Meuthens Rücktritt war die richtige Konsequenz
Liberalkonservative: Gibt es die überhaupt? Es ist leicht, sich selbst oder einem anderen ein Etikett aufzukleben. Es ist aber nicht immer drunter, was vorne draufsteht. Manche Etiketten verdecken nur die inhaltliche Leere.
Liberalkonservativ nennen kann sich jeder. Die Adjektive hören sich für viele Ohren sympathisch an. Man kann auch sozial und liberal sprachlich verbinden, Wirtschaft und liberal und vieles mehr. Das politische Wortgeklingel ist wohlfeil. Bei näherem Hinsehen aber ist der Begriff konservativ aber leer. Er besagt nur, daß jemand irgend etwas Bestehendes erhalten möchte.
Ein konservativer Genosse im Reiche Maos war Maoist, ein konservativer Sozialdemokrat möchte, daß die Sozialdemokratie bleibt wie sie ist, ein Konservativer zu Kaiser Wilhelms Zeiten war natürlich Monarchist. Und ein Liberalkonservativer wie Jörg Meuthen? Ganz einfach, er ist ein Liberaler, der den Liberalismus bewahren möchte. Er ist also in einem liberalen Gesellschaftssystem konservativ.
Der Begriff Konservatismus ist wie eine taube Nuß: Er enthält keinen über die Zeiten und die Umstände erhabenen Kern. Da ist der Liberalismus schon deutlich kerniger, denn seit seinen Anfängen Ende des 18. Jahrhunderts hat er sich zwar das eine oder andere zeitbedingte Kostüm übergestreift. Seine Kerndogmen aber lauteten immer: Es gibt keine überzeitlichen Gemeinschaften, sondern nur eine menschliche Gesellschaft. Sie bildet sich aus Individuen von selbst. Wenn man jeden möglichst frei machen läßt, was er möchte, entsteht daraus wie von unsichtbarer Hand das Gemeinwohl. Es gibt nichts unbezweifelbar Wahres. Wenn alle Menschen frei diskutieren dürfen, entsteht so etwas ähnliches wie „Wahrheit“, jedenfalls etwas weitgehend Akzeptables.
Die liberalen Grundprinzipien haben sich in den sogenannten westlichen Demokratien weitgehend durchgesetzt. Deutschland baute seit 1949 nach und nach alle nicht liberalen Altbestände ab: Liberalisiert wurden das Ehe- und Familienrecht, das Pornografieverbot und das Sexualstrafrecht. Seit den 1980er Jahren führte der Neoliberalismus zu einer beispiellosen Privatisierungswelle: Dem liberalen Spiel von Angebot und Nachfrage opferte man eine Einrichtung der Daseinsvorsorge und -fürsorge nach der anderen: Post, Bahn, Schwimmbäder, Krankenhäuser, Sozialwohnungen und Kindergärten.
Die Bundeswehr scheint außerstande, noch unser Land zu verteidigen, glänzt aber im Licht makelloser Diskriminierungsfreiheit. Sie kann noch nicht einmal mehr ihre eigenen Kasernen bewachen. Das müssen private Wachdienste übernehmen. Eine „Verteidigungsministerin“ zerbrach sich mehr den Kopf darüber, Dienstgrade zu gendern, als über Ersatzteilbeschaffung.
Unterdessen erweist sich der radikale Liberalismus als Auflöser aller gesellschaftlichen Strukuren und Institutionen: Wenn jedwede Kombination mehrerer Menschen als Familie gilt, gibt es de facto keine Familien mehr. Aus Vätern und Müttern sollen Elter 1 und Elter 2 werden. Wer das für „linke“ Spinnerei hält, analysiert falsch. Es ist ein zum Äußersten getriebener Liberalismus. Er atomisiert unsere sozialen Strukturen förmlich. Das ist die unausweichliche Konsequenz seines methodologischen Individualismus.
Indem der Liberalismus die herkömmlichen sozialen und staatlichen Strukturen nach und nach auflöst, öffnet er freilich keine Tür zu einer herrschaftsfreien Gesellschaft. Früher dachten viele Menschen sozial. Sie unterschieden zwischen fürsorglichem und egoistischem Verhalten. Andere dachten politisch und hielten die Unterscheidung zwischen Freund und Feind für ausschlaggebend; wieder andere religiös und dachten in den kategorien von Frömmigkeit oder Gottlosigkeit. Alle diese verschiedenen Wertvorstellungen erklärt der Liberalismus für subjektiv und irrelevant. Es kommt ihm nur darauf an, zwischen ökonomisch nützlich und schädlich zu unterscheiden. Religion, Volk, Sozialfürsorge oder Verteilungsgerechtigkeit stiften liberaler Ansicht nach niemals die Legitimität, die jede Herrschaft benötigt.
Es wurde schon frühzeitig erkannt, daß der Liberalismus alle diese Werte zerstört, und der Liberalismus wurde entsprechend „verteufelt“:
Der Karikaturist, in diesem Fall ein reformierter Zürcher, läßt den satanischen Zeitgeist die Symbole der religiösen und politischen Ordnung (Kreuz, Bibel, die besiegelte Urkunde) mit Füßen bzw. mit Hufen treten, wobei er Plakate mit den liberalen Werten „PressFreyheit“, „Souveränität des Volkes“ und „Philantropie“ anklebt.
Jean-Jacques Bouquet, Liberalismus, Historisches Lexikon der Schweiz.
Nachdem er alle anderen Sachgebiete in den Staub getreten hat, das Politische, das Soziale, das Religiöse, das Ästhetische, bleibt dem voll entwickelten Liberalismus nur eine Macht übrig, an die das liberale Herz sich klammert. Es ist die des Geldes. Der vollkommene Liberalismus bedeutet die vollständige Herrschaft derer, die Geld haben, über die anderen, die es nicht haben. Man kann mit Geld alles kaufen: Wälder und Seen, Sendezeiten oder gleich ganze Medienhäuser, ja sogar Menschen kann man „kaufen“. Es ist nur eine Frage des Geldes.
Transformation Deutschlands im Sinne des doktrinären Liberalismus
Die Transformation Deutschlands im Sinne des doktrinären Liberalismus ist weit fortgeschritten. Wem sie gefällt, mag sich liberalkonservativ nennen. Aus „wirtschaftsliberaler“ Sicht gibt es da nichts zu bemängeln.
Er soll dann aber nicht jammern, daß die Bedeutung der Familien gegen null strebt, daß Deutschland seine Grenzen nicht effektiv schützt, daß im Fernsehen gegendert wird, was das Zeug hält, daß die Polizei Demonstranten verhaut statt Verbrecher zu jagen und was das Herz sonst noch stört, wenn es am Alten hängt. Wer aber am Alten hängt, sollte einmal die Augen öffnen und die Realität unserer Städte betrachten. Was will er an ihrem Zustand konservieren? Alles Traditionelle, Herkömmliche, wurde bereits entwertet und zerstört. Da gibt es nichts mehr zu konservieren. Das sind die Früchte jahrzehntelanger liberaler Vorherrschaft.
Die CDU ist seit Jahren eine liberale Partei, inzwischen sogar eher linksliberal. Wenn eine Partei wie die AfD weitgehend die programmatischen Forderungen der Union aus der Zeit um 2000 übernimmt, geht sie die ausgetrenenen Wege, auf denen seitdem die Union vorausgeschritten ist. Wir müssen uns nur einmal in Deutschland umsehen, wohin sie uns geführt haben. Wer sich heute liberalkonservativ nennt, führt entweder das Publikum an der Nase herum oder hat grundlegend falsch analysiert, was Liberalismus ist und zu welchen Konsequenzen er geführt hat.
Wenn eine politische Partei eine Alternative zum herrschenden Zustand bieten will, darf sie alles vertreten, nur keinen Liberalismus. Wer dessen Konsequenzen rückgängig machen will, kann nicht liberalkonservativ sein.
Die AfD hat Vorsitzende wie Lucke und Meuthen nicht abgestoßen, weil diese auf persönliche Macht versessene Eigenbrötler waren. In jeder politischen Partei und jedem Kleintierzüchterverein gibt es Machtstreben, Eifersüchteleien, Seilschaften und Intrigen. Der Grund für die Flügelbildungen innerhalb der AfD liegt in der strukturellen Unvereinbarkeit politischer Grundpositionen.
Es genügt nicht, gemeinsam traurig zu sein über den Verlust herkömmlicher Werte und Institutionen. Man muß auch richtig analysieren, welcher ideologischen Grundhaltung sie in den letzten Jahrzehnten zum Opfer gefallen sind. Wer dazu außer Stande ist, nützt objektiv dem politischen Gegner. Herr Meuthen und seine Freunde, die ihn vielleicht noch ins Aus begleiten werden, bildeten objektiv einen Ballast, der abgeworfen werden mußte.
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