Moralisches Gängelband
Der Linksliberalismus möchte uns ans moralische Gängelband legen. Seine Ziele und Methoden sind extremistisch.
Von der Klimabewegung über Black-Lives-Matter bis hin zur den amtlichen Vorkämpfern der Seuchenbekämpfung argumentiert man vielfach nicht mehr politisch, sondern man kommt uns moralisch. Wenn nichts anderes mehr hilft, wird ein Gegner moralisch gebrandmarkt und mundtot gemacht.
Wir sollen uns ihnen und ihrer Ideologie unterwerfen, sollen uns demütigen und auf die Knie fallen vor den Monstranzen und Altären ihrer moralischen Herrschaftsmacht. Darum zelebrieren unsere Medien erst heute wieder das Foto eines verflossenen Bundeskanzlers, der vor einem Denkmal weiche Knie bekam und so in Demut verharrte. Aus Sicht der Moralisierer ist das die vorbildliche demütige Haltung, in die sie uns alle zwingen wollen. Nicht jeder mag das. In der englischen Fußballiga fand jetzt wieder ein Spiel mit Zuschauern statt, die buhten und pfiffen, als ihre Mannschaft vor dem Anpfiff in die Knie ging – bis auf einen, der mit geballter Faust stehen blieb.
Während englische Massenmedien wie The Mirror einseitig auf die Fans einschlugen und schwarze Spieler zum Spielerstreik aufriefen, waren die Reaktionen in den sozialen Medien deutlich differenzierter. Fans anderer Vereine äußerten ihre Unterstützung für die Millwall-Anhänger. Verbunden wurde das mit dem Hinweis, daß die Stadionbesucher die Nase voll hätten von den politischen Botschaften und der Vereinnahmung des Spiels.
Alexander Graf, Millwall-Fans pfeifen auf linke Identitätspolitik, Junge Freiheit 7.12.2020.
Die Moralisierer fallen weit hinter die Ideen der Aufklärung und die Grundregeln des demokratischen Verfassungsstaates zurück. In einem aufgeklärten und freiheitlichen Gemeinwesen kann und darf es keine Staatsreligion und keine allgemeinverbindliche Moral geben.
“Ich glaube gar nicht, daß man sich menschliche Gesellschaften vorstellen kann, die ohne Moral funktionieren. Der Punkt ist nur die Frage der Generalisierung der eigenen Moral. Moderne Gesellschaften sind eben nicht mehr durch eine einheitliche Moral integrierbar. Das unterscheidet sie auch von vormodernen Gesellschaften.“
Peter Strohschneider, Populismus, Moral und die liberale Demokratie, Deutschlandfunk 6.12.2020.
Moralischer Universalismus als Machtanspruch
Was Strohschneider als Generalisierung der persönlichen Moralvorstellungen bezeichnet, nennt man in der Philosophie einen “Universalismus”: den Machtanspruch, die eigene Moral solle für alle Menschen gelten und müsse überall durchgesetzt werden. Solche Universalismen hat es schon viele gegeben. Ihre fanatischen Anhänger gründen gern konkrete Macht- und Herrschaftsansprüche auf ihre Moral. Sie tarnen sich dabei als deren bescheidene Diener.
Mit den Grundbedingungen des demokratischen Verfassungsstaates ist eine solche Haltung unvereinbar. Zu ihnen gehört die Bereitschaft, sich einer demokratischen Mehrheitsentscheidung zu beugen, selbst wenn man sich in Besitz besserer Argumente zu wissen glaubt. Darum sieht die Politologie in Vertretern solcher universalistischer Moralansprüche Extremisten. Uwe Backes, inzwischen der Nestor der Extremismusforschung, arbeitete
nach einer Analyse des linken, rechten und religiösen Extremismus heraus: erstens den exklusiven Erkenntnisanspruch (Glaube an ein “höheres” Wissen), zweitens den dogmatischen Absolutheitsanspruch (Behauptung der unbezweifelbaren Richtigkeit eigener Positionen), drittens das essentialistische Deutungsmonopol (alleinige Erfassung des “wahren” Wesens der Dinge), viertens die holistischen Steuerungsabsichten (angestrebte ganzheitliche Kontrolle der Gesellschaft), fünftens das deterministische Geschichtsbild (Wissen um den vorgegebenen historischen Weg), sechstens die identitäre Gesellschaftskonzeption (Forderung nach politischer Homogenität der Gesellschaft), siebtens den dualistischen Rigorismus (Denken in kompromißlosen Gegensatzpaaren wie Gut-Böse) und achtens die fundamentale Verwerfung des Bestehenden.
Armin Pfahl-Traughber, Linksextremismus in Deutschland, 2.Aufl. 2020, S.18 f.
Nicht jeder Extremist erfüllt alle dieser Merkmale. Im zuletzt genannten Denken in kompromißlosen Gegensatzpaaren wie Gut-Böse besteht das Hauptmerkmal des dogmatischen Moralismus unserer Tage. Moral reduziert die miteinander oft unvereinbaren Forderungen der Ethik auf ein primitives Gut-Böse-Schema. Schon Sophokles wußte aber in seiner “Antigone” um den tragischen Konflikt, wenn man eine moralische Forderung nur erfüllen kann, indem man zugleich gegen eine andere verstößt.
Ethik und Moral muß jeder mit sich selbst und in sich selbst ausmachen. Der Weg von Ethikkommissionen über das moralische Verdammen allfälliger “Leugner” bis zur Vogelfreiheit moralischer Abweichler ist kurz. Wer sich den Gehorsamerwartungen der Moral nicht beugt, wird gemobbt, ausgegrenzt und macht sich so selbst zum Paria. Als Schande bezeichnet unsere Sprache ein Verhalten, daß ganz und gar gegen den herrschenden moralischen Kodex verstößt.
Der Trainer des gegnerischen Vereins, Wayne Rooney, als Spieler nicht gerade für Zimperlichkeiten bekannt, griff die Zuschauer wegen „schandhaften und gedankenlosen Verhaltens“ heftig an. Vielleicht hatten sich die Buh-Rufer bei ihrer moralisch autonomen Entscheidung allerdings mehr Gedanken gemacht als Rooney selbst.
Zu den Grundlagen unseres demokratischen Verfassungsstaates gehört jedenfalls die moralische Autonomie der Einzelperson. Wir sollten sie gegen jeden Machtanspruch verteidigen – schon aus Trotz. Das wäre der Trotz Martin Luthers, der sich vor Kaiser und Reich hinstellte, die Autonomie seines Gewissens beschwor und sinngemäß gesagt haben soll: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen!“ Er sagte das stehend. Die Knieenden sind dagegen schlechte Vorbilder.
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Felix
Sehr guter Referenzartikel.