Was die Etablierten von der AfD trennt
In der letzten Woche mutierte die AfD ein weiteres Mal. Selbst hat sie sich freilich nicht geändert. Genau genommen wurden wieder einmal die medialen Etiketten ausgetauscht, die ihr die anderen Parteien nebst ihren Medien aufgeklebt haben.
Erst war sie rechtspopulistisch. Fast über Nacht wurde sie rechtsextremistisch. Die ersten Nazi-Etiketten werden schon im linken Publikum herumgereicht. Bald darf jeder sie aufkleben. Wie immer geben politische Machthaber neue Propagandaphrasen und Losungen aus, und flugs schwenken die Staatsmedien und Zeitungen darauf ein. Viele dieser Tageszeitungen gehören zum SPD-Medienimperium.
„Durch Sprachregelungen und ihre Verbreitung, durch den Kampf um den Sieg der eigenen Sprachrgelung, damit der eigenen Ideologie, erweist sich, wer im Herrschaftsprozeß die Macht hat, seine eigenen Sprachregelungen durchzusetzen.[1]“[2]
Christiane HUBO, Verfassungsschutz des Staates durch geistig-politische Auseinandersetzung, Ein Beitrag zum Handeln des Staates gegen Rechts, Göttingen 1998, S.114.
Je härter die AfD der etablierten Classe politique auf die Pelle rückt, desto schriller und hysterischer werden die Angstschreie. Man weiß: Es geht letztlich um die Verteilung staatlicher Mandate und Subventionstöpfe, von denen viele gut und bisher sorgenfrei leben. Mit der Sorglosigkeit ist es vorbei.
Die Neuetikettierung wirkt. Landläufige Ansichten zum Beispiel in abendlichen Diskussionsrunden mit Höreranrufen auf NDR-Info sprechen für sich. Ein Teil des Publikums hat sich allen Ernstes den medial verbreiteten Bären aufbinden lassen, die AfD sei eine Art neuer Nazi-Partei. Man dürfe sogar Björn Höcke „gerichtsfest“ als Faschisten bezeichnen, tönt es immer wieder triumphierend.
Anscheinend wissen selbst Journalisten nicht, daß man meinen darf, was immer man möchte (siehe im einzelnen hier). Ich dürfte auch Merkel als Kommunistin und einen Erzbischof als teuflisch bezeichnen. Darum hatte das Verwaltungsgericht Meiningen[3] der Klage eines Veranstalters gegen eine versammlungsrechtliche Verfügung zurecht stattgegeben. Die Behörde hatte ein Transparent verbieten wollen: “Protest gegen die rassistische AfD insbesondere gegen den Faschisten Höcke”. Der Staat darf aber die Meinungsfreiheit nicht beschränken.
Politologie oder Verfassungsrecht?
Die Medien und politische Akteure arbeiten mit begrifflichen Taschenspielertricks. Jedem Juristen sind diese bestens vertraut. Er durchschaut sie sofort. Das durchschnittliche Publikum durchschaut den täglichen Etikettenschwindel nicht.
Es weiß nicht, daß das Verfassungsrecht ein völlig anderes Begriffsinventar hat als die Politologie. Die Verfassungsfeindlichkeit einer Partei ist eine Rechtsfrage. Nur das Gesetz kann sie beantworten. Einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts folgend regeln die Verfassungsschutzgesetze ganz klar: Es sind „Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.” Dieser Abs.2 lautet:
Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen:
a) das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,
b) die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,
c) das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,
d) die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,
e) die Unabhängigkeit der Gerichte,
f) der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und
g) die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.
§ 4 Abs. 2 BVerfSchG
Völlig anders definiert die Politologie, was ein Extremist sein soll. Sie nennt drei Merkmale: Er erhebe erstens den Wahrheitsanspruch, mit seiner Doktrin die einzig wahre Weltsicht gefunden zu haben. Darum kämpfe er zweitens mit besonderem Rigorismus gegen andere Interessen, Lebensformen und Wertvorstellungen. Weil Freund-Feind-Denken und Haß die Hauptantriebskräfte extremistischer Politik seien, seien sie heterophob und wollten demokratischen Pluralismus nicht akzeptieren.[4] Dem kann man durchaus zustimmen.
Es muß darum nicht jeder Extremist ein Verfassungsfeind und nicht jeder Verfassungsfeind ein Extremist sein. Jemand könnte sich beispielsweise für die Wiedereinführung einer konstitutionellen Monarchie in Deutschland (wie heute noch in England) einsetzen und wäre damit eindeutig Verfassungsfeind, ohne ein einziges Merkmal des Extremismus zu erfüllen. Auf der anderen Seite läßt sich nicht leugnen, daß ein großer Teil des politischen Establishments eindeutig extremistisch ist. Er erhebt nämlich (gegenüber der Rechten) einen Alleinvertretungsanspruch auf „die Wahrheit“ und wendet sich rigoros gegen abweichende Lebensvorstellungen, wobei er die demokratische Rechte nicht innerhalb des Pluralismus akzeptiert.
Den Taschenspielertrick wendet beispielsweise ein Verfassungsschutz an, wenn er eine Gruppierung als verfassungsfeindlich bezeichnet, ohne dabei auf die gesetzlichen Merkmale der Verfassungsfeindlichkeit einzugehen, und politologische Ansichten an deren Stelle setzt. Diese Ansichten werden diesem Amt gewöhnlich vorgegeben durch parteiangehörige Minister und können sich jederzeit ändern. Man braucht dazu nur einen Behördenleiter des Verfassungsschutzes durch einen willfährigeren zu ersetzen.
Auf dem Weg in den Bekenntnisstaat
Die AfD ist weder eine Partei von Feinden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, noch ist sie extremistisch. Sie ist in Wahrheit noch viel gefährlicher für die herrschende politische Klasse, doch aus einem ganz anderem Grund.
Diesen Grund spüren die Etablierten sehr genau. Die AfD spürt sie auch. Man spricht aber selten offen darüber. Die Etablierten wollen sich nicht lächerlich machen und die AfD nicht verdächtig. Der tiefste Grund lautet:
Die AfD verweigert das Glaubensbekenntnis, auf dem der Anspruch der Etablierten auf Macht und Herrschaft beruht. Sie hat nämlich ihr eigenes, unausgesprochenes Glaubensbekenntnis. Es lautet:
Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben,
an deines Volkes Auferstehn,
Laß diesen Glauben dir nie rauben,
trotz allem, allem, was geschehn.
Und handeln sollst du so als hinge
von dir und deinem Tun allein
das Schicksal ab der deutschen Dinge,
und die Verantwortung wär dein!
Die AfD verkörpert jenes “heimliche Deutschland”, über das diejenigen nicht sprechen müssen, die es im Herzen tragen und das seine Feinde sowieso nicht verstehen.
Die etablierten Parteien haben dagegen nicht nur den Glauben an Deutschland aufgegeben. Sie definieren sich selbst geradezu ex negativo zu der Vorstellung, die sie befällt, wenn sie nur das Wort hören.
Wer sein Vaterland liebt, den überläuft vielleicht ein heiliges Schaudern beim Singen des Deutschlandliedes. Die etablierten Parteien schaudert es auch, wenn sie an Deutschland denken, aber nicht heilig. Für sie ist alles teuflisch, was früher war. Und weil sie Engel sein möchten, bekennen sie sich Punkt für Punkt zum spiegelbildlichen Gegenteil. Denken sie „Deutschland“, assoziieren sie nur „Verbrechen“. Von der „Einbindung“ der Bundesrepublik in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bis zur multikulturellen Gesellschaft ist ihr Handeln nur erklärlich als ewig währender ritueller Versuch, ihrem Schicksal zu entkommen, Deutsche zu sein, und vor allem: Nachkommen von Deutschen. Von jenen Deutschen, damals, Sie wissen schon.
Mit Nation, Volk, Deutschland hat Merkel nichts am Hut. Wenn ein CDU-Generalsekretär Gröhe zum Sieg bei der Bundestagswahl 2013 ein winziges Deutschlandfähnchen winkt, reißt sie es ihm angewidert aus der Hand. Wenn es in Deutschland Menschen gibt, die auf Zustrom von Flüchtlingen nicht nur ein freundliches Gesicht zeigen, dann sei das nicht mehr „mein Land“ (15. September 2015). Zu Deutschland gehören laut Merkel übrigens nicht Deutsche, sondern „diejenigen, die schon immer hier leben, und diejenigen, die neu hinzugekommen sind“. Wahrscheinlich bricht hier ihre internationalistisch ausgerichtete DDR-Prägung durch.
Josef Kraus, Ohne Merkel gäbe es keine AfD
Darum kann Merkel ohne Probleme dasselbe Glaubensbekenntnis ablegen wie Ramelow. Die Mitglieder der AfD können und wollen es nicht. Sie weigern sich hartnäckig, sich selbst „ex negativo“ zu definieren. Das steckt hinter dem Streitpunkt der „geschichtspolitischen Wende“. Im Drama „Wilhelm Tell“ ließ der Statthalter Geßler seinen Hut auf eine Stange hängen und gebot bei Strafe jedem Schweizer, dem Hut zu huldigen und ihn zu grüßen wie ihn, den Geßler, selbst.
Die Schweizer verweigerten den Gruß des Geßlerhutes. Solche Symbole dienen der immerwährenden Demütigung eines Volkes. Wer sich nicht demütigen läßt und das Glaubensbekenntnis verweigert, wird von den Etablierten zum Feind erklärt, als Verbrecher mit verwerflicher Gesinnung, mit dem es keine friedliche Verständigungsmöglichkeit geben darf.
Ihre Macht beruht darauf, daß ihre moralische Deutungshoheit allgemein anerkannt wird. Wer diese Macht infrage stellt und nicht das Knie beugt, wird, notfalls mit allen Mitteln, vernichtet. Ihre Macht ist groß. Dagegen schworen sich die Schweizer:
Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
in keiner Not uns trennen und Gefahr.
Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,
eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.
Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen!
Friedrich Schiller
So viel Bekenntnisse auf beiden Seiten – das birgt Konfliktpotential. Die Konfliktlinien kann man erkennen, wenn man die Lage richtig analysiert. Niemand in der politischen Klasse ist so dumm, zu meinen, die AfD sei eine Nazipartei und wolle die freiheitliche demokratische Grundordnung abschaffen. Was „extremistisch“ ist, definieren sie nach Lust und Laune selbst. Aber daß ein tiefer mentaler Graben sie von der AfD trennt und daß diese die Grundlagen ihrer angemaßten Definitionsmacht in Frage stellt, das merken sie instinktiv.
Ihre Reflexe sind aus Angst und Haß geboren.
[1] Ausführlich hierzu Theodor Leuenberger, Geschichte als Sprachkampf, in: Gerd-Klaus Kaltenbrunner (Hrg.), Sprache und Herrschaft. Die umfunktionierten Wörter, München 1975, S.44-54 (44).
[2] Christiane Hubo, Verfassungsschutz des Staates durch geistig-politische Auseinandersetzung, Ein Beitrag zum Handeln des Staates gegen Rechts, Göttingen 1998, S.114
[3] Verwaltungsgericht Meiningen, Beschluß vom 26. September 2019 – 2 E 1194/19 Me –
[4] Bergsdorf, in: Backes, Uwe und Eckhard Jesse (Hrg.), Gefährdungen der Freiheit, Extremistische Ideologien im Vergleich, Göttingen 2006, S.182.
Ines Bernhardt
Nur die Thüringerinnen und Thüringer werden nicht für wichtig genommen.