete absolute Gültigkeit gewisser Prinzipien entspricht zuletzt der absoluten Geltung göttlicher Gebote. Solche ethischen Prinzipien sind beispielsweise die egalitaristische Forderung nach menschlicher Gleichheit im realen Leben. Sie wird abgeleitet aus dem Glauben an eine metaphysische Fundamentalgleichheit, weil jedem Menschen angeblich ein gleicher Animus innewohnt, ob man ihn nun als Seele bezeichnet, als Menschenwürde oder wie auch immer.

1. Animismus

In der Vorgeschichte hielten die Menschen alles für beseelt: Menschen, Tiere, Quellen, Berge, Naturgewalten. Aus dem lateinischen Wort anima bildeten Religionsgeschichtler dafür das Wort Animismus. Er bildete die früheste Metaphysik und verbindet sich in unserem Bildgedächtnis mit einem Lagerfeuer, um das ein Schamane mit Hirschgeweih tanzt, und mit Herden jagdbaren Wildes auf Höhlenwänden.

2. Ideenrealismus

Platon baute darauf auf und erklärte abstrakte Begriffe wie Tisch oder Stuhl für Ideen, die in einem Jenseits hausen und das Urbild aller realen Einzeldinge bilden. In seinem berühmten Höhlengleichnis hat er das anschaulich gemacht. Die Ideen von den Dingen an sich hielt er für objektive  Realitäten, weshalb man hier philosophisch von Ideenrealismus spricht.

Er beschrieb einen Mann in einer dunklen Höhe, das Gesicht zu einer kahlen Wand gerichtet. Hinter ihm brennt ein Feuer. Zwischen ihm und dem Feuer tragen Männer Gegenstände vorbei, von denen er mit seinen Augen nur die Schattenbilder an der Wand sah. Gerade so wie die Schattenbilder weniger real seien als die vorbeitragenen Gegenstände, sähen menschliche Augen die alltäglichen Gegenstände, die selbst aber nur Abbilder geistiger Urbilder seien. Er meinte darum, weil die Idee zu einem Tisch vor dem Zusammenbau eines körperlichen Tisches stehen müsse, sei die Idee, also das Urbild Tisch, realer als die empirischen Einzeltische.

Hat sich Platon auch Gedanken gemacht, wie die „Idee des Loches“ entstanden ist?

3. Theologie

Insbesondere seit Thomas von Aquin übernahm die christliche Theologie Platons Ideenrealismus und verschmolz ihn in der Epoche der Scholastik mit ihrer christlichen Dogmatik. Stolz bewies man die Existenz Gottes als höchstes Wesen, weil immer der jeweils höhere Oberbegriff die Ideen aller unteren in sich enthalte und darum realer sei als der niedrigere, also mußte als höchster Oberbegriff Gott existieren. Er, wußte man genau, war die letzte Quelle des Guten an sich und aller aus ihm folgenden Gebote und Verbote.

4. Ontologie: Immanenz

Wer in der frühen Neuzeit Gott leugnete, stelle sich als Extremist außerhalb des Sagbaren. So leugneten Skeptiker Gott nicht direkt, sondern machten ihn argumentativ irrelevant. Sie versuchten, die moralischen Gebote ohne ein transzendentes Jenseits und einen dort waltenden Gott zu begründen. Um nicht den Vorwurf des Atheismus auf sich zu ziehen, behaupteten sie treuherzig, Gott selbst habe den Menschen an sich so geschaffen, daß die Moralgebote immanent in ihm enthalten seien. In Lehrbüchern des Naturrechts können wir dann staunend nachlesen, daß in jedem Menschen quasi eingebaut genau diejenige Moral vorhanden sei, die der scharfsinnige Naturrechtler gerade für zwingend hielt.[5] So wie jedem Menschen eine Seele innewohne, verberge sich irgendwo darinnen auch der gute moralische Kern. Aus diesem angeblichen faktischen Sein leiteten sie mit grandiosem Zirkelschluß ein moralisches Sollen ab: Ihr enthaltet Moral, also sollt ihr moralisch sein!

5. Geschichtsmetaphysik

Eine Variante des Glaubens an metaphysische Mächte besteht in der Behauptung, es gebe historische Gesetzmäßigkeiten, die von einem imaginären Anfang der Geschichte bis zu ihrem zwangsläufigen Resultat führe. Am bekanntesten ist die marxistische Legende, die Geschichte habe mit einer kommunistischen Urgesellschaft über den Sündenfall des Privateigentums an Produktionsmitteln, die Feudalgesellschaft zur Verelendung der Arbeiterschaft im Kapitalismus geführt und werde sich nach einer proletarischen Revolution in einer glücklichen kommunistischen Zukunft vollenden, in der jeder nach seinen Fähigkeiten arbeitet und nach seinen Bedürfnissen konsumiert. Doch wer gäbe die Gesetze, die diese angeblich zwangsläufige Kausalkette in Gang gesetzt haben sollen?

Es handelt sich hier schlicht um eine säkularisierte Variante der Paradies-Metaphysik des alten Testaments, die über den Sündenfall schließlich im himmlischen Paradies mündet. Anstelle der waltenden Gottesperson tritt in der marxistischen Metaphysik ein angebliches Gesetz der Geschichte. Die wesentlichen metaphysischen Grundgedanken hatte der Marxismus dem Christentum entlehnt. So war der Katholik de Maistre von einem göttlichen Weltplan ausgegangen. Er schrieb über die Menschen:

Als Freie und zugleich als Knechte handeln sie sowohl aus freiem Willen wie im Zwang der Notwendigkeit. Sie tun tatsächlich, was sie wollen, können aber den Weltplan nicht ändern.


Joseph de Maistre (1753-1821), Betrachtungen über Frankreich, 1796, ISBN 3-85418-049-7, S.7.

Ganz ähnlich verfuhren andere Metaphysiker, zum Beispiel Rousseau, wenn er 1762 einen angeblich einst geschlossenen Gesellschaftsvertrag fingierte, aus dem er wiederum ableitete, was er sich noch so alles ausdachte. Ebenfalls auf Metaphysik beruhen alle an den Vulgärdarwinismus des 19. Jahrhunderts angelehnen Theorien über eine permanente Höherentwicklung der menschlichen Art, die schließlich, wie wir wissen, im nordischen Übermenschen gipfeln sollte. Hier sind nur metaphysisch begründbar schon die Wertung als höher oder niedriger entwickelt, vor allem aber die abgebliche Zwangsläufigkeit der Evolution in eine bestimmte Richtung.

6. Liberalismus: die unsichtbare Hand und die Wahrheitsfindung durch Debatte

Die Metaphysik des klassischen Liberalismus besteht darin, wenn man nur alle Beteiligten frei miteinander diskutieren lasse, stelle sich wie von unsichtbarer Hand die Wahrheit von selbst ein, geradezu wie beim Pfingstwunder der heilige Geist durch die Decke träufelt. Die Idee des Parlamentarismus als System und dem Parlament als Ort solcher Versammlungen trägt dem Rechnung.

Ganz ähnlich behauptet die liberale Ökonomie, wenn man nur allen wirtschaftlichen Akteuren freien Raum lasse, stelle sich wie von unsichtbarer Hand das ökonomische Gemeinwohl ein.

Wir erkennen in der, in der Volkswirtschaftslehre tatsächlich als Terminus eingeführten unbekannten hand unschwer den Glauben an ein nur metaphysisch erklärbares Walten.

7. Prinzipienmetaphysik: Diskurstheorie

Als objektiv und verbindlich kann sich nur eine Ethik hinstellen, die mit den ewigen und unveränderlichen Gesetzen der „wahren“ Wirklichkeit übereinstimmt. Für Liberale bildet es ein unlösbares Dilemma, daß sie das Bestehen einer von vornherein feststehenden Wahrheit leugnen, andererseits aber das Publikum von ihrer eigenen absoluten Wahrheit überzeugen müssen: Man solle nämlich durch immerwährenden Diskurs doch etwas erzeugen, was aktuell als Wahrheit durchgehen mag: nämlich das optimale Resultat freier, gereifter Debatte, ein Surrogat für Wahrheit.

Aber auch ihr derzeitiger Chefideologe Jürgen Habermas vermag nicht ohne Zuhilfenahme einer Metaphysik begründen, warum die Prinzipien sogenannten herrschaftsfreien Diskurses ein Ergebnis erzeugen sollten, das für alle Menschen annehmbar wäre. Schon ein solcher Diskurs selbst bildet eine Utopie. Vor allem aber gibt es außer dem frommen Wunsch, es möge ihn geben, keinen irdischen Fixpunkt für die Geltung der diskursiven Prinzipien. Habermas kann nicht begründen, sie würden objektiv und absolut gelten. Warum alle Menschen sich nach den Diskursregeln verhalten und deren Ergbnis für sich gelten lassen sollten, kann Habermas nur durch Rückgriff auf Metaphysik begründen: Sie seien ihm halt mal eben so intuitiv zugeflogen.

Er kann faktisch nicht auf willkürliche Wertsetzungen verzichten, wenn er die Verfahrensbedingungen für den Diskurs sichern will.­ Tatsächlich hat er sie sich mal eben so ausgedacht. Er ka­schiert das ver­schämt als „intuitive Einsichten“: als einen „Da­­tenkranz, der dem Problematisie­rungssog der Ver­ständigungs­pro­zes­­se entzogen bleibt.“ Dieses Wortgeschwurbel soll verdecken, daß er an den Diskurs als ewigen Kommunikationsprozeß zur Erzeugung von so etwas wie prozedural gewonnener Wahrheiten ganz einfach glaubt. Dieser Glaube beruht darum auf finsterster Metaphysik, auch wenn er betont, wir lebten in einem nachmetaphysischen Zeitalter.[6]

8. Menschenwürde

Wer von Menschenwürde spricht, sollte deutlich machen, was er meint. Es besteht ein tiefgreifender Unterschied zwischen der Bewertung eines Verhaltens oder Auftretens einer bestimmten Person als würdig oder unwürdig, andererseits der dem Christentum entlehnten Vorstellung, der Mensch an sich sei gottesebenbildlich. Daraus folgern Metaphysiker und Gläubige, die transzendente Substanz seines Menschseins könne er niemals einbüßen. Auch wer sich kraß würdelos verhalte, behalte doch seine gottgegebene Seele und sei insoweit allen anderen Menschen gleich.

Es ist typisch für Metaphysik, daß ihre letzten Glaubensgewißheiten von Dingen hinter den Dingen empirisch niemals nachprüfbar sind, weil sie im Jenseits verborgen und jedem empirischen Nachweis entzogen sind.

Mit einer solchen Vorstellung können Nichtmetaphysiker nichts anfangen. Der metaphysischen Vorstellung von Menschenwürde liegt die seit dem Animusmus in vieler Gestalt auftauchende Leib-Seele-Unterscheidung zugrunde. Sie erfordert also ein dualistisches, in Diesseits und Jenseits scheidendes Weltbild. Aus dessen Sicht müssen Realisten mit monistischem Weltbild, das kein Jenseits kennt, als niederträchtige Unholde an der Menschlichkeit erscheinen. Moralisierende Metaphysiker verstehen unter Menschlichkeit nämlich nur das sogenannte Gute im Menschen, eine unverlierbare Würde, deren Sitz sich irgendwo im transzendenten Raum oder immanent in jedem Menschen befinden solle.

C. Merkmale der rechten Denkstruktur

Das rechte Weltbild kommt ohne Metaphysik aus. Wenn zum Beispiel Christliche, Völkische oder ähnliche selbst als Rechte sehen oder von Linken so markiert werden, irren sie.

Eine proto-rechte Denkstruktur bildet die Voraussetzung für ein inhaltlich rechtes Weltbild. Eine meiner zentralen Thesen beruht auf der Beobachtung, daß die strukturellen Einzelmerkmale eines proto-rechten Weltbildes einander bedingen und insgesamt ein zusammhängendes Ganzes bilden. Ein Merkmal folgt konsequent aus dem anderen. Stellen Sie sich diese Einzelmerkmale, es sind sieben, als Siebeneck vor. Diese sieben Eckmerkmale sind das rationale Denken, das skeptische Denken, das naturwissenschaftliche Denken, das realistische Denken, das Entscheidungsdenken, das geschichtliche Denken und das vergleichende Denken.

Des Denkens aller Anfang ist die Neugierde. Um zweckgerichtet handeln zu können, müssen wir wissen, ob die uns umgebenden Phänomene sind, was sie zu sein scheinen, ob wir in einer Matrix leben oder ob wir bloß träumen. Alle Menschen möchten realitätsbezogen handeln. Schlichte Gemüter wie die Zeugen Jehovas schlagen dazu die Bibel auf und entnehmen dieser ihre Realität. Für einen naturwissenschaftlich gebildeten Menschen unserer Tage ist aber nur real, daß irgendwann einmal irgendwelche Leute jenes Buch geschrieben haben. Alles andere wäre erst zu beweisen.

Logisch eng miteinander verknüpft sind das skeptische Denken, das vergleichende Denken und das geschichtliche Denken. Diese Denkstile hatten sich in der Phase der sogenannten antiken griechischen Aufklärung bereits ausgeprägt. Der mit allen antiken Schriften eng vertraute Michel de Montaigne hat das Ende des sechzehnten Jahrunderts in seinen Essais neu begründet. Ihm fiel auf, wie viele unterschiedliche Völker, Kulturen, Moralvorstellungen und Religionen es gibt, von denen schon die bloße Existenz der einen die Wahrheitsansprüche aller anderen relativierte.

Selbstverständlich ging es ihm dabei nicht um historische oder theologische Quisquilien. Michel de Montaigne kannte bereits die Schriften Niccoló Machiavellis, der keinen Gedanken daran verschwendet hatte, ob irgendeine Religion, eine Konfession oder ein Moralgebot etwas mit „Wahrheit“ zu tun hatte. Machiavelli hatte erkannt, daß alle diese Wahrheitsbehauptungen in ihrer konkreten politischen Funktion auf die Stabilisierung von konkreten Machtverhältnissen hinausliefen. Ein erfolgreicher Fürst, schrieb er, müsse nicht in moralischen Sinne gut sein, er müsse aber von seinen Untertanen dafür gehalten werden.

Wer das einmal verstanden hat, wundert sich nicht, wenn unsere Herrscher uns mit Klimaabgaben überziehen, während sie selbst fröhlich in der Weltgeschichte herumjetten. Sie müssen sich persönlich nicht klimafromm verhalten, sie müssen nur vom Volk für klimafromm gehalten werden, um ihre Herrschaft zu stablilisieren. Diese soziologische Sicht nimmt Religionen und moralische Gebote niemals zu ihrem Nennwert, sondern fragt: Stehen die Machtinteressen, die hinter diesen Geboten stehen, mit meinen eigenen Interessen in Einklang?

Das skeptische und realistische Denken ist niemals gläubig. Es verzichtet darauf, rein spekulative Konstrukte wie ein Jenseits, Dinge hinter den Dingen oder in den Dingen verborgene magische Kräfte in sein Bild von der Realität einzubeziehen. Es ist strikt antimetaphysisch.

Ein Skeptiker wird darum, was er für Realität hält, nicht in göttlichen Geboten oder Moralgeboten suchen, sondern in nachweisbaren Tatsachen. Die wissenschaftliche Methode, diese Tatsachen herauszufinden, ist der Empirismus. Darum steht Naturwissenschaft für alles skeptische Denken hoch im Kurs. Politische, religöse oder moralische Forderungen, die mit naturwissenschaftlichen Tatsachen unvereinbar sind, lehnt dieses Denken ab.

Vor moralisierendem Einschüchterungsvokabular wie „Gendergerechtigkeit“ zuckt Skeptizismus  die Achseln und verläßt sich lieber auf eine medizinische Untersuchung.

Ein Skeptiker ist sich immer bewußt, daß alle Vorschriften, Normen, Gebote und Moralvorstellungen mit denen man ihn beherrschen will, Menschenwerk sind. Strukturell sind alle diese Normen Befehle: „Du sollst!“, oder „Du sollst nicht!“ Je nach den Machtverhältnissen oder auch aus eigener Einsicht wird er solchen Befehlen gehorchen. Eins wird er aber gewiß nicht, er wird den Befehl eines anderen Menschen nicht für einen Befehl irgendwelcher Götter halten, nur weil der Befehlende sich auf Götter beruft. Solange der angebliche Gott nicht persönlich vorbeikommt und befiehlt, wird er hinter jedem „Gebot“ und jeder Sollensvorschrift, die ihm ein Mensch macht, diesen Menschen als Urheber erkennen. Er glaubt nicht einfach irgendetwas, sonst wäre er kein Skeptiker.

Die rechte Denkstruktur und ihre Antagonisten

In rechtem Denken verkörpert sich aufgeklärter Selbstbehauptungswille. Nach allen Überlegungen dürfen wir darum das strukturell rechte Denken definieren als ein

die historische Identität von Individuum und Gruppe betonendes

rationales,

aufgeklärtes,

skeptisches,

auf naturwissenschaftlicher Grundlage die empirische Ungleichheit

anstelle metaphysischen Gleichheitsdenkens betonendes Menschenbild,

das alle fremdbestimmenden Sinnstiftungen zurückweist.

Dabei ergeben seine in untrennbarem Zusammenhang miteinander stehenden ontologischen und philosophischen Grundlagen das Resultat einer vollständigen, sich ihrer selbst bewußten und reifen Aufklärung. Während verschiedene Ideologien die Folgerungen aus der Aufklärung immer nur für ihre Gegner zogen und selbst Kernbestände metaphysischen Glaubens bewahrten, zog das rechte Weltbild als einziges die Konsequenz, die Erkenntnisse der Aufklärung auch auf rechtes Denken früherer Epochen anzuwenden und deren metaphysische Schlacken und ideologische Restbestände abzuwerfen. Damit setzt es erstmals und als einziges Weltbild konsequent die aufklärerische Erkenntnis in die Tat um, daß alle Wertungen nur in unserem Kopf ihren Ursprung haben und wir Menschen a limine normativ ungebunden sind. Alle Menschen sind zu eigener Sinnstiftung und Normsetzung befähigte und von absoluten, universellen Werten freie Wesen.

Wie stark sich bei einer Person im Einzelfall aus der vorhandenen rechten Denkstruktur ein umfassendes und kohärentes rechtes Weltbild ausbildet, ist individuell verschieden. Es hängt von der individuellen Stärke einzelner emotionaler Komponenten ab, aber auch von der Geschichtlichkeit des Individuums, seinen Lebenserfahrungen, seiner familiären Prägung und Erziehung, dem persönlichen Interesse daran, überhaupt ein umfassendes Weltbild auszubilden und nicht zuletzt der nötigen Intelligenz, etwaige Widersprüchlichkeiten zu bemerken.

Darum folgt auch nicht zwangsläufig aus einer rechten Denkstruktur, in welcher Weise jeder Einzelne für sich von seiner Freiheit zur Wertsetzung und Sinnstiftung Gebrauch macht. Gerade diese Freiheit schließt jede Zwangsläufigkeit aus. Daß er rein normativ gesehen alles darf, bedeutet nicht, daß er tatsächlich alles oder irgend etwas Bestimmtes tun soll. Alles liegt in seiner eigenen Entscheidung. Wie auch linke Autonome und Anarchisten betont er diese normative Freiheit. Er wäre aber kein Rechter, machte er von seiner normativen Freiheit einen psychotischen Gebrauch, der sich gegen ihn selbst, gegen seine Familie, seinen Staat oder sein Land richtete. Er benutzt sie, um zu schützen und zu verteidigen, was ihm lieb und teuer ist.

Im Kern heißt rechts zu sein, für das zu kämpfen, was man ist.

D. Folgerungen

Wer seine politische Rede gern metaphorisch aufblähen möchte und dafür historische Begriffe wie Volksgeist bemüht, oder wer meint, in einem Superorganismus namns Volk nur ein dienendes Rädchen zu sein, der sollte sich darüber klar sein, daß er den staatlichen Extremismusjägern zuarbeitet. Es gibt keine Geister und darum auch keine Volksgeister. Als Einzelpersonen dienen uns selbst am besten, wenn wir Familie und Volk verteidigen, weil wir sie brauchen – nicht um einen Kollektiv zu dienen.

Was der Betreffende vielleicht meint, ist auch nicht zwangsläufig eine Wesenheit namens Volk mit eigenem Bewußtsein, Wünschen oder Hoffnungen. Man fällt leicht darauf herin, daß wir aus jedem Adjektiv eine anthropomorphe Personofikation machen können wie aus gerecht die Gerechtigkeit oder Justitia. Wer an solche als reale Wesenheiten glaubt, ist Metaphysiker. Ich würde ihm mit William von Ockham entgegenhalten: Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem! Die Anzahl der als eigenständige Wesenheiten zu betrachtenden Phänomene sollte man nicht ohne Notwendigkeit vergrößern. Dasselbe gilt für Vorstellungen eines Volkes als Organismus, dessen vielleicht verzichtbarer, jedenfalls dienender Teil die Einzelperson nur ist.

Wahrheit und Gerechtigkeit (Glasbild im Landgericht Bielefeld von Karl Muggly) als anthropomorphe Personifizierungen

Die Freiheit ist keine Person, und sie „führt keinen Reigen über dem Sternenzelt“. Altdeutsches Schwärmen wie in unseren schönen patriotischen Liedern des 19. Jahrhunderts beruht auf Metaphysik, wenn wir seine Begrifflichkeiten nicht bloß metaphorisch oder allegorisch nutzen.

Wem das bewußt ist und der sich in der politischen Auseinandersetzung begrifflich klar ausdrückt, ist auch seitens der Nachfolger Fürst Metternichs nicht so einfach als Extremist abstempelbar.

Umgekehrt ist er imstande, bei seinen politischen Gegnern eine metaphysische Argumentationsstruktur zu erkennen, wo immer er mit ihr konfrontiert ist. Er hat es in der Hand, sie mit den Waffen der Aufklärung zu widerlegen, ja oft geradezu, sie lächerlich zu machen. Ideologeme wie das von der angeblichen Kolonialschuld, unseren angeblich von Generation zu Generation vererbten besonderen Verpflichtungen, dem uneingelösten Gleichheitsversprechen und viele andere mehr´gleichen gefüllten Luftballons: Ein Piekser Realität hinein, dann platzen sie. Nehmen wir die Schuld: Kollektive Sünde und Schuld sind Erfindungen der Bibel. Ohne religiöse Metaphysik kann es keine Sünde und schon gar keine Erbsünde oder Kollektivschuld geben.

Nehmen wir die Gleichheit: Ohne die Vorstellung des prinzipiell unendlichen Wertes jeder gottebenbildlichen Seele gibt es kein absolut geltendes Gebot, zu allen Menschen gleich nett zu sein.  Wenn ein Gott oder ein irdischer großer Zampano in seiner Güte die irdischen Güter verteilen würde, gäbe es in der Tat eine berechtigte Forderung nach Verteilungsgerechtigkeit. Er wäre das herrschende Subjekt des Verteilens und wir die untergeordneten Objekte. Diese Vorstellung gehört aber in den tiefsten Kreis mittelalterlicher Metaphysik. Trotzdem liegt sie jedem politischen Herrschaftsmodell zugrunde, in dem der Staat als großer Zampano und gnädiges Subjekt dafür verantwortlich sein soll, die Güter gleich zu verteilen. Es gibt keine Letztbegründung für die Forderung, unser Staat solle sich eine solche Subjektposition anmaßen, und wir sollten ihre Objekte sein.

Wer intellektuell ehrlich ist, verzichtet darauf, seine politischen Forderungen als göttliche Eingebungen auszugeben oder als Konsequenzen, die unbedingt aus den höheren Gesetzen der Seinsordnung oder dem Sinn des Lebens folgen würden. Dieser Verzicht benachteiligt ihn freilich im realen politischen Geschäft gegenüber Heilspredigern, die sich in ihrem Machtwillen der typischen Phrase bedienen, nur der oberste bescheidene Diener der moralischen vorgegebenen Weltordnung zu sein.

In der Realgeschichte hat sich der Rückgriff auf Metaphysik zur Machtgewinnung und als Herrschaftsideologie gewöhnlich als sozal erfolgreicher herausgestellt als der Appell an den Verstand und die Eigeninteressen der Untertanen. Strebte ich nach persönlicher Macht, könnte ich Sie zum Endkampf für irgendeine heilige Sache aufrufen. Hinter solchen Aufrufen folgt gewöhnlich ein Und jetzt hört Ihr alle mal auf mein Kommando! Wenn sie also heute jemanden predigen hören, jetzt gelte es für unsere Demokratie gemeinsam zusammenstehen, wir ließen keinen hängen, die Spaltung müsse aufhören und so fort, werden sie das richtig einordnen: Da erhebt jemand einen Machtanspruch.


[1] Klaus Kunze, Das rechte Weltbild, 2024.

[2] Vgl. im einzelnen Kalinowski, Harry H., Rechtsextremismus und Strafrechtspflege, 2.Aufl. 1986, Hrg. Bundesministerium der Justiz, S.2 f.

[3] Armin Pfahl-Traughber, Linksextremismus in Deutschland, 2.Aufl. 2020, S.18 f.

[4] Panajotis Kondylis, Die neuzeitliche Metaphysikkritik, 1990, S.13.

[5] Eingehend Klaus Kunze, Mut zur Freiheit, 1995,

[6] Eingehend: Klaus Kunze, Mut zur Freiheit, 1995.