Warum unsere Ängste ihre Macht stabilisieren

Angst zu schüren ist eine Methode der sozialen Disziplinierung.

In früheren Zeiten wurde sie gern unartigen Kindern gegenüber angewandt. Benahm sich der kleine Zögling bei Tische nicht, klopfte die Mutter von unten an den Tisch und sagte drohend: „Der Frost!“ – Bei kleinen Kindern wirkt das im ersten Augenblick und für eine Weile.

Zog ein Kind vor dem Spiegel Grimassen, hieß es: „Irgendwann bleibt die Dein Gesicht so stehen!“ – An eingebildeten Schrecknissen hat es nie gefehlt, Menschen einzuschüchtern und unter eine Knute zu zwingen. In langen Epochen ängstigte man die Menschen mit Teufeln, die überall auf der Lauer liegen, um Sünder zu quälen: „Sei fromm, sonst kommt der – du weißt schon wer – holen!“

Sünder, das sind die Ungehorsamen schwarzen Schäfchen, die fröhlich beiseite traben. Ihre Hirten habe ihre liebe Not mit ihnen, wenn sie die Herde beisammen halten wollen. Früher donnerten Drohungen mit dem Teufel sonntags von der Kanzel. Heute wird die Herde rund um die Uhr aus Radio und Fernsehen mit Warnungen und Drohungen berieselt.

Die Rolle des Teufels spielen wechselnde Darsteller. Wenn gerade nichts Aktuelles vorliegt, heißt der Oberteufel – nun, wir kennen ihn alle. Schaltet man an einem beliebigen Tag durch die Sender, taucht er immer irgendwo auf, verliert zum hunderttausendsten Mal seinen Krieg und wird ewig am Leben erhalten.

In einem Kampf gegen X geht es gar nicht um X; vielmehr wird die Verwerflichkeit und Destruktivität eigenen politischen Handelns auf den vermeintlichen oder tatsächlichen Feind projiziert, um politisch nutzbare Angst der Bevölkerung zu erzeugen. All das, was hier als Kampf gegen eine Bedrohung verkauft wird, darf gar nicht erfolgreich sein, weil sein Erfolg für die ökonomischen und politischen Zentren der Macht gerade darin liegt, nicht erfolgreich zu sein und als Mittel der Angsterzeugung und Herrschaftssicherung erhalten zu bleiben.

Rainer Mausfeld, Angst und Macht, 2. Aufl. 2019, S.60.

Er ist so wichtig, weil er für die Herrschenden eine systemstabilisierende Funktion erfüllt. Wir sollen ihnen gehorchen, weil sonst wieder so ein – Sie wissen schon, wer – kommt. Ein solcher Feind muß zwar theoretisch immer wieder besiegt, gleichwohl aber dauerhaft am Leben erhalten werden. Er ist der Existenzgrund für den Machterhalt derer, die sich selbst behaupten, sein Gegenteil zu verkörpern und uns vor seiner Wiederkehr zu beschützen.

Wenn die Corona-Disziplin nachläßt, wird nachgeschürt

Eine Zeitlang wurde er vom Corona-Virus als Erzschuft abgelöst. Wir alle kuschen, weil unsere Politiker Corona-Angst schüren. Dazu müssen sie nicht aussprechen: „Habt Angst!“ Es genügt, wenn mit Katastrophenbildern wie aus Italien unterlegte Warnungen ständig wiederholt werden. Die soziale Disziplinierung funktioniert hervorragend. Die Schafe bleiben brav in den Ställen.

Seit ein paar Tagen scheint die allgemeine Angst nachzulassen. Menschen merken, daß in ihrem Umfeld niemand gestorben ist und eine Infektion milde verläuft. Unser Gesundheitssystem funktioniert. Die Rufe nach einem Ende der Einschränkungen werden lauter. Die Herde drängt gegen Zäune und Gatter.

Der Disziplinierungseffekt läßt sich nur aufrechterhalten, solange die Angst um sich greift. Seit ein paar Tagen wird in Radio und Fernsehen wieder zunehmend Angst vor „Rechtsextremismus“ geschürt. Für jeden Priester sind göttliche Wunder wichtig. Noch wichtiger sind Beweise für die leibhaftige Existenz des Satans, mit denen er seine Herde einschüchtern und zusammenhalten kann.

Wozu unser Extremismus benötigt wird

Für unsere herrschenden Kreise sind Beweise für die geistige Fortexistenz und Gefährlichkeit jenes – Sie wissen, wen ich meine – eine Lebensfrage. Nachdem der Kommunist Marinus van der Lubbe in der Nacht auf den 28.2.1933 den Reichstag angezündet hatte, trat am 24.3.1933 das Ermächtigungsgesetz in Kraft. Mit den bürgerlichen Freiheiten war es vorbei. Van der Lubbe kam jenem – Sie wissen, wem – so gelegen, daß das Gerücht aufkam, die Nationalsozialisten selbst steckten hinter dem Brand.

Wenn heute in Deutschland auch nur die unwahrscheinlichste Möglichkeit besteht, den Rechtsextremisten als neuen Teufel zu beschwören, wird sie ergriffen. Dann erfindet man mal eben nicht existierende Hetzjagden auf Ausländer oder deutet den Mord eines Geisteskranken in eine rechtsextreme Tat um. Gäbe es eine rechtsextreme Gefahr nicht, würde man sie erfinden.

Wenn mal wieder das Bühnenstück „rechtsextreme Gefahr“ aufgeführt wird, weiß leider niemand im Publikum, was eigentlich mit Rechtsextremismus gemeint ist. Vor ein paar Jahren brachten linksgestrickte Politologen das Schlagwort vom Extremismus der Mitte auf. Wie früher der Pfarrer von der Kanzel donnerte: „Ihr seid alle Sünder!“, wurden wir alle, wurde die Mitte der Gesellschaft, unter Generalverdacht gestellt. Man sagt uns verborgene rechtsextreme Haltungsmuster nach.

Rechtsextremismus als politologisches Sesam-öffne-dich

Nirgends steht verbindlich, was Rechtsextremismus sein soll. Die Deutungshoheit darüber liegt in Händen derselben linken Politologen, Psychologen und Soziologen, die „der Mitte der Gesellschaft“ rechtsextremistische Einstellungen unterstellen. Viele von ihnen bestreiten ihren Lebensunterhalt durch staatlich bezahlte „Rechtsextremismusforschung“. Die Verwendung des Wortes „rechtsextremistisch“ ist beliebig. Es gibt viele Versuche, Erkennungsmerkmale zu entwickeln. Alle sind schwammig. Eine anerkannte Definition gibt es nicht.

Im Gegensatz dazu ist die Juristerei eine exakte Wissenschaft, die auf Definitionen aufbaut und darauf besteht. Sie kann mit schillernden Seifenblasenwörtern nicht viel anfangen. Dementsprechend gibt es kein staatliches Gesetz, in dem steht, was Rechtsextremismus sei. Das hinderte die Bundestagsmehrheit allerdings nicht daran, ein Rechtsextremismus-Datei-Gesetz vom 20.8.2012 zu erlassen. Leider steht auch in diesem Gesetz nicht, was Rechtsextremismus gesetzlich sein soll. Das Gesetz ermächtigt zu bestimmten Datenspeicherungen und greift damit in Bürgerrechte ein, ohne im Gesetzestext zu klären, wann es aufgrund einer „rechtsextremistischen“ Gewalttat überhaupt anwendbar sein soll.

Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei Entscheidungen bestätigt, daß der Begriff des Rechtsextremismus juristisch unbrauchbar ist

Erst recht fehlt es dem Verbot der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts an bestimmbaren Konturen. Ob eine Position als rechtsextremistisch – möglicherweise in Abgrenzung zu „rechtsradikal“ oder „rechtsreaktionär“ – einzustufen ist, ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung. Ihre Beantwortung steht in unausweichlicher Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen, die Abgrenzungen mit strafrechtlicher Bedeutung (vgl. § 145a StGB), welche in rechtsstaatlicher Distanz aus sich heraus bestimmbar sind, nicht hinreichend erlauben. Die Verbreitung rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts ist damit kein hinreichend bestimmtes Rechtskriterium, mit dem einem Bürger die Verbreitung bestimmter Meinungen verboten werden kann.

BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluß vom 08. Dezember 2010 – 1 BvR 1106/08 –

Ob jemand „rechtsextremistisch“ ist, stellt keine beweisbare Tatsache dar, sondern eine wohlfeile Meinungsäußerung:

Das LG ordnet eine der Äußerungen des Beschwerdeführers offenbar fehlerhaft als Tatsachenbehauptungen ein; bei den beanstandeten Äußerungen handelt sich jedoch um Meinungsäußerungen, da nicht durch eine Beweiserhebung festgestellt werden kann, wann ein Beitrag „rechtsextrem“ ist, wann sich ein Denken vom „klassisch rechtsradikalen verschwörungstheoretischen Weltbild“ unterscheidet und wann man „es sich gefallen lassen muß, rechtsradikal genannt zu werden“.

BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluß vom 17. September 2012 – 1 BvR 2979/10 –

Ungeachtet dessen schmuggelt unsere Regierung gern ihre Vorstellungen, was rechtsextrem sei, selbst in behördliche Verbote ein. Wenn ein Rechtsstaat ein Handeln verbietet, muß er sich im Rahmen einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage halten. Eine solche steht in § 3 des Vereinsgesetzes: „Ein Verein darf erst dann als verboten (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) behandelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, daß seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder daß er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet.“

Dem Bundesverwaltungsgericht liegt zur Zeit zu 6 VR 1.20 ein Eilantrag des im November 2019 verbotenen Vereins COMBAT 18 gegen sein Verbot vor. Der Bundesinnenminister wirft ihm vor, er sei mit dem Nationalsozialismus wesensverwandt, und seine Tätigkeit laufe auch Strafgesetzen zuwider. Beides bestreitet der Verein.

Um die Behauptung zu stützen, der Verein sei mit dem Nationalsozialismus wesensverwandt, beruft sich das Ministerium darauf, der Verein habe intensive Kontakte zur rechtsextremen Szene unterhalten. Auf diese Weise setzt es die Begriffe nationalsozialistisch und rechtsextremistisch argumentativ gleich, denn sie will den ersten mit dem zweiten beweisen: Wer rechtsextreme Kontakte pflege, darauf läuft es hinaus, sei wesensverwandt mit dem Nationalsozialismus.

Das Ministerium beruft sich dabei auch auf die Begründung des Bundestags zum Rechtsextremismus-Datei-Gesetz von 2012 . Solche Begründungen sind nicht selbst Gesetz. Es heißt dort:

Rechtsextremismus ist der Oberbegriff für bestimmte verfassungsfeindliche Bestrebungen, die sich gegen die im Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der Menschen richten und die universelle Geltung der Menschenrechte ablehnen. Rechtsextremisten sind Feinde des demokratischen Verfassungsstaates, sie haben ein autoritäres Staatsverständnis, das bis hin zur Forderung nach einem nach dem Führerprinzip aufgebauten Staatswesen ausgeprägt sein kann. Das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u.a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder „Rasse“ bestimme den Wert eines Menschen. Offener oder immanenter Bestandteil der über- wiegenden Mehrzahl aller rechtsextremistischen Bestrebungen ist zudem der Antisemitismus. Individuelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen treten zugunsten kollektivistischer „volksgemeinschaftlicher“ Konstrukte zurück.

Gesetzesbegründung zum RED-G von 2012

Diese Gesetzesbegründung entspricht fast wortgleich der von Politologen erarbeiteten und zum Beispiel zu im Verfassungsschutzbericht von 2006 stehenden Ansicht:

Amtlich werden als Rechtsextremismus „…Bestrebungen verstanden, die sich gegen die im Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der Menschen richten und die universelle Geltung der Menschenrechte ablehnen. Rechtsextremisten sind Gegner des demokratischen Verfassungsstaates. Sie haben ein autoritäres Staatsverständnis. Das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit (Fremdenfeindlichkeit). Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse bestimme den Wert eines Menschen. Individuelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen treten zugunsten kollektivistischer ‚volksgemeinschaftlicher‘ Konstrukte zurück (Antipluralismus).“

VS-Bericht 2006.

Ihr Ring, uns alle zu knechten

In Verdacht geraten kann damit „amtlich“ jeder, der die Menschen zwar als fundamental gleichwertig, aber nicht als fundamental gleich ansieht oder dem sein Volk so wertvoll ist, daß amtliche Politologen seine Vaterlandsliebe als „Überbewertung“ bezeichnen. Ihr ideologisches Ziel dieses Staatshandelns ist,

Individuen hervorzubringen, die in einer sozial atomisierten Gesellschaft nur noch als Konsumenten eine soziale Identität finden.

Rainer Mausfeld,Angst und Macht, 3.Aufl. 2019, S.83.

Dieser Zielvorstellung arbeiten unsere Medien permanent vor, wenn sie Ängste vor diversen Bösewichtern schüren. Ich höre seit Monaten wenig anderes in den Staatsmedien als beständige Warnungen vor irgendwelchen Bedrohungen. Sie alle rechtfertigen den weiteren Machterhalt und unsere Unterordnung unter bestimmte Parteien, deren Zustimmungswerte seit Jahren ins Bodenlose gefallen sind und weiter fielen.

Seit die Corona-Angst lodert, steigen sie wieder. Es wird auch künftig immer angebliche Wölfe geben, mit denen wir als Herde unseren Hirten zugetrieben werden sollen. Notfalls benutzt man den Universalteufel – Sie wissen schon, wen – und schüchtert uns ein. Unsere Angst ist der Ring der Macht, den Tolkien uns in „Der Herr der Ringe“ vor Augen geführt hat:

Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden,

Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden.

Der Eine Ring – Symbol der Verknechtung