Ja, wir Menschen dürfen zurecht stolz sein. “Krone der Schöpfung” – das hört sich gut an.

Der Erfolg ist uns nicht nur mal so eben zugefallen. Unser Stolz ist wohlverdient. Verdienter Stolz gründet auf eigener Leistung.

Wir schufen die Krone der Schöpfung. Darf ich vorstellen? Hier ist sie:

Krone der Schöpfung – edelste Hundewürde vom Scheitel bis zur Sohle

Gewiß, es gibt auch anderes grandioses Menschenwerk: den Kölner Dom, Beethovens Symphonien, Homers Ilias. Aber diese Krone ist etwas Lebendiges. Das unterscheidet den Hund kategorial von allen materiellen und ideellen Werken. Er ist unser Freund und Partner.

Seit ungefähr 25000 bis 35000 Jahren begleiten uns Hunde treu an unserer Seite. Menschen schufen sie durch ständige Zucht aus Wölfen. Sie vermögen sich mit ihren wilden Verwandten zwar noch zu paaren. Es gibt aber starke, im Genom verankerte Veränderungen. Diese betreffen das Verhältnis der Hunde zu uns Menschen. Es sind echte genetische Anpassungsleistungen.

Führt man experimentell einen Wolf zu mehreren umgestülpten Schüsseln, unter deren einer die Belohnung liegt, vermag der Wolf den menschlichen Fingerzeig nicht zu deuten. Unser Hund hingegen begreift den zeigend ausgestreckten Arm und geht zur richtigen Schüssel. Es gibt eine Reihe solcher Anpassungen an uns Menschen. Wir haben sie durch jahrtausendelange Zuchtwahl begünstigt und uns den Hund geschaffen – eine echte Schöpfung.

Wir haben doppelten Grund zur Freude, weil wir selbst allein hingekriegt haben, zu sein, was wir sind. Wir sind keine Schöpfung. Eine Schöpfung ist eine zielgerichtete Handlung. Die Tierzucht ist dafür ein genauso gutes Beispiel wie das Errichten eines Domes. Am Anfang steht ein Plan, eine Absicht, eine Vorstellung. In der Fachsprache der Philosophie nennt man es ein Telos, ein Ziel, einen Zweck. Teleologie bedeutet, das Ziel in Gedanken vorwegzunehmen, um dann die Ursachen zu setzen, mit denen es erreicht werden kann. Es gibt Hunde, weil wir Hunde haben wollten. Den Hund zu züchten war eine finale, also auf ein Ziel gerichtete Handlung.

Menschen hingegen entstanden aus nur kausalem Geschehen. Wir Menschen sind weder vom Himmel gefallen, wie wir heute sind, noch wurden wir gezüchtet. Wir haben uns ganz von selbst vermehrt, ohne Plan und Ziel. Auch ohne Zuchtziel haben wir uns ständig verändert und angepaßt. Als unsere noch nicht menschlichen Primatenvorfahren einst von den Bäumen kletterten, trugen sie helle Haut unter ihrem Fell, genauso wie Schimpansen. Im offenen Grasland wurde es unter dem Fell zu heiß, wenn man einer Beute lange hinterherläuft. So warf man es ab, legte sich Schweißdrüsen zu und eine dunkel pigmentierte Haut gegen die Sonnenstrahlung.

Als Menschen Afrika nordwärts verließen, froren und in Tierpelze hüllten, bot wieder helle Haut einen Selektionsvorteil, weil der Körper dann besser Vitamin B bilden kann. Aus dem schwarzen Mann wurde ein weißer Mann. Von einer Schöpfung war dabei weit und breit nichts zu sehen: kein Schöpfer, kein Plan, kein Ziel. Blind waltete der Zufall. Wer optimal angepaßt war, überlebte und erzeugte die nächste Generation.

“Behaart und mit böser Visage” – Rekonstruktionsplastiken früherer Menschen stehen immer im Blickpunkt unserer Neugier (BBC-News 18.12.2019).

Wir haben uns nicht erst weiter fortlaufend verändert seit jenen kalten Zeiten, in denen wir mit Hunden zusammenleben. Schon die Jahrhunderttausende davor hatten ein vielfältiges Bild haariger Lucys gesehen, Ötzis und wie auch immer die Medienwelt ihre Überreste heute nennt. Die meisten hatten anscheinend noch O-Beine, viele Haare, eine fliehende Stirn und vermutlich miserable Tischmanieren. Wer den heute wunderbar rekonstruierten Physiognomien von Vor- und Frühmenschen in die Augen sieht, würde nicht ohne heimliches Kichern von einer Krone der Schöpfung sprechen. Er wird eher witzeln:

Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur dreißigsten Etage.

Erich Kästner

Immerhin aber haben wir die Krone der Schöpfung geschaffen, trotz Haaren und oft böser Visage.

Es entwertet uns dabei nicht, daß wir nicht selbst geschaffen wurden, und unseren Hund nicht, daß wir ihn schufen. Er ist unser Geschöpf, nicht unser Mitgeschöpf, denn:

Der Mensch ist Schöpfer, nicht Geschöpf.