Die neue Sehnsucht nach dem autoritären Staat
Sie wachen morgens auf, reiben sich erstaunt die Augen und leben in einem autoritären Staat. Wer hätte das gedacht? Minister und Ministerpräsidenten rufen: „Alles hört auf mein Kommando!“, und siehe da, die Damen und Herren Untertanen stehen stramm. Bei Straßenszenen, in denen dunkle Behelmte Passanten niederwerfen und fesseln, muß man dreimal hinschauen: Ist der Film aus Weißrußland oder Deutschland?
Dort kritisieren „Staatsfeinde“ den Präsidenten, hier tragen sie nicht die vorgeschriebenen Masken. Linke Publizistik hat der Rechten immer gern eine Sehnsucht nach einem „autoritären Staat“ vorgeworfen. Jetzt können die autoritativen Regierungsmaßnahmen den gleichen Leuten gar nicht weit genug gehen. Die politische Rechte steht ihnen dagegen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Welch wundersame Wendung der Dinge!
Ganz so wundersam ist das freilich nicht mehr vor dem Hintergrund eines einfachen sozialpsychologischen Mechanismus: In der Not haben Menschen Angst und lassen sich willig führen. Wer führen will, muß diese Angst lebendig halten. Dann sehnen furchtsame Rechte sich nach einem starken Staat, der sie beschützt, und furchtsame Linke nicht minder. Nur die Auslöser solcher Ängste sind verschieden. Rechte und Linke nehmen nämlich unterschiedliche Aspekte der Wirklichkeit als relevant wahr: Rechte vielleicht Ausländerkriminalität, Linke eher Viren.
Je nach Weltbild wünschen alle einen starken, beschützenden Staat, aber nicht denselben. Und sie benötigen ihn umso verzweifelter, je mehr ihre jeweilige Angst vor der jeweils vorgestellten oder realen Gefahr wächst. Angst lähmt das Denken und erzeugt Gehorsamsbereitschaft. Für reale Not gilt das erst recht. Wenn Chaos auszubrechen droht, wird der Ruf nach Ruhe und Ordnung laut. Er gilt dem Staat, wem auch sonst? Die gesellschaftlichen Akteure untereinander mißtrauen und belauern sich. Keine will sich der anderen unterordnen. Da bietet sich ein über ihnen stehender neutraler Staat als ruhender Pol an.
In Not-, Bürgerkriegs- oder Chaoszeiten haben politische Theorien Konjunktur, die den Staat die Gesellschaft beherrschen lassen wollen. Nach dem französischen Wort für „Staat“ nennt man Etatismus die starke Betonung der Staatlichkeit vor gesellschaftlichen Kräften. Der Staat hatte nur scheinbar ausgedient in jenen geruhsamen Jahrzehnten spießbürgerlicher Bundesrepublikheit. Heute rufen Linke wie Rechte wieder nach einem starken, reglementierenden Verbotsstaat. Die einen wollen das Einwandern von Ausländern verbieten, die anderen überbieten sich in ökologischen Verbotsforderungen, aber immer ist es der Staat, der es richten soll. Das deutet auf eine grundlegende mentale Epochenwende hin. Es genügt vielen ängstlichen Menschen nicht mehr, nur auf eine „Gesellschaft“ zu setzen, deren Kräfte niemals allgemeine Gehorsamsbereitschaft erzeugen können. das kann nur ein Staat, wenn alle ihn sich als grundsätzlich neutrale Instanz vorstellt, die ausschließlich als Sachwalter des Wohles aller auftritt.
Die Trennung von Staat und Gesellschaft oder ihre Identität bildet die Gretchenfrage der heutigen deutschen Staats- und Verfassungslehre. Eine Trennung ist zwar keine hinreichende, jedoch die notwendige Vorbedingung individueller Freiheit.[1] Der absolutistische Staat hatte die gesellschaftlichen Kräfte auf dem Höhepunkt des historischen Etatismus vorübergehend gebändigt und sich als damals adäquate politische Einheit der Neuzeit etabliert. Er ist aber von seinem Anbeginn an von den partikularen Kräften in Frage gestellt worden, die ihn schließlich zur Strecke brachten. So resignierte Carl Schmitt: „Die Epoche der Staatlichkeit geht jetzt zu Ende. Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren.“[2]
Heutiger offener oder verkappter Etatismus möchte direkt an das historische Modell des Absolutismus als Gegenmodell zur Vergesellschaftung des Staats anknüpfen. Während die etatistischen Denker sich einig in ihrer Ablehnung sind, ist es nicht immer leicht, ein konkretes Bild von dem zu gewinnen, was ihnen statt des gegenwärtigen Zustandes vorschwebt. Sicher ist aber: Das Gemeinwesen soll in Richtung auf mehr Gemeinwohlorientierung hin bewegt werden. Diese erhofft man sich von einem starken Staat als Sachwalter des Allgemeinen gegen die Partikularinteressen; daher werden starke Institutionen für unverzichtbar gehalten, Trennung von Staat und Gesellschaft sowie ein staatsbürgerliches Ethos, in dem „Disziplin, Dienen und Einordnen mit Toleranz, Bescheidenheit und Sittlichkeit verschmelzen.“[3] Man erwartet „Solidarität“ und meint damit disziplinierte Gehorsamsbereitschaft.
Die absolute Republik
Der Etatist Hans Dietrich Sander hat 1992 beschrieben, wie er sich eine „politische Neuordnung“ vorstellt. Sie läuft auf einen autoritären Machtstaat hinaus, wie er zum Beispiel in Rußland schon fast Tradition hat, ganz unabhängig davon, ob der jeweilige Herrscher eine Krone oder Hammer und Sichel trägt oder sich bescheiden Präsident nennt:
„Wir erhalten eine Vorstellung von den Konturen der politischen Neuordnung, wenn wir das Muster der absoluten Monarchie, das in Preußen zur Vollendung gelangte, republikanisieren. An die Stelle des Monarchen tritt in dieser absoluten Republik der Präsident mit einer ähnlich langen Amtsdauer, die nötig ist, um wieder eine Kontinuität zu begründen. Der Präsident regiert wie ein Monarch mit einem Kabinett von Fachministern, die er ernennt und entläßt. Diese Regierung ist sowohl Exekutive wie Legislative, deren Trennung zu den Mythen der neueren Staatsrechtslehre gehört. Sie ist Exekutive und Legislative im Dienst eines Ganzen, und nicht im Dienst eines Oligopols oder eines Monopols. Die Fachminister stützen sich, nach dem cameralistischen System der absoluten Monarchie, auf freie Kammern, die von neu zu gründenden Berufsverbänden durch eine aus Ernennung und Wahl gemischte Berufungsprozedur beschickt werden, die durchlässig sein muß für den Aufstieg von Begabungen, die nun einmal meistens sperriger Natur sind. Das allgemeine Wahlrecht wird auf die kommunale Ebene beschränkt, die der Wähler übersehen und beurteilen kann, als den traditionellen Bereich der Selbstverwaltung…“[4]
Hans Dietrich sander 1992
Auf den Einwand, wie denn der heutige Parteienfeudalismus in die absolute Republik transformiert werden könne – die Parteien könnten ja vielleicht etwas dagegen haben – verweisen Staatsabsolutisten auf den „von der Rechtswissenschaft entwickelten Begriff der kommissarischen Diktatur“. Diese „ist von der Geschichte von verschiedenen politischen Organisationsformen mit Erfolg angewendet worden; zuletzt sehr kurzfristig, weil sehr wirkungsvoll, auf dem Höhepunkt der französischen Krise von 1959, als General de Gaulle die vierte durch die fünfte Republik ersetzte.“[5] „Der erste Schritt der Remedur besteht in einem Elitenwechsel, der einen Orientierungsrutsch voraussetzt, wie er die SED plötzlich heimsuchte. Der zweite Schritt besteht in einem Abbau der Europäisierung Deutschlands, der sich auf dem Weg von Bonn nach Berlin zu vollziehen hat. Der dritte Schritt besteht in einem Systemwechsel durch Preußifizierung. Gelingt die Remedur nicht im fahrenden Zug, erzwingt sie der Crash.“[6] Damit meint Sander den Zusammenbruch der „von innen verfaulten Bundesrepublik“ und prophezeit: „Sie kann von nichts mehr gehalten werden und verdient es auch nicht.“[7] –
Ein absoluter Staat wie von Sander propagiert eignet sich für uns zur Zeit nur als Denkmodell zur Erläuterung etatistischer Denkweise. Es geht über die bloße Trennung von Staat und Gesellschaft weit hinaus und stellt eine Kampfansage des Staates an die Gesellschaft dar, ein Programm zu ihrer Domestikation und Beherrschung. Er eignet sich als extreme Gegenposition zum Parteienstaat besonders zur exemplarischen Erklärung rein etatistischer Denkweise. Gesellschaftliche Freiheitsrechte wären so stark eingeschränkt, daß ein solcher Staat nur zur Abwendung sonst drohenden Chaos mehrheitsfähig wäre.
Ein Staatsabsolutismus hat auch im rechten Lager seine Kritiker. Lorenz von Stein folgend[8], sieht Reinhold Oberlercher in der „Verstaatlichung der Gesellschaft keine verlockende Alternative zur gegenwärtigen Unterwerfung des Staates unter die Gesellschaft mittels ihres Parteiensystems.“ Der Extremismus des Liberalismus sei die Natur- und Volkszersetzung, weil alle aus allem Kapital schlagen wollen; der Extremismus des Etatismus sei aber der Absolutismus. Er fordert daher ein politisches Konzept, in dem die Gesellschaft als staatstragend und der Staat als sozialverträglich vorgestellt werden kann.[9] Ganz ähnlich bezeichnet Dahrendorf die absolute Durchsetzung des einen Prinzips gegen das andere als „Versuchung“: „Die der Wettbewerbsfähigkeit ist der grenzenlose Individualismus, der die Schwachen beiseite läßt. Die Versuchung des sozialen Zusammenhalts ist die Volksnation, der Nationalismus oder Fundamentalismus.“[10] Die Versuchung der ökologischen Linken ist der autoritäre Öko-Staat.
Emanzipation des Staats von der Gesellschaft
Tatsächlich ist die völlige Trennung des Staates von der Gesellschaft ebensowenig frei von Gefahren wie ihre völlige Verschmelzung. Sie bestehen in der Entwicklung des Staates zu einer über der Gesellschaft stehenden, sich ihr immer mehr entfremdenden Macht.
„Daß das in seiner Natur der konstitutionellen Monarchie entsprechende Modell einer sich auf ‚Sachzwänge‘ gründenden, in einem technokratischen Regime und seiner Bürokratie verkörperten, von der Notwendigkeit gesellschaftlicher Legitimation entbundenen Staates von geringer […] Aktualität […] wäre, wird angesichts der bekannten Schwierigkeiten moderner Demokratie kaum angenommen werden können.“[11]
Konrad Hesse 1975
Die absolute Republik ist nicht der gemütliche Wohlfahrtsstaat, nicht die spießbürgerliche Kuschelecke und auch nicht die gute alte Zeit, in der man sich noch das Herz am angestammten Dynastenhaus erwärmte. Es ist die hart das Gemeinwohl einfordernde, Disziplin und Pflichterfüllung heischende, die „absolute“ Republik, in der jeder zuallererst Staatsbürger und damit auf das Staatsethos verpflichtet ist. Die „feigen, fetten Fritzen“ der Wohlstandsgesellschaft werden allerdings mehrheitlich im „unversöhnlichen Gegensatz“[12] zu einer solchen preußischen Staatsauffassung stehen. Die Traditionslinien dieses Staatsethos ziehen sich von Friedrich dem Großen („Ich bin der erste Diener meines Staates.“) und dem preußischen Beamtentum aus dem Geist des Dienstes an der Allgemeinheit über den Nationalrevolutionär und Etatisten Ernst Niekisch bis in die Gegenwart.
Sie verkörperten sich beispielhaft in Persönlichkeiten der konservativen Revolution wie Niekisch oder Ernst von Salomon. 1902 geboren und in einer preußischen Kadettenanstalt erzogen[13], hatte Salomon sein politisch bewußtes Leben in der Zeit des Zusammenbruches 1918 begonnen und stand mit seiner etatistischen Grundhaltung[14], seiner Verpflichtung auf das Ganze, verständnislos vor den staatsauflösenden Tendenzen des liberalen Parlamentarismus, der Negation der Staatsräson und dem ideologisierten Weltbürgerkrieg. Diesen fochten die Rechts-Links-Parteien auf Deutschlands Straßen blutig aus, während französische Besatzungssoldaten durch die Straßen marschierten. 1933 erwies die Grundhaltung dieses auf ein Staatsethos bezogenen Stranges „rechten“ deutschen Denkens sich endgültig als resistent gegenüber der totalitären Versuchung und der Eroberung des Ganzen durch eine Partei. Niekischs Widerstands-Blatt wurde 1934 verboten, er selbst vom Volksgerichtshof verurteilt und blieb bis 1945 in Haft.
Schon in den 1920er und 30er Jahren hatte sich das staatsbezogene Denken eines Teils der rechten Intelligenz in der Zeit der konservativen Revolution in Deutschland nicht als mehrheitsfähig erwiesen. Zu übermächtig war der Druck der hochideologisierten Massenparteien KPD und NSdAP[15], zu groß die Versuchung, Partei zu sein und auf der anderen Seite der Barrikade den absoluten Feind zu vermuten.
Totaler Staat durch Klima- und Öko-Diktatur
Während die absolute Republik fraglos kein ausgewogenes Verhältnis zwischen der durch den Staat verkörperten Gemeinwohlorientierung und dem Freiheitsanspruch des durch jahrzehntelangen Liberalismus verwöhnten Individuums darstellt, könnte eine globale Ökokrise die Parameter umkehren. Wolfgang Venohr prophezeite, daß die Öko-Diktatur bestimmt komme. Mit ihr werde die Wohlfahrt des Ganzen die Rechte des einzelnen überlagern. Einen Klimawandel als Zauberformel für autoritatives Staatshandeln gab es noch nicht, als Venohr voraussah:
Wenn im kommenden Jahrhundert ganze Völker von Überschwemmungen bedroht seien, das weltweite Ozonloch nur noch einen 15minütigen Aufenthalt im Freien erlaube, die Wälder gestorben und die Böden ausgedörrt seien, wenn täglich in der Welt nicht mehr nur Tausende, sondern Millionen verhungern und die Heerscharen der Halbverhungerten in die landwirtschaftlich noch produzierenden Länder einströmen, dann könne man nicht mehr nach dem Interesse des Einzelnen fragen und habe auch keine Zeit mehr, parteipolitische Beratungsgremien diskutieren zu lassen. Der Freiheitsraum des Einzelnen könne nicht mehr das höchste aller Güter sein, wenn die Existenz ganzer Völker auf dem Spiel stehe. Im Innern des Staates würden dann schnell drakonische Maßnahmen getroffen werden müssen, die den einzelnen empfindlich treffen, um die Gemeinschaft zu retten. „Eine neue Zeit kündigt sich an. Um in ihr zu bestehen, werden sich insbesondere die Deutschen an ein großes Vorbild erinnern müssen, an eine öffentliche Haltung, in der Disziplin, Dienen und Einordnung mit Toleranz, Sittlichkeit und Bescheidenheit verschmolzen waren, kurz: Die Deutschen, wenn sie überleben wollen, werden sich in eine preußische Façon versetzen müssen.“[16]
Man empfindet die Genugtuung in den Worten des Preußen Venohr, für den prophezeiten Fall einer schrecklichen Zukunft gerade diejenigen Tugenden als lebensnotwendig herausstellen zu können, die ihm sowieso Herzenssache sind. Ähnlich sah die Zusammenhänge schon Ernst Jünger und wies darauf hin, daß der preußische Pflichtbegriff überall anzutreffen sei, wo in der Welt neue Anstrengungen zu beobachten sind: „Wo inmitten der äußersten Entbehrungen das Gefühl für die großen Aufgaben des Lebens wächst…..“.[17] Jünger schrieb 1932 auch in der Zeitschrift „Widerstand“ des Nationalrevolutionärs Ernst Niekisch,[18] in der zeitweise ein preußischer Sozialismus, jedenfalls preußische Staatsgesinnung gefordert wurden.
Wie „Preußen“ in den Corona-Schlangen fortlebt
1928 schrieb dort „ein ungenannter Verfasser die Deutschen seen von Natur aus unpolitisch. Die Leistung Preußens habe darin bestanden, einem Teil des Volkes dennoch zeitweise und unter zwangs zu einer politischen Haltung verholfen zu haben. Das Wesen des Preußentums bestehe darin“[19],
„daß die romantische, zu eigenbrötlerischem Utopismus neigende deutsche Natur förmlich unschädlich gemacht wird, indem sie, sobald die Lösung politischer Aufgaben in Frage steht, in eine zuchtvolle, disziplinierende Maschinerie eingegliedert wird.“[20]
Anonymus, in: Widerstand, 1928.
Und so stehen sie denn heute, zuchtvoll disziplinert, mit vorgeschriebenem Abstand in Corona-Warteschlangen und sitzen brav zum Frühstück und zu Abend vor ihrem Volksempfänger. Aus ihm ertönen täglich die Infiziertenzahlen und die Tageslosung.
Der Staat fordert von ihnen „Solidarität“ ein, doch realistisch gesehen bewegt die Disziplinerten eher die Aussicht auf polizeiliches Einschreiten und Strafen denn Solidarität mit ihren Mitbürgern. In der absoluten Republik bestimmen nicht mehr gesellschaftliche Kräfte, sondern der totale Staat, „innerhalb dessen Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur den Platz einnehmen, den ihnen der Staat unter Berücksichtigung seiner Lebensbedürfnisse zuweisen kann.“[21] Das entspricht dem Alltag in diesem Winter, in der diese Kräfte auf die ihnen jeweils vom Staat zugewiesenen Plätze beschränkt sind.
Staatsbezogenes Ethos ist dem liberalen Mißtrauen gegen jede Staatsmacht antithetisch entgegengesetzt. Der Liberale Ernst Nolte hatte seufzend die Schwäche des Liberalismus in Notzeiten zugeben müssen:
„Entschlossene Handlungsbereitschaft oder ein Ethos der Tapferkeit und des Verzichts sind ihm nicht eigentümlich, und es mag eine Zeit kommen, wo eine Notsituation nach eben diesen Eigenschaften verlangt, so daß das System erneut in Gefahr geraten könnte.“[22]
Ernst Nolte 1993
Wenn die Bürger sich in Not fühlen und dem Staat ihre Freiheit zu Füßen legen, besteht die Gefahr
der Entwicklung des Staates zu einer über der Gesellschaft stehenden, sich ihr immer mehr entfremdenden Macht. „Daß das in seiner Natur der konstitutionellen Monarchie entsprechende Modell einer sich auf ‚Sachzwänge‘ gründenden, in einem technokratischen Regime und seiner Bürokratie verkörperten, von der Notwendigkeit gesellschaftlicher Legitimation entbundenen Staates von geringer […] Aktualität […] wäre, wird angesichts der bekannten Schwierigkeiten moderner Demokratie kaum angenommen werden können.“[23]
Konrad Hesse 1975.
warnte der Staatsrechtler Hesse schon 1975. Diese Gefahr hat sich bereits in Rußland verwirklich und droht auch uns.
Ob man diese Entwicklungen nun als Morgenrot begrüßt oder sie als Gewitter dräuen sieht: Es bleibt mit der Idee der preußischen, der absoluten Republik das Modell eines streng disziplinierenden Machtstaates, den man nicht liebt und nach dem sich auch nur wenige sehnen. Was von unseren geliebten und durch das Gundgesetz geschützten Freiheiten bliebe, läßt der derzeitige Corona-Staat erahnen. Die Ultima ratio bildet die absolute Republik für diejenigen, die ihn als einzige Alternative zu Not und Chaos sehen[24] oder deren Strategie zur Erlangung oder Befestigung von Herrschaft es als zweckdienlich erscheinen läßt, die Bürger wenigstens vor einem solchen Chaos zu ängstigen oder ihnen glaubhaft zu machen, sie seien in Not.
[1] Konrad Hesse, DöV 1975, 440 ff. – Vgl. zum Folgenden insgesamt: Klaus Kunze, Der totale Parteienstaat, 1994, Kapitel „Die absolute Republik“, dem Absätze entnommen und hier verarbeitet worden sind..
[2] Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, 1932, S.10.
[3] Wolfgang Venohr, Der Öko-Staat kommt bestimmt, in: Junge Freiheit 5/1993, S.23.
[4] Hans Dietrich Sander, Staatsbriefe 3/1992, S.33.
[5] Sander, Criticón 1997, S.216. Ähnlich Jelzins Staatsstreich 1993; vgl. Klaus Kunze, Junge Freiheit 10/1993, S.1.
[6] Sander, Nachwort zur Bundesrepublik, Staatsbriefe 2/1992, S.31.
[7] Sander, ebenda S.30
[8] Vgl. bei Klaus Hornung, Criticón 1980, 56 (58).
[9] Reinhold Oberlercher, Zur Erneuerung des deutschen Parteiensystems, in: Herder-Initiative Bd.73, S.141.
[10] Ralf Dahrendorf, SPIEGEL-Gespräch 11/1995 vom 13.3.1995, S.48.
[11] Hesse, DöV 1975, 439.
[12] Peter Glotz, Die deutsche Rechte, S.141 f. mit Anspielung auf Sander.
[13] Markus Klein, Ernst von Salomon, Criticón 1992, S.57.
[14] Vandergucht, Nihilismus – Normenerhöhung, S.57 f.(72).
[15] Vgl. Armin Mohler, Die konservative Revolution, S.4.
[16] Wolfgang Venohr, Der Öko-Staat kommt bestimmt. Ähnlich sah die Zusammenhänge schon Ernst Jünger, Der Arbeiter, S.69 und wies darauf hin, daß der preußische Pflichtbegriff überall anzutreffen sei, wo in der Welt neue Anstrengungen zu beobachten sind: „Wo inmitten der äußersten Entbehrungen das Gefühl für die großen Aufgaben des Lebens wächst…..“. Ähnlich auch 1976 Robert L. Heilbroner, Die Zukunft der Menschheit, 1976, S.78 f.
[17] Ernst Jünger, Der Arbeiter, S.69.
[18] Uwe Sauermann, Widerstand gegen den Westen, Ernst Niekisch – Vermächtnis eines Nationalisten, Beltheim 2020, S. 86 ff.
[19] Sauermann a.a.O. S.225.
[20] Anonymus in: Widerstand, 1928, 5, S. 112 f., zit. nach Sauermann a.a.O. S.226.
[21] Ernst Niekisch, Das Gesetz von Potsdam, S.228, in: Widerstand 1931, zit. nach Sauermann (2020), S.247.
[22] Ernst Nolte, FAZ 3.7.1993.
[23] Konrad Hesse, Bemerkung zur heutigen Problematik und Tragweite der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, Die öffentliche Verwaltung (DöV) 1975, 439
[24] Armin Pfahl-Traughber, Konservative Revolution und Neue Rechte, Opladen 1998, S.173 behauptete, die Modellvorstellung des Verfassers für den von ihm gewünschten Staat liefe darauf hinaus. Dagegen dürfte hinreichend deutlich sein, daß der Verfasser nicht zu denen gehört, die sich nach einer absoluten Republik sehnen oder sie unter den gegenwärtigen Bedingungen für den letzten verzweifelten Halt gegen das Chaos ansehen.
Uwe Lay
Glänzend gelingt es hier, das Grundanliegen conservativ preußischem Staatsverständnisses nachzuzeichnen. Diese Tradition ist in Westdeutschland
in Ungnade gefallen, sahen die westlichen Siegermächte doch nicht zu Unrecht
gerade in diesem Staatsverständnis mit seinen preußischen Tugenden der
Diszipin und Bereitschaft zur Pflichterfüllung (Kant) den Grund für die Stärke
Deutschlands. Um das besiegte Deutschland klein zu halten, galt es so, alles
Preußische zu vermaledeien. Es reichte eben nicht, Preußen als Bundesland
zu verbieten. Um so wichtiger ist es nun für uns Deutsche, diese uns stark gemacht
habenden Traditionen zu revitalisieren.
Der Grundgedanke ist einfach: Wie eine Fußballmannschaft nur erfolgreich sein
kann, wenn der Trainer eine gute Taktik für das Spiel festlegt und jeder Spieler dann auf seinem Posten das Seinige tut, so ist es auch erstrebenswert, daß der
Staat das Gesamtleben des Volkes auf das Gemeinwohl des Volkes ausrichtet,so
daß dann auch jeder auf seinem Platze das Seine vollbringt. Wo dagegen die
Privatinteressen das öffentliche Leben dominieren, wo jeder nur noch Privat-
interessen verfolgt, droht das Ganze unterzugehen. Wie sagte Moeller van den Bruck doch so treffend: „Am Liberalismus gehen die Völker zu Grunde“. Ein selbst-
bewußtes Volk wird so immer auch den „starken Staat“ wollen.