Alles hat keinen Sinn. Gäbe es Götter, müßten wir ihnen dafür auf den Knien danken. Wir Menschen haben nämlich die Fähigkeit zur Sinnstiftung. Was würden wir wohl mit ihr anfangen, wenn schon alles einen Sinn hätte? Wir können allem einen Sinn geben, für welchen auch immer wir uns entscheiden.
Es geht nicht um den Sinn im kleinen Maßstab. Schmieden wir uns ein Werkzeug, dann geben wir ihm den Sinn und Zweck, eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Das ist aber nicht die große Sinnfrage. Die beschäftigt uns beim Blick in den gestirnten Himmel: „Leuchten die für uns, Geliebter?“ „Ja, Liebste, ich schenke dir den hellen da rechts oben!“
Die Astronomie belehrt uns mittlerweise über das Werden und Vergehen von Sternen seit Jahrmillarden. Menschen gibt es seit ein paar hunderttausend Jahren, je nach dem, ab welcher Entwicklungsstufe wir sie so nennen mögen. Was haben unsere Vorfahren nicht alles an Gefühlen und Erwartungen in Sterne gelegt! Leuchten sie doch scheinbar unveränderlich, wie an den sich drehenden Himmel „gefixt“, in unerreichbarer Ferne: Fixsterne. Für uns?
Vorbei die Epochen, in denen kindliche Gemüter, unwissend noch Suchende, Götter in ihnen zu sehen glaubten, die über den Himmel ziehen. Wer glaubt noch an einen lieben Gott, da oben irgendwo über den Wolken, die uns oft den Blick ins kosmische Weite verdecken? Mit verblüffender Überheblichkeit bilden sich manche ein, das ganze, rund 14 Milliarden Lichtjahre durchmessende Weltall sei exklusiv für sie geschaffen worden. Daraus spricht säuglingshafte Egozentrik, die sich selbst im Mittelpunkt seines kleinen Reiches um Wiege und Teddybär wähnt, und die Milch spendenden Brüste sind gewiß, ganz bestimmt, nur für den kleinen Kerl geschaffen.
Milchstraße nennen wir den Spiralnebel, in dessen Seitenarm ein Paar Planeten um eine kleine, gelbe Sonne kreisen, um unsere Sonne. Ganz bestimmt ist die aber nur für uns geschaffen! Wer das glaubt, wird selig. Tatsächlich ist die Erde unsere Wiege. Doch wer will schon in der Wiege sterben, ohne die Welt gesehen zu haben? Wer das nicht will, entwickelt kosmisches Bewußtsein.
Mögen die Ewiggestrigen sich ängstlich wie in den Höhlen verbergen, in denen unsere Vorfahren einst Tier- und Jagdzauber an die Wände malten. Tief in den Schatten, in die das Licht keiner Fackel je drang, lauerte stets das Dunkle, das Unbekannte, das Unheimliche. Mit zauberischen Riten suchten die Höhlenjäger es zu bannen, zu besänftigen. Doch es begleitet unsere Geschichte seit der Zeit magischer Tieropfer über die Epoche magischer Menschenopfer bis hin zum rituellen „Iß, das ist mein Leib, und trink, das ist mein Blut!“
Raumfahrt tut not. Ist wichtig, wann wir unsere schöne, bunte Welt durch Übervölkerung in einen Müllhaufen verwandelt haben werden? Kommt es darauf an, ob es noch Menschen geben wir in jener absehbaren fernen Zukunft, in der die Kontinente sich wieder vereinen werden und sich auf den meisten Landmassen staubtrockene Wüsten bilden werden. Das ist noch ein paar Millionen Jahre hin, belehren uns Geologen. Menschen denken aber weiter in die Zukunft.
Menschliches Denken sucht nach Ewigkeiten: ewige Seligkeit, ewige Treue, ewiges Gedenken. Wenn unser Ende absehbar ist, schockiert uns das. Wir verdrängen es gern. Das Ende der Menschheit ist absehbar. Auf diesem Planeten wird es nicht ewig währen. Daß die Sonne sich in ferner Zukunft aufblähen und die Erde verschlingen wird, steht kosmologisch fest. Wenn unsere Nachkommen dann noch hier sind, ist Schluß mit ihnen.
Darum auf! Zu den Sternen! Sie sind unsere einzige Chance, als Art Mensch Unsterblichkeit zu gewinnen. Mutter Erde möchten wir niemals aufgeben. Aber wir werden uns hier gegenseitig auf die Füße treten und dabei die Natur in den Staub treten. Das ist keine metaphysische Prophezeiung, sondern eine Prognose aufgrund der heutigen Lage.
Wenn uns die Gesetzlichkeiten der Physik wirklich dauerhaft unmöglich machen sollten, Auswanderer-Raumschiffe oder dergleichen zu fremden Sternen und ihren Planeten zu schicken, wird unsere Spezies keine ewige Zukunft haben können. Wir müssen die wissenschaftlich-technische Entwicklung vorantreiben. Darin liegt unsere einzige Chance. Dazu gehört ein ethisches Grundverständnis, das dieser Entwicklung keine dumpfen, aus vorgestriger oder egoistischer Beschränktheit quellenden Grenzen setzt. Wir müssen geistig auf eine kosmische Zukunft vorbereitet sein, wenn wir eine Zukunft haben wollen.
Seit der Renaissance gingen Wissenschaftler zunehmend ohne wertendes Vorverständnis empirisch vor. Ihnen wurde evident, daß das Universum einem in sich widerspruchsfreien Satz von Naturgesetzen unterworfen ist. So sah Galilei die Natur als ein vollkommen geordnetes Ganzes an: Sie handele mit Notwendigkeit und verletze nie ihre eigenen Gesetze.[1] Damit hat er das Credo jedes naturwissenschaftlich Denkenden formuliert. Er betrachtet die Menschen als Teil des Natürlichen und den kausal wirkenden Naturgesetzen unterworfen.
Theologen behaupten: Allem Sein liegt eine unvordenkliche, sinnvolle Ordnung zugrunde. Ihr seien wir unterworfen. Die moderne Naturwissenschaft dagegen lehrt: Am Anfang war das Chaos. Alles Stoffliche unterliegt nämlich dem Gesetz des Ordnungsverlustes, der Entropie: es tendiert immer zum Ungeordneten, Chaotischen. Ihm wohnt keine erkennbare Quelle sinnvoll ordnender Information inne. Im chaotischen nur Materiellen waltet keine heilige Ordnung. – Nur ein personales Bewußtsein kann Sinn stiften und Ordnung schaffen. Als hochdifferenziertes Endprodukt der Evolution vermag das erst der Mensch.
Weil keine heiligen Ordnungen über uns walten und uns überwachen, sind wir ethisch und moralisch frei. Wenn wir diese Freiheit nicht nutzen, werden wir in der Weiten des Kosmos über unsere eigenen Füße fallen – falls wir dort jemals hingelangen. Moralische Vorurteile könnten uns weiterhin fesseln, für immer zu knechten, ins Dunkel der Höhlen unserer Ahnen zu treiben und für immer zu binden. Die Literaturgattung der Science Fiction hat diese Szenarien seit Jahrzehnten durchdekliniert. Hier ist ein kosmisches Bewußtsein bereits entstanden, hat mögliche künftige Probleme und ihre Lösungen aufgezeigt.
Ist es unmoralisch, das Genom von Ansiedlern auf einem fernen Planeten zu verändern und sie so dessen Chemie und Ökosystem anzupassen? Müssen künftige Raumfahrer erst den Papst oder einen Ethikrat fragen, oder sollten sie lieber gleich zuhause auf der Erde bleiben? – Wie gehen wir mit künstlicher Intelligenz um, wenn Roboter tatsächlich einmal imstande sein sollten, Gefühle wie Menschen zu entwickeln. Müssen wir sie dann „menschlich“ behandeln? Solche und unzählige andere Fragen wurden schon gestellt und literarisch beantwortet.
In der weltweit größten Science-Fiction-Serie „Perry Rhodan“ werden kosmische Wesenheiten der Ordnung und des Chaos konzipiert. Beide haben negative und positive Auswirkungen auf das Leben. Neben viel Trivialem stellt gute Science Fiction die ganz großen Fragen und spielt Antwortmodelle durch.
Vor unseren Zeiten gab es nur blindes Walten natürlicher Kräfte. Dem Zerfall und der Auflösung entgegen wirkt nämlich das Gesetz der Kausalität: Aus dem kosmischen Urchaos bildeten sich planetarische Systeme, aus dem Urmeer Einzeller und aus haarigen Höhlenwilden zur Gemeinschaftsbildung fähige homines sapientes. Es entstanden also immer differenziertere Strukturen, die mehr auf ihre Umwelt bezogene Informationen enthielten als die ihnen vorangegangenen. Sie verkörperten damit jeweils die „intelligentere“, geordnetere Seinsform. „Leben frißt negative Entropie. … Alle lebenden Systeme sind so beschaffen, daß sie Energie an sich zu reißen und zu speichern vermögen.“[2] Sie sind so konstruiert, daß sie „in aktiver Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt eine positive Energiebilanz erwirtschaften.“[3] Wir sind die jüngsten Abkömmlinge, die Spitze dieser Pyramide, und verkörpern so ein Höchstmaß an Ordnung. Wer Ordnung als Prinzip vertritt, verwirklicht damit sich selbst: ein Seinsprinzip nämlich, das offenkundig – aufgrund von Naturgesetzen – in uns ist.
Die Fragen, ob ein Ordnungsprinzip die Welt im Innersten zusammenhält und woher diese Ordnung etwa kommt, sind nur spekulativ zu beantworten. Schon als Frageformulierungen entstammen sie unserem Erfahrungshorizont und setzen bereits menschliche Denkmaßstäbe voraus. Denen muß das kosmische Geschehen aber durchaus nicht unterliegen. Letzte Sinnfragen stellen sich allenfalls hinter der Ordnung in sich widerspruchsfreier Naturgesetze, die sich in uns verkörpert, aber nicht in ihr. „Unsere Bestimmung war nicht ausgemacht,“ faßt Monod die philosophische Quintessenz des naturwissenschaftlichen Weltbildes zusammen, „bevor nicht die menschliche Art hervortrat, die als einzige in der belebten Natur ein logisches System symbolischer Verständigung benützt.“ Dieses „einmalige Ereignis“ solle uns vor jeglichem Anthropozentrismus warnen. Der alte Bund zwischen Mensch und mythisierenden Ontologien sei zerbrochen. „Der Mensch weiß endlich, daß er in der teilnahmslosen Unermeßlichkeit des Universums allein ist, aus dem er zufällig heraustrat. Nicht nur sein Los, auch seine Pflicht steht nirgendwo geschrieben.“[4]
Diese Auffassung ist strikt naturwissenschaftlich. Sie setzt ihren Ehrgeiz nicht in Spekulationen über letzte Sinnfragen, sondern macht die erkennbare Ordnung des Kosmos zum Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung und Erforschung. Gäbe es Götter, würde sie diese zählen, messen oder wiegen wollen. Zu Göttern zu beten, die nie antworten, kommt ihr nicht in den Sinn. Der Nachweis eines Schöpfergottes würde mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Das naturwissenschaftliche Weltbild, so nimmt Monod die zentralen Aussagen des Dezisionismus vorweg, zerstört alle sinnvoll-werthaften Ontogenien, auf denen die normativistische (Monod formuliert „animistische“) Tradition beruhen soll: die Werte, die Moral, die Pflichten, Rechte und Verbote. Wenn der Mensch „diese Botschaft in ihrer vollen Bedeutung aufnimmt,“ muß er „endlich aus seinem tausendjährigen Traum erwachen und seine totale Verlassenheit, seine radikale Fremdheit erkennen. Er weiß nun, daß er einen Platz wie ein Zigeuner am Rande des Universums hat, das für seine Musik taub ist und gleichgültig gegen seine Hoffnungen, Leiden oder Verbrechen.“[5] Wer sich dadurch nicht entmutigen läßt, sondern gerade darin seine Freiheit zur Sinngebung sieht, denkt kosmisch.
Die erkennbare Welt gehorcht dem Gesetz des bloß Kausalen. Nicolai Hartmann hat – Kant[6] folgend – auf die häufige Verwechselung des bloß Zweckmäßigen mit dem Zwecktätigen hingewiesen. Weil wir Menschen Zwecke setzen und Dinge als Mittel benutzen, meinen wir überall im Zweckmäßigen das Ergebnis einer Zwecktätigkeit zu sehen. Das Zweckmäßige kann aber allein durch blindes Walten der Kausalität entstehen: So war das Organische aus dem Anorganischen entstanden, und so verlief die ganze biologische Evolution. Daß es eine Zweckmäßigkeit ohne Zwecktätigkeit gibt, „ist eine ganz einfache, in sich evidente Einsicht.“[7]
Hartmann sieht keinen Grund, warum bei der unübersehbaren Mannigfaltigkeit dessen, was zufällig zustandekommt, nicht dann und wann auch etwas Zwecktaugliches entstehen sollte. Das folge einfach aus den Gesetzen der Statistik. Einmal entstanden hebt sich aber das Zweckmäßige dadurch vom Unzweckmäßigen ab, daß es längeren Bestand hat. Die Zweckmäßigkeit eines Gebildes in sich selbst, etwa seiner Teile füreinander, bedeutet eben, daß es Bestand hat, Gleichgewicht und Stabilität.[8] Die moderne Molekularbiologie und Biochemie führen die Entstehung des Lebens und seine Evolution auf drei Naturgesetze zurück, durch welche Hartmanns philosophische Erwägungen bestätigt werden. Sie bilden in ihrem Zusammenwirken „das kategoriale Novum der organischen Determination“.[9] Sie beruht auf der autonomen Morphogenese, der reproduktiven Invarianz und der Teleonomie. Die erste: der spontane Aufbau komplexerer Strukturen mit höherem Informationsgehalt, findet sich auch bei Kristallen und ist eher ein Mechanismus als eine speziell biologische Fähigkeit. Das Gesetz der Invarianz besagt für Organismen, daß jede Generation ihren genetischen Code unverändert an die folgende weitergibt.[10] Teleonomie ist die von Hartmann erkannte Zweckmäßigkeit, diese Stabilität des Genoms zu erhalten. Monod definiert Teleonomie als die Übertragung des für die Art charakteristischen Invarianzgehalts von einer Generation auf die nächste.[11] Damit meint er, daß bei der Reproduktion der Generationen die arterhaltenden Eigenschaften durch erfolgreiche Fortpflanzung belohnt werden.
Teleonomie als biologischer Terminus ist damit eine rein kausale Kategorie. Sie folgt nämlich der strengen Notwendigkeit kausal determinierender Prozesse: Die Selektionstheorie sieht die Invarianz genetischer Eigenschaften als ursprünglich an. Teleonomie ist hingegen eine sekundäre Eigenschaft.[12] Aufgrund der Invarianz können Arten über Jahrmillionen genetisch völlig stabil bleiben. Die invariante Reproduktion weist allerdings Ausrutscher aus: die gelegentlichen Mutationen. Wann sie auftreten, unterliegt dem Zufall, ist aber statistisch quantifizierbar. Solche Zufälle werden durch den Invarianzmechanismus „eingefangen, konserviert und reproduziert,“ sofern sie teleonom sind. Nicht der Arterhaltung zwecktaugliche Mutationen pflanzen sich nicht fort. So verwandelt die Invarianz den Zufall mit Monods Worten „in Ordnung, Regel, Notwendigkeit“, und er resümiert: „Aus einem völlig blinden Spiel kann sich per definitionem alles ergeben, auch das Sehen.“ Wir erkennen also hinter der biologischen Terminologie Monods sehr deutlich, daß die autonome Morphogenese, die Invarianz und die Teleonomie rein kausale Wirkkräfte sind. Ohne sich der philosophischen Begrifflichkeit von Kausalität und Finalität zu bedienen, betont der Biologe, daß Zufall und Notwendigkeit „objektive“ Gegebenheiten und keinesfalls „projektiv geplante“ Abläufe sind. Was am Menschen biologisch geworden ist, ist höchst zweckmäßig im Sinne Hartmanns, aber nicht Ergebnis einer zwecktätigen Handlung. Während die Teleonomie als biologischer Begriff beinhaltet, daß die ihr unterworfenen Evolutionsprozesse rein kausal ablaufen, behaupten verschiedene Teleologien, die Evolution sei ein finaler Schöpfungsprozeß. Dieses teleologische Denken verwirft Monod als unwissenschaftlich. Es lasse sich mit dem Objektivitätspostulat der Naturwissenschaft nicht vereinbaren.
Monod zufolge wird jedes „Gesamtsystem schon durch unzählige Steuerungsmechanismen zusammengehalten.“ Nur solche Mutationen bleiben erhalten, „die den teleonomen“ – auf seine Selbsterhaltung gerichteten – „Apparat in seiner schon eingeschlagenen Orientierung zumindest nicht schwächen, sondern vielmehr stärken oder gar – was sicher viel seltener vorkommt – mit neuen Möglichkeiten bereichern.“[13] Das Aufeinanderwirken der Teile zu einem stabilen Ganzen nennt auch Konrad Lorenz eine Systemeigenschaft. Seit Jahrmilliarden erzeugte der blinde, bloß kausale Zufall unzählige Kombinationen einzelner Elemente zueinander. Immer wenn zuvor voneinander unabhängige Systeme zusammengeschaltet werden, kommt es zu einer „Fulguration“: Es entstehen völlig neue Systemeigenschaften, ein neues Ganzes, das vorher selbst in Andeutungen noch nicht da war.[14] –
Das physikalische Denken des 20. Jahrhunderts geht von einer vierdimensionalen Raum-Zeit-Vorstellung aus. Begriffe wie Raum, Zeit und Ereignis sind nach Einstein „freie Schöpfungen der menschlichen Intelligenz, Werkzeuge des Denkens, die dazu dienen sollen, die Erlebnisse in Zusammenhang zu bringen und sie dadurch besser überschauen zu können.“ Heute versteht die Physik Materialismus in einem sehr umfassenden Sinn, der energetische Vorgänge mit einbezieht und sich nur vom Spiritualismus abgrenzt; er kennt nämlich keine „Geister“. Materie ist nur eine andere Erscheinungsformen der Energie. Diese „Dynamisierung des Materiebegriffes … bedeutete buchstäblich den Gnadenschuß auf den Substanzbegriff“[15] und entzog der Vorstellung die Grundlage, moralische oder andere Ideen als etwas substanzielles anzusehen.
Schon Einstein forderte mit Recht, „die Grundbegriffe naturwissenschaftlichen Denkens aus den platonischen olympischen Gefilden herunterzuholen und zu versuchen, deren irdische Herkunft aufzudecken.“ Für solches „physikalisches wie überhaupt naturwissenschaftliches Denken ist es charakteristisch, daß es im Prinzip mit den ‚raumartigen‘ Begriffen allein auszukommen trachtet und mit ihnen alle gesetzlichen Beziehungen auszudrücken strebt. Der Physiker sucht Farben und Töne auf Schwingungen zu reduzieren, der Physiologe Denken und Schmerz auf nervöse Prozesse, derart, daß das Psychische als solches aus dem Kausal-Nexus des Seienden eliminiert wird.“[16] Die Wissenschaft braucht kein Jenseits, um das Diesseits zu erklären. Sie hat das alte philosophische Leib-Seele-Problem gelöst: Sie wies die materielle Bedingtheit mentaler Phänomene nach und „reduzierte die kognitiven Phänomene auf ihr neuronales Substrat“, weshalb nach Wolf Singer, Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt, alles darauf hindeutet, „daß die Hirnforschung auf dem Weg ist, ihren reduktionistischen Ansatz auf alle relevanten Ebenen lückenlos auszudehnen. Sie wird die Phänomene neuronaler Kommunikation auf ihre molekularen und zellulären Grundlagen zurückführen und ist dabei, Verhaltensphänomene, einschließlich psychischer und mentaler Funktionen, durch neuronale Kommunikationsprozesse zu erklären.“[17]
Die Philosophie hat zur Kenntnis nehmen müssen, daß
sich die Sonne nicht um die Erde dreht und daß alle metaphysischen Spekulationen
auf Grundlage des geozentrischen Weltbildes keinen Realitätsgehalt haben. Bis
der letzte Scholastiker das wußte, vergingen freilich Jahrhunderte. Vielleicht
geht es heute ein wenig schneller, bis sich unter Metaphysikern herumgesprochen
haben wird, daß es keinerlei naturwissenschaftlichen Anlaß gibt, von Geistern
oder Seelen zu spekulieren und Weltdeutungen auf solche Spekulationen zu
gründen.
Lassen wir sie einfach in den geistigen Wohnhöhlen der Steinzeit zurück. Nur „kosmisches Bewußtsein“ wird uns für die Anforderungen des Kosmos fit machen.
[1] Galileo Galilei, Opere, VII, 43 und Brief vom 21.12.1613, zit nach Panajotis Kondylis, Metaphysikkritik, S.177.
[2] Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, S.33.
[3] Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Der Mensch, das riskierte Wesen, S.16 nach H. Hass, Das Energon, 1970.
[4] Jacques Monod, Zufall und Notwendigkeit, S.157.
[5] Monod, Zufall und Notwendigkeit, S.151.
[6] Kant, Kritik der Urteilskraft, § 84, S.385.
[7] Nicolai Hartmann, Ethik, Berlin 1926, 4.Aufl.1962, S.202.
[8] Nicolai Hartmann, Teleologisches Denken, 1951, 2.Aufl.Berlin 1966, S.95.
[9] Hartmann, Ethik, S.679.
[10] Monod, Zufall und Notwendigkeit, S.33, 29 f.
[11] Monod, Zufall und Notwendigkeit, S.31.
[12] Alle Zitate dieses Absatzes: Monod, Zufall und Notwendigkeit, S.38,94 f.,23,36 ff.
[13] Monod, Zufall und Notwendigkeit, S.111.
[14] Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, S.47 ff.
[15] Panajotis Kondylis, Der Untergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform, Weinheim 1991, S.160.
[16] Albert Einstein, Über die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie, 16.Aufl., Braunschweig 1954, S.89 f.
[17] Wolf Singer, Auf dem Weg nach innen, Ein kognitives System versucht sich selbst zu ergründen; 50 Jahre Hirnforschung in der Marx-Planck-Gesellschaft, Festrede in Göttingen am 26.2.1998 zum 50jährigen Bestehen, FAZ 27.2.1998.
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