Kommt der totale Corona-Staat?

Die neue Sehnsucht nach dem autoritären Staat

Sie wachen morgens auf, reiben sich erstaunt die Augen und leben in einem autoritären Staat. Wer hätte das gedacht? Minister und Ministerpräsidenten rufen: „Alles hört auf mein Kommando!“, und siehe da, die Damen und Herren Untertanen stehen stramm. Bei Straßenszenen, in denen dunkle Behelmte Passanten niederwerfen und fesseln, muß man dreimal hinschauen: Ist der Film aus Weißrußland oder Deutschland?

Dort kritisieren „Staatsfeinde“ den Präsidenten, hier tragen sie nicht die vorgeschriebenen Masken. Linke Publizistik hat der Rechten immer gern eine Sehnsucht nach einem „autoritären Staat“ vorgeworfen. Jetzt können die autoritativen Regierungsmaßnahmen den gleichen Leuten gar nicht weit genug gehen. Die politische Rechte steht ihnen dagegen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Welch wundersame Wendung der Dinge!

Ganz so wundersam ist das freilich nicht mehr vor dem Hintergrund eines einfachen sozialpsychologischen Mechanismus: In der Not haben Menschen Angst und lassen sich willig führen. Wer führen will, muß diese Angst lebendig halten. Dann sehnen furchtsame Rechte sich nach einem starken Staat, der sie beschützt, und furchtsame Linke nicht minder. Nur die Auslöser solcher Ängste sind verschieden. Rechte und Linke nehmen nämlich unterschiedliche Aspekte der Wirklichkeit als relevant wahr: Rechte vielleicht Ausländerkriminalität, Linke eher Viren.

Je nach Weltbild wünschen alle einen starken, beschützenden Staat, aber nicht denselben. Und sie benötigen ihn umso verzweifelter, je mehr ihre  jeweilige Angst vor der jeweils vorgestellten oder realen Gefahr wächst. Angst lähmt das Denken und erzeugt Gehorsamsbereitschaft. Für reale Not gilt das erst recht. Wenn Chaos auszubrechen droht, wird der Ruf nach Ruhe und Ordnung laut. Er gilt dem Staat, wem auch sonst? Die gesellschaftlichen Akteure untereinander mißtrauen und belauern sich. Keine will sich der anderen unterordnen. Da bietet sich ein über ihnen stehender neutraler Staat als ruhender Pol an.

In Not-, Bürgerkriegs- oder Chaoszeiten haben politische Theorien Konjunktur, die den Staat die Gesellschaft beherrschen lassen wollen. Nach dem französischen Wort für „Staat“ nennt man Etatismus die starke Betonung der Staatlichkeit vor gesellschaftlichen Kräften. Der Staat hatte nur scheinbar ausgedient in jenen geruhsamen Jahrzehnten spießbürgerlicher Bundesrepublikheit. Heute rufen Linke wie Rechte wieder nach einem starken, reglementierenden Verbotsstaat. Die einen wollen das Einwandern von Ausländern verbieten, die anderen überbieten sich in ökologischen Verbotsforderungen, aber immer ist es der Staat, der es richten soll. Das deutet auf eine grundlegende mentale Epochenwende hin. Es genügt vielen ängstlichen Menschen nicht mehr, nur auf eine „Gesellschaft“ zu setzen, deren Kräfte niemals allgemeine Gehorsamsbereitschaft erzeugen können. das kann nur ein Staat, wenn alle ihn sich als grundsätzlich neutrale Instanz vorstellt, die ausschließlich als Sachwalter des Wohles aller auftritt.

Die Trennung von Staat und Gesellschaft oder ihre Identität bildet die Gret­­­chen­frage der heu­tigen deutschen Staats- und Verfassungs­leh­re. Eine Tren­­nung ist zwar keine hinrei­chen­de, je­doch die not­wendige Vor­bedingung in­di­vi­du­eller Frei­heit.[1] Der absolutistische Staat hatte die ge­sell­schaftli­chen Kräfte auf dem Hö­he­punkt des hi­storischen Etatis­mus vor­überge­hend ge­bän­digt und sich als damals ad­äquate politi­sche Ein­heit der Neu­zeit etab­liert. Er ist aber von seinem Anbeginn an von den par­tiku­laren Kräften in Frage ge­stellt wor­den, die ihn schließ­lich zur Strecke brachten. So resi­gnierte Carl Schmitt: „Die Epoche der Staat­lich­keit geht jetzt zu Ende. Dar­über ist kein Wort mehr zu verlie­ren.“[2]

Heutiger offener oder verkappter Etatismus möchte direkt an das historische Modell des Ab­so­lutis­mus als Gegenmodell zur Vergesellschaftung des Staats anknüpfen. Wäh­rend die etatisti­schen Denker sich ei­nig in ihrer Ableh­nung sind, ist es nicht immer leicht, ein konkre­tes Bild von dem zu gewin­nen, was ih­nen statt des gegen­wärtigen Zu­standes vor­schwebt. Sicher ist aber: Das Ge­mein­we­sen soll in Rich­tung auf mehr Gemein­wohl­orien­tie­rung hin be­wegt wer­den. Diese er­hofft man sich von einem star­ken Staat als Sach­wal­ter des Allge­mei­nen gegen die Par­tikularinteressen; daher wer­den star­ke In­sti­tu­tio­nen für un­verzicht­bar gehalten, Trennung von Staat und Gesell­schaft so­wie ein staatsbür­gerli­ches Ethos, in dem „Disziplin, Dienen und Ein­ord­nen mit Tole­ranz, Be­schei­denheit und Sitt­lich­­keit ver­schmel­zen.“[3] Man erwartet „Solidarität“ und meint damit disziplinierte Gehorsamsbereitschaft.

Die absolute Republik

Der Etatist Hans Dietrich Sander hat 1992 beschrieben, wie er sich eine „politische Neuordnung“ vorstellt. Sie läuft auf einen autoritären Machtstaat hinaus, wie er zum Beispiel in Rußland schon fast Tradition hat, ganz unabhängig davon, ob der jeweilige Herrscher eine Krone oder Hammer und Sichel trägt oder sich bescheiden Präsident nennt:

„Wir erhalten eine Vorstellung von den Konturen der politi­schen Neu­­ord­­nung, wenn wir das Muster der absoluten Monar­chie, das in Preußen zur Voll­endung ge­langte, re­publi­kani­sieren. An die Stelle des Monarchen tritt in dieser absolu­ten Re­publik der Präsi­dent mit ei­ner ähnlich langen Amts­dauer, die nötig ist, um wieder eine Kontinui­tät zu be­grün­den. Der Präsident re­giert wie ein Mon­arch mit einem Kabi­nett von Fachministern, die er ernennt und entläßt. Diese Regie­rung ist so­wohl Exekutive wie Legislative, deren Tren­nung zu den Mythen der neueren Staatsrechts­lehre gehört. Sie ist Exekutive und Legis­la­tive im Dienst eines Ganzen, und nicht im Dienst eines Oli­go­pols oder eines Mo­no­pols. Die Fachminister stützen sich, nach dem ca­meralisti­schen System der abso­luten Monar­chie, auf freie Kam­mern, die von neu zu grün­den­den Berufs­verbän­den durch eine aus Er­nennung und Wahl gemischte Be­ru­fungs­pro­ze­dur be­schickt wer­den, die durchläs­sig sein muß für den Aufstieg von Be­ga­bun­gen, die nun einmal mei­stens sperri­ger Natur sind. Das allgemeine Wahl­recht wird auf die kommunale Ebene beschränkt, die der Wähler übersehen und beurtei­len kann, als den traditionel­len Bereich der Selbstver­wal­tung…“[4]

Hans Dietrich sander 1992

Auf den Einwand, wie denn der heutige Parteienfeudalismus in die absolu­te Re­pu­­blik trans­for­miert werden könne – die Parteien könnten ja viel­leicht etwas da­ge­­gen haben – verweisen Staatsabsolutisten auf den „von der Rechts­wis­sen­schaft ent­wickelten Be­griff der kom­missari­schen Dikta­tur“. Diese „ist von der Ge­schichte von ver­schie­de­nen po­li­tischen Organisati­ons­for­men mit Er­folg ange­wendet wor­den; zu­letzt sehr kurz­fristig, weil sehr wir­kungsvoll, auf dem Höhepunkt der fran­zö­­sischen Krise von 1959, als General de Gaulle die vierte durch die fünf­te Re­publik ersetzte.“[5] „Der erste Schritt der Remedur be­steht in einem Eliten­wech­sel, der einen Ori­en­tie­rungs­rutsch voraus­setzt, wie er die SED plötzlich heimsuchte. Der zweite Schritt be­steht in ei­nem Ab­bau der Europäisierung Deutschlands, der sich auf dem Weg von Bonn nach Ber­lin zu vollziehen hat. Der dritte Schritt be­steht in ei­nem Sy­stemwechsel durch Preu­ßifi­zie­rung. Gelingt die Re­­medur nicht im fah­renden Zug, er­zwingt sie der Crash.“[6] Damit meint San­­der den Zu­sammen­bruch der „von in­nen verfaulten Bundes­republik“ und pro­phezeit: „Sie kann von nichts mehr ge­halten werden und ver­dient es auch nicht.“[7]

Ein absoluter Staat wie von Sander propagiert eignet sich für uns zur Zeit nur als Denkmodell zur Erläuterung etatistischer Denkweise. Es geht über die bloße Trennung von Staat und Ge­sell­schaft weit hin­aus und stellt eine Kampfansage des Staates an die Gesell­schaft dar, ein Programm zu ihrer Do­mestikation und Beherr­schung. Er eig­net sich als ex­treme Gegenposition zum Partei­enstaat besonders zur exem­pla­ri­schen Er­klärung rein etatistischer Denk­weise. Gesellschaftliche Freiheitsrechte wären so stark eingeschränkt, daß ein solcher Staat nur zur Abwendung sonst drohenden Chaos mehrheitsfähig wäre.

Ein Staatsabsolutismus hat auch im rechten La­ger seine Kri­tiker. Lorenz von Stein fol­gend[8], sieht Reinhold Oberlercher in der „Verstaatlichung der Ge­sell­schaft keine verlockende Alterna­tive zur ge­gen­­wär­tigen Un­terwer­fung des Staates unter die Gesellschaft mittels ihres Par­teiensy­stems.“ Der Extre­mismus des Libe­ralis­mus sei die Natur- und Volks­zer­­set­zung, weil alle aus allem Kapital schlagen wollen; der Ex­tre­mis­mus des Eta­tis­mus sei aber der Abso­lu­tismus. Er fordert da­her ein po­li­ti­sches Konzept, in dem die Ge­sellschaft als staatstragend und der Staat als so­zial­ver­träglich vor­gestellt werden kann.[9] Ganz ähnlich be­zeichnet Dahrendorf die absolute Durchsetzung des einen Prin­zips gegen das andere als „Versuchung“: „Die der Wett­be­werbs­fä­higkeit ist der grenzenlose Individualismus, der die Schwa­chen bei­seite läßt. Die Versuchung des sozialen Zu­sam­menhalts ist die Volks­na­tion, der Nationalismus oder Fun­da­mentalis­mus.“[10] Die Versuchung der ökologischen Linken ist der autoritäre Öko-Staat.

Emanzipation des Staats von der Gesellschaft

Tat­sächlich ist die völlige Trennung des Staates von der Gesell­schaft eben­­so­wenig frei von Gefahren wie ihre völlige Verschmel­zung. Sie bestehen in der Ent­wicklung des Staates zu einer über der Gesell­schaft stehenden, sich ihr im­mer mehr entfremdenden Macht.

„Daß das in sei­ner Natur der kon­stitutio­nel­len Mon­archie entspre­chende Mo­dell einer sich auf ‚Sachzwänge‘ grün­­den­den, in ei­nem tech­nokra­tischen Re­gime und seiner Bürokratie ver­kör­perten, von der Notwen­dig­keit ge­sell­schaftlicher Legitimation entbun­den­en Staa­tes von gerin­ger […] Ak­tualität […] wäre, wird angesichts der be­kann­­­ten Schwie­rigkei­ten mo­derner De­mokratie kaum ange­nom­men wer­den kön­nen.“[11]

Konrad Hesse 1975

Die ab­so­lu­te Re­publik ist nicht der ge­mütliche Wohl­­fahrts­staat, nicht die spieß­bürger­liche Ku­sche­lecke und auch nicht die gute alte Zeit, in der man sich noch das Herz am ange­­stamm­­ten Dy­na­sten­haus erwärmte. Es ist die hart das Gemeinwohl ein­­fordernde, Dis­zi­plin und Pflicht­erfül­lung heischende, die „ab­so­lute“ Repu­blik, in der jeder zual­lererst Staats­bür­ger und damit auf das Staats­ethos ver­pflichtet ist. Die „feigen, fetten Frit­zen“ der Wohl­­stands­­ge­sell­schaft wer­den al­lerdings mehrheit­lich im „unver­söhn­li­chen Gegen­satz“[12] zu einer solchen preu­ßi­­schen Staats­auf­fas­sung ste­hen. Die Tra­di­ti­ons­­li­ni­en die­ses Staats­ethos ziehen sich von Fried­rich dem Großen („Ich bin der erste Die­ner mei­nes Staa­tes.“) und dem preußischen Be­amtentum aus dem Geist des Dienstes an der All­gemeinheit über den Nationalrevolutionär und Etatisten Ernst Niekisch bis in die Gegenwart.

Sie verkörperten sich beispielhaft in Persönlichkeiten der konservati­ven Re­vo­lu­tion wie Niekisch oder Ernst von Salomon. 1902 geboren und in einer preußischen Kadet­ten­anstalt erzo­gen[13], hatte Sa­lo­mon sein politisch bewußtes Leben in der Zeit des Zusammen­bru­ches 1918 be­gonnen und stand mit seiner etatisti­schen Grundhal­tung[14], seiner Ver­pflich­tung auf das Ganze, ver­ständnislos vor den staats­auflö­senden Ten­denzen des li­bera­len Parla­mentaris­mus, der Ne­ga­tion der Staatsräson und dem ideo­lo­gisier­ten Welt­bürgerkrieg. Diesen fochten die Rechts-Links-Par­teien auf Deutsch­lands Straßen blutig aus­, während franzö­sische Be­sat­zungs­soldaten durch die Straßen marschierten. 1933 er­wies die Grund­hal­­tung dieses auf ein Staatsethos bezoge­nen Stran­ges „rechten“ deut­schen Den­kens sich end­gültig als resistent ge­genüber der to­talitären Ver­su­chung und der Er­obe­rung des Ganzen durch eine Partei. Niekischs Widerstands-Blatt wurde 1934 verboten, er selbst vom Volksgerichtshof verurteilt und blieb bis 1945 in Haft.

Schon in den 1920er und 30er Jahren hatte sich das staatsbezo­gene Den­ken ei­nes Teils der rechten Intelligenz in der Zeit der konservati­ven Re­vo­lution in Deutsch­land nicht als mehr­heitsfähig erwiesen. Zu über­mäch­tig war der Druck der hochi­deologisierten Mas­senparteien KPD und NSdAP[15], zu groß die Ver­suchung, Partei zu sein und auf der anderen Seite der Barrikade den abso­lu­ten Feind zu vermuten.

Totaler Staat durch Klima- und Öko-Diktatur

Während die absolute Republik fraglos kein ausgewogenes Ver­hält­nis zwi­schen der durch den Staat verkörperten Ge­mein­wohl­orien­tierung und dem Frei­heitsan­spruch des durch jahr­zehntelan­gen Libe­ra­lismus verwöhnten Indivi­duums dar­stellt, könnte eine glo­bale Öko­krise die Parameter umkeh­ren. Wolf­gang Ve­nohr pro­phezeite, daß die Öko-Diktatur be­stimmt komme. Mit ihr werde die Wohlfahrt des Ganzen die Rechte des einzelnen über­lagern. Einen Klimawandel als Zauberformel für autoritatives Staatshandeln gab es noch nicht, als Venohr voraussah:

Wenn im kommenden Jahrhun­dert ganze Völker von Über­schwem­mungen bedroht seien, das weltweite Ozonloch nur noch einen 15minütigen Auf­enthalt im Frei­en er­laube, die Wälder gestorben und die Böden aus­gedörrt seien, wenn täg­lich in der Welt nicht mehr nur Tausende, sondern Mil­lionen ver­hun­gern und die Heer­scharen der Halbver­hungerten in die land­wirt­schaftlich noch produzie­ren­den Länder ein­strömen, dann kön­ne man nicht mehr nach dem In­ter­esse des Einzel­nen fragen und habe auch keine Zeit mehr, parteipoli­tische Bera­tungsgremien dis­ku­tieren zu lassen. Der Frei­heitsraum des Einzel­nen könne nicht mehr das höch­ste aller Güter sein, wenn die Existenz ganzer Völ­ker auf dem Spiel stehe. Im Innern des Staates würden dann schnell dra­ko­ni­sche Maß­nah­men getroffen wer­den müssen, die den ein­zel­nen emp­find­lich tref­fen, um die Ge­mein­schaft zu retten. „Eine neue Zeit kün­digt sich an. Um in ihr zu beste­hen, werden sich ins­be­sondere die Deut­schen an ein großes Vorbild erin­nern müssen, an eine öf­fentli­che Haltung, in der Diszi­plin, Die­nen und Ein­ord­nung mit Tole­ranz, Sitt­lichkeit und Be­schei­denheit ver­schmolzen wa­ren, kurz: Die Deut­schen, wenn sie überle­ben wollen, wer­den sich in eine preußi­sche Façon versetzen müs­sen.“[16]

Man empfindet die Genugtuung in den Worten des Preußen Ve­nohr, für den pro­phe­zei­ten Fall ei­ner schrecklichen Zukunft gera­de diejenigen Tugen­den als lebens­not­wendig heraus­stel­len zu kön­nen, die ihm so­wieso Herzens­sache sind. Ähnlich sah die Zusam­men­hänge schon Ernst Jünger und wies darauf hin, daß der preußische Pflichtbegriff überall an­zutreffen sei, wo in der Welt neue Anstren­gungen zu beobachten sind: „Wo in­mitten der äu­ßersten Ent­beh­run­gen das Gefühl für die großen Aufgaben des Lebens wächst…..“.[17] Jünger schrieb 1932 auch in der Zeitschrift „Widerstand“ des Nationalrevolutionärs Ernst Niekisch,[18] in der zeitweise ein preußischer Sozialismus, jedenfalls preußische Staatsgesinnung gefordert wurden.

Wie „Preußen“ in den Corona-Schlangen fortlebt

1928 schrieb dort „ein ungenannter Verfasser die Deutschen seen von Natur aus unpolitisch. Die Leistung Preußens habe darin bestanden, einem Teil des Volkes dennoch zeitweise und unter zwangs zu einer politischen Haltung verholfen zu haben. Das Wesen des Preußentums bestehe darin“[19],

„daß die romantische, zu eigenbrötlerischem Utopismus neigende deutsche Natur förmlich unschädlich gemacht wird, indem sie, sobald die Lösung politischer Aufgaben in Frage steht, in eine zuchtvolle, disziplinierende Maschinerie eingegliedert wird.“[20]

Anonymus, in: Widerstand, 1928.
Preußen und die preußische Staatsgesinnung bildeten für viele Intellektuelle das Vorbild für eine „absolute Republik“

Und so stehen sie denn heute, zuchtvoll disziplinert, mit vorgeschriebenem Abstand in Corona-Warteschlangen und sitzen brav zum Frühstück und zu Abend vor ihrem Volksempfänger. Aus ihm ertönen täglich die Infiziertenzahlen und die Tageslosung.

Der Staat fordert von ihnen „Solidarität“ ein, doch realistisch gesehen bewegt die Disziplinerten eher die Aussicht auf polizeiliches Einschreiten und Strafen denn Solidarität mit ihren Mitbürgern. In der absoluten Republik bestimmen nicht mehr gesellschaftliche Kräfte, sondern der totale  Staat, „innerhalb dessen Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur den Platz einnehmen, den ihnen der Staat unter Berücksichtigung seiner Lebensbedürfnisse zuweisen kann.“[21] Das entspricht dem Alltag in diesem Winter, in der diese Kräfte auf die ihnen jeweils vom Staat zugewiesenen Plätze beschränkt sind.

Staatsbezogenes Ethos ist dem liberalen Mißtrauen gegen jede Staatsmacht antithetisch entgegengesetzt. Der Liberale Ernst Nolte hatte seufzend die Schwäche des Liberalismus in Notzeiten zu­geben müssen:

„Ent­schlos­se­ne Hand­lungsbe­reit­schaft oder ein Ethos der Tapferkeit und des Ver­zichts sind ihm nicht eigen­tümlich, und es mag eine Zeit kommen, wo eine Notsi­tuation nach eben die­sen Eigen­schaften ver­langt, so daß das System erneut in Gefahr ge­ra­ten könn­te.“[22]

Ernst Nolte 1993

Wenn die Bürger sich in Not fühlen und dem Staat ihre Freiheit zu Füßen legen, besteht die Gefahr

der Ent­wicklung des Staates zu einer über der Gesell­schaft stehenden, sich ihr im­mer mehr entfremdenden Macht. „Daß das in sei­ner Natur der kon­stitutio­nel­len Mon­archie entspre­chende Mo­dell einer sich auf ‚Sachzwänge‘ grün­­den­den, in ei­nem tech­nokra­tischen Re­gime und seiner Bürokratie ver­kör­perten, von der Notwen­dig­keit ge­sell­schaftlicher Legitimation entbun­den­en Staa­tes von gerin­ger […] Ak­tualität […] wäre, wird angesichts der be­kann­­­ten Schwie­rigkei­ten mo­derner De­mokratie kaum ange­nom­men wer­den kön­nen.“[23]

Konrad Hesse 1975.

warnte der Staatsrechtler Hesse schon 1975. Diese Gefahr hat sich bereits in Rußland verwirklich und droht auch uns.

Ob man diese Ent­­wicklungen nun als Mor­gen­rot begrüßt oder sie als Gewit­ter dräuen sieht: Es bleibt mit der Idee der preußi­schen, der abso­luten Republik das Mo­dell ei­nes streng dis­zi­pli­nie­ren­den Machtstaates, den man nicht liebt und nach dem sich auch nur we­nige sehnen. ­Was von unseren geliebten und durch das Gundgesetz geschützten Freiheiten bliebe, läßt der derzeitige Corona-Staat erahnen. Die Ultima ratio bildet die absolute Republik für diejenigen, die ihn als einzige Alter­native zu Not und Chaos sehen[24] oder deren Strategie zur Erlangung oder Befestigung von Herrschaft es als zweckdienlich erscheinen läßt, die Bürger wenigstens vor einem solchen Chaos zu ängstigen oder ihnen glaubhaft zu machen, sie seien in Not.


[1] Konrad Hesse, DöV 1975, 440 ff. – Vgl. zum Folgenden insgesamt: Klaus Kunze, Der totale Parteienstaat, 1994, Kapitel „Die absolute Republik“, dem Absätze entnommen und hier verarbeitet worden sind..

[2] Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, 1932, S.10.

[3] Wolfgang Venohr, Der Öko-Staat kommt bestimmt, in: Junge Freiheit 5/1993, S.23.

[4] Hans Dietrich Sander, Staatsbriefe 3/1992, S.33.

[5] Sander, Criticón 1997, S.216. Ähn­lich Jelzins Staatsstreich 1993; vgl. Klaus Kunze, Junge Freiheit 10/1993, S.1.

[6] Sander, Nachwort zur Bundesrepublik, Staatsbriefe 2/1992, S.31.

[7] Sander, ebenda S.30

[8] Vgl. bei Klaus Hornung, Criticón 1980, 56 (58).

[9] Reinhold Oberlercher, Zur Erneuerung des deutschen Parteiensystems, in: Her­der-Initia­tive Bd.73, S.141.

[10] Ralf Dahrendorf, SPIEGEL-Gespräch 11/1995 vom 13.3.1995, S.48.

[11] Hesse, DöV 1975, 439.

[12] Peter Glotz, Die deutsche Rechte, S.141 f. mit Anspielung auf San­der.

[13] Markus Klein, Ernst von Salomon, Criticón 1992, S.57.

[14] Vandergucht, Nihilismus – Normenerhöhung, S.57 f.(72).

[15] Vgl. Armin Mohler, Die konservative Revolution, S.4.

[16] Wolfgang Venohr, Der Öko-Staat kommt bestimmt. Ähnlich sah die Zusam­men­hänge schon Ernst Jünger, Der Arbeiter, S.69 und wies darauf hin, daß der preußische Pflichtbegriff überall an­zutreffen sei, wo in der Welt neue Anstren­gungen zu beobachten sind: „Wo in­mitten der äu­ßersten Ent­beh­run­gen das Gefühl für die großen Aufgaben des Lebens wächst…..“. Ähnlich auch 1976 Robert L. Heilbroner, Die Zukunft der Mensch­heit, 1976, S.78 f.

[17] Ernst Jünger, Der Arbeiter, S.69.

[18] Uwe Sauermann, Widerstand gegen den Westen, Ernst Niekisch – Vermächtnis eines Nationalisten, Beltheim 2020, S. 86 ff.

[19] Sauermann a.a.O. S.225.

[20] Anonymus in: Widerstand, 1928, 5, S. 112 f., zit. nach Sauermann a.a.O. S.226.

[21] Ernst Niekisch, Das Gesetz von Potsdam, S.228, in: Widerstand 1931, zit. nach Sauermann (2020), S.247.

[22] Ernst Nolte, FAZ 3.7.1993.

[23] Konrad Hesse, Bemerkung zur heutigen Problematik und Tragweite der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, Die öffentliche Verwaltung (DöV) 1975, 439

[24] Armin Pfahl-Traughber, Konservative Revolution und Neue Rechte, Opladen 1998, S.173 behauptete, die Modellvorstellung des Verfassers für den von ihm ge­wünschten Staat liefe darauf hinaus. Dagegen dürfte hinreichend deutlich sein, daß der Verfas­ser nicht zu denen gehört, die sich nach einer absoluten Republik sehnen oder sie unter den ge­genwärtigen Bedingungen für den letzten verzweifelten Halt gegen das Chaos ansehen.

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  1. Glänzend gelingt es hier, das Grundanliegen conservativ preußischem Staatsverständnisses nachzuzeichnen. Diese Tradition ist in Westdeutschland
    in Ungnade gefallen, sahen die westlichen Siegermächte doch nicht zu Unrecht
    gerade in diesem Staatsverständnis mit seinen preußischen Tugenden der
    Diszipin und Bereitschaft zur Pflichterfüllung (Kant) den Grund für die Stärke
    Deutschlands. Um das besiegte Deutschland klein zu halten, galt es so, alles
    Preußische zu vermaledeien. Es reichte eben nicht, Preußen als Bundesland
    zu verbieten. Um so wichtiger ist es nun für uns Deutsche, diese uns stark gemacht
    habenden Traditionen zu revitalisieren.
    Der Grundgedanke ist einfach: Wie eine Fußballmannschaft nur erfolgreich sein
    kann, wenn der Trainer eine gute Taktik für das Spiel festlegt und jeder Spieler dann auf seinem Posten das Seinige tut, so ist es auch erstrebenswert, daß der
    Staat das Gesamtleben des Volkes auf das Gemeinwohl des Volkes ausrichtet,so
    daß dann auch jeder auf seinem Platze das Seine vollbringt. Wo dagegen die
    Privatinteressen das öffentliche Leben dominieren, wo jeder nur noch Privat-
    interessen verfolgt, droht das Ganze unterzugehen. Wie sagte Moeller van den Bruck doch so treffend: „Am Liberalismus gehen die Völker zu Grunde“. Ein selbst-
    bewußtes Volk wird so immer auch den „starken Staat“ wollen.

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