Spiel der Geschlechter und Zwist der Dogmatiker

Das Menschenbild: Nukleus aller politischen Theorie

Am Menschenbild scheiden sich alle politischen Geister. Realisten nehmen die Menschen achselzuckend, wie sie eben sind. Idealisten denken sich dagegen gern einen „Menschen an sich“ aus und schreiben ihm alle Eigenschaften zu, die ihr Ideal erfordert.

So war „der Mensch“ in moralischen Epochen „edel hilfreich und gut“, in religiösen Zeiten ein Sünder und mutierte in der demokratischen Epoche zum selbstbestimmten Bürger. Immer waren es Herrschaftsideologien, die irgendwelche ihnen passende Merkmale „des Menschen an sich“ behauptet haben, um mit politischen Verhaltensanweisungen anzuknüpfen.

Das Menschenbild ist das heißest umkämpfte politische Terrain unserer Zeit. Wer sich hier nicht argumentativ rüstet, wird in jeder Auseinandersetzung auf der Strecke bleiben. Nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht knüpft in detaillierter Rechtsprechung an eine liberale Ideenwelt an, derzufolge die staatliche Gemeinschaft um des Menschen willen da ist und nicht umgekehrt. Wer in diesem Punkt zum Beispiel Rechte der Einzelperson dem Erhalt unseres Volkes unterordnet, den erklärt es zum Verfassungsfeind.[1]

Ganze politische Theorien stehen oder fallen mit der Richtigkeit ihres Bildes vom Menschen. Heute stehen sich im wesentlichen zwei Grundhypothesen antagonistisch gegenüber: die sozialkonstruktivistische und sozialanthropologische. Ihre radikalen Vertreter behaupten auf der einen Seite der geistigen Frontlinie: alle menschlichen und gesellschaftlichen Phänomene sind bloße Konstrukte, die wir jederzeit auch ganz anders konstruieren könnten. Die andere Seite beharrt auf biologischen Fakten, die solcher Konstruierbarkeit Grenzen setzen.

Sind Alphamänner böse?

 In vorderster Linie macht sich Deutschlandradio-Kultur über den „Aufstand der Alpha-Männer“ lustig, die aus seiner Sicht die falsche, naturwissenschaftliche Perspektive einnehmen. Redakteurin Simone Miller zufolge „polemisieren (sie) in den USA und Deutschland mit kruden Thesen gegen ein liberales Menschenbild,“ denn sie lehnen

die Auffassung ab, daß gesellschaftliche Verhältnisse und geschlechtliche Identitäten in hohem Maße sozial konstruiert sind, und führten dagegen vermeintlich unveränderliche genetische Dispositionen ins Feld.

Simone Müller, Aufstand der Alphamänner, DLF Kultur 15.11.2020

Dabei macht sich DLF Kultur lustig über Kritiker des Genderismus wie den in Kassel lehrenden Evolutionsbiologen Prof. Ulrich Kutschera, der angeblich dem essentialistischen Fehlschluß unterliege, aus einer substanzhaften Vorstellung der Geschlechterverschiedenheit politische Folgerungen abzuleiten. Ein alter Hut: Aus einem biologischen Sein kann man natürlich kein philosophisches Sollen ableiten:

Auch in der be­gin­nen­den Aufklä­rung mühte sich die ab­strak­te Ver­­nunft ver­geb­lich ab, aus der mensch­lichen Natur moralische Gewiß­heiten zu ge­win­nen: Da­mals löste das Na­turrecht die Theologie ab und wurde zur herr­schen­den nor­­­­­ma­­ti­ven Lehre. Es kann sich alles Natur­recht nur mit einem Zir­kel­­schluß hal­ten, indem es aus einem angeblich „natürlichen“ Sein ein nor­mati­ves Sollen folgert. „Die Na­tur“ läßt sich aber weder für noch gegen nor­mative Prinzipien ausspielen. Wenn et­wa die Soziobiologie sie beobachtet, vermag sie zwar festzustellen, welche kausal wirkenden genetischen Pro­gramme die Tiere und uns Menschen beherrschen. Welche Prinzipien und Normen das menschliche Zusammenleben aber regeln sollen, kann uns die Beobachtung unse­res stammengeschichtlich gewordenen Seins niemals leh­ren. Nur ein falsch verstande­ner normativierender Biologismus fällt auf den natu­ralistischen Fehlschluß herein, man könne vom Istzustand der menschli­chen Natur auf ein Sollen unserer Ethik schließen.[2]

Klaus Kunze, Mut zur Freiheit, 1995, 2. Auf.1998, ISBN 3-933334-02-0, S.10 und andere.

Genau diesen Fehlschluß wirft die vom DLF interviewte Philosophin Rebekka Hufendiek Kritikern des Wissenschaftlern wie Kutschera oder dem Kanadier Jordan Peterson vor:

Wie ein männlicher Hummer zeitlebens unter dem Druck stehe, sich gegen Konkurrenten durchzusetzen, müßten auch junge Männer, an die sich Petersons Ratschläge vorzugsweise richten, ihrer biologischen Bestimmung folgen und alles daran setzen, ihre Position in der Hierarchie zu erringen, von der jede menschliche Gesellschaft nun mal geprägt sei – und zwar von Natur aus, infolge der viele Millionen Jahre zurück reichenden Evolution des Menschen.

Mit Thesen dieser Art sei Peterson zum prominenten Vertreter einer Bewegung geworden, die extrem rückwärtsgewandte Ideen zur Ordnung der Gesellschaft und den Rollen der Geschlechter verbreite und sich dabei auf Evolutionsbiologie und -psychologie berufe, sagt die Philosophin und Wissenschaftstheoretikerin Rebekka Hufendiek von der Universität Bern.

Simone Miller, Aufstand der Alphamänner.

Der Fortschritt marschiert

Vorwärts gewandt ist dagegen die Interview-Partnerin des DLF Rebekka Hufendiek. Sie versucht sich zur Zeit als Philosophin zu habilitieren. Vehement kritisiert sie den Biologen Kutschera. Der leite „aus der Natur ab, wie Politik aussehen und nicht aussehen soll.“ Er stelle das der Gender-Ideologie gegenüber, „und das wirft er dann gern in einen Topf mit Totalitarismus und Kreationismus.“

Diese Art von Argumentation, daß man selber die wissenschaftlichen Fakten für sich gepachtet hat und alle anderen menschenfeindliche Ideologien vertreten, das ist etwas, was kennzeichnend für rechtspopulistische Dskurse unserer Zeit ist.

Rebekka Hufendiek, DLF Kultur 15.11.2020

Kutschera habe schwerpunktmäßig nur zu Pflanzenphysiologie publiziert habe, nicht aber, rümpft sie die Nase, zur menschlichen Evolutionsbiologie. Gleichwohl habe er ein populärwissenschaftliches Buch ‚Das Gender-Paradoxon‘ herausgebracht. Bei sich selbst ist sie da großzügiger und hält anscheinend böse menschliche Eigenschaften prinzipiell für gesellschaftlich bedingt und modellierbar:

Ein […], auch prominentes Beispiel findet sich natürlich bei Marx, der zum Beispiel im ‚Kapital‘ davon spricht, daß wir im Kapitalismus das Gesetz der Akkumulation am Werke sehen, also der Anhäufung von Reichtum bei Wenigen und daß uns das mit der Zeit immer mehr als Naturgesetz erscheint.

Rebekka Hufendiek, DLF Kultur 15.11.2020

Indem Karl Marx genau zu wissen glaubte, wohin die Geschichte fortschreitet, findet er gläubige Anhänger bis heute. Sie alle bezeichnen sich als ‚fortschrittlich‘. Extrem rückwärts gewandt ist für den DLF dagegen eine Anthropologie, die auf unveränderbare biologische Eigenschaften verweist: Dominanzstreben, Aggression und viele andere. Aus sozialkonstruktivistischer Sicht ist das alles „populistisches“ Teufelszeug.

Nun habe ich als naturwissenschaftlicher Laie und regelmäßiger Hörer der Wissenschaftssendungen des DLF so viel gelernt, daß  man aus biologischen, genetischen Dispositionen durchaus politische Konsequenzen ziehen darf oder sogar muß: bei Hühnern zum Beispiel, deren Vorfahren im Unterholz lebten und die sich unter freiem Himmel unwohl fühlen. Glückliche Hühner müssen sein, aber wenn wir unseren Sozialingenieuren vorhalten, uns Menschen doch bitte nicht entgegen unserer Natur neu konstruieren, weil wir uns als gleichförmige Einheitsgender nicht wohl fühlen, sind wir „Populisten“.

So sicher es ist, daß man aus einem (biologischen) Sein kein (philosophisches) Sollen folgern kann, ist aber, daß politische Sollensforderungen mehr oder weniger möglich und legitim sind. Solange Frauen die Gleichberechtigung mit Argumenten aus Aristoteles Ideenwelt verweigert wurde, war es legitim, aus ihrem Sein ein politisches Sollen zu fordern: So klarer der Forschung die biologischen und psychischen Unterschiede der Geschlechter auch werden, rechtfertigen sie keine Ungleichheit vor dem Recht.

Das Spiel der Geschlechter ruht auf biologischen Grundlagen und richtet sich nach kulturell wechselnden Moden (Codex Manesse um 1300-1349, Uni Heidelberg)

Konstruktivistische Abwehrreflexe

Auf der anderen Seite ist die angebliche (naturwissenschaftliche) Gleichheit aller Menschen ein ideologisches Konstrukt, das von seinen Anhängern erbittert verteidigt wird. Jede empirische Unterschiedlichkeit wird da gern verdrängt. Da gibt selbst die werdende Philosophie-Professorin zu:

Ja, es gibt eine reflexhafte Ablehnung gegenüber empirischer Wissenschaft, die sich darum bemüht, Ungleichheiten im Verhalten und in den kognitiven Fähigkeiten zwischen sozialen Gruppen von Rasse, Klasse oder Geschlecht nachzuweisen.

Rebekka Hufendiek, DLF Kultur 15.11.2020

Sag ich doch, Recht hat sie da. Je extremer Sozialwissenschaftler sich neulinks positionieren, desto rigider lehnen sie jede naturwissenschaftliche Überprüfung ihrer ideologischen Konstrukte ab. Sie entsprechen in ihrer dogmatischen Verbohrtheit scholastischen Gelehrten, die unter Berufung auf Aristoteles an eine feststehende „Natur der Frau“ glaubten:

Das Mittelalter glaubte im allgemeinen an Autoritäten und vertraute nicht so sehr dem eigenen Urteil oder guten Argumenten. In höchstem Ansehen als Autorität stand Aristoteles. Dieser hatte die griechische Vierelementenlehre vertreten. Es gebe vier Grundelemente: Luft und Feuer, Erde und Wasser. Die beiden ersten stünden höher. Sie seien aktiver und entsprächen dem Mann, der darum überlegen sei, die niedrigen Elemente Erde und Wasser aber der Frau, die ein passives Wesen habe. Daraus baute Wilhelm von Colches (um 1080/90 bis nach 1154) eine Lehre von der unvollkommenen Elementenmischung im Leib der Frau zusammen. Mit Vorurteilen über die „feuchte und kalte Natur der Frauen“ schlugen gebildete Frauen sich noch im 18. Jahrhundert herum, wie wir hier noch lesen werden.

Klaus Kunze, Das ewig Weibliche, 2019, ISBN 978-3-938176-71-9, 2019, S.65

Dogmatische Vorstellungen vom „Menschen an sich“ ließen noch nie Kompromisse zu. Jeder ideologische Wunsch, wie „der Mensch“ idealiter zu sein habe, verbaut die Sicht auf die Realität. An ihr aber muß alles politische Handeln anknüpfen, das wirklichen Menschen und nicht fixen Ideen vom Menschen an sich dienen soll.


[1] BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20-369, Rn. 635, Klaus Kunze, Die solidarische Nation, 2020, ISBN 9783938176856, S.112 f. https://lindenbaum-verlag.de/produkt/die-solidarische-nation/

[2] Eckart Voland, Grundriß der Soziobiologie, Stuttgart 1993, S.19 f.

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  1. Menschenbilder
    Ein (ideologisches)Menschenbild setzt sich aus drei Komponenten
    zusammen, a) indikativischen Aussagen, wie der Mensch ist, auch
    in seiner Differenzierung von Mann und Frau, b)imperativischen
    Aussagen, wie er in seiner Differenzierung von Mann und Frau
    sein soll und c) optativischer Aussagen, wie er doch sein möge.
    Problematisch an den Menschenbildern ist in der Regel, daß diese
    drei verschiedenen Aussagen konfundiert werden zu einem Bild,
    das so erst zu dekonstruieren ist, damit mit ihnen gearbeitet werden
    kann, das im Wissen darum, wie er ist, er wozu sich zu entwickeln
    hat (Moral) und welche Entwickelung wünschenswert ist. Ohne diese
    3 Momente ist Politik nicht sinnvoll denkbar und verkommt entweder
    zu einem bloßen Verwalten (wenn nur noch der Indikativ gesehen wird)
    oder zu einem utopistischen Rigorismus, (wenn nur noch die Imperative und
    Optative gesehen werden),wenn der Mensch nicht mehr gesehen wird, wie er ist.
    Der Mensch ist kein fixiertes Wesen, festgelegt (Nietzsche) und darum bedarf er auch des moralischen und des optativischen Diskurses.
    Uwe C. Lay

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