Wie uns unser Staat zu Denunzianten macht und wer seinen Spaß dabei hat
Mit dem Denunzianten hat es der deutsche Volksmund noch nie gut gemeint. Schon in meiner Kindergartenzeit mußte sich eine kleine Petze anhören:
Petze, petze ging in‘ Laden,
wollt‘ fürn Groschen Petze haben.
Petze, Petze gibt es nicht.
Petze, Petze ärger dich!
Wer hämisch grinsend dabei steht, wenn der Verpetzte seine Strafe erleidet, macht sich bleibend unbeliebt. Zuweilen liebt die Obrigkeit zwar den Verrat, aber nie den Verräter. Die alten Athener nannten solche Leute Sykophanten: Sie „konnten sich eine Eigenheit des attischen Rechtswesens zu Nutze machen, wonach die von einem Verurteilten zu zahlende Geldstrafe nicht an den Staat oder eine gemeinnützige Organisation zu zahlen war, sondern an den Ankläger, und klageberechtigt war jeder freie Bürger.
So konnten die Sykophanten gewerbsmäßig andere Bürger anklagen, sobald sie dafür einen geeigneten Vorwand fanden, und sich an deren Vermögen bereichern,“ schreibt Wikipedia und ergänzt: „404 v. Chr. wurden unter der Herrschaft der Dreißig mehrere sogenannte Sykophanten hingerichtet. Nach der Wiederherstellung der Demokratie blühte jedoch auch das Sykophantenwesen erneut auf. Im Englischen steht sycophant heute für „Kriecher“, „Speichellecker“, „Schleimer“.“
Möglicherweise tobt der innergesellschaftliche Konkurrenzkampf in einer Demokratie wie der athenischen erbitterter als in anderen Staatsformen, in denen die Machtfrage feststeht. Einen politischen Konkurrenten kann man vielleicht ausschalten, indem man ihn mit einem beliebigen Vorwurf anschwärzt. Denunzieren kann man auch einen persönlichen Feind aus purer Rachsucht, um ihm zu schaden. Voraussetzung jeden Denunzierens ist aber immer eine strenge Obrigkeit, die vieles verbietet.
Unsere politische Linke wünscht sich erkennbar einen Obrigkeitsstaat, der uns immer weiter in unseren Freiheiten einschränkt und mit harter Hand vorgeht. Die Straf- und Verbotstatbestände vermehren sich wie die Kaninchen, und mit ihnen erhöhen sich die Strafmaße und Bußgelddrohungen. Die Wunschliste der Linken ist noch lang, aber natürlich alles zu unserem Besten und zur Rettung der Welt.
Für Corona-Denunzianten sind paradiesische Zeiten angebrochen. Hatte da ein Nachbar einen Gast zuviel eingeladen? Versteckt hinter der Gardine lauernd findet man das bald heraus. Haben etwa Kollegen nach der Arbeit zusammen gegrillt? Nieder mit ihnen! Was täte unsere arme Polizei nur ohne Tausende ziviler Hilfspolizisten?
Wie es praktisch so abläuft beim Denunzieren
Sie kann schließlich nicht überall zugleich sein. Am 23. November 2019 begleiteten allerdings dutzende Polizisten in Hannover eine Demonstration „Schluß mit steuerfinanzierter Hetze“ gegen „GEZ und Zwangsbühren.“ Die Versammlungsbehörde und die Polizisten fanden an den Transparenten nichts auszusetzen. Ein arbeitsloses Mitglied eines Magdeburger SPD-Ortsvereins namens Enrico K.[1] erstattete aber am 24.11.2019 Strafanzeige gegen den Polizeivizepräsidenten Jörg Müller wegen Strafvereitelung im Amte. Auf einem Transparent nämlich war einer der – aus Sicht der Demonstranten – Fernseh-„Hetzer“ mit seiner baumelnden Kamera um den Hals abgebildet, aber rot durchgestrichen wie bei einem Verbotsschild. Das, schrieb Enrico K. empört, sei doch nach §§ 22, 23 KUG ein Verstoß gegen das Recht am eigenen Bilde.
Die Polizei war verblüfft. Auf Twitter hatte die Polizei Hannover am 23.11.2019 noch geschrieben:
Auch die Staatsanwaltschaft war verblüfft. Sie beeilte sich, das Verfahren gegen den Polizeibeamten einzustellen, aber eines zu eröffnen gegen Teilnehmer der Demo, die das Transparent getragen hatten. Auch der Abgebildete war verblüfft, stellte aber auf einen polizeilichen Hinweis bereitwillig Strafantrag. Die Angeklagten waren verblüfft, denn ihr Partei-Anwalt hatte die Transparente für erlaubt erklärt. Schließlich war selbst der Amtsrichter verblüfft: über die juristischen Fehlleistungen der 2019 beteiligten Behörden und Juristen. Er befand am 6.5.2021 für Recht: Das Bildnis dessen, der selbst seit Jahren Rechte fotografiert, hätte nicht gezeigt werden dürfen. Da freute sich die taz.
… lacht sich ins Fäustchen
Ins Fäustchen lachen sich alle, die jenen Hannoveraner Demonstranten und ihrer Partei von Herzen abgeneigt sind. Anders als bei den Athener Sykophanten der Antike besteht der Nutzen politischer Denunziation nur darin, dem Gegner zu schaden und ihn möglichst mundtot zu machen. Da kommt die Obrigkeit gerade recht.
Sie hat mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz eine Regelung erlassen, die zur permanenten Aufforderung zum Denunzieren einlädt und die Internet-Plattformen sogar zwingt. So heißt es jetzt auf Twitter pflichtgemäß:
Denunzieren ist heute eine staatliche erwünschte Tätigkeit. Der römische Kaiser Titus (39-81 n.Chr.) hatte das ganz anders gesehen. Sein Biograph Sueton (70 – > 122 n. Chr.) schrieb über ihn:
Ein wahres Unglück für die Zeit waren auch die Denunzianten und ihre Anstifter, die seit langem ihr Unwesen frech getrieben hatten. Diese ließ er regelmäßig auf dem Forum mit Peitschenhieben und Stockschlägen züchtigen, dann durch die Arena des Amphitheaters führen und zuletzt als Sklaven versteigern.[2]
Sueton, Cäsarenleben, Titus, 8.
Denunzianten hießen auf Lateinisch delatores. „Ein Delator (lateinisch eigentlich „Überbringer, Anzeiger“) war vorzugsweise in der römischen Kaiserzeit des römischen Reiches ein berufsmäßiger Denunziant, der ein Gewerbe daraus machte, um sich die Gunst der Kaiser und sich selbst persönliche Vorteile zu verschaffen.“ (Wikipedia)
Nach antiker Ansicht zeugte Denunziantentum von niedrigster Gesinnung und galt als abscheuliche Charakterschwäche. Um diese gar nicht erst zu ermuntern, wuchsen meine Kinder mit der Mahnung auf: „Wenn eins das andere bei mir verpetzt, droht beiden die gleiche Strafe: dem Verpetzten für die Missetat und der Petze fürs Petzen!“ So trugen die Mädchen denn ihre kleinen Zickenkriege untereinander aus, ohne zu Denunzianten zu werden. Gefragt sind Anstand und geschwisterliche Solidarität.
Die politische Denunziaton
Es gibt psychisch auffällige Menschen, die alles und jeden denunzieren. Andere denunzieren Menschen ihrer Umgebung aus persönlichem Haß oder Rachsucht. Den bedeutendsten Anteil haben aber heute politische Denunziationen. Wenn die Obrigkeit um ihre Macht fürchtet und die Untertanen streng bevormundet, blühen Denunzianten auf. Was wären Ketzerprozesse und Hexenverfolgungen gewesen ohne fleißige Denunzianten? Auch Heinrich Heine hatte unter ihnen gelitten:
Dieselbe Rücksicht verhindert mich, mit klaren Worten das Gespinst von Verleumdungen zu beleuchten, womit es einer in den Annalen der deutschen Literatur unerhörten Angeberei[3] gelungen ist, meine Meinungen als staatsgefährlich zu denunzieren und das erwähnte Interdikt[4] gegen mich zu erlassen. Wie und in welcher Weise dieses geschehen, ist notorisch, auch in der Denunziant, der literarische Mouchard[5], schon längst der öffentlichen Verachung verfallen.
Heinrich Heine, Ueber den Denunzianten, Hamburg 1837, S.9 f.
Viele kleiner Lichter und Feuilleton-Matadore haben sich die Denunziation politisch inkorrekter Personen des öffentliche Lebens zum Hobby gemacht. Wer aus dem ideologischen Hauptstrom ausschert, bekommt als ersten Judaskuß das Etikett „umstritten“ aufgeklebt, das ihn zum Abschuß freigibt. Er „bereitet“ schließlich unheilbringenden Mächten „den Weg“, und so ist er schnell für einen Buchverlag oder einen Fernsehsender „nicht mehr tragbar.“
Als die miesesten Typen galten in der Geschichte nicht die Tyrannen,
sondern die Verräter. Die Denunzianten, Anschwärzer, Verleumder, Aushorcher, Zuträger, Petzen: Brutus, Gaius Crassus und Judas. Folgt man Dante in der Göttlichen Komödie so gibt es in der tiefsten Hölle einen eigenen Bereich, die Judecca, in welcher der Teufel diese drei Erzverräter in seinen drei Mäulern zermalmt.
Thorsten Latzel, Bruder Judas, Evangelischer Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau, Christen und Juden, S.6
Dante zufolge finden sie ihre Strafe im achten Kreis der Hölle.
Denunziation als soziales Kontrollinstrument
Unserem Staat und seinen meist linken Denunzianten geht es aber nicht um einen guten oder fiesen Charakter, sondern um die Errichtung und Ausübung von Macht.
Bereits im Alter von drei Jahren entwickeln Kinder eigene Normen und Werte, halten sich an soziale Regeln und verlangen, dass auch andere dies tun. Verhalten sich ihre Mitmenschen nicht so, wie es ihrer Meinung nach richtig wäre, schwärzen Kinder diese an – sie petzen.
Geo Wissen, Warum Kinder petzen
Der Aufklärer Voltaire (1694-1778) machte in Anwesenheit eines Polizeispitzels höchst beleidigende Kommentare über die Herzogin von Berry. Das ließ ihm der absolutistische Staat nicht durchgehen. Voltaire verbrachte 1717 elf Monate in der Bastille. Nachdem der Gesellschaftskritiker Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791) die Mätresse des Herzogs Carl Eugen, Franziska von Hohenheim, als „Lichtputze, die glimmt und stinkt“ verspottet hatte, bediente man sich ebenfalls eines Spitzels. Dieser lockte ihn nach Blaubeuren, wo er auf württembergischem Territorium verhaftet werden konnte und zehn Jahre eingekerkert auf der Festung Hohenasperg verbrachte.
Damals wandte sich die Kontrolle der Obrigkeit gegen Kritik an der Adelsherrschaft. Immer geht es um Macht, zum Beispiel aktuell um innerparteiliche Macht bei den Grünen. Wer sich der Kontrolle als verbaler Abweichler entzieht, wird sofort denunziert. Aktuell trifft es den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer:
Ich wehre mich gegen Ausgrenzung und Denunziation“, sagte Palmer. „Teile der politischen Führung der Partei haben sich der linken Identitätspolitik verschrieben.“
Der Tagesspiegel 10.5.2021.
Die Denunziation ist die Methode der sozialen Kontrolle schlechthin, um
Normen durchzusetzen, und das sei positives Handeln für das Zusammenleben in Gruppen.
Geo Wissen, Warum Kinder petzen
Das Magazin Geo findet das offenbar grundsätzlich positiv. Staatliche und soziale Kontrolle sind aber immer kritisch hinterfragungsbedürftig. Mündige Demokraten sind keine Kindergartenkinder. Die typischen Internet-Denunzianten aber benehmen sich wie Kleinkinder. Für sie gilt:
Überhaupt ist Petzen oft ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Kinder, die bei Gleichaltrigen wenig Anerkennung finden, versuchen nicht selten, sich auf diese Weise bei Eltern, Lehrern oder Erzieherinnen beliebt zu machen. Sie geraten dabei in einen Teufelskreis, denn ihr Verhalten drängt sie noch weiter ins Abseits. Solche Kinder sollten zwar erfahren, dass Petzen nicht erwünscht ist; man sollte ihnen aber auch dabei helfen, Freunde zu finden. Wenn Sie aus dem Kinderzimmer häufig Sätze wie „Laß das, oder ich sag’s Mama!“ hören, könnte das darauf hinweisen, dass Sie sich zu sehr in die Streitigkeiten Ihrer Kinder einmischen. Auch wenn es manchmal schwer fällt: Spielen Sie nicht vorschnell den Schiedsrichter! Hindern Sie ihre Kinder nicht daran, selbst Lösungen zu finden. So stärken Sie ihr Selbstvertrauen – eine gute Voraussetzung gegen häufiges Petzen.
Sebastian Bröder, „Ich bin keine Petze“, kizz 9.10.2014
Unsere Regierungsparteien haben Denunzianten mit ihren Verbotsorgien und dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz ein Eldorado geschaffen. In ihm dürfen sich arbeitslose Inhaber hoher Zeitbudgets von früh bis spät austoben. Ideologische Blockwarte extremer Gruppierungen rufen nach dem Staat als Büttel, obwohl sie ihn sonst hassen. Pickelige Halbstarke lassen von ihrem Computerspiel und möchten wenigstens auf Facebook etwas zu melden haben.
Und alle sind so glücklich.
Schöne neue Welt, die solche Bürger trägt!
Aldous Huxley, Schöne neue Welt, 1937
[1] Die bekannten Personalien tun hier nichts zur Sache.
[2] Inter adversa temporum et delatores mandatoresque erant ex licentia veteri. Hos assidue in foro flagellis ac fustibus caesos ac novissime traductos per amphitheatri arenam, partim subici ac venire imperavit, partim in asperrima insularum avehi.
[3] Angeber war nach damaligem Sprachgebrauch der Denunziant, nicht etwa der Prahler.
[4] Verbot
[5] Verräter
Bernhardt
Steht überhaupt noch in unserer Gesellschaft das gesetzte Recht vor der Moral?
Den es ist erstaunlich und teils widersprüchlich, dass ein großer Teil der Bevölkerung sich derzeit in dieser Moral wiederfinden, gleichzeitig auch mehr Transparenz wünschen.
Es hängt aber auch vom jeweiligen Standpunkt ab ob Denunzianten heißen sie zum Beispiel Johann oder Antoine sich selbst wohl als Robin Hood bezeichnen.
Hingegen für einen Journalisten der investigativ an der Aufdeckung von Affären oder Skandalen arbeitete ist es oft die einzige brauchbare Quelle. Somit tragen Denunzianten zur Aufdeckung bei, auch wenn es nicht jeden gefällt.