Die politische Linke fährt mit Grünlicht auf der falschen Fahrbahnseite. Auf der konservativen rechten Seite sorgte man sich schon vor 50 Jahren um den Naturschutz. Die Natur zu schützen und zu bewahren, ist eine urkonservative Herzenssache.

Die traditionelle Linke war dagegen vom Ursprung her fortschrittsgläubig. Wo sie allein an der Macht war wie in der DDR, maß sie den Fortschritt geradezu in wirtschaftlichen Fünfjahresplänen, rauchenden Schornsteinen und Produktionsziffern zum Wohle der arbeitenden Klassen. Die Sozialutopie gleichen hohen Konsums für alle verlangte nach ungebremstem Wachtstum. Die Natur war kein linkes Thema.

Die SED-Genossen blieben bis 1989 auf diesem Kurs. Im wesentlichen galt das auch für die SPD-Genossen. Naturschutz trat damals unter „Bewahrung der Schöpfung“ auf, womit die Linke nun gar nichts anfangen konnte. Mit fortschreitender Entkirchlichung der Bevölkerung konnten aber auch immer weniger Konservative wie in der damaligen CDU einem Naturschutz Priorität einräumen, der als Schutz „der Schöpfung“ auftrat.

Naturschutz mußte sich zwangsläufig ideologisch neu positionieren und damit auch parteipolitisch anders orientieren. Aus den Altparteien traten die Naturschützer aus und formierten sich als „Grüne“ neu. Damit begann die politische Geisterfahrt linker Naturschützer auf der falschen Straßenseite. Konservative wie Herbert Gruhl wurden ausgebootet, und radikale Linke sprangen auf den fahrenden Wagen auf. Ausgerechnet Linksradikale, in deren ideologischem Arsenal sich nun wirklich nichts zum konservatorischen Grundgedanken des Naturschutzes finden ließ, setzten sich an die Spitze der neuen grünen Bewegung.

Sie schürten Ängste vor der Atomenergie und hysterisierten eine ganze Generation junger Leute. Die Hysterie um einen nahen atomaren Tod durch Raketen von oben wurde langfristig durch eine ebenso wirksame Hysterie wegen der Atomkraftwerke abgelöst. Man konnte zwar auf reale Gefahren wie beim Durchbrennen des Atommeilers Tschernobyl verweisen. Eine aus genuin linker Ideologie geborene Letztbegründung gab es aber nie. Bis heute ist die Begründung der Grünen für Umweltschutz eine rein pragmatische.

Kein Wunder, daß die politische Rechte ihr verlorenes Terrain zurückgewinnen möchte. Vor etwa 45 Jahren sah ich schon Aufkleber einer rechten Partei mit einem grünen Baum und der Parole: “Grün ist Leben”. Unzweifelhaft ist Umweltschutz ein genuin rechtes, konservatives Anliegen.

Doch wie kann der Umweltschutz herausgelöst werden aus dem Amalgam, das er bei den Grünen mit linksextremistischen, antifaschistischen und kosmopolitischen Strömungen eingegangen ist? Soll die Rechte jetzt die Linke auf ihrer Geisterfahrt auf der konservativ-naturschützenden Straßenseite noch überholen?

Es fehlt rechts nicht an Versuchen, die Deutungshoheit über den Umweltschutz zurückzugewinnen. Florian Sander schlägt vor, zunächst einmal müsse der Begriff Umweltschutz wieder durch den des Naturschutzes ersetzt werden:

Der Begriff des Naturschutzes ist genau genommen der respektvollere und wertfreiere: Unbeeinträchtigt von der christlichen Dogmatik stellt er auf den Schutz der Natur ab, zu der der Mensch in gleicher Weise gehört wie der Baum oder das Insekt, in der er weder eine untergeordnete noch eine herausgehobene Rolle gegenüber anderen Erscheinungen des Lebens einnimmt. Eine Dichotomie im Sinne von „hier der Mensch, da die Umwelt“ bzw. „hier wir, da alles andere“, wie sie der Umwelt-Begriff impliziert, gibt es so eben nicht. Was es gibt, ist eine Natur, eine einzige, die nicht nur regional, nicht nur global, nicht nur irdisch ist, sondern in der Tat kosmisch und als solche schützenswert, da sie Leben bedeutet und beinhaltet.

Florian Sander, Ökologie, Naturschutz und Nachhaltigkeit als konservative Grundwerte

Die Natur müsse man nicht aus rein egoistischer Perspektive des Menschen schützen, sondern

Wer hingegen Naturschutz betreiben will, der will die Natur um ihrer selbst willen schützen: Sie hat demnach als solche ihren Wert, ob sie nun menschlicher Lebensraum ist oder nicht, ob sie für den Menschen eine Funktion erfüllt oder nicht. Leben ist als solches wertvoll – ob menschlich oder nicht.

Hinter dieser Einsicht steht der notwendige Paradigmenwechsel von einer christlichen hin zu einer unitarischen ökologischen Ethik, welche die Natur als Teil der Unitas, der All-Einheit, als Trägerin des Göttlichen als schützenswert ansieht, anstatt dem Menschen eine „krönende“ Sonderrolle im Rahmen einer göttlichen „Schöpfung“ zuzugestehen, die aber im Grunde nur als diesseitiges „Jammertal“ gesehen wird, welches dem paradiesischen Jenseits gegenübersteht.

Während die anthropozentrische christliche Auslegung stets gut mit dem wachstumsorientierten Neoliberalismus harmonierte – insbesondere in der protestantischen Interpretation, deren Korrelation zum „Geist des Kapitalismus“ von keinem Geringeren als Max Weber aufgezeigt wurde – neigte die konservative Auffassung, die im deutschen Idealismus, in der Romantik, im mystischen Denken wurzelt, seit jeher eher zur Ganzheitlichkeit. Hier wird die Natur um ihrer selbst willen gedacht und nicht auf ihre biologische – oder gar nur ökonomische – Funktion für den Menschen reduziert. Konservatismus bedeutet, ein ökologisches Bewusstsein um der Natur selbst willen zu haben, es nicht rein „pragmatisch“ zu verstehen.

Florian sander, Ökologie, Naturschutz und Nachhaltigkeit als konservative Grundwerte

Mit den Grünen gemeinsam ist Sander die Einsicht, daß sich an unserer Form des Wirtschaftens etwas Grundlegendes ändern muß. Die moderne Massengesellschaft hat auf der materiellen Seite die Massenproduktion und den Massenkonsum hervorgebracht, gerechtfrtigt auf der ideellen Seite durch die Ideologie des Liberalismus. Inzwischen vermüllen die Weltmeere, und die Grünen fordern:

Deshalb stellen wir Grüne den Erhalt unserer Lebensgrundlagen seit unserer Gründung vor rund 40 Jahren als einzige Partei konsequent in den Mittelpunkt und kämpfen für eine lebenswerte Umwelt und eine intakte Natur. Das heißt auch, unsere Art zu wirtschaften und zu konsumieren in Frage zu stellen: Woraus und wie stellen wir unsere Güter her, wie werden sie genutzt und was geschieht danach mit ihnen?

Grüne, Programm

Sander ist im Ergebnis ganz auf ihrer Seite, nur nicht in der Begründung:

Einer der wesentlichsten Unterschiede zwischen Konservatismus und Neoliberalismus manifestiert sich in der Ablehnung der Konsumgesellschaft durch ersteren. Konservativ leben bedeutet eben gerade die Ablehnung der Vorstellung grenzenlosen Wirtschaftswachstums und zügellosen Lebensstils, die Ablehnung von Dekadenz, Konsum und ökonomisiertem Materialismus, zugunsten einer ganzheitlichen, disziplinierten, bewußten Haltung, im Rahmen derer sich der Mensch eingebettet weiß in eine Natur, die nicht nur seinen Lebensraum darstellt und seine Heimat symbolisiert, sondern die eben auch, ohne jede Übertreibung, eine Manifestation des Göttlichen ist. […]

Um derlei Mißständen zu begegnen, können und sollten gerade auch konservative Kräfte Positionen aufgreifen, die man keineswegs den Grünen überlassen muß, welche diese durch ihren elitären Habitus und ihre gesellschaftspolitischen Positionen ohnehin unglaubwürdig machen.

Florian sander, Ökologie, Naturschutz und Nachhaltigkeit als konservative Grundwerte

Mit einer Letztbegründung des Naturschutzes mit Rücksicht auf höhere Mächte ließ sich schon vor 40 Jahren nicht verhindern, daß die Umweltschutzbewegung vom Linksradikalismus gekapert wurde. Heute stehen die Chancen noch schlechter. Wer glaubt noch an göttliche Mächte? Wir werden die Ökologie dieses Planeten für uns intakt halten oder ihn zur Wüste machen und mit der Ökologie untergehen, so einfach ist das. Wir benötigen keinen göttlichen Auftrag dazu, ihm zuliebe seine „Schöpfung“ zu schützen.

Eine konservative Theorie, die den Anspruch auf Brauchbarkeit im Jahre 2019 erhebt, kann keine sein, die nur Menschen mit esoterischen, metaphysischen oder religiösen Neigungen zu irgend etwas Göttlichem anspricht und überzeugt.

Es ist auch keine philosophisch haltbare Position, den lieben Gott aus der Rechnung zu lassen und „die Natur um ihrer selbst willen“ zu schützen.

“Die Natur” ist nur ein Wort, ein Begriff, eine Kategorie unseres Verstandes.

Der Begriff Natur ist ein ebenso anthropozentrischer Begriff wie der Begriff Umwelt. Als Gegenbegriff zur menschlichen Kultur bildet er eine menschliche Abstraktionsleistung, eine gedankliche Kategorisierung. Ohne solche Kategorisierungen funktioniert menschliches Denken nicht. Als menschliche Gedankenkategorie kann der Begriff “Natur” aber gar nichts anderem als anthropozentrischem Denken entspringen: Wir Menschen mit unserer Kultur hier – „die Natur“ dort. Was in diese oder jene Kategorie gehört, erfordert wiederum anthropozentrische Definitionen: Gehört der Kohlkopf im Gemüsegarten nun zur Kultur oder zur Natur? Gehören die kalten Wüsten des Mars zur schützenswerten Natur?

Die Dichotomie Natur – Kultur ist tief in der Philosophiegeschichte verankert und birgt dieselbe Problematik wie der weiter gefaßte Begriff Umwelt.

Wer „die Natur um ihrer selbst willen schützen“ möchte, muß in einem ersten gedanklichen Schritt begrifflich klären, was er mit Natur meint und ob er dabei nicht schon in der normativistischen Falle eines wertbehafteten Naturbegriffes sitzt. Es gibt nichts „um seiner selbst willen“ Wertvolles. Jede Bewertung erfordert ein bewertendes Subjekt und ein bewertetes Objekt. Werte stecken niemals in dem bewerteten Objekt, sondern nur im Kopf des Bewerters. Das gilt umso mehr, wenn das Objekt selbst gar kein reales Objekt ist, sondern nur eine, gleichfalls im Kopf des Bewerters, erzeugte Gedankenkategorie.

„Die Natur ist wertvoll an sich“ erfordert also in einem ersten gedanklichen Schritt, in meinem Kopf eine Idee davon zu erzeugen, was für mich „Natur“ ist, und im zweiten Schritt, mich dieser meiner Idee emotional zuzuwenden und ihr einen Wert beizumessen.

Zur „All-Einheit als Trägerin des Göttlichen“ möchte ich nicht viele eigene Worte verlieren und mit dem Philosophen Nicolai Hartmann antworten: Bei einer solchen Teleologie des Ganzen „wird der als Einheit verstandenen Welt ein oberstes bewegendes oder schaffendes Prinzip zugeschrieben, das als Absolutes, Weltgrund oder Gottheit, die Mannigfaltigkeit der Seinsformen zwecktätig hervorbringt.“ Diese Teleologie verfährt

„rein summarisch, ohne auf das Besondere Rücksicht zu nehmen. In ihren theologischen und halbtheologischen Formen (zu den letzteren gehören auch die Pantheismen) bildet sie die am meisten verbreitete und populärste Form des finalen Weltbildes. Charakteristisch für sie ist, daß das Telos hier weder den Prozessen noch den Formgebilden immanent gedacht ist (nicht als ihr innerer Antrieb), sondern weit jenseits ihrer, „über“ ihnen, als transzendenter Zweck. Meist wird es als Endzweck verstanden, der von einer Weltvernunft gesetzt ist;  und dann ist es nur konsequent, wenn die letztere auch als lenkende Vorsehung das Ganze des Weltprozesses durchwaltet und über der Verwirklichung des Endzweckes wacht. Alle Autonomie und alle Selbständigkeit der Gebilde ist hier a limine aufgehoben. Das aber ist freilich und eine Konsequenz, die wir nur selten in klar ausgesprochener Form gezogen finden.“

Nicolai Hartmann, Teleologisches Denken, S.8

Unter Herrschaft von Sanders „All-Einheit, als Trägerin des Göttlichen“ wären wir Menschen nur einzelne, unbedeutende Bestandteile einer alles beherrschenden kosmischen Sinngefüges. Ohne jedes Eigenrecht hätten wir den all-einheitlichen Sinnvorgaben zu folgen. Solange das All und das Göttliche leider schweigen, bedeutet das, die Sinnvorgaben der Mitmenschen zu folgen, die sich berufen fühlen, den kosmischen Sinn der Sache richtig zu deuten und für alle Menschen verbindlich zu interpretieren.

Wer sich das klar macht, für den hat es geringen Reiz, die Natur den kosmischen Sinn-Interpretationen anderer Menschen zuliebe  zu schützen. Einen hohen Reiz hat aber die Vorstellung, nicht durch Vernichtung von Wildnissen und Lebensräumen den Ast abzusägen, auf dem man selbst mitsamt seinen Kindern und Kindeskindern sitzt.

Das ist ein pragmatischer Standpunkt. Pragmatismus war auch zu allen Zeiten ein Merkmal konservativen Denkens. Lassen wir es dabei.