Nationale Solidarität ist das Gebot der Stunde

In der Not ist sich bekanntlich jeder selbst der Nächste. In meiner Studentenzeit erschollen des öfteren in der Kölner Universität rhythmische Sprechchöre kommunistischer Studentengruppen: „Hoch – die – internationale – Solidarität!“

Von internationaler Solidarität sehe ich weltwelt nichts. Ich sehe auch in Deutschland keine Anzeichen dafür, daß unsere Regierung sich nicht um uns sorgte, sondern um Infizierte aus anderen Ländern. In Venezuela etwa gäbe es viel zu helfen. Dieses Land hat seine sozialistische Regierung so abgewirtschaftet, daß die gesundheitsversorgung schon vor Corona vor dem Zusammenbruch stand. Landesweit gibt es dort 100 Intensivbetten mit Beatmungsgeräten.

Alles kommunistische Wortgeklingel von internationaler Solidarität dient nur der eigenen Ideologie
(UZ 21.2.2019)

Niemand hilft, natürlich nicht. Wenn alle in Not sind, bildet die Nation den Rahmen, in dem Solidarität sich entfaltet und außerhalb dessen sie endet. Plötzlich reden in Deutschland alle von Solidarität. Was verstehen Liberale unter dem Begriff? Der wirtschaftsliberale CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz beschimpfte noch vor ein paar Wochen die Anhänger der Oppositionspartei AfD als „Gesindel“. Heute schreibt er auf Twitter:

„Die Corona-Krise stellt uns vor eine der größten Herausforderungen in der Geschichte unseres Landes. Es ist wichtig zu verstehen, warum es jetzt auf die Solidarität aller ankommt.“

Solidarität aller, wirklich aller? Bittet Herr Merz heute auch um die Solidarität derer, die er als Gesindel beschimpft hatte? Eine Erfolgsvoraussetzung für Politiker scheint zu sein, jederzeit bereit zu sein, die passende Gesinnung nach außen zu kehren. Schon Konrad Adenauer hatte sinniert: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“

Und was verstehen Kommunisten unter dem schönen Kampfbegriff Solidarität? Einem Witz zufolge kommt die Ehefrau aus dem Urlaub und findet den Papagei tot im Käfig. „Ich habe dir doch gesagt,“, schimpft sie mit ihrem Mann, „du sollst an ihn denken! Und, hast du ihn gefüttert?“ – „Nein.“ – Hast Du ihm Wasser gegeben?“ – „Auch nicht.“ – „Ja, was hast du denn gemacht?“

„An ihn gedacht,“ gesteht verlegen der Ehemann. So dachten häufig in „internationaler Solidarität“ deutsche Kommunisten an Venezuela. Bestimmt denken sie heute auch manchmal und wenden das Wort Solidarität verlegen im Mund hin und her. Sie begreifen nicht, daß die Nagelprobe für jede Solidaritätsparole erst in wirklicher Not ansteht. Und in solcher Not hilft sich erst einmal jeder selbst und dann den Seinen.

Solidarisches Handeln beginnt in der Familie, in der sich einer notfalls für den anderen aufzuopfern bereit ist. Nationale Solidarität stellt sich die Nation wie eine große Familie vor und überträgt die fürsorglichen Gefühle in einen größeren, kollektiv handlungsfähigen Rahmen. Für die Familie und unsere Nation als Bezugspunkt unserer Hilfsbereitschaft in höchster Not gibt es keinen Ersatz.

Die funktionsfähigen Solidargemeinschaften sind Familie und Volk

Auf die­se bestehenden Solidargemeinschaften muß und kann allein sich so­zia­les Han­deln ausrichten. Andere Solidargemeinschaften wie religiöse haben sich historisch nicht als dauerhaft und darum als ungeeignet erwiesen.[1] Solidarität erfordert differenzierendes Denken in Kategorien menschlicher Ungleichheit, denn die Solidargemeinschaft ist, nach den Worten des Kölner Verfassungsrechtlers Otto Depenheuer,

„wesentlich und legitimerweise Abstammungs­gemeinschaft, insoweit sie diejenigen ausgrenzt, die außerhalb der Gemeinschaft stehen, weil sie an deren Gemeinsamkeit nicht teilhaben: die Angehörigen einer Solidargemeinschaft stehen sich einander näher als den Menschen im übrigen, d.h., sie sind im Verhältnis zueinander gleicher als im Verhältnis zu anderen.“[2]

Otto Depenheuer, Solidarität im Verfassungsstaat, 2.Aufl. 2016, S.309 f.

Eine typisch juristische Vorstellung besteht darin, eine rechtliche Verpflichtung als unsichtbares Band zu symbolisieren, das einen Menschen mit einem anderen verbindet. So kann man sich vorstellen, daß die realen Angehörigen eines Volkes durch ihr tägliches Handeln eine Art Bund unter sich aufrechterhalten, der wie ein ideelles Band alle Einzelnen miteinander verbindet, berechtigt und verpflichtet.

Überall auf der Welt gab es diese Solidargemeinschaften bereits vor der Geburt jedes heute Lebenden. Man wird in eine Abstammungsgemeinschaft hineingeboren. Niemand kann sich frei aussuchen, mit welchen anderen Menschen er sich staatlich organisieren und ihnen solidarisch sein soll. Eltern und Vorfahren sind bereits da, bevor das Kind in die unkündbare Solidargemeinschaft hineingeboren wird.

„Die Unkündbarkeit des Bundesschlusses verbindet viele Generationen miteinander. Die bündische Gemeinschaft verfügt dadurch über Vergangenheit und Zukunft und ermöglicht dadurch die Statuierung einer Verantwortung des Einzelnen vor der Nachwelt.“[3]

Depenheuer (2016), S.313 f.

Die Gemeinschaft miteinander solidarischer und untereinander verpflichteter Menschen ist der einzige rechtfertigende Anlaß für den Einzelnen, gegebenenfalls für andere Menschen große Opfer zu bringen. Das gilt auch für Menschen, die er gar nicht persönlich kennt. Warum akzeptiert ein egoistischer Einzelner, den Ertrag seiner Hände Arbeit durch staatliche Umverteilung zu Bedürftigen wandern zu lassen, die nicht arbeiten? Auf rein persönlicher Ebene wecken die Gefühle der familiären Liebe und Fürsorge solche Bereitschaft. Auf überpersönlicher Ebene kann man sich den Staat als Solidargemeinschaft wie eine große Familie denken. Er institutionalisiert und regelt die Hilfsbereitschaft und Fürsorge in analoger Weise.

Wir akzeptieren das, wenn wir den Gedanken familiärer Solidarität auf unser ganzes Volk übertragen. Sie besagt, daß jeder für den anderen, notfalls mit seinem Leben, einzustehen hat. Diese anderen gelten ihm als seine Angehörigen im weitesten Sinne, mit denen er sich emotional verbunden fühlt aufgrund gleicher Abstammung, gleicher Geschichte und gleichen Schicksals. Der Staat kann nicht sinnvoll nur als unpersönliche Verteilungsanstalt materieller Güter verstanden werden, sonst würde er keine Opferbereitschaft wecken. Er muß darum

„als personenbezogenes Gebilde gedacht werden, dessen Substrat nur das Volk sein kann. Tatsächlich liegt im Begriff des Volkes der Schlüssel zur Beantwortung der Frage nach dem materiellen Grund der staatsbürgerlichen Solidarität. Diese findet ihre Grundlage  in der substantiell durch Volkszugehörigkeit, rechtlich durch Staatsangehörigkeit vermittelten Gemeinsamkeit der Staatsbürger.“[4]

Depenheuer (2016), S.324.

Die Solidarität der Mitglieder einer solchen Solidargemeinschaft untereinander erfordert ein Denken in Gleichheits- und Ungleichheitskategorien. Untereinander gelten sie als gleich. Wer nicht dazu gehört, ist Ausländer und damit ungleich. Ihm wird nicht das Maß an Solidarität geschuldet, das einem Inländer zukommt. Schließlich ist er auch seinerseits nicht verpflichtet, notfalls mit seiner ganzen Existenz für einen Staat einzustehen, der für ihn Ausland ist. Es existieren kein Weltstaat und keine globale Solidargemeinschaft. Für radikal kosmopolitisches Denken ist das schrecklich. Es möchte von der Ebene des Individuums die des Staates überspringen und unmittelbare Solidaritätspflichten zwischen allen Menschen begründen.

Kosmopolitisches Denken kann dabei die Frage nicht beantworten, warum ich mich jemandem gegenüber solidarisch fühlen und Opfer bringen soll, der mir nicht angehört und den ich nicht liebe, vielleicht aufgrund seines Verhaltens, seiner Kultur und anderer Eigenheiten auch gar nicht lieben möchte. Wenn ich mich mit jemandem schlechterdings nicht identifizieren kann, mag ich mich auch nicht für ihn aufzuopfern. Je ferner er mir steht, je weniger er mir und den Meinen ähnelt, desto weniger fühle ich mich ihm solidarisch. Ich empfinde zwischen ihm und mir keine substanzielle Gleichheit.

„Die staatsbürgerliche Solidarität, d.h. die Identifikation mit der Nation über alle sonstigen Unterschiede und Gegensätze hinweg, ist fundiert durch die unverfügbare  Zugehörigkeit zu einer konkreten Volksgemeinschaft. Der Begriff des Volkes im substantiellen Sinne vermag jene Basis substantieller Gleichheit  der Staatsbürger zur Sprache zu bringen. Im Zentrum des substantiellen Volksbegriffs steht das Volk als ethnische oder kulturelle Größe.
In ihm gründet die politische Einheit des Volkes. Dieser Nationenbegriff ist objektiv: er garantiert die nationale Identität, ohne sie von subjektiven Willensbekundungen  bestimmen zu lassen.“[5]

Depenheuer (2016), S.333.

Kosmopolitisches Denken übersieht aber auch, daß die verschiedenen Solidargemeinschaften nicht nur den Zweck haben, im Sozialleben untereinander solidarisch zu sein. Sie haben auch die Funktion, die Art und Weise des Zusammenlebens gegenüber Bedrohungen von außen zu garantieren. Diese droht potentiell aus Ländern, die im Innern ebenfalls Solidargemeinschaften bilden, aber völlig andere Vorstellungen von gutem Zusammenleben haben. So kann man die Solidargemeinschaft unseres Staates auch betrachten als staatliche Gemeinschaft derjenigen, die in einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung und nicht in einem islamischen Kalifat oder einer asiatischen Autokratie leben wollen.

„Denn jede Gemeinschaft muß eine Grenze zur sozialen Umwelt setzen, sonst kann sie keine kraftspendende Identität gewinnen.“[6]

Udo Di Fabio , Die Kultur der Freiheit, 2005, S.103.

Lesen Sie am 6. April 2020 weiter in der Neuerscheinung:

Ab der Zwischenüberschrift “ Die funktionsfähigen Solidargemeinschaften sind Familie und Volk“ ist dieser Blogbeitrag der Neuerscheinung entnommen.

[1] Udo Di Fabio, Die Kultur der Freiheit (2005) S.186.

[2] Depenheuer (2016) S.309 f.

[3] Depenheuer (2016), S.313 f.

[4] Depenheuer (2016), S.324.

[5] Depenheuer (2016), S.333.

[6] Di Fabio (2005) S.103.